Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bernstorffs

es ihn mit der größten Freude, als er im April 1744 auf Befehl feines
Königs als dänischer Gesandter nach Paris übersiedeln durfte. Hier blieb er
bis 1750. Die Darstellung seiner Tätigkeit in Frankreich und der vielen
intimen Verbindungen, die er dort anknüpfte, ist wohl der reizvollste Teil des
Fnisschen Buches. Wir tun bei der Lektüre dieser Abschnitte einen tiefen Ein¬
blick in die damalige französische Kultur, die sich doch nicht so einfach und aus¬
schließlich, wie es früher geschah, unter den Begriff der sittlichen Fäulnis stellen
läßt. Den intimen Schilderungen des Zeitalters Ludwigs des Fünfzehnten,
die wir neuerdings dem Polen Casimir Stryienski (I^a mers ctss trois äsrmsrs
Lourdons Naris ^ossxvs as L^xs), den Brüdern Goncourt (1^ temnik M
XVIII" siöols) und Pierre de nothae verdanken, reihen sich diese Mitteilungen
aus Bernstorffs Leben würdig an. Bernstorffs Verhältnis zur Marschallin
Belle-Jsle war typisch für den Frauenkultus, der dem Leben in der fran¬
zösischen Aristokratie damals das Gepräge gab. Es war frei von aller
erotischen Beimischung, denn die Marschallin war eine treffliche Gattin und
Mutter, und Bernstorff ein Ehrenmann durch und durch, im übrigen aber
voll der zärtlichsten Freundschaft. Solche Verhältnisse waren in der damaligen
französischen Gesellschaft mit ihrer lasciven Auffassung der Ehe nicht die Regel,
aber sie finden sich auch keineswegs selten. "Eine in ihrer Art einzige Reihe
von Frauen, geistreich und lebenslustig, zum Teil jung und schön, zum Teil
verblüht, ja blind, und nur durch die Macht ihrer Intelligenz wirkend" sind
sozusagen "die Jmpressarien für die Talente der Männer, durch ihre Schön¬
heit und ihren Geist erhalten die Werke der Dichter und Denker ihre Be¬
deutung für die Mitwelt, durch ihre Kreise wird die gesellschaftliche Stellung
der Schriftsteller geschaffen und ihr literarischer Ruf begründet. In keiner
andern Zeit und in keinem andern Lande hat die Frau es verstanden, ihre
natürlichen Machtmittel zu solcher Vollkommenheit zu entwickeln." Dieses Urteil
des dünischen Urwalds der französischen Frauen ist wohl etwas einzuschränken:
denn die Florentinerinnen der Renaissance sind ihnen in dieser Kunst voran¬
gegangen, und der Weimarische Frauenkreis, der Goethes Charakterbildung
vollendete, steht ihnen gewiß nicht nach, aber Friis zeigt uns doch mit Recht
hier inmitten eines giftigen Sumpfes auch manche reinere und edlere Blume.
Bernstorffs Verkehr mit der fast gleichaltrigen Marschallin war sehr frei und
doch rein. "Selten war ihm ihre Tür verschlossen; selbst wenn sie ihm ein
Billett mit der Nachricht sandte, daß sie wegen Migräne oder Erkältung das
Bett hüten müsse, oder wie sie ganz ungeniert schrieb, weil ihre tsmxs vritiaue
eingetreten sei, fügte sie hinzu, daß iron ob.er xetit og-ron oder uron ob.6r
Kore trotzdem Zutritt habe. Da war Bernstorff der aufwartende Kavalier.
