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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Hartmann über das Loben

worden, aber von der wissenschaftlichen Botanik unbeachtet geblieben, weil sie
in keines ihrer Systeme paßten, weder in das der konstanten Arten, noch in
das der Häufung kleinster szufälligers Abänderungen, Die meisten von Gärtnern
weiter gezüchteten Varietäten sind plötzlich aufgetreten, z.B. die weißblütigen
Arten sonst bunter Blumen, die gefüllten Binden, die mit gespaltnen Blütcu-
blüttern, die übermäßige Behaarung wie bei der Mvvsrose, die raukeulosc Erd¬
beere, die haufblättrige Rose u. a. Die lange unbeachtet gebliebner Tatsache"
dieser Art faßte Korschinsky in seiner Arbeit über Heterogenesis und Evolution
(1901) zusammen." Vorher schon hatten auch andre darübergeschrieben. "Aber
teils gelangten diese Veröffentlichungen nicht in weitere Kreise, teils verhielten
sich die Forscher skeptisch gegen die Erblichkeit der so entstandnen Varietäten.
Ein gewaltiger Umschwung der Ansichten vollzog sich mit einem Schlage, als
de Vries die Vererbung und Beständigkeit der so entstandnen Abarten, wenigstens
für viele von ihnen, an der großblumigen Nachtkerze (OvneUreriZ, l^mÄrvKiÄim)
durch das Experiment bewies. Soweit die Neinzüchtnng mit künstlicher Bestäu¬
bung gelang, gab jede neue entstandne Art gleiche Nachkömmlinge, war also
sofort und mit einem Schlage konstant, ohne erst einer generationenlanger Zucht¬
wahl zur Erwerbung der Konstanz zu bedürfen. De Vries zieht daraus folgende
Schlüsse. Die Arteunmwandlung erfolgt dnrch explosive Hetcrogonie. Die
Kreuzung kann zwar neue Arten bilden, aber nicht Arten mit neuen Merkmalen,
sondern mir Arten, die eine neue Kombination schon vorhandner Merkmale
zeigen. Rückbildung kann auch ohne explosive Heterogonie erfolgen, indem jedes
"cuc Merkmal gelegentlich wieder verloren gehen kann. Die explosive Hetero¬
gonie braucht nicht immer zu einem morphologischen Fortschritt, zu einer Höher-
bildung zu führen, sondern kann sich auch auf gleichem Niveau ausbreiten oder
gcir Rückschritte macheu; aber alle Höherbilduugen können nur durch sie erfolgt
sein." Nach dem Vorgänge eines weniger berühmten Kollegen nennt de Vries
dieses artenbildende Variieren Mutation. Freilich, meint Hartmann, ist bisher
"ur die Entstehung von Unterarten durch Mutation oder Heterogonie beobachtet
worden; aber wenn schon Unterarten nur sprunghaft, nicht durch Häufung unmerk-
licher Abweichungen vom Arttypus, wie der Darwinismus will, entstehen können,
so muß das doch vom Übergang zu einer neuen echten Art erst recht gelten.

An der kritischen Zersetzung des Darwinismus arbeitet eine ganze Schar
^on Biologen. Wir fuhren aus Hartmanns Bericht darüber mir wenig Proben
Darwin lehrt, die nützlichen Merkmale seien konstant, die gleichgiltigen
veränderlich. Die Erfahrung, sagt Nägeli, zeigt das Gegenteil. Die morpho¬
logischen Merkmale, die eine Art von der andern unterscheiden, aber, wie die
spiralige oder sonstige Anordnung der Blätter am Pflanzenstengel für die Er¬
haltung des Organismus gleichgiltig sind, diese sind die beständigsten. Auch
zwinge die aufsteigende Entwicklung dazu, an einen, Entwicklungsplan, an einer
Bervollkonnnnnngstendenz, an einem innern Prinzip des Fortschritts vom
Nieder" zum Höhern festzuhalten. Schon Darwin hatte, um bei dieser Ge-


