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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

verzögern oder irgendeine andre unerwartete schlimme Wendung eintreten; wir
sollten darum alles aufbieten, um womöglich noch in derselben Nacht auf
deutsches Gebiet zurückzukehren. Wir beschlossen, dem Rate zu folgen.

Im Wartesaal ersuchten uns zwei schmucke, bildhübsche, junge Gendarmen
von offiziermüßig ritterlichem Auftreten sehr höflich um unsre Legitimationen.
Pässe hatten wir nicht, auch wären sie ohne die Beglaubigung durch ein russisches
Konsulat den Vorschriften nicht entsprechend gewesen. So zeigten wir, um
nicht Verschiedenartiges vorzulegen, jeder den gut ausgestatteten Quittungsab¬
schnitt des Berliner Vereins für Luftschiffahrt vor, der uns nichts weiter be¬
stätigte, als daß wir unsern Beitrag für 1906 bezahlt hatten. Die Gendarmen
erstatteten über das ganze Vorkommnis telegraphische Meldung nach Petrikau,
und als wir in Tschenstochau ankamen, empfing uns die dortige Gendarmerie
mit einem langen Telegramm, das uns die sofortige Rückkehr über die Grenze
gestattete, nur forschte man eifrig, aber vergebens nach dem vierten Mann.
Das Telegraphenamt hatte den Namen eines der Mitreisenden, Cassirer, als
Amtsbezeichnung aufgefaßt und daher in der Drahtnachricht drei Berliner Luft¬
schiffer nebst Kassierer aufgeführt. Eine kleine Weiterung, die entstand, hatten wir
nur uns selbst zuzuschreiben. Auf die erste Befragung in Rooo Radomsk hatten
wir angegeben, daß wir mehr nördlich über Herby Rußland zu verlassen ge¬
dächten. Da dies aber erst am nächsten Tage möglich gewesen wäre, suchten wir
darum nach, über Sosnowice nach Kattowitz fahren zu dürfen. Weil nun das
Telegramm ausdrücklich die Rückkehr über Herby vorgesehen hatte, trug der Gen¬
darmeriewachtmeister in Tschenstochau Bedenken, unsrer Bitte zu willfahren. Nach
kurzer, mit großer Artigkeit geführter Verhandlung und nach telephonischer Ein¬
holung eines weitern Bescheids der Oberbehörde wurde auch die zuletzt erbetene
Erlaubnis erteilt. Das war weit mehr, als wir zu hoffen gewagt hatten, und
die deutschen Zollbeamten in Sosnowice wünschten uns Glück zu so ganz außer¬
gewöhnlich rascher und glatter Abwicklung unsrer Angelegenheit, die sie nicht
für möglich gehalten hätten.

Mit starker Verspätung trafen wir nachts gegen ein Uhr mit sämtlichen
Ballongerät, das der Führer nach seiner Instruktion bis zur Grenze als Passagier¬
gut mitzunehmen hat, in Kattowitz ein. Wir warfen einen Blick in den Leit¬
artikel einer größern deutschen Zeitung voll politischer Schwarzseherei und lasen
da die Worte: "Die Polen geben uus täglich Beweise ihrer Feindschaft, die
Russen tragen einen glühenden Haß gegen das Deutschtum zur Schau." Nun
wir hatten jedenfalls bei den Polen eine herzlich liebenswürdige, fast möchte
man sagen liebevolle Aufnahme und freundliche Unterstützung gefunden, russische
Behörden aber waren frei von bureaukratischer Kleinlichkeit über alles Er¬
warten nachsichtig unsern Wünschen entgegen gekommen.

Wohl bedauerten wir es, daß wir von russischen Verhältnissen so blut¬
wenig kennen gelernt hatten. Durch das einst viel umstrittne Tschenstochau
hatten wir hindurchhasten müssen, nahe vorbei an der Wallfahrtskirche auf dem


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verzögern oder irgendeine andre unerwartete schlimme Wendung eintreten; wir
sollten darum alles aufbieten, um womöglich noch in derselben Nacht auf
deutsches Gebiet zurückzukehren. Wir beschlossen, dem Rate zu folgen.

Im Wartesaal ersuchten uns zwei schmucke, bildhübsche, junge Gendarmen
von offiziermüßig ritterlichem Auftreten sehr höflich um unsre Legitimationen.
Pässe hatten wir nicht, auch wären sie ohne die Beglaubigung durch ein russisches
Konsulat den Vorschriften nicht entsprechend gewesen. So zeigten wir, um
nicht Verschiedenartiges vorzulegen, jeder den gut ausgestatteten Quittungsab¬
schnitt des Berliner Vereins für Luftschiffahrt vor, der uns nichts weiter be¬
stätigte, als daß wir unsern Beitrag für 1906 bezahlt hatten. Die Gendarmen
erstatteten über das ganze Vorkommnis telegraphische Meldung nach Petrikau,
und als wir in Tschenstochau ankamen, empfing uns die dortige Gendarmerie
mit einem langen Telegramm, das uns die sofortige Rückkehr über die Grenze
gestattete, nur forschte man eifrig, aber vergebens nach dem vierten Mann.
Das Telegraphenamt hatte den Namen eines der Mitreisenden, Cassirer, als
Amtsbezeichnung aufgefaßt und daher in der Drahtnachricht drei Berliner Luft¬
schiffer nebst Kassierer aufgeführt. Eine kleine Weiterung, die entstand, hatten wir
nur uns selbst zuzuschreiben. Auf die erste Befragung in Rooo Radomsk hatten
wir angegeben, daß wir mehr nördlich über Herby Rußland zu verlassen ge¬
dächten. Da dies aber erst am nächsten Tage möglich gewesen wäre, suchten wir
darum nach, über Sosnowice nach Kattowitz fahren zu dürfen. Weil nun das
Telegramm ausdrücklich die Rückkehr über Herby vorgesehen hatte, trug der Gen¬
darmeriewachtmeister in Tschenstochau Bedenken, unsrer Bitte zu willfahren. Nach
kurzer, mit großer Artigkeit geführter Verhandlung und nach telephonischer Ein¬
holung eines weitern Bescheids der Oberbehörde wurde auch die zuletzt erbetene
Erlaubnis erteilt. Das war weit mehr, als wir zu hoffen gewagt hatten, und
die deutschen Zollbeamten in Sosnowice wünschten uns Glück zu so ganz außer¬
gewöhnlich rascher und glatter Abwicklung unsrer Angelegenheit, die sie nicht
für möglich gehalten hätten.

Mit starker Verspätung trafen wir nachts gegen ein Uhr mit sämtlichen
Ballongerät, das der Führer nach seiner Instruktion bis zur Grenze als Passagier¬
gut mitzunehmen hat, in Kattowitz ein. Wir warfen einen Blick in den Leit¬
artikel einer größern deutschen Zeitung voll politischer Schwarzseherei und lasen
da die Worte: „Die Polen geben uus täglich Beweise ihrer Feindschaft, die
Russen tragen einen glühenden Haß gegen das Deutschtum zur Schau." Nun
wir hatten jedenfalls bei den Polen eine herzlich liebenswürdige, fast möchte
man sagen liebevolle Aufnahme und freundliche Unterstützung gefunden, russische
Behörden aber waren frei von bureaukratischer Kleinlichkeit über alles Er¬
warten nachsichtig unsern Wünschen entgegen gekommen.

Wohl bedauerten wir es, daß wir von russischen Verhältnissen so blut¬
wenig kennen gelernt hatten. Durch das einst viel umstrittne Tschenstochau
hatten wir hindurchhasten müssen, nahe vorbei an der Wallfahrtskirche auf dem


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[0224] Luftreisen verzögern oder irgendeine andre unerwartete schlimme Wendung eintreten; wir sollten darum alles aufbieten, um womöglich noch in derselben Nacht auf deutsches Gebiet zurückzukehren. Wir beschlossen, dem Rate zu folgen. Im Wartesaal ersuchten uns zwei schmucke, bildhübsche, junge Gendarmen von offiziermüßig ritterlichem Auftreten sehr höflich um unsre Legitimationen. Pässe hatten wir nicht, auch wären sie ohne die Beglaubigung durch ein russisches Konsulat den Vorschriften nicht entsprechend gewesen. So zeigten wir, um nicht Verschiedenartiges vorzulegen, jeder den gut ausgestatteten Quittungsab¬ schnitt des Berliner Vereins für Luftschiffahrt vor, der uns nichts weiter be¬ stätigte, als daß wir unsern Beitrag für 1906 bezahlt hatten. Die Gendarmen erstatteten über das ganze Vorkommnis telegraphische Meldung nach Petrikau, und als wir in Tschenstochau ankamen, empfing uns die dortige Gendarmerie mit einem langen Telegramm, das uns die sofortige Rückkehr über die