In elegantem Visitenanzug, den Degen an der Seite, saß er am Bette der
Marschallin oder in Positur zur Seite des mächtigen Toilettentisches mit den
kolossalen Spiegeln, die das pikante Neglige wiedergaben. Während die
Kammerfrauen mit der Toilette beschäftigt waren, erzählte Bernstorff Neuig-


Die Bernstorffs

es ihn mit der größten Freude, als er im April 1744 auf Befehl feines
Königs als dänischer Gesandter nach Paris übersiedeln durfte. Hier blieb er
bis 1750. Die Darstellung seiner Tätigkeit in Frankreich und der vielen
intimen Verbindungen, die er dort anknüpfte, ist wohl der reizvollste Teil des
Fnisschen Buches. Wir tun bei der Lektüre dieser Abschnitte einen tiefen Ein¬
blick in die damalige französische Kultur, die sich doch nicht so einfach und aus¬
schließlich, wie es früher geschah, unter den Begriff der sittlichen Fäulnis stellen
läßt. Den intimen Schilderungen des Zeitalters Ludwigs des Fünfzehnten,
die wir neuerdings dem Polen Casimir Stryienski (I^a mers ctss trois äsrmsrs
Lourdons Naris ^ossxvs as L^xs), den Brüdern Goncourt (1^ temnik M
XVIII« siöols) und Pierre de nothae verdanken, reihen sich diese Mitteilungen
aus Bernstorffs Leben würdig an. Bernstorffs Verhältnis zur Marschallin
Belle-Jsle war typisch für den Frauenkultus, der dem Leben in der fran¬
zösischen Aristokratie damals das Gepräge gab. Es war frei von aller
erotischen Beimischung, denn die Marschallin war eine treffliche Gattin und
Mutter, und Bernstorff ein Ehrenmann durch und durch, im übrigen aber
voll der zärtlichsten Freundschaft. Solche Verhältnisse waren in der damaligen
französischen Gesellschaft mit ihrer lasciven Auffassung der Ehe nicht die Regel,
aber sie finden sich auch keineswegs selten. „Eine in ihrer Art einzige Reihe
von Frauen, geistreich und lebenslustig, zum Teil jung und schön, zum Teil
verblüht, ja blind, und nur durch die Macht ihrer Intelligenz wirkend" sind
sozusagen „die Jmpressarien für die Talente der Männer, durch ihre Schön¬
heit und ihren Geist erhalten die Werke der Dichter und Denker ihre Be¬
deutung für die Mitwelt, durch ihre Kreise wird die gesellschaftliche Stellung
der Schriftsteller geschaffen und ihr literarischer Ruf begründet. In keiner
andern Zeit und in keinem andern Lande hat die Frau es verstanden, ihre
natürlichen Machtmittel zu solcher Vollkommenheit zu entwickeln." Dieses Urteil
des dünischen Urwalds der französischen Frauen ist wohl etwas einzuschränken:
denn die Florentinerinnen der Renaissance sind ihnen in dieser Kunst voran¬
gegangen, und der Weimarische Frauenkreis, der Goethes Charakterbildung
vollendete, steht ihnen gewiß nicht nach, aber Friis zeigt uns doch mit Recht
hier inmitten eines giftigen Sumpfes auch manche reinere und edlere Blume.
Bernstorffs Verkehr mit der fast gleichaltrigen Marschallin war sehr frei und
doch rein. „Selten war ihm ihre Tür verschlossen; selbst wenn sie ihm ein
Billett mit der Nachricht sandte, daß sie wegen Migräne oder Erkältung das
Bett hüten müsse, oder wie sie ganz ungeniert schrieb, weil ihre tsmxs vritiaue
eingetreten sei, fügte sie hinzu, daß iron ob.er xetit og-ron oder uron ob.6r
Kore trotzdem Zutritt habe. Da war Bernstorff der aufwartende Kavalier.