Hartmann über das Loben

worden, aber von der wissenschaftlichen Botanik unbeachtet geblieben, weil sie
in keines ihrer Systeme paßten, weder in das der konstanten Arten, noch in
das der Häufung kleinster szufälligers Abänderungen, Die meisten von Gärtnern
weiter gezüchteten Varietäten sind plötzlich aufgetreten, z.B. die weißblütigen
Arten sonst bunter Blumen, die gefüllten Binden, die mit gespaltnen Blütcu-
blüttern, die übermäßige Behaarung wie bei der Mvvsrose, die raukeulosc Erd¬
beere, die haufblättrige Rose u. a. Die lange unbeachtet gebliebner Tatsache»
dieser Art faßte Korschinsky in seiner Arbeit über Heterogenesis und Evolution
(1901) zusammen." Vorher schon hatten auch andre darübergeschrieben. „Aber
teils gelangten diese Veröffentlichungen nicht in weitere Kreise, teils verhielten
sich die Forscher skeptisch gegen die Erblichkeit der so entstandnen Varietäten.
Ein gewaltiger Umschwung der Ansichten vollzog sich mit einem Schlage, als
de Vries die Vererbung und Beständigkeit der so entstandnen Abarten, wenigstens
für viele von ihnen, an der großblumigen Nachtkerze (OvneUreriZ, l^mÄrvKiÄim)
durch das Experiment bewies. Soweit die Neinzüchtnng mit künstlicher Bestäu¬
bung gelang, gab jede neue entstandne Art gleiche Nachkömmlinge, war also
sofort und mit einem Schlage konstant, ohne erst einer generationenlanger Zucht¬
wahl zur Erwerbung der Konstanz zu bedürfen. De Vries zieht daraus folgende
Schlüsse. Die Arteunmwandlung erfolgt dnrch explosive Hetcrogonie. Die
Kreuzung kann zwar neue Arten bilden, aber nicht Arten mit neuen Merkmalen,
sondern mir Arten, die eine neue Kombination schon vorhandner Merkmale
zeigen. Rückbildung kann auch ohne explosive Heterogonie erfolgen, indem jedes
"cuc Merkmal gelegentlich wieder verloren gehen kann. Die explosive Hetero¬
gonie braucht nicht immer zu einem morphologischen Fortschritt, zu einer Höher-
bildung zu führen, sondern kann sich auch auf gleichem Niveau ausbreiten oder
gcir Rückschritte macheu; aber alle Höherbilduugen können nur durch sie erfolgt
sein." Nach dem Vorgänge eines weniger berühmten Kollegen nennt de Vries
dieses artenbildende Variieren Mutation. Freilich, meint Hartmann, ist bisher
"ur die Entstehung von Unterarten durch Mutation oder Heterogonie beobachtet
worden; aber wenn schon Unterarten nur sprunghaft, nicht durch Häufung unmerk-
licher Abweichungen vom Arttypus, wie der Darwinismus will, entstehen können,
so muß das doch vom Übergang zu einer neuen echten Art erst recht gelten.

An der kritischen Zersetzung des Darwinismus arbeitet eine ganze Schar
^on Biologen. Wir fuhren aus Hartmanns Bericht darüber mir wenig Proben
Darwin lehrt, die nützlichen Merkmale seien konstant, die gleichgiltigen
veränderlich. Die Erfahrung, sagt Nägeli, zeigt das Gegenteil. Die morpho¬
logischen Merkmale, die eine Art von der andern unterscheiden, aber, wie die
spiralige oder sonstige Anordnung der Blätter am Pflanzenstengel für die Er¬
haltung des Organismus gleichgiltig sind, diese sind die beständigsten. Auch
zwinge die aufsteigende Entwicklung dazu, an einen, Entwicklungsplan, an einer
Bervollkonnnnnngstendenz, an einem innern Prinzip des Fortschritts vom
Nieder» zum Höhern festzuhalten. Schon Darwin hatte, um bei dieser Ge-


