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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur' angeblichen Abrüstung

gebracht hat, also das Jahr, wo der erste große Krieg über Weltinteressen aus-
gebrochen war.

Unbelehrt dadurch, haben die Jnterparlmncntarier in London beschlossen,
daß auch in den Füllen, für die bisher im Haag kein Appell an einen Schieds-
gerichtssprnch vorgesehen ist, erst eine Vermittlung angestrebt werden soll, bevor
ein Land gegen das andre zu den Waffen greift. Das heißt also mit andern
Worten, es sollen alle Streitfragen, auch die Ehrenfragen usw. -- vielleicht
sogar militärische Einfälle auf fremdes Gebiet? -- erst vor ein Schiedsgericht
gebracht werden. Bisher sind die Großmächte darauf nicht eingegangen und
werden es auch im Ernst in Zukunft nicht tun, wenn auch vielleicht einige, um
eine andre vor der Öffentlichkeit ins Unrecht zu setzen, scheinbar darauf ein¬
gehn, weil sie wissen, es wird doch nichts daraus. Großmächte können ernstlich
nicht darauf eingehn, und den Grund dafür hat Fürst Bismarck im Februar
1897 durch seinen Schwiegersohn, den Grafen Ncmtzau, der Londoner World
angegeben: "Kein Staatsmann ist so allmächtig, daß er in gewissen Kom¬
binationen und Verwicklungen der Stimme des Volks Gewalt anzutun ver¬
möchte. Und so wird es keinen Schiedsgerichtsverträgen jemals gelingen, den
Krieg, als das einzige Mittel der Beendigung eines Streits, ans der Welt zu
schaffen, sobald das Volk eines Landes überzeugt ist, daß seine ganze Zukunft
von der Art und Weise abhängig ist, wie der Ausgang eines Streites geregelt
wird." In solchen Füllen wird eben das Volk den Schiedsspruch nicht aner¬
kennen und der Krieg nicht verhindert werden. Vermittlnngsvorschlüge sind
übrigens in Zeiten kriegerischer Spannung fast jedesmal gemacht worden und
haben eines öfter Erfolg gehabt. Einen Zwang zu vorheriger Vermittlung
werden sich aber die Großmächte nicht freiwillig auflegen, denn dieser käme einer
Fnulheitsprämic für die Staaten gleich, die -- vielleicht wegen ihrer parlamen¬
tarischen Zustünde, bei denen die Kriegsminister öfter wechseln wie die Dienst¬
boten in einem zcrfahrnen Haushalt -- in ihren Mobilisierungsvorbereitungen
zurück sind. Die könnten natürlich die vertragsmäßige Vermittlnugspanse gut
gebrauchen, um ihre Versäumnisse nachzuholen. Sollte Europa noch eine"
großen Krieg erleben, so dürfte aber der Ausbruch noch rascher dem Abbruch
der diplomatischen Verhandlungen folgen wie der des letzten Krieges in Ost¬
asien. Sollte sich vielleicht, wenn der Krieg unvermeidlich wird, Deutschland
der Vorteile seiner umsichtig vorbereiteten Mobilisierung dadurch begeben, daß
es erst die Förmlichkeiten eines Vermittlungsversuchs abwartete? Das möchte
einer gewissen Sorte von "Friedcnsfreuudeu" wohl gefallen.

Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, hat Moltke
gesagt. Die Friedensfreunde wollen ihn freilich -- als Kriegsmann -- nicht
als unparteiisch gelten lassen. Aber auch der Sozialist Joseph Proudhon hat
gesagt: "Der Krieg ist, so wie die Zeit und der Raum, so wie das Schöne,
das Gerechte und das Notwendige, eine Form unsrer Vernunft, ein Gesetz unsrer
Seele, eine Bedingung unsers Daseins. Der Krieg besteht unter den Völkern,


Zur' angeblichen Abrüstung

gebracht hat, also das Jahr, wo der erste große Krieg über Weltinteressen aus-
gebrochen war.

Unbelehrt dadurch, haben die Jnterparlmncntarier in London beschlossen,
daß auch in den Füllen, für die bisher im Haag kein Appell an einen Schieds-
gerichtssprnch vorgesehen ist, erst eine Vermittlung angestrebt werden soll, bevor
ein Land gegen das andre zu den Waffen greift. Das heißt also mit andern
Worten, es sollen alle Streitfragen, auch die Ehrenfragen usw. — vielleicht
sogar militärische Einfälle auf fremdes Gebiet? — erst vor ein Schiedsgericht
gebracht werden. Bisher sind die Großmächte darauf nicht eingegangen und
werden es auch im Ernst in Zukunft nicht tun, wenn auch vielleicht einige, um
eine andre vor der Öffentlichkeit ins Unrecht zu setzen, scheinbar darauf ein¬
gehn, weil sie wissen, es wird doch nichts daraus. Großmächte können ernstlich
nicht darauf eingehn, und den Grund dafür hat Fürst Bismarck im Februar
1897 durch seinen Schwiegersohn, den Grafen Ncmtzau, der Londoner World
angegeben: „Kein Staatsmann ist so allmächtig, daß er in gewissen Kom¬
binationen und Verwicklungen der Stimme des Volks Gewalt anzutun ver¬
möchte. Und so wird es keinen Schiedsgerichtsverträgen jemals gelingen, den
Krieg, als das einzige Mittel der Beendigung eines Streits, ans der Welt zu
schaffen, sobald das Volk eines Landes überzeugt ist, daß seine ganze Zukunft
von der Art und Weise abhängig ist, wie der Ausgang eines Streites geregelt
wird." In solchen Füllen wird eben das Volk den Schiedsspruch nicht aner¬
kennen und der Krieg nicht verhindert werden. Vermittlnngsvorschlüge sind
übrigens in Zeiten kriegerischer Spannung fast jedesmal gemacht worden und
haben eines öfter Erfolg gehabt. Einen Zwang zu vorheriger Vermittlung
werden sich aber die Großmächte nicht freiwillig auflegen, denn dieser käme einer
Fnulheitsprämic für die Staaten gleich, die — vielleicht wegen ihrer parlamen¬
tarischen Zustünde, bei denen die Kriegsminister öfter wechseln wie die Dienst¬
boten in einem zcrfahrnen Haushalt — in ihren Mobilisierungsvorbereitungen
zurück sind. Die könnten natürlich die vertragsmäßige Vermittlnugspanse gut
gebrauchen, um ihre Versäumnisse nachzuholen. Sollte Europa noch eine»
großen Krieg erleben, so dürfte aber der Ausbruch noch rascher dem Abbruch
der diplomatischen Verhandlungen folgen wie der des letzten Krieges in Ost¬
asien. Sollte sich vielleicht, wenn der Krieg unvermeidlich wird, Deutschland
der Vorteile seiner umsichtig vorbereiteten Mobilisierung dadurch begeben, daß
es erst die Förmlichkeiten eines Vermittlungsversuchs abwartete? Das möchte
einer gewissen Sorte von „Friedcnsfreuudeu" wohl gefallen.

Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, hat Moltke
gesagt. Die Friedensfreunde wollen ihn freilich — als Kriegsmann — nicht
als unparteiisch gelten lassen. Aber auch der Sozialist Joseph Proudhon hat
gesagt: „Der Krieg ist, so wie die Zeit und der Raum, so wie das Schöne,
das Gerechte und das Notwendige, eine Form unsrer Vernunft, ein Gesetz unsrer
Seele, eine Bedingung unsers Daseins. Der Krieg besteht unter den Völkern,


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[0295] Zur' angeblichen Abrüstung gebracht hat, also das Jahr, wo der erste große Krieg über Weltinteressen aus- gebrochen war. Unbelehrt dadurch, haben die Jnterparlmncntarier in London beschlossen, daß auch in den Füllen, für die bisher im Haag kein Appell an einen Schieds- gerichtssprnch vorgesehen ist, erst eine Vermittlung angestrebt werden soll, bevor ein Land gegen das andre zu den Waffen greift. Das heißt also mit andern Worten, es sollen alle Streitfragen, auch die Ehrenfragen usw. — vielleicht sogar militärische Einfälle auf fremdes Gebiet? — erst vor ein Schiedsgericht gebracht werden. Bisher sind die Großmächte darauf nicht eingegangen und werden es auch im Ernst in Zukunft nicht tun, wenn auch vielleicht einige, um eine andre vor der Öffentlichkeit ins Unrecht zu setzen, scheinbar darauf ein¬ gehn, weil sie wissen, es wird doch nichts daraus. Großmächte können ernstlich nicht darauf eingehn, und den Grund dafür hat Fürst Bismarck im Februar 1897 durch seinen Schwiegersohn, den Grafen Ncmtzau, der Londoner World angegeben: „Kein Staatsmann ist so allmächtig, daß er in gewissen Kom¬ binationen und Verwicklungen der Stimme des Volks Gewalt anzutun ver¬ möchte. Und so wird es keinen Schiedsgerichtsverträgen jemals gelingen, den Krieg, als das einzige Mittel der Beendigung eines Streits, ans der Welt zu schaffen, sobald das Volk eines Landes überzeugt ist, daß seine ganze Zukunft von der Art und Weise abhängig ist, wie der Ausgang eines Streites geregelt wird." In solchen Füllen wird eben das Volk den Schiedsspruch nicht aner¬ kennen und der Krieg nicht verhindert werden. Vermittlnngsvorschlüge sind übrigens in Zeiten kriegerischer Spannung fast jedesmal gemacht worden und haben eines öfter Erfolg gehabt. Einen Zwang zu vorheriger Vermittlung werden sich aber die Großmächte nicht freiwillig auflegen, denn dieser käme einer Fnulheitsprämic für die Staaten gleich, die — vielleicht wegen ihrer parlamen¬ tarischen Zustünde, bei denen die Kriegsminister öfter wechseln wie die Dienst¬ boten in einem zcrfahrnen Haushalt — in ihren Mobilisierungsvorbereitungen zurück sind. Die könnten natürlich die vertragsmäßige Vermittlnugspanse gut gebrauchen, um ihre Versäumnisse nachzuholen. Sollte Europa noch eine» großen Krieg erleben, so dürfte aber der Ausbruch noch rascher dem Abbruch der diplomatischen Verhandlungen folgen wie der des letzten Krieges in Ost¬ asien. Sollte sich vielleicht, wenn der Krieg unvermeidlich wird, Deutschland der Vorteile seiner umsichtig vorbereiteten Mobilisierung dadurch begeben, daß es erst die Förmlichkeiten eines Vermittlungsversuchs abwartete? Das möchte einer gewissen Sorte von „Friedcnsfreuudeu" wohl gefallen. Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, hat Moltke gesagt. Die Friedensfreunde wollen ihn freilich — als Kriegsmann — nicht als unparteiisch gelten lassen. Aber auch der Sozialist Joseph Proudhon hat gesagt: „Der Krieg ist, so wie die Zeit und der Raum, so wie das Schöne, das Gerechte und das Notwendige, eine Form unsrer Vernunft, ein Gesetz unsrer Seele, eine Bedingung unsers Daseins. Der Krieg besteht unter den Völkern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/295>, abgerufen am 23.07.2024.