In elegantem Visitenanzug, den Degen an der Seite, saß er am Bette der
Marschallin oder in Positur zur Seite des mächtigen Toilettentisches mit den
kolossalen Spiegeln, die das pikante Neglige wiedergaben. Während die
Kammerfrauen mit der Toilette beschäftigt waren, erzählte Bernstorff Neuig-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300752"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Bernstorffs</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1016" prev="#ID_1015" next="#ID_1017"> es ihn mit der größten Freude, als er im April 1744 auf Befehl feines<lb/>
Königs als dänischer Gesandter nach Paris übersiedeln durfte.  Hier blieb er<lb/>
bis 1750.  Die Darstellung seiner Tätigkeit in Frankreich und der vielen<lb/>
intimen Verbindungen, die er dort anknüpfte, ist wohl der reizvollste Teil des<lb/>
Fnisschen Buches. Wir tun bei der Lektüre dieser Abschnitte einen tiefen Ein¬<lb/>
blick in die damalige französische Kultur, die sich doch nicht so einfach und aus¬<lb/>
schließlich, wie es früher geschah, unter den Begriff der sittlichen Fäulnis stellen<lb/>
läßt.  Den intimen Schilderungen des Zeitalters Ludwigs des Fünfzehnten,<lb/>
die wir neuerdings dem Polen Casimir Stryienski (I^a mers ctss trois äsrmsrs<lb/>
Lourdons Naris ^ossxvs as L^xs), den Brüdern Goncourt (1^ temnik M<lb/>
XVIII« siöols) und Pierre de nothae verdanken, reihen sich diese Mitteilungen<lb/>
aus Bernstorffs Leben würdig an.  Bernstorffs Verhältnis zur Marschallin<lb/>
Belle-Jsle war typisch für den Frauenkultus, der dem Leben in der fran¬<lb/>
zösischen Aristokratie damals das Gepräge gab.  Es war frei von aller<lb/>
erotischen Beimischung, denn die Marschallin war eine treffliche Gattin und<lb/>
Mutter, und Bernstorff ein Ehrenmann durch und durch, im übrigen aber<lb/>
voll der zärtlichsten Freundschaft. Solche Verhältnisse waren in der damaligen<lb/>
französischen Gesellschaft mit ihrer lasciven Auffassung der Ehe nicht die Regel,<lb/>
aber sie finden sich auch keineswegs selten. &#x201E;Eine in ihrer Art einzige Reihe<lb/>
von Frauen, geistreich und lebenslustig, zum Teil jung und schön, zum Teil<lb/>
verblüht, ja blind, und nur durch die Macht ihrer Intelligenz wirkend" sind<lb/>
sozusagen &#x201E;die Jmpressarien für die Talente der Männer, durch ihre Schön¬<lb/>
heit und ihren Geist erhalten die Werke der Dichter und Denker ihre Be¬<lb/>
deutung für die Mitwelt, durch ihre Kreise wird die gesellschaftliche Stellung<lb/>
der Schriftsteller geschaffen und ihr literarischer Ruf begründet.  In keiner<lb/>
andern Zeit und in keinem andern Lande hat die Frau es verstanden, ihre<lb/>
natürlichen Machtmittel zu solcher Vollkommenheit zu entwickeln." Dieses Urteil<lb/>
des dünischen Urwalds der französischen Frauen ist wohl etwas einzuschränken:<lb/>
denn die Florentinerinnen der Renaissance sind ihnen in dieser Kunst voran¬<lb/>
gegangen, und der Weimarische Frauenkreis, der Goethes Charakterbildung<lb/>
vollendete, steht ihnen gewiß nicht nach, aber Friis zeigt uns doch mit Recht<lb/>
hier inmitten eines giftigen Sumpfes auch manche reinere und edlere Blume.<lb/>
Bernstorffs Verkehr mit der fast gleichaltrigen Marschallin war sehr frei und<lb/>
doch rein.  &#x201E;Selten war ihm ihre Tür verschlossen; selbst wenn sie ihm ein<lb/>
Billett mit der Nachricht sandte, daß sie wegen Migräne oder Erkältung das<lb/>
Bett hüten müsse, oder wie sie ganz ungeniert schrieb, weil ihre tsmxs vritiaue<lb/>
eingetreten sei, fügte sie hinzu, daß iron ob.er xetit og-ron oder uron ob.6r<lb/>
Kore trotzdem Zutritt habe.  Da war Bernstorff der aufwartende Kavalier.<lb/>
