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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Iiir angeblichen Abrüstung

Großbritanniens zu überzeugen, wurde offiziell und laut verkündigt, daß man
im neuen Etatsjahre zwei Kriegsschiffe, ein Linienschiff und einen Kreuzer
weniger bauen werde, wobei natürlich die englische Übermacht zur See nicht im
geringsten leidet. Die Friedensfreunde, die in ihrer Welt von Täuschungen
leben, sind über solche "untrügliche" Beweise von Friedsamkeit ganz entzückt;
unstreitig haben sie keine Ahnung davon, wie leicht eine Bewegung, die so voll
von Täuschungen ist als die ihre, auch zu Täuschungen andrer benutzt werden
kann, und die Franzvsenfrennde unter ihnen machen freudig mit, weil sich wieder
eine neue Spitze gegen Deutschland gefunden hat. So wird fröhlich in Friedens¬
phrasen weiter agitiert, und es ist gar nicht ausgeschlossen, daß im nächsten
Jahr auf dem offiziellen Friedenskongreß im Haag von irgendeiner beeinflußten
Seite der Antrag auf Abrüstung zur See gestellt wird, um Deutschland matt
zu setzen.

Die politische Weltlage der Gegenwart hat eine auffallende Ähnlichkeit mit
der politischen Lage in Deutschland vor 1866. Wie damals ein bunter Chorus
von politischen, wirtschaftlichen, doktrinären und Partikularistischen Elementen
daran arbeitete, Preußen nicht an die ihm gebührende Spitze von Deutschland
gelangen zu lassen, so arbeitet jetzt ein ganzer Rattenkönig von egoistischen,
konkurrenzneidischen, revanchesüchtigen und kryptorepublikauischen Kreisen daran,
Deutschland von seinem wohlverdienten Platz an der Sonne zu verdrängen.
Und gar viele machen dabei mit, gerade wie damals auch, weil sie, in doktri-
nären Lehrmeinungen befangen, gar nicht merken, wohin eigentlich die Reise
geht. Wenn die Friedensfreunde wirklich etwas von praktischer Friedenspolitik
verstünden, so müßten sie den deutschen Kaiser feiern, der allein den Frieden
tntsächlich gestützt und aufrecht erhalten hat, statt des Zaren, der für den Frieden
mehr getan hätte, wenn er der Politik seines Vaters treu geblieben wäre, die
während des Balkaukrieges zutage getretner Mißstünde in Heer und Ver¬
waltung zu beseitigen. Die Japaner würden sich dann gehütet haben, Ru߬
land anzugreifen, und das wäre praktische Friedenspolitik gewesen. Für den
Schlag, den die Kultur der weißen Nasse jetzt in Asien erlitten hat, kann der
Friedenskongreß im Haag nicht entschädigen, auch wem, er in einem goldnen
Hause säße; es kann ans ihm schon darum nichts werden, weil Krethi und
Plethi darau teilnehmen. Seine ganze Tätigkeit wird nach wie vor darauf
hinnuslcmfeu, Zeitungsfutter zu liefern. Er hat weder den Burenkrieg noch die
Auseinandersetzung zwischen Nußland und Japan verhindert, auch wäre ihm
keine Rolle beschieden gewesen, wenn die "westmüchtliche Entente" den Mut ge¬
habt hätte, den Besuch des Kaisers Wilhelm in Tanger mit einem Schlag ans
Schwert zu beantworten.

Wer die Dinge betrachtet, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten, wird
nur geringes Vertrauen darauf setzen, daß auf allen Friedenskongressen, sogar
auf dem offiziellen im Haag, jemals wirklich praktische Vorschläge hervortreten
werden, aber befürchte", daß der Kongreß, wenn er etwa gar zu Sonderzwecken


Grenzboten IV I90K l!7
Iiir angeblichen Abrüstung

Großbritanniens zu überzeugen, wurde offiziell und laut verkündigt, daß man
im neuen Etatsjahre zwei Kriegsschiffe, ein Linienschiff und einen Kreuzer
weniger bauen werde, wobei natürlich die englische Übermacht zur See nicht im
geringsten leidet. Die Friedensfreunde, die in ihrer Welt von Täuschungen
leben, sind über solche „untrügliche" Beweise von Friedsamkeit ganz entzückt;
unstreitig haben sie keine Ahnung davon, wie leicht eine Bewegung, die so voll
von Täuschungen ist als die ihre, auch zu Täuschungen andrer benutzt werden
kann, und die Franzvsenfrennde unter ihnen machen freudig mit, weil sich wieder
eine neue Spitze gegen Deutschland gefunden hat. So wird fröhlich in Friedens¬
phrasen weiter agitiert, und es ist gar nicht ausgeschlossen, daß im nächsten
Jahr auf dem offiziellen Friedenskongreß im Haag von irgendeiner beeinflußten
Seite der Antrag auf Abrüstung zur See gestellt wird, um Deutschland matt
zu setzen.

