Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.Aulwrbilder aus den Balkanstaaten Konstantinopel. Dieses sollte man erst besucht haben, in dem Labyrinth seiner In der Gesamtanlage findet man insofern Unterschiede, als deren älteste, Aulwrbilder aus den Balkanstaaten Konstantinopel. Dieses sollte man erst besucht haben, in dem Labyrinth seiner In der Gesamtanlage findet man insofern Unterschiede, als deren älteste, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300762"/> <fw type="header" place="top"> Aulwrbilder aus den Balkanstaaten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1039" prev="#ID_1038"> Konstantinopel. Dieses sollte man erst besucht haben, in dem Labyrinth seiner<lb/> Gassen umhergeirrt, in ihrem Kot ausgeglitten, über ihre rollmopsartig da¬<lb/> liegenden Hunde gestolpert sein, sich mit Zollbeamten, Lastträgern und Dragomans<lb/> herumgeschlagen haben, bevor man auf der Rückreise entweder in Athen oder<lb/> in Bukarest oder in Sofia und Belgrad Rast macht. Dann wird man es zu<lb/> schätzen wissen, was es heißt, wieder, wenn auch nicht in Kulturländern, so<lb/> doch in Kulturstätten zu sein. Wer freilich den europäischen Orient vom<lb/> Standpunkte des Malers aus betrachtet, der wird sich in dem bunten Volks¬<lb/> gewimmel von Konstantinopel wohler fühlen als in dem elegantem, aber wenig<lb/> originellen Milieu der modernen Balkanstädte, es sei denn, daß ihn deren<lb/> malerische Lage reizt, wenn man etwa von Bukarest absieht, das in dieser<lb/> Hinsicht nichts bietet. Wer sich aber auf den Standpunkt des europäischen<lb/> Kulturfortschritts stellt und die Europüisierung des Balkans als einen politisch,<lb/> wirtschaftlich und geistig wichtigen Prozeß ansieht, wer durch die äußere Er¬<lb/> scheinung in das Wesen der Dinge einzudringen sucht und Verständnis hat<lb/> für das Ringen junger Nationen um einen eignen Kulturbesitz, der wird diese<lb/> Städte nicht ohne Gewinn besuchen, ihre Fortschritte nicht ohne Interesse ver¬<lb/> folgen, seien es zunächst auch nur äußerliche. Aber auch hierin beobachtet man<lb/> schon lehrreiche Unterschiede in dem Charakter der vier Städte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1040"> In der Gesamtanlage findet man insofern Unterschiede, als deren älteste,<lb/> Bukarest (es war schon vor zweihundert Jahren Hauptstadt der Walachei),<lb/> fast nur krumme Straßen aufweist, während Athen, das erst seit 1835<lb/> existiert, deutlich in zwei Teile zerfällt: einen südlichen zwischen der Akro-<lb/> polis und der Euripidesstraße liegenden mit labyrinthischen Gassengewirr<lb/> und einen sich nach Nordwesten, Norden und Nordosten um diese Altstadt<lb/> herumlegenden neuern Teil, der erst nach 1870 entstanden ist und von geraden,<lb/> meist breiten Straßen durchzogen wird. Belgrad und Sofia endlich als die<lb/> jüngsten der modernen Balkanstädte bestehn nur aus geraden, sich recht¬<lb/> winklig kreuzenden schönen, breiten Straßen und einigen großen Plätzen.<lb/> Sofia ist auch die einzige Stadt, die nach Wiener Muster einen „Ring" an¬<lb/> gelegt hat, den Skobeleffring. Dagegen hat Bukarest einen Vorzug, um den<lb/> es manche Stadt in Alteuropa beneiden muß, und durch den es sich offenbar<lb/> schadlos halten will für die unübersichtliche Anlage seiner meisten Straßen: das<lb/> ist der große Boulevard, der die ganze Stadt von Osten nach Westen in einer<lb/> Länge von sieben Kilometern durchzieht, der also etwa doppelt so lang ist<lb/> wie die Berliner Friedrichstraße und nicht weniger als fünf verschiedne Namen<lb/> trägt: Boulevard der Unabhängigkeit, Boulevard Elisabeth, Boulevard der<lb/> Universität, Boulevard Carol, Boulevard Protopopescu. Außerdem sind noch<lb/> mehrere große Radialstraßen, ebenfalls als „Boulevard" bezeichnet, sowie die<lb/> sie verbindenden Querstraßen, wie die drei und einen halben Kilometer lange<lb/> Strada Trajan und die zwei und einen halben Kilometer lange Strada Nomäna<lb/> hervorzuheben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0263]
