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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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legenden noch einmal daran zu erinnern, gefragt, was wohl ein Wurm für
einen Nutzen davon haben könne, sich höher zu organisieren, und ein so ein¬
gefleischter Darwinianer wie August Weismann hat anerkannt, daß gerade die
allerniedrigsten Organismen, die einzelligen, die am besten angepaßten, daß sie
sozusagen unzerstörbar und unsterblich sind, und daß sie sehr dumm gewesen
sein müßten, wenn sie sich durch höhere Organisation allen den Gefahren aus¬
gesetzt hätten, die den höhern Organismen drohen. Woraus folgt, daß es
niemals zu einer Entwicklung gekommen sein würde, wenn diese in weiter nichts
bestünde als in der Anpassung an geänderte äußere Umstände. Eimer weist
die Nichtigkeit der Mimiery und der Schutz- oder Trutzfärbung nach, "die bei
deit Darwinianern von Wallace bis Weismann als handgreiflichstes Beispiel
für die Leistungsfähigkeit der Naturzüchtung mit Vorliebe behandelt werden".
Eimer sagt u. a.: "Viele Tierarten werden überhaupt nur gefangen und ge¬
fressen, wenn sie sich bewegen, also eine Schutzfärbung ihnen nichts helfen kann.
Die Sinnesorgane der meisten Räuber reichen gerade nur aus, ein in Be-
wegung befindliches Objekt zu bemerken, während ruhende auch ohne Schutz¬
färbung von ihnen unbemerkt bleiben. Manche Tiere machen den Schutz, deu
ihnen die Ähnlichkeit (mit Blättern, Baumwurzeln usw.) gewähren könnte,
illusorisch, indem sie sich gar nicht mit Vorliebe auf solchen Gegenständen
niederlassen, denen sie ähnlich sind." Gustav Wolfs geht so scharf gegen
Darwin vor, daß sich 1890 kein Verleger getraute, seine "Beiträge zur Kritik
der Darwinschen Lehre" anzunehmen; sie erschienen in einer Zeitschrift und erst
1898 gesammelt bei Georgi in Leipzig. Er wendet sich gegen den Zufall,
der im Darwinismus ausschließlich regiert. Unter diesem Regiment würde es
nie zu eiuer Fortbildung kommen können, denn bei rein quantitativen Ände¬
rungen zwar, wie Vergrößerung und Verkleinerung des Körpers, sei die Wahr¬
scheinlichkeit für günstige und ungünstige Änderung ungefähr gleich, bei quali¬
tativen aber die Wahrscheinlichkeit für ungünstige Änderungen viel größer.
Zudem sei es schwer zu glauben, daß rein zufällig ein Organismus oder
mehrere Organismen zugleich alle dieselben oder ganz verschiedne, einander ent¬
sprechende Änderungen erleben sollten, die notwendig sind, wenn ein Nutzen
entstehen soll, an den die Zuchtwahl durch Auslese des Angepaßteu anknüpfen
kann. Die Hufe der Huftiere müßten sich zugleich an allen vier Füßen ge¬
bildet, den Arbeitsbienen müßten zugleich mit der Verkümmerung der Geschlechts¬
organe an den Beinen die Würstchen und Körbchen gewachsen sein -- wozu
noch kommt, daß diese Eigentümlichkeiten nicht vererbt werden können, weil sich
die Arbeitsbiene nicht fortpflanzt --, die Blüten gewisser Pflanzen und die
Saugwerkzeuge der ihre Befruchtung vermittelnden Insekten müßten zugleich
die für diese Befruchtungsart zweckdienliche Gestalt angenommen haben usw.
