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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Iahron

Batterie war auf der Wiese bei der Kirche aufgefahren, hier und da halfen
Soldaten ihren Quartierwirten bei der Heuernte, wie im Manöver. Dort
begegnete mir der Oberst mit seinem Adjutanten, behaglich die Dorfstraße
einherschlendernd. Als ich meine Bitte vortrug, schien er zunächst zweifelhaft;
da sah er meinen Kutscher an und bemerkte, den kenne er ja von Görlitz her,
ob er mich kenne. Bereitwillig bejahte das der Brave und erlangte somit
einen Passierschein nach Zittau und zurück für sich und sein Geschirr, einen
formlosen Zettel, den ich ans meinem Taschenbuch riß, und auf den der Oberst
ein paar Bleistiftzeilen schrieb. Stolz auf diesen Erfolg seiner jungen Be¬
kanntschaft mit einem so vornehmen Herrn fuhr mein Rosselenker weiter nach
Ostritz. Das kleine Städtchen lag voll von Militär, das zum Teil seitwärts von
der Straße biwakierte, und hier begann die Vorpostenstellung; Feldwache hinter
Feldwache stand an der Straße, doch der Passierschein tat seine Wirkung, und
wir kamen nach kurzem Aufenthalt an der anmutig gelegnen Bergschenke ober¬
halb des Zisterziensernonnenklosters Marienthal, das tief unten im engen Wald¬
tale der Reiße liegt, ungefährdet bis Hirschfelde in der Niederung der Reiße,
vor uns schon die blaue Bergkette meiner Heimat. Am Eingange des Fleckens
stand ein Doppelposten von den Magdeburgischen Husaren; die Reiter waren
abgestiegen und unterhielten sich harmlos mit einer Gruppe neugieriger Orts¬
einwohner. Weiterhin war die Straße, die am westlichen Talrandc mit dem
Blicke auf die Flußniederung und das Waldgebirge dahinter hinführt, wie mis-
gestorben. Endlich, endlich hinter der "Goldner.Krone" stiegen in der Ferne
die Türme meiner Vaterstadt auf. Doch sich scharf vom Himmel absehend
hielten dort, wo sich die Straße zum letztenmale senkt, ans den hohen
Böschungen rechts und links zwei grüne Husaren, den Karabiner auf den
Schenkel gestemmt. Wie sie den einsamen Wagen kecklich heranrollen sahen,
kam der eine herabgeritten und hielt den Wagen an. Der Passagierschein
seines Obersten befriedigte auch ihn, er ließ uns durch, und es ging rasch der
Görlitzer Vorstadt zu. Aber dort, wo der Viadukt der Reichenberger Eisen¬
bahn die Straße überschreitet, lag eine starke Feldwache, und an der Promenade,
die mit schönen Anlagen die innere Stadt umgibt, bei der Kreuzkirche, hielt
eine Schwadron grüner Husaren; die Reiter lagen auf Stroh, die gesattelten
Pferde waren an die Alleebäume gebunden und fraßen hier und da die Rinde
ab; man sieht die schwarzen Flecken an deu nun alt gewordnen Stämmen
noch heute. Die Stadt war also besetzt, aber offenbar nur vorübergehend,
denn alles war wie zum Abmarsch gerüstet. Es war zwei Uhr geworden, als
ich beim Hause meiner Eltern, dem alten Gymnasium inmitten der innern
Stadt, vorfuhr, seit Stunden vergeblich erwartet. Was lag alles zwischen
diesem Moment und meiner Abreise im April!

Seit Wochen war Zittau in der peinlichen Lage, sich zwischen zwei feind¬
lichen Armeen zu befinden und von der eignen Negierung ohne Schutz gelassen
zu sein. Das wenige, was diese tun konnte, hatte sie jedoch getan, die Kassen


vor vierzig Iahron

Batterie war auf der Wiese bei der Kirche aufgefahren, hier und da halfen
Soldaten ihren Quartierwirten bei der Heuernte, wie im Manöver. Dort
begegnete mir der Oberst mit seinem Adjutanten, behaglich die Dorfstraße
einherschlendernd. Als ich meine Bitte vortrug, schien er zunächst zweifelhaft;
da sah er meinen Kutscher an und bemerkte, den kenne er ja von Görlitz her,
ob er mich kenne. Bereitwillig bejahte das der Brave und erlangte somit
einen Passierschein nach Zittau und zurück für sich und sein Geschirr, einen
formlosen Zettel, den ich ans meinem Taschenbuch riß, und auf den der Oberst
ein paar Bleistiftzeilen schrieb. Stolz auf diesen Erfolg seiner jungen Be¬
kanntschaft mit einem so vornehmen Herrn fuhr mein Rosselenker weiter nach
Ostritz. Das kleine Städtchen lag voll von Militär, das zum Teil seitwärts von
der Straße biwakierte, und hier begann die Vorpostenstellung; Feldwache hinter
Feldwache stand an der Straße, doch der Passierschein tat seine Wirkung, und
wir kamen nach kurzem Aufenthalt an der anmutig gelegnen Bergschenke ober¬
halb des Zisterziensernonnenklosters Marienthal, das tief unten im engen Wald¬
tale der Reiße liegt, ungefährdet bis Hirschfelde in der Niederung der Reiße,
vor uns schon die blaue Bergkette meiner Heimat. Am Eingange des Fleckens
stand ein Doppelposten von den Magdeburgischen Husaren; die Reiter waren
abgestiegen und unterhielten sich harmlos mit einer Gruppe neugieriger Orts¬
einwohner. Weiterhin war die Straße, die am westlichen Talrandc mit dem
Blicke auf die Flußniederung und das Waldgebirge dahinter hinführt, wie mis-
gestorben. Endlich, endlich hinter der „Goldner.Krone" stiegen in der Ferne
die Türme meiner Vaterstadt auf. Doch sich scharf vom Himmel absehend
hielten dort, wo sich die Straße zum letztenmale senkt, ans den hohen
Böschungen rechts und links zwei grüne Husaren, den Karabiner auf den
Schenkel gestemmt. Wie sie den einsamen Wagen kecklich heranrollen sahen,
kam der eine herabgeritten und hielt den Wagen an. Der Passagierschein
seines Obersten befriedigte auch ihn, er ließ uns durch, und es ging rasch der
Görlitzer Vorstadt zu. Aber dort, wo der Viadukt der Reichenberger Eisen¬
bahn die Straße überschreitet, lag eine starke Feldwache, und an der Promenade,
die mit schönen Anlagen die innere Stadt umgibt, bei der Kreuzkirche, hielt
eine Schwadron grüner Husaren; die Reiter lagen auf Stroh, die gesattelten
Pferde waren an die Alleebäume gebunden und fraßen hier und da die Rinde
ab; man sieht die schwarzen Flecken an deu nun alt gewordnen Stämmen
noch heute. Die Stadt war also besetzt, aber offenbar nur vorübergehend,
denn alles war wie zum Abmarsch gerüstet. Es war zwei Uhr geworden, als
ich beim Hause meiner Eltern, dem alten Gymnasium inmitten der innern
Stadt, vorfuhr, seit Stunden vergeblich erwartet. Was lag alles zwischen
diesem Moment und meiner Abreise im April!