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[0375] Hartmann über das Loben worden, aber von der wissenschaftlichen Botanik unbeachtet geblieben, weil sie in keines ihrer Systeme paßten, weder in das der konstanten Arten, noch in das der Häufung kleinster szufälligers Abänderungen, Die meisten von Gärtnern weiter gezüchteten Varietäten sind plötzlich aufgetreten, z.B. die weißblütigen Arten sonst bunter Blumen, die gefüllten Binden, die mit gespaltnen Blütcu- blüttern, die übermäßige Behaarung wie bei der Mvvsrose, die raukeulosc Erd¬ beere, die haufblättrige Rose u. a. Die lange unbeachtet gebliebner Tatsache» dieser Art faßte Korschinsky in seiner Arbeit über Heterogenesis und Evolution (1901) zusammen." Vorher schon hatten auch andre darübergeschrieben. „Aber teils gelangten diese Veröffentlichungen nicht in weitere Kreise, teils verhielten sich die Forscher skeptisch gegen die Erblichkeit der so entstandnen Varietäten. Ein gewaltiger Umschwung der Ansichten vollzog sich mit einem Schlage, als de Vries die Vererbung und Beständigkeit der so entstandnen Abarten, wenigstens für viele von ihnen, an der großblumigen Nachtkerze (OvneUreriZ, l^mÄrvKiÄim) durch das Experiment bewies. Soweit die Neinzüchtnng mit künstlicher Bestäu¬ bung gelang, gab jede neue entstandne Art gleiche Nachkömmlinge, war also sofort und mit einem Schlage konstant, ohne erst einer generationenlanger Zucht¬ wahl zur Erwerbung der Konstanz zu bedürfen. De Vries zieht daraus folgende Schlüsse. Die Arteunmwandlung erfolgt dnrch explosive Hetcrogonie. Die Kreuzung kann zwar neue Arten bilden, aber nicht Arten mit neuen Merkmalen, sondern mir Arten, die eine neue Kombination schon vorhandner Merkmale zeigen. Rückbildung kann auch ohne explosive Heterogonie erfolgen, indem jedes "cuc Merkmal gelegentlich wieder verloren gehen kann. Die explosive Hetero¬ gonie braucht nicht immer zu einem morphologischen Fortschritt, zu einer Höher- bildung zu führen, sondern kann sich auch auf gleichem Niveau ausbreiten oder gcir Rückschritte macheu; aber alle Höherbilduugen können nur durch sie erfolgt sein." Nach dem Vorgänge eines weniger berühmten Kollegen nennt de Vries dieses artenbildende Variieren Mutation. Freilich, meint Hartmann, ist bisher "ur die Entstehung von Unterarten durch Mutation oder Heterogonie beobachtet worden; aber wenn schon Unterarten nur sprunghaft, nicht durch Häufung unmerk- licher Abweichungen vom Arttypus, wie der Darwinismus will, entstehen können, so muß das doch vom Übergang zu einer neuen echten Art erst recht gelten. An der kritischen Zersetzung des Darwinismus arbeitet eine ganze Schar ^on Biologen. Wir fuhren aus Hartmanns Bericht darüber mir wenig Proben Darwin lehrt, die nützlichen Merkmale seien konstant, die gleichgiltigen veränderlich. Die Erfahrung, sagt Nägeli, zeigt das Gegenteil. Die morpho¬ logischen Merkmale, die eine Art von der andern unterscheiden, aber, wie die spiralige oder sonstige Anordnung der Blätter am Pflanzenstengel für die Er¬ haltung des Organismus gleichgiltig sind, diese sind die beständigsten. Auch zwinge die aufsteigende Entwicklung dazu, an einen, Entwicklungsplan, an einer Bervollkonnnnnngstendenz, an einem innern Prinzip des Fortschritts vom Nieder» zum Höhern festzuhalten. Schon Darwin hatte, um bei dieser Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/375>, abgerufen am 23.07.2024.