Wilhelm Haacke "gehört zu den Schülern Haeckels, die mit der Zeit in ganz
entgegengesetzte Bahnen geraten sind". Er polemisiert gegen die Stammbnume
des Meisters. "Daß die höher" Lebewesen ans niedern hervorgegangen sind,


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legenden noch einmal daran zu erinnern, gefragt, was wohl ein Wurm für
einen Nutzen davon haben könne, sich höher zu organisieren, und ein so ein¬
gefleischter Darwinianer wie August Weismann hat anerkannt, daß gerade die
allerniedrigsten Organismen, die einzelligen, die am besten angepaßten, daß sie
sozusagen unzerstörbar und unsterblich sind, und daß sie sehr dumm gewesen
sein müßten, wenn sie sich durch höhere Organisation allen den Gefahren aus¬
gesetzt hätten, die den höhern Organismen drohen. Woraus folgt, daß es
niemals zu einer Entwicklung gekommen sein würde, wenn diese in weiter nichts
bestünde als in der Anpassung an geänderte äußere Umstände. Eimer weist
die Nichtigkeit der Mimiery und der Schutz- oder Trutzfärbung nach, „die bei
deit Darwinianern von Wallace bis Weismann als handgreiflichstes Beispiel
für die Leistungsfähigkeit der Naturzüchtung mit Vorliebe behandelt werden".
Eimer sagt u. a.: „Viele Tierarten werden überhaupt nur gefangen und ge¬
fressen, wenn sie sich bewegen, also eine Schutzfärbung ihnen nichts helfen kann.
Die Sinnesorgane der meisten Räuber reichen gerade nur aus, ein in Be-
wegung befindliches Objekt zu bemerken, während ruhende auch ohne Schutz¬
färbung von ihnen unbemerkt bleiben. Manche Tiere machen den Schutz, deu
ihnen die Ähnlichkeit (mit Blättern, Baumwurzeln usw.) gewähren könnte,
illusorisch, indem sie sich gar nicht mit Vorliebe auf solchen Gegenständen
niederlassen, denen sie ähnlich sind." Gustav Wolfs geht so scharf gegen
Darwin vor, daß sich 1890 kein Verleger getraute, seine „Beiträge zur Kritik
der Darwinschen Lehre" anzunehmen; sie erschienen in einer Zeitschrift und erst
1898 gesammelt bei Georgi in Leipzig. Er wendet sich gegen den Zufall,
der im Darwinismus ausschließlich regiert. Unter diesem Regiment würde es
nie zu eiuer Fortbildung kommen können, denn bei rein quantitativen Ände¬
rungen zwar, wie Vergrößerung und Verkleinerung des Körpers, sei die Wahr¬
scheinlichkeit für günstige und ungünstige Änderung ungefähr gleich, bei quali¬
tativen aber die Wahrscheinlichkeit für ungünstige Änderungen viel größer.
Zudem sei es schwer zu glauben, daß rein zufällig ein Organismus oder
mehrere Organismen zugleich alle dieselben oder ganz verschiedne, einander ent¬
sprechende Änderungen erleben sollten, die notwendig sind, wenn ein Nutzen
entstehen soll, an den die Zuchtwahl durch Auslese des Angepaßteu anknüpfen
kann. Die Hufe der Huftiere müßten sich zugleich an allen vier Füßen ge¬
bildet, den Arbeitsbienen müßten zugleich mit der Verkümmerung der Geschlechts¬
organe an den Beinen die Würstchen und Körbchen gewachsen sein — wozu
noch kommt, daß diese Eigentümlichkeiten nicht vererbt werden können, weil sich
die Arbeitsbiene nicht fortpflanzt —, die Blüten gewisser Pflanzen und die
Saugwerkzeuge der ihre Befruchtung vermittelnden Insekten müßten zugleich
die für diese Befruchtungsart zweckdienliche Gestalt angenommen haben usw.