Seit Wochen war Zittau in der peinlichen Lage, sich zwischen zwei feind¬
lichen Armeen zu befinden und von der eignen Negierung ohne Schutz gelassen
zu sein. Das wenige, was diese tun konnte, hatte sie jedoch getan, die Kassen


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[0364] vor vierzig Iahron Batterie war auf der Wiese bei der Kirche aufgefahren, hier und da halfen Soldaten ihren Quartierwirten bei der Heuernte, wie im Manöver. Dort begegnete mir der Oberst mit seinem Adjutanten, behaglich die Dorfstraße einherschlendernd. Als ich meine Bitte vortrug, schien er zunächst zweifelhaft; da sah er meinen Kutscher an und bemerkte, den kenne er ja von Görlitz her, ob er mich kenne. Bereitwillig bejahte das der Brave und erlangte somit einen Passierschein nach Zittau und zurück für sich und sein Geschirr, einen formlosen Zettel, den ich ans meinem Taschenbuch riß, und auf den der Oberst ein paar Bleistiftzeilen schrieb. Stolz auf diesen Erfolg seiner jungen Be¬ kanntschaft mit einem so vornehmen Herrn fuhr mein Rosselenker weiter nach Ostritz. Das kleine Städtchen lag voll von Militär, das zum Teil seitwärts von der Straße biwakierte, und hier begann die Vorpostenstellung; Feldwache hinter Feldwache stand an der Straße, doch der Passierschein tat seine Wirkung, und wir kamen nach kurzem Aufenthalt an der anmutig gelegnen Bergschenke ober¬ halb des Zisterziensernonnenklosters Marienthal, das tief unten im engen Wald¬ tale der Reiße liegt, ungefährdet bis Hirschfelde in der Niederung der Reiße, vor uns schon die blaue Bergkette meiner Heimat. Am Eingange des Fleckens stand ein Doppelposten von den Magdeburgischen Husaren; die Reiter waren abgestiegen und unterhielten sich harmlos mit einer Gruppe neugieriger Orts¬ einwohner. Weiterhin war die Straße, die am westlichen Talrandc mit dem Blicke auf die Flußniederung und das Waldgebirge dahinter hinführt, wie mis- gestorben. Endlich, endlich hinter der „Goldner.Krone" stiegen in der Ferne die Türme meiner Vaterstadt auf. Doch sich scharf vom Himmel absehend hielten dort, wo sich die Straße zum letztenmale senkt, ans den hohen Böschungen rechts und links zwei grüne Husaren, den Karabiner auf den Schenkel gestemmt. Wie sie den einsamen Wagen kecklich heranrollen sahen, kam der eine herabgeritten und hielt den Wagen an. Der Passagierschein seines Obersten befriedigte auch ihn, er ließ uns durch, und es ging rasch der Görlitzer Vorstadt zu. Aber dort, wo der Viadukt der Reichenberger Eisen¬ bahn die Straße überschreitet, lag eine starke Feldwache, und an der Promenade, die mit schönen Anlagen die innere Stadt umgibt, bei der Kreuzkirche, hielt eine Schwadron grüner Husaren; die Reiter lagen auf Stroh, die gesattelten Pferde waren an die Alleebäume gebunden und fraßen hier und da die Rinde ab; man sieht die schwarzen Flecken an deu nun alt gewordnen Stämmen noch heute. Die Stadt war also besetzt, aber offenbar nur vorübergehend, denn alles war wie zum Abmarsch gerüstet. Es war zwei Uhr geworden, als ich beim Hause meiner Eltern, dem alten Gymnasium inmitten der innern Stadt, vorfuhr, seit Stunden vergeblich erwartet. Was lag alles zwischen diesem Moment und meiner Abreise im April! Seit Wochen war Zittau in der peinlichen Lage, sich zwischen zwei feind¬ lichen Armeen zu befinden und von der eignen Negierung ohne Schutz gelassen zu sein. Das wenige, was diese tun konnte, hatte sie jedoch getan, die Kassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/364>, abgerufen am 23.07.2024.