Die politische Weltlage der Gegenwart hat eine auffallende Ähnlichkeit mit
der politischen Lage in Deutschland vor 1866. Wie damals ein bunter Chorus
von politischen, wirtschaftlichen, doktrinären und Partikularistischen Elementen
daran arbeitete, Preußen nicht an die ihm gebührende Spitze von Deutschland
gelangen zu lassen, so arbeitet jetzt ein ganzer Rattenkönig von egoistischen,
konkurrenzneidischen, revanchesüchtigen und kryptorepublikauischen Kreisen daran,
Deutschland von seinem wohlverdienten Platz an der Sonne zu verdrängen.
Und gar viele machen dabei mit, gerade wie damals auch, weil sie, in doktri-
nären Lehrmeinungen befangen, gar nicht merken, wohin eigentlich die Reise
geht. Wenn die Friedensfreunde wirklich etwas von praktischer Friedenspolitik
verstünden, so müßten sie den deutschen Kaiser feiern, der allein den Frieden
tntsächlich gestützt und aufrecht erhalten hat, statt des Zaren, der für den Frieden
mehr getan hätte, wenn er der Politik seines Vaters treu geblieben wäre, die
während des Balkaukrieges zutage getretner Mißstünde in Heer und Ver¬
waltung zu beseitigen. Die Japaner würden sich dann gehütet haben, Ru߬
land anzugreifen, und das wäre praktische Friedenspolitik gewesen. Für den
Schlag, den die Kultur der weißen Nasse jetzt in Asien erlitten hat, kann der
Friedenskongreß im Haag nicht entschädigen, auch wem, er in einem goldnen
Hause säße; es kann ans ihm schon darum nichts werden, weil Krethi und
Plethi darau teilnehmen. Seine ganze Tätigkeit wird nach wie vor darauf
hinnuslcmfeu, Zeitungsfutter zu liefern. Er hat weder den Burenkrieg noch die
Auseinandersetzung zwischen Nußland und Japan verhindert, auch wäre ihm
keine Rolle beschieden gewesen, wenn die „westmüchtliche Entente" den Mut ge¬
habt hätte, den Besuch des Kaisers Wilhelm in Tanger mit einem Schlag ans
Schwert zu beantworten.

Wer die Dinge betrachtet, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten, wird
nur geringes Vertrauen darauf setzen, daß auf allen Friedenskongressen, sogar
auf dem offiziellen im Haag, jemals wirklich praktische Vorschläge hervortreten
werden, aber befürchte», daß der Kongreß, wenn er etwa gar zu Sonderzwecken


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[0297] Iiir angeblichen Abrüstung Großbritanniens zu überzeugen, wurde offiziell und laut verkündigt, daß man im neuen Etatsjahre zwei Kriegsschiffe, ein Linienschiff und einen Kreuzer weniger bauen werde, wobei natürlich die englische Übermacht zur See nicht im geringsten leidet. Die Friedensfreunde, die in ihrer Welt von Täuschungen leben, sind über solche „untrügliche" Beweise von Friedsamkeit ganz entzückt; unstreitig haben sie keine Ahnung davon, wie leicht eine Bewegung, die so voll von Täuschungen ist als die ihre, auch zu Täuschungen andrer benutzt werden kann, und die Franzvsenfrennde unter ihnen machen freudig mit, weil sich wieder eine neue Spitze gegen Deutschland gefunden hat. So wird fröhlich in Friedens¬ phrasen weiter agitiert, und es ist gar nicht ausgeschlossen, daß im nächsten Jahr auf dem offiziellen Friedenskongreß im Haag von irgendeiner beeinflußten Seite der Antrag auf Abrüstung zur See gestellt wird, um Deutschland matt zu setzen. Die politische Weltlage der Gegenwart hat eine auffallende Ähnlichkeit mit der politischen Lage in Deutschland vor 1866. Wie damals ein bunter Chorus von politischen, wirtschaftlichen, doktrinären und Partikularistischen Elementen daran arbeitete, Preußen nicht an die ihm gebührende Spitze von Deutschland gelangen zu lassen, so arbeitet jetzt ein ganzer Rattenkönig von egoistischen, konkurrenzneidischen, revanchesüchtigen und kryptorepublikauischen Kreisen daran, Deutschland von seinem wohlverdienten Platz an der Sonne zu verdrängen. Und gar viele machen dabei mit, gerade wie damals auch, weil sie, in doktri- nären Lehrmeinungen befangen, gar nicht merken, wohin eigentlich die Reise geht. Wenn die Friedensfreunde wirklich etwas von praktischer Friedenspolitik verstünden, so müßten sie den deutschen Kaiser feiern, der allein den Frieden tntsächlich gestützt und aufrecht erhalten hat, statt des Zaren, der für den Frieden mehr getan hätte, wenn er der Politik seines Vaters treu geblieben wäre, die während des Balkaukrieges zutage getretner Mißstünde in Heer und Ver¬ waltung zu beseitigen. Die Japaner würden sich dann gehütet haben, Ru߬ land anzugreifen, und das wäre praktische Friedenspolitik gewesen. Für den Schlag, den die Kultur der weißen Nasse jetzt in Asien erlitten hat, kann der Friedenskongreß im Haag nicht entschädigen, auch wem, er in einem goldnen Hause säße; es kann ans ihm schon darum nichts werden, weil Krethi und Plethi darau teilnehmen. Seine ganze Tätigkeit wird nach wie vor darauf hinnuslcmfeu, Zeitungsfutter zu liefern. Er hat weder den Burenkrieg noch die Auseinandersetzung zwischen Nußland und Japan verhindert, auch wäre ihm keine Rolle beschieden gewesen, wenn die „westmüchtliche Entente" den Mut ge¬ habt hätte, den Besuch des Kaisers Wilhelm in Tanger mit einem Schlag ans Schwert zu beantworten. Wer die Dinge betrachtet, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten, wird nur geringes Vertrauen darauf setzen, daß auf allen Friedenskongressen, sogar auf dem offiziellen im Haag, jemals wirklich praktische Vorschläge hervortreten werden, aber befürchte», daß der Kongreß, wenn er etwa gar zu Sonderzwecken Grenzboten IV I90K l!7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/297>, abgerufen am 23.07.2024.