Wilhelm Haacke „gehört zu den Schülern Haeckels, die mit der Zeit in ganz
entgegengesetzte Bahnen geraten sind". Er polemisiert gegen die Stammbnume
des Meisters. „Daß die höher» Lebewesen ans niedern hervorgegangen sind,


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[0376] lM'tmami über das Leben legenden noch einmal daran zu erinnern, gefragt, was wohl ein Wurm für einen Nutzen davon haben könne, sich höher zu organisieren, und ein so ein¬ gefleischter Darwinianer wie August Weismann hat anerkannt, daß gerade die allerniedrigsten Organismen, die einzelligen, die am besten angepaßten, daß sie sozusagen unzerstörbar und unsterblich sind, und daß sie sehr dumm gewesen sein müßten, wenn sie sich durch höhere Organisation allen den Gefahren aus¬ gesetzt hätten, die den höhern Organismen drohen. Woraus folgt, daß es niemals zu einer Entwicklung gekommen sein würde, wenn diese in weiter nichts bestünde als in der Anpassung an geänderte äußere Umstände. Eimer weist die Nichtigkeit der Mimiery und der Schutz- oder Trutzfärbung nach, „die bei deit Darwinianern von Wallace bis Weismann als handgreiflichstes Beispiel für die Leistungsfähigkeit der Naturzüchtung mit Vorliebe behandelt werden". Eimer sagt u. a.: „Viele Tierarten werden überhaupt nur gefangen und ge¬ fressen, wenn sie sich bewegen, also eine Schutzfärbung ihnen nichts helfen kann. Die Sinnesorgane der meisten Räuber reichen gerade nur aus, ein in Be- wegung befindliches Objekt zu bemerken, während ruhende auch ohne Schutz¬ färbung von ihnen unbemerkt bleiben. Manche Tiere machen den Schutz, deu ihnen die Ähnlichkeit (mit Blättern, Baumwurzeln usw.) gewähren könnte, illusorisch, indem sie sich gar nicht mit Vorliebe auf solchen Gegenständen niederlassen, denen sie ähnlich sind." Gustav Wolfs geht so scharf gegen Darwin vor, daß sich 1890 kein Verleger getraute, seine „Beiträge zur Kritik der Darwinschen Lehre" anzunehmen; sie erschienen in einer Zeitschrift und erst 1898 gesammelt bei Georgi in Leipzig. Er wendet sich gegen den Zufall, der im Darwinismus ausschließlich regiert. Unter diesem Regiment würde es nie zu eiuer Fortbildung kommen können, denn bei rein quantitativen Ände¬ rungen zwar, wie Vergrößerung und Verkleinerung des Körpers, sei die Wahr¬ scheinlichkeit für günstige und ungünstige Änderung ungefähr gleich, bei quali¬ tativen aber die Wahrscheinlichkeit für ungünstige Änderungen viel größer. Zudem sei es schwer zu glauben, daß rein zufällig ein Organismus oder mehrere Organismen zugleich alle dieselben oder ganz verschiedne, einander ent¬ sprechende Änderungen erleben sollten, die notwendig sind, wenn ein Nutzen entstehen soll, an den die Zuchtwahl durch Auslese des Angepaßteu anknüpfen kann. Die Hufe der Huftiere müßten sich zugleich an allen vier Füßen ge¬ bildet, den Arbeitsbienen müßten zugleich mit der Verkümmerung der Geschlechts¬ organe an den Beinen die Würstchen und Körbchen gewachsen sein — wozu noch kommt, daß diese Eigentümlichkeiten nicht vererbt werden können, weil sich die Arbeitsbiene nicht fortpflanzt —, die Blüten gewisser Pflanzen und die Saugwerkzeuge der ihre Befruchtung vermittelnden Insekten müßten zugleich die für diese Befruchtungsart zweckdienliche Gestalt angenommen haben usw. Wilhelm Haacke „gehört zu den Schülern Haeckels, die mit der Zeit in ganz entgegengesetzte Bahnen geraten sind". Er polemisiert gegen die Stammbnume des Meisters. „Daß die höher» Lebewesen ans niedern hervorgegangen sind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/376>, abgerufen am 23.07.2024.