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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vom bürgerlichen Parteiwesen

führt zu politischem Einfluß. Die schönsten "Prinzipien" verleihen dagegen
gar keine Macht; darum fordern doch auch immer die Parteien die Macht der
Regierung zur Durchführung ihrer "Prinzipien". Sie können noch alle vom
Zentrum lernen, wie man politisch praktisch verfährt. Ihm kommt auch das
Schüren in der Kulturkampfasche durch die Nationalliberalen gar nicht so un¬
gelegen, denn den Führern wird das Zusammenhalten der sehr ungleichartigen
Mitglieder der Partei sehr erleichtert, wenn es immer ein wenig kulturkämpferisch
riecht. Sie wissen außerdem den Einfluß einer großen Partei zu schätzen und
auch zu verwerten. Zählte die nationalliberale Partei nun auch hundert Man¬
date, wie seit Jahren das Zentrum, so würde ihr Einfluß aus nationalen
Gründen noch viel größer sein als der heutige "ultramontane". Dazu
verhilft jedoch kein Beneiden und kein Angreifen, sondern nur Bessermachen,
dazu darf man nicht Jrrpfade einschlagen, die vom Ziel abführen und andern
den Weg freilassen. Vor allen sollten die Nationalliberalen nie die einstige
Warnung Bismarcks an Bennigsen aus dem Auge verlieren: "Laß nicht vom
Linken dich umgarnen." Diese Warnung war seinerzeit beachtet worden, und
der Erfolg war, daß die Partei kurz darauf infolge ihrer nationalen Haltung
bei den Septennatswahlen plötzlich wieder hundert Mandate erreichte.

Dann kam allerdings die irrtumsreiche Zeit nach dem Tode der beiden
Kaiser und dem Ausscheiden Bismarcks, in der es auch durchaus national ge¬
sinnten Männern schwer wurde, zwischen der Verehrung des Altreichskanzlers,
die allen eine Herzenssache war, und der Tatsache, daß das Deutsche Reich ver¬
fassungsmäßig auf die Dynastie der Hohenzollern, aber nicht auf das Haus
Vismarck begründet ist, die richtige Mittellinie zu finden. Die Nationalliberalen
entschlossen sich damals, gegen die Caprivische Heeresvorlage mit der zwei¬
jährigen Dienstpflicht zu agitieren, und sie traten erst für sie ein, nachdem der
Reichstag aufgelöst worden war, und Bennigsen allerdings fünftausend Mann
von der Präsenzstärke abgehandelt hatte. In den national gesinnten Volks¬
kreisen, die der Heeresvorlage durchaus geneigt waren, war dadurch eine Spaltung
und eine große° Lauheit hervorgerufen worden, weshalb das Wahlresultat für
die Nationalliberalen, namentlich in Süddeutschland, weit hinter dem von 1887
zurückblieb. Von jenen unklaren Zeiten her schreibt sich überhaupt der Rück¬
gang der Nationalliberalen im Südwesten; nacheinander haben sie ihre Stellung
W bayrischen, dann ihre Mehrheit im württembergischen und im badischen Land¬
tage eingebüßt, und es ist kaum mehr als ein Spiel mit Worten, wenn dafür
das Erstarken des Partikularismus verantwortlich gemacht und beklagt wird;
denn was in Süddeutschland die den Reichsgedanken vertretenden National¬
liberalen verlieren, das fällt von selbst den partikularistischen Demokraten und
Ultramontanen zu. Fehler der Taktik in national tief bewegter Zeit, darunter
besonders die auch von andrer Seite geübte Methode, den greisen Kaiser
Wilhelm und den Fürsten Bismarck gegen den jetzigen Kaiser und seine Kanzler
ins Treffen zu führen, haben zunächst den Nationalliberalen geschadet und der


vom bürgerlichen Parteiwesen

führt zu politischem Einfluß. Die schönsten „Prinzipien" verleihen dagegen
gar keine Macht; darum fordern doch auch immer die Parteien die Macht der
Regierung zur Durchführung ihrer „Prinzipien". Sie können noch alle vom
Zentrum lernen, wie man politisch praktisch verfährt. Ihm kommt auch das
Schüren in der Kulturkampfasche durch die Nationalliberalen gar nicht so un¬
gelegen, denn den Führern wird das Zusammenhalten der sehr ungleichartigen
Mitglieder der Partei sehr erleichtert, wenn es immer ein wenig kulturkämpferisch
riecht. Sie wissen außerdem den Einfluß einer großen Partei zu schätzen und
auch zu verwerten. Zählte die nationalliberale Partei nun auch hundert Man¬
date, wie seit Jahren das Zentrum, so würde ihr Einfluß aus nationalen
Gründen noch viel größer sein als der heutige „ultramontane". Dazu
verhilft jedoch kein Beneiden und kein Angreifen, sondern nur Bessermachen,
dazu darf man nicht Jrrpfade einschlagen, die vom Ziel abführen und andern
den Weg freilassen. Vor allen sollten die Nationalliberalen nie die einstige
Warnung Bismarcks an Bennigsen aus dem Auge verlieren: „Laß nicht vom
Linken dich umgarnen." Diese Warnung war seinerzeit beachtet worden, und
der Erfolg war, daß die Partei kurz darauf infolge ihrer nationalen Haltung
bei den Septennatswahlen plötzlich wieder hundert Mandate erreichte.

