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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahr^i

Warm in Sicherheit gebracht, den Beamten fürsorglich der Gehalt ans ein
Vierteljahr im voraus ausgezahlt worden. Die Bautzucr Garnison, die einzige
in der sächsischen Oberlausitz, war längst nach Dresden gezogen worden, und
mir in Löbau stand ein kleines Detachement, das eben nur die Aufgabe haben
konnte, beim Kriegsausbruch die dortigen Bahnhofsanlagen zu zerstören. Da¬
nger wußte man. daß sich um Görlitz eine starke preußische Armee konzentriere,
und seit Ende Mai lag in Reichenberg und den böhmischen Nachbarorten das
ungarische Radetzkyhnsarenregiment, seit Anfang Juni auch Pioniere und eine
Batterie, die Vorposten bis an die Grenze vorgeschoben. Man glaubte, da¬
hinter an der Jser sammle sich eine Armee von 80000 Mann, tatsächlich stand
dort nur das eine Armeekorps Clam-Gallas; aber man konnte sich nicht denken,
daß das mächtige Österreich und der im höchsten Grade populäre Feldherr
Venedek, von dessen "großem Plane" man sich geheimnisvoll allerlei ins Ohr
raunte, ohne natürlich seinen wirklichen Kriegsplan zu kennen, Sachsen einfach
im Stiche lassen werde. Deshalb war die Aufregung auch hier groß, als am
14. Juni Abends das Telegramm über die Bnndesabstimmung in Frankfurt
Anlief. "Eine neue Periode der deutschen Geschichte, eine Zeit schwerer Leiden
und Prüfungen dürfte damit begonnen haben", schrieb damals mein Vater in
sein Tagebuch. Deal daß damit der Krieg entschieden sei, und Sachsen sein
erster Schauplatz sein werde, daran zweifelte kein denkender Mensch. Ganz
"uf sich selbst gestellt, traf der Rat der Stadt alsbald Vorkehrungen für die
ZU erwartende Einquartierung und die Behauptung der Ordnung, und wenn
etwas den Wert städtischer Selbstverwaltung zeigen kann, so wurde dieser
Beweis damals in diesen schweren Wochen von den tatkräftigen, umsichtigen
"ut besonnenen Männern erbracht, die erst zwischen feindlichen Heeren, dann
während gewaltiger Durchmärsche und während einer langen Okkupation in¬
mitten einer ungeheuern Erregung und erschütternder Ereignisse alle Forderungen
Und Leistungen nach Möglichkeit erfüllten und die Ordnung aufrecht erhielten,
und das nach einer funfzigjährigen Friedenszeit nnter einer des Krieges
^"nzlich unkundigen und entwöhnten, gewissermaßen verweichlichten Bevölkerung,
die von keinem energischen Staatsgefühl, von keine", patriotischen Aufschwünge
Wer die unvermeidlichen Lasten und Leiden des Krieges hinweggetragen wurde
und deu Krieg auch in der Erinnerung nur in der Form der "Drangsale"
kunnte, aber niemals in ihrer ganzen Geschichte große Siege erlebt und mit
erfochten hatte.

So kam der 15. Juni. Der Eisenbahnverkehr wurde eingestellt, draußen
auf der Linie nach Reichenberg jagten den ganzen Tag die Lokomotiven und
Wagen der sächsischen Bahnen vorüber, die nach Böhmen flüchteten, man
erfuhr von der Zerstörung des Bahnhofs Löbau. von dem preußischen Ulti¬
matum in Dresden, an dessen Ablehnung kein Zweifel war. Diese Nach¬
richten sprengten am Nachmittag auch den kleinen Kreis auseinander, der die
Silberne Hochzeit meiner Eltern beging, und worin ich vergeblich erwartet


Grenzlwten lV 1906 ^
vor vierzig Jahr^i

Warm in Sicherheit gebracht, den Beamten fürsorglich der Gehalt ans ein
Vierteljahr im voraus ausgezahlt worden. Die Bautzucr Garnison, die einzige
in der sächsischen Oberlausitz, war längst nach Dresden gezogen worden, und
mir in Löbau stand ein kleines Detachement, das eben nur die Aufgabe haben
konnte, beim Kriegsausbruch die dortigen Bahnhofsanlagen zu zerstören. Da¬
nger wußte man. daß sich um Görlitz eine starke preußische Armee konzentriere,
und seit Ende Mai lag in Reichenberg und den böhmischen Nachbarorten das
ungarische Radetzkyhnsarenregiment, seit Anfang Juni auch Pioniere und eine
Batterie, die Vorposten bis an die Grenze vorgeschoben. Man glaubte, da¬
hinter an der Jser sammle sich eine Armee von 80000 Mann, tatsächlich stand
dort nur das eine Armeekorps Clam-Gallas; aber man konnte sich nicht denken,
daß das mächtige Österreich und der im höchsten Grade populäre Feldherr
Venedek, von dessen „großem Plane" man sich geheimnisvoll allerlei ins Ohr
raunte, ohne natürlich seinen wirklichen Kriegsplan zu kennen, Sachsen einfach
im Stiche lassen werde. Deshalb war die Aufregung auch hier groß, als am
14. Juni Abends das Telegramm über die Bnndesabstimmung in Frankfurt
Anlief. „Eine neue Periode der deutschen Geschichte, eine Zeit schwerer Leiden
und Prüfungen dürfte damit begonnen haben", schrieb damals mein Vater in
sein Tagebuch. Deal daß damit der Krieg entschieden sei, und Sachsen sein
erster Schauplatz sein werde, daran zweifelte kein denkender Mensch. Ganz
"uf sich selbst gestellt, traf der Rat der Stadt alsbald Vorkehrungen für die
ZU erwartende Einquartierung und die Behauptung der Ordnung, und wenn
etwas den Wert städtischer Selbstverwaltung zeigen kann, so wurde dieser
Beweis damals in diesen schweren Wochen von den tatkräftigen, umsichtigen
"ut besonnenen Männern erbracht, die erst zwischen feindlichen Heeren, dann
während gewaltiger Durchmärsche und während einer langen Okkupation in¬
mitten einer ungeheuern Erregung und erschütternder Ereignisse alle Forderungen
Und Leistungen nach Möglichkeit erfüllten und die Ordnung aufrecht erhielten,
und das nach einer funfzigjährigen Friedenszeit nnter einer des Krieges
^"nzlich unkundigen und entwöhnten, gewissermaßen verweichlichten Bevölkerung,
die von keinem energischen Staatsgefühl, von keine», patriotischen Aufschwünge
Wer die unvermeidlichen Lasten und Leiden des Krieges hinweggetragen wurde
und deu Krieg auch in der Erinnerung nur in der Form der „Drangsale"
kunnte, aber niemals in ihrer ganzen Geschichte große Siege erlebt und mit
erfochten hatte.