Aulwrbilder aus den Balkanstaaten
Konstantinopel. Dieses sollte man erst besucht haben, in dem Labyrinth seiner
Gassen umhergeirrt, in ihrem Kot ausgeglitten, über ihre rollmopsartig da¬
liegenden Hunde gestolpert sein, sich mit Zollbeamten, Lastträgern und Dragomans
herumgeschlagen haben, bevor man auf der Rückreise entweder in Athen oder
in Bukarest oder in Sofia und Belgrad Rast macht. Dann wird man es zu
schätzen wissen, was es heißt, wieder, wenn auch nicht in Kulturländern, so
doch in Kulturstätten zu sein. Wer freilich den europäischen Orient vom
Standpunkte des Malers aus betrachtet, der wird sich in dem bunten Volks¬
gewimmel von Konstantinopel wohler fühlen als in dem elegantem, aber wenig
originellen Milieu der modernen Balkanstädte, es sei denn, daß ihn deren
malerische Lage reizt, wenn man etwa von Bukarest absieht, das in dieser
Hinsicht nichts bietet. Wer sich aber auf den Standpunkt des europäischen
Kulturfortschritts stellt und die Europüisierung des Balkans als einen politisch,
wirtschaftlich und geistig wichtigen Prozeß ansieht, wer durch die äußere Er¬
scheinung in das Wesen der Dinge einzudringen sucht und Verständnis hat
für das Ringen junger Nationen um einen eignen Kulturbesitz, der wird diese
Städte nicht ohne Gewinn besuchen, ihre Fortschritte nicht ohne Interesse ver¬
folgen, seien es zunächst auch nur äußerliche. Aber auch hierin beobachtet man
schon lehrreiche Unterschiede in dem Charakter der vier Städte.
In der Gesamtanlage findet man insofern Unterschiede, als deren älteste,
Bukarest (es war schon vor zweihundert Jahren Hauptstadt der Walachei),
fast nur krumme Straßen aufweist, während Athen, das erst seit 1835
existiert, deutlich in zwei Teile zerfällt: einen südlichen zwischen der Akro-
polis und der Euripidesstraße liegenden mit labyrinthischen Gassengewirr
und einen sich nach Nordwesten, Norden und Nordosten um diese Altstadt
herumlegenden neuern Teil, der erst nach 1870 entstanden ist und von geraden,
meist breiten Straßen durchzogen wird. Belgrad und Sofia endlich als die
jüngsten der modernen Balkanstädte bestehn nur aus geraden, sich recht¬
winklig kreuzenden schönen, breiten Straßen und einigen großen Plätzen.
Sofia ist auch die einzige Stadt, die nach Wiener Muster einen „Ring" an¬
gelegt hat, den Skobeleffring. Dagegen hat Bukarest einen Vorzug, um den
es manche Stadt in Alteuropa beneiden muß, und durch den es sich offenbar
schadlos halten will für die unübersichtliche Anlage seiner meisten Straßen: das
ist der große Boulevard, der die ganze Stadt von Osten nach Westen in einer
Länge von sieben Kilometern durchzieht, der also etwa doppelt so lang ist
wie die Berliner Friedrichstraße und nicht weniger als fünf verschiedne Namen
trägt: Boulevard der Unabhängigkeit, Boulevard Elisabeth, Boulevard der
Universität, Boulevard Carol, Boulevard Protopopescu. Außerdem sind noch
mehrere große Radialstraßen, ebenfalls als „Boulevard" bezeichnet, sowie die
sie verbindenden Querstraßen, wie die drei und einen halben Kilometer lange
Strada Trajan und die zwei und einen halben Kilometer lange Strada Nomäna
hervorzuheben.
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