In elegantem Visitenanzug, den Degen an der Seite, saß er am Bette der<lb/>
Marschallin oder in Positur zur Seite des mächtigen Toilettentisches mit den<lb/>
kolossalen Spiegeln, die das pikante Neglige wiedergaben.  Während die<lb/>
Kammerfrauen mit der Toilette beschäftigt waren, erzählte Bernstorff Neuig-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] Die Bernstorffs es ihn mit der größten Freude, als er im April 1744 auf Befehl feines Königs als dänischer Gesandter nach Paris übersiedeln durfte. Hier blieb er bis 1750. Die Darstellung seiner Tätigkeit in Frankreich und der vielen intimen Verbindungen, die er dort anknüpfte, ist wohl der reizvollste Teil des Fnisschen Buches. Wir tun bei der Lektüre dieser Abschnitte einen tiefen Ein¬ blick in die damalige französische Kultur, die sich doch nicht so einfach und aus¬ schließlich, wie es früher geschah, unter den Begriff der sittlichen Fäulnis stellen läßt. Den intimen Schilderungen des Zeitalters Ludwigs des Fünfzehnten, die wir neuerdings dem Polen Casimir Stryienski (I^a mers ctss trois äsrmsrs Lourdons Naris ^ossxvs as L^xs), den Brüdern Goncourt (1^ temnik M XVIII« siöols) und Pierre de nothae verdanken, reihen sich diese Mitteilungen aus Bernstorffs Leben würdig an. Bernstorffs Verhältnis zur Marschallin Belle-Jsle war typisch für den Frauenkultus, der dem Leben in der fran¬ zösischen Aristokratie damals das Gepräge gab. Es war frei von aller erotischen Beimischung, denn die Marschallin war eine treffliche Gattin und Mutter, und Bernstorff ein Ehrenmann durch und durch, im übrigen aber voll der zärtlichsten Freundschaft. Solche Verhältnisse waren in der damaligen französischen Gesellschaft mit ihrer lasciven Auffassung der Ehe nicht die Regel, aber sie finden sich auch keineswegs selten. „Eine in ihrer Art einzige Reihe von Frauen, geistreich und lebenslustig, zum Teil jung und schön, zum Teil verblüht, ja blind, und nur durch die Macht ihrer Intelligenz wirkend" sind sozusagen „die Jmpressarien für die Talente der Männer, durch ihre Schön¬ heit und ihren Geist erhalten die Werke der Dichter und Denker ihre Be¬ deutung für die Mitwelt, durch ihre Kreise wird die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller geschaffen und ihr literarischer Ruf begründet. In keiner andern Zeit und in keinem andern Lande hat die Frau es verstanden, ihre natürlichen Machtmittel zu solcher Vollkommenheit zu entwickeln." Dieses Urteil des dünischen Urwalds der französischen Frauen ist wohl etwas einzuschränken: denn die Florentinerinnen der Renaissance sind ihnen in dieser Kunst voran¬ gegangen, und der Weimarische Frauenkreis, der Goethes Charakterbildung vollendete, steht ihnen gewiß nicht nach, aber Friis zeigt uns doch mit Recht hier inmitten eines giftigen Sumpfes auch manche reinere und edlere Blume. Bernstorffs Verkehr mit der fast gleichaltrigen Marschallin war sehr frei und doch rein. „Selten war ihm ihre Tür verschlossen; selbst wenn sie ihm ein Billett mit der Nachricht sandte, daß sie wegen Migräne oder Erkältung das Bett hüten müsse, oder wie sie ganz ungeniert schrieb, weil ihre tsmxs vritiaue eingetreten sei, fügte sie hinzu, daß iron ob.er xetit og-ron oder uron ob.6r Kore trotzdem Zutritt habe. Da war Bernstorff der aufwartende Kavalier. In elegantem Visitenanzug, den Degen an der Seite, saß er am Bette der Marschallin oder in Positur zur Seite des mächtigen Toilettentisches mit den kolossalen Spiegeln, die das pikante Neglige wiedergaben. Während die Kammerfrauen mit der Toilette beschäftigt waren, erzählte Bernstorff Neuig-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/253>, abgerufen am 23.07.2024.