So kam der 15. Juni. Der Eisenbahnverkehr wurde eingestellt, draußen
auf der Linie nach Reichenberg jagten den ganzen Tag die Lokomotiven und
Wagen der sächsischen Bahnen vorüber, die nach Böhmen flüchteten, man
erfuhr von der Zerstörung des Bahnhofs Löbau. von dem preußischen Ulti¬
matum in Dresden, an dessen Ablehnung kein Zweifel war. Diese Nach¬
richten sprengten am Nachmittag auch den kleinen Kreis auseinander, der die
Silberne Hochzeit meiner Eltern beging, und worin ich vergeblich erwartet


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[0365] vor vierzig Jahr^i Warm in Sicherheit gebracht, den Beamten fürsorglich der Gehalt ans ein Vierteljahr im voraus ausgezahlt worden. Die Bautzucr Garnison, die einzige in der sächsischen Oberlausitz, war längst nach Dresden gezogen worden, und mir in Löbau stand ein kleines Detachement, das eben nur die Aufgabe haben konnte, beim Kriegsausbruch die dortigen Bahnhofsanlagen zu zerstören. Da¬ nger wußte man. daß sich um Görlitz eine starke preußische Armee konzentriere, und seit Ende Mai lag in Reichenberg und den böhmischen Nachbarorten das ungarische Radetzkyhnsarenregiment, seit Anfang Juni auch Pioniere und eine Batterie, die Vorposten bis an die Grenze vorgeschoben. Man glaubte, da¬ hinter an der Jser sammle sich eine Armee von 80000 Mann, tatsächlich stand dort nur das eine Armeekorps Clam-Gallas; aber man konnte sich nicht denken, daß das mächtige Österreich und der im höchsten Grade populäre Feldherr Venedek, von dessen „großem Plane" man sich geheimnisvoll allerlei ins Ohr raunte, ohne natürlich seinen wirklichen Kriegsplan zu kennen, Sachsen einfach im Stiche lassen werde. Deshalb war die Aufregung auch hier groß, als am 14. Juni Abends das Telegramm über die Bnndesabstimmung in Frankfurt Anlief. „Eine neue Periode der deutschen Geschichte, eine Zeit schwerer Leiden und Prüfungen dürfte damit begonnen haben", schrieb damals mein Vater in sein Tagebuch. Deal daß damit der Krieg entschieden sei, und Sachsen sein erster Schauplatz sein werde, daran zweifelte kein denkender Mensch. Ganz "uf sich selbst gestellt, traf der Rat der Stadt alsbald Vorkehrungen für die ZU erwartende Einquartierung und die Behauptung der Ordnung, und wenn etwas den Wert städtischer Selbstverwaltung zeigen kann, so wurde dieser Beweis damals in diesen schweren Wochen von den tatkräftigen, umsichtigen "ut besonnenen Männern erbracht, die erst zwischen feindlichen Heeren, dann während gewaltiger Durchmärsche und während einer langen Okkupation in¬ mitten einer ungeheuern Erregung und erschütternder Ereignisse alle Forderungen Und Leistungen nach Möglichkeit erfüllten und die Ordnung aufrecht erhielten, und das nach einer funfzigjährigen Friedenszeit nnter einer des Krieges ^"nzlich unkundigen und entwöhnten, gewissermaßen verweichlichten Bevölkerung, die von keinem energischen Staatsgefühl, von keine», patriotischen Aufschwünge Wer die unvermeidlichen Lasten und Leiden des Krieges hinweggetragen wurde und deu Krieg auch in der Erinnerung nur in der Form der „Drangsale" kunnte, aber niemals in ihrer ganzen Geschichte große Siege erlebt und mit erfochten hatte. So kam der 15. Juni. Der Eisenbahnverkehr wurde eingestellt, draußen auf der Linie nach Reichenberg jagten den ganzen Tag die Lokomotiven und Wagen der sächsischen Bahnen vorüber, die nach Böhmen flüchteten, man erfuhr von der Zerstörung des Bahnhofs Löbau. von dem preußischen Ulti¬ matum in Dresden, an dessen Ablehnung kein Zweifel war. Diese Nach¬ richten sprengten am Nachmittag auch den kleinen Kreis auseinander, der die Silberne Hochzeit meiner Eltern beging, und worin ich vergeblich erwartet Grenzlwten lV 1906 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/365>, abgerufen am 23.07.2024.