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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Gründen zu behaupten," Wenn nnr die übrige" Gelehrten lind die Pvpn-
larisierer wenigstens noch so bescheiden und zurückhaltend gewesen wären wie
Dubois und anerkannt Hütten, daß es Welträtsel gibt! Aber in den Kreisen
der sogenannten Bildung gelaugte die grobe Büchnersche Kraft und Stofflehre
zur Alleinherrschaft, die sich einbildete, alles nicht nur erklären zu können,
sondern schon erklärt zu haben. Gegen diese Strömung konnten eiuzelue natur¬
wissenschaftlich gebildete Philosophen wie Fechner und Lotze nicht aufkommen,
die zwar die Berechtigung der mechanistischen Auffassung anerkannten und selbst
damit Großes leisteten, sich aber das Universum nicht zu einem bloßen Mecha¬
nismus verkümmern ließen, sondern an geistige Wesenheiten glaubten. Daß bei
dieser Wendung der ältere Vitalismus verschwand, hält Hartmann für einen
Fortschritt, "der mit der zeitweiligen Herrschaft andrer Irrtümer nicht zu teuer
erkauft war. Die exakte Naturwissenschaft und die Philosophie darf jetzt als
vor jedem Rttckfall in natnrnlistischen Vitalismns gesichert gelten; die alten
Paracelsischen Phantasien von stofflichen Lebensgeistern können höchstens noch
in einem theosophischen Dilettantismus weiter spuken, der seine Konfusion geistiger
und stofflicher Prinzipien mit dein Worte Monismus zu decken sucht, das heute
ja als Mädchen für alles dienen muß." Aber mit dem falschen Lebensprinzip
der Vitalisteu glaubte die Naturwissenschaft jede nicht materielle mechanisch
wirkende Kraft abgetan zu haben. Die Philosophie wurde mit der Alchymie
und Astrologie zu den überwnndnen Afterwissenschaften gerechnet. Der Unfehl¬
barkeitsdünkel war von der Philosophie auf die Naturwissenschaften über-
gesprungen.

Und dieser Richtung der Geister nun kam noch Darwin zu Hilfe, der die
letzten Schwierigkeiten hinwegzuräumen schien. Der Gedanke der Entwicklung
war der Philosophie seit Leibniz vertraut gewesen; Goethe, Schelling, Hegel
hatten ihn fortgebildet. Aber deren Entwicklung war nur eine ideelle; Geoffroy
Se. Hilaire und Lamarck, die sie auf das reale Naturleben anwandten und die
Arten auseinander entstehn ließen, der zweite dnrch Gebrauch und Nichtgebrauch
der Organe, der erste durch den Einfluß des Milieus, drangen in Deutschland
uicht dnrch. "Die Zeit von 1830 bis 1860 war eine Periode der reinen
Beobachtung in der Biologie; die Studenten der fünfziger Jahre hatten keine
'it)mung davon, daß so etwas wie Entwicklung der Natur von französischen
Naturforschern und, deutschen Philosophen schon gedacht worden sei, weil es
die Professoren damals für unwissenschaftlich gehalten Hütten, solche Phantastereien
"und nur zu erwähnen. In diese dumpfe Beschränkung schlug wie ein Blitz aus
heiterm Himmel Darwins Werk über die Entstehung der Arten." Von Darwin
schien die organische Welt mechanisch erklärt zu sein. Die Biologie war in die
wechamstische Physik hineingezogen, diese dnrch jene vollendet. "In enthusiastischer
Dankbarkeit gegen Darwin übersah man, wie sehr seine Theorien der Kritik
bedürftig waren; aus Freude über die Abstammungslehre nahm man die Theorien
^ natürlichen und der geschlechtlichen Zuchtwahl unbesehen mit in den Kauf. Die


lM'kann über !>us Leben

Gründen zu behaupten," Wenn nnr die übrige» Gelehrten lind die Pvpn-
larisierer wenigstens noch so bescheiden und zurückhaltend gewesen wären wie
Dubois und anerkannt Hütten, daß es Welträtsel gibt! Aber in den Kreisen
der sogenannten Bildung gelaugte die grobe Büchnersche Kraft und Stofflehre
zur Alleinherrschaft, die sich einbildete, alles nicht nur erklären zu können,
sondern schon erklärt zu haben. Gegen diese Strömung konnten eiuzelue natur¬
wissenschaftlich gebildete Philosophen wie Fechner und Lotze nicht aufkommen,
die zwar die Berechtigung der mechanistischen Auffassung anerkannten und selbst
damit Großes leisteten, sich aber das Universum nicht zu einem bloßen Mecha¬
nismus verkümmern ließen, sondern an geistige Wesenheiten glaubten. Daß bei
dieser Wendung der ältere Vitalismus verschwand, hält Hartmann für einen
Fortschritt, „der mit der zeitweiligen Herrschaft andrer Irrtümer nicht zu teuer
erkauft war. Die exakte Naturwissenschaft und die Philosophie darf jetzt als
vor jedem Rttckfall in natnrnlistischen Vitalismns gesichert gelten; die alten
Paracelsischen Phantasien von stofflichen Lebensgeistern können höchstens noch
in einem theosophischen Dilettantismus weiter spuken, der seine Konfusion geistiger
und stofflicher Prinzipien mit dein Worte Monismus zu decken sucht, das heute
ja als Mädchen für alles dienen muß." Aber mit dem falschen Lebensprinzip
der Vitalisteu glaubte die Naturwissenschaft jede nicht materielle mechanisch
wirkende Kraft abgetan zu haben. Die Philosophie wurde mit der Alchymie
und Astrologie zu den überwnndnen Afterwissenschaften gerechnet. Der Unfehl¬
barkeitsdünkel war von der Philosophie auf die Naturwissenschaften über-
gesprungen.

Und dieser Richtung der Geister nun kam noch Darwin zu Hilfe, der die
letzten Schwierigkeiten hinwegzuräumen schien. Der Gedanke der Entwicklung
war der Philosophie seit Leibniz vertraut gewesen; Goethe, Schelling, Hegel
hatten ihn fortgebildet. Aber deren Entwicklung war nur eine ideelle; Geoffroy
Se. Hilaire und Lamarck, die sie auf das reale Naturleben anwandten und die
Arten auseinander entstehn ließen, der zweite dnrch Gebrauch und Nichtgebrauch
der Organe, der erste durch den Einfluß des Milieus, drangen in Deutschland
uicht dnrch. „Die Zeit von 1830 bis 1860 war eine Periode der reinen
Beobachtung in der Biologie; die Studenten der fünfziger Jahre hatten keine
'it)mung davon, daß so etwas wie Entwicklung der Natur von französischen
Naturforschern und, deutschen Philosophen schon gedacht worden sei, weil es
die Professoren damals für unwissenschaftlich gehalten Hütten, solche Phantastereien
"und nur zu erwähnen. In diese dumpfe Beschränkung schlug wie ein Blitz aus
heiterm Himmel Darwins Werk über die Entstehung der Arten." Von Darwin
schien die organische Welt mechanisch erklärt zu sein. Die Biologie war in die
wechamstische Physik hineingezogen, diese dnrch jene vollendet. „In enthusiastischer
Dankbarkeit gegen Darwin übersah man, wie sehr seine Theorien der Kritik
bedürftig waren; aus Freude über die Abstammungslehre nahm man die Theorien
^ natürlichen und der geschlechtlichen Zuchtwahl unbesehen mit in den Kauf. Die


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[0371] lM'kann über !>us Leben Gründen zu behaupten," Wenn nnr die übrige» Gelehrten lind die Pvpn- larisierer wenigstens noch so bescheiden und zurückhaltend gewesen wären wie Dubois und anerkannt Hütten, daß es Welträtsel gibt! Aber in den Kreisen der sogenannten Bildung gelaugte die grobe Büchnersche Kraft und Stofflehre zur Alleinherrschaft, die sich einbildete, alles nicht nur erklären zu können, sondern schon erklärt zu haben. Gegen diese Strömung konnten eiuzelue natur¬ wissenschaftlich gebildete Philosophen wie Fechner und Lotze nicht aufkommen, die zwar die Berechtigung der mechanistischen Auffassung anerkannten und selbst damit Großes leisteten, sich aber das Universum nicht zu einem bloßen Mecha¬ nismus verkümmern ließen, sondern an geistige Wesenheiten glaubten. Daß bei dieser Wendung der ältere Vitalismus verschwand, hält Hartmann für einen Fortschritt, „der mit der zeitweiligen Herrschaft andrer Irrtümer nicht zu teuer erkauft war. Die exakte Naturwissenschaft und die Philosophie darf jetzt als vor jedem Rttckfall in natnrnlistischen Vitalismns gesichert gelten; die alten Paracelsischen Phantasien von stofflichen Lebensgeistern können höchstens noch in einem theosophischen Dilettantismus weiter spuken, der seine Konfusion geistiger und stofflicher Prinzipien mit dein Worte Monismus zu decken sucht, das heute ja als Mädchen für alles dienen muß." Aber mit dem falschen Lebensprinzip der Vitalisteu glaubte die Naturwissenschaft jede nicht materielle mechanisch wirkende Kraft abgetan zu haben. Die Philosophie wurde mit der Alchymie und Astrologie zu den überwnndnen Afterwissenschaften gerechnet. Der Unfehl¬ barkeitsdünkel war von der Philosophie auf die Naturwissenschaften über- gesprungen. Und dieser Richtung der Geister nun kam noch Darwin zu Hilfe, der die letzten Schwierigkeiten hinwegzuräumen schien. Der Gedanke der Entwicklung war der Philosophie seit Leibniz vertraut gewesen; Goethe, Schelling, Hegel hatten ihn fortgebildet. Aber deren Entwicklung war nur eine ideelle; Geoffroy Se. Hilaire und Lamarck, die sie auf das reale Naturleben anwandten und die Arten auseinander entstehn ließen, der zweite dnrch Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe, der erste durch den Einfluß des Milieus, drangen in Deutschland uicht dnrch. „Die Zeit von 1830 bis 1860 war eine Periode der reinen Beobachtung in der Biologie; die Studenten der fünfziger Jahre hatten keine 'it)mung davon, daß so etwas wie Entwicklung der Natur von französischen Naturforschern und, deutschen Philosophen schon gedacht worden sei, weil es die Professoren damals für unwissenschaftlich gehalten Hütten, solche Phantastereien "und nur zu erwähnen. In diese dumpfe Beschränkung schlug wie ein Blitz aus heiterm Himmel Darwins Werk über die Entstehung der Arten." Von Darwin schien die organische Welt mechanisch erklärt zu sein. Die Biologie war in die wechamstische Physik hineingezogen, diese dnrch jene vollendet. „In enthusiastischer Dankbarkeit gegen Darwin übersah man, wie sehr seine Theorien der Kritik bedürftig waren; aus Freude über die Abstammungslehre nahm man die Theorien ^ natürlichen und der geschlechtlichen Zuchtwahl unbesehen mit in den Kauf. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/371>, abgerufen am 23.07.2024.