Dann kam allerdings die irrtumsreiche Zeit nach dem Tode der beiden
Kaiser und dem Ausscheiden Bismarcks, in der es auch durchaus national ge¬
sinnten Männern schwer wurde, zwischen der Verehrung des Altreichskanzlers,
die allen eine Herzenssache war, und der Tatsache, daß das Deutsche Reich ver¬
fassungsmäßig auf die Dynastie der Hohenzollern, aber nicht auf das Haus
Vismarck begründet ist, die richtige Mittellinie zu finden. Die Nationalliberalen
entschlossen sich damals, gegen die Caprivische Heeresvorlage mit der zwei¬
jährigen Dienstpflicht zu agitieren, und sie traten erst für sie ein, nachdem der
Reichstag aufgelöst worden war, und Bennigsen allerdings fünftausend Mann
von der Präsenzstärke abgehandelt hatte. In den national gesinnten Volks¬
kreisen, die der Heeresvorlage durchaus geneigt waren, war dadurch eine Spaltung
und eine große° Lauheit hervorgerufen worden, weshalb das Wahlresultat für
die Nationalliberalen, namentlich in Süddeutschland, weit hinter dem von 1887
zurückblieb. Von jenen unklaren Zeiten her schreibt sich überhaupt der Rück¬
gang der Nationalliberalen im Südwesten; nacheinander haben sie ihre Stellung
W bayrischen, dann ihre Mehrheit im württembergischen und im badischen Land¬
tage eingebüßt, und es ist kaum mehr als ein Spiel mit Worten, wenn dafür
das Erstarken des Partikularismus verantwortlich gemacht und beklagt wird;
denn was in Süddeutschland die den Reichsgedanken vertretenden National¬
liberalen verlieren, das fällt von selbst den partikularistischen Demokraten und
Ultramontanen zu. Fehler der Taktik in national tief bewegter Zeit, darunter
besonders die auch von andrer Seite geübte Methode, den greisen Kaiser
Wilhelm und den Fürsten Bismarck gegen den jetzigen Kaiser und seine Kanzler
ins Treffen zu führen, haben zunächst den Nationalliberalen geschadet und der


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[0347] vom bürgerlichen Parteiwesen führt zu politischem Einfluß. Die schönsten „Prinzipien" verleihen dagegen gar keine Macht; darum fordern doch auch immer die Parteien die Macht der Regierung zur Durchführung ihrer „Prinzipien". Sie können noch alle vom Zentrum lernen, wie man politisch praktisch verfährt. Ihm kommt auch das Schüren in der Kulturkampfasche durch die Nationalliberalen gar nicht so un¬ gelegen, denn den Führern wird das Zusammenhalten der sehr ungleichartigen Mitglieder der Partei sehr erleichtert, wenn es immer ein wenig kulturkämpferisch riecht. Sie wissen außerdem den Einfluß einer großen Partei zu schätzen und auch zu verwerten. Zählte die nationalliberale Partei nun auch hundert Man¬ date, wie seit Jahren das Zentrum, so würde ihr Einfluß aus nationalen Gründen noch viel größer sein als der heutige „ultramontane". Dazu verhilft jedoch kein Beneiden und kein Angreifen, sondern nur Bessermachen, dazu darf man nicht Jrrpfade einschlagen, die vom Ziel abführen und andern den Weg freilassen. Vor allen sollten die Nationalliberalen nie die einstige Warnung Bismarcks an Bennigsen aus dem Auge verlieren: „Laß nicht vom Linken dich umgarnen." Diese Warnung war seinerzeit beachtet worden, und der Erfolg war, daß die Partei kurz darauf infolge ihrer nationalen Haltung bei den Septennatswahlen plötzlich wieder hundert Mandate erreichte. Dann kam allerdings die irrtumsreiche Zeit nach dem Tode der beiden Kaiser und dem Ausscheiden Bismarcks, in der es auch durchaus national ge¬ sinnten Männern schwer wurde, zwischen der Verehrung des Altreichskanzlers, die allen eine Herzenssache war, und der Tatsache, daß das Deutsche Reich ver¬ fassungsmäßig auf die Dynastie der Hohenzollern, aber nicht auf das Haus Vismarck begründet ist, die richtige Mittellinie zu finden. Die Nationalliberalen entschlossen sich damals, gegen die Caprivische Heeresvorlage mit der zwei¬ jährigen Dienstpflicht zu agitieren, und sie traten erst für sie ein, nachdem der Reichstag aufgelöst worden war, und Bennigsen allerdings fünftausend Mann von der Präsenzstärke abgehandelt hatte. In den national gesinnten Volks¬ kreisen, die der Heeresvorlage durchaus geneigt waren, war dadurch eine Spaltung und eine große° Lauheit hervorgerufen worden, weshalb das Wahlresultat für die Nationalliberalen, namentlich in Süddeutschland, weit hinter dem von 1887 zurückblieb. Von jenen unklaren Zeiten her schreibt sich überhaupt der Rück¬ gang der Nationalliberalen im Südwesten; nacheinander haben sie ihre Stellung W bayrischen, dann ihre Mehrheit im württembergischen und im badischen Land¬ tage eingebüßt, und es ist kaum mehr als ein Spiel mit Worten, wenn dafür das Erstarken des Partikularismus verantwortlich gemacht und beklagt wird; denn was in Süddeutschland die den Reichsgedanken vertretenden National¬ liberalen verlieren, das fällt von selbst den partikularistischen Demokraten und Ultramontanen zu. Fehler der Taktik in national tief bewegter Zeit, darunter besonders die auch von andrer Seite geübte Methode, den greisen Kaiser Wilhelm und den Fürsten Bismarck gegen den jetzigen Kaiser und seine Kanzler ins Treffen zu führen, haben zunächst den Nationalliberalen geschadet und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/347>, abgerufen am 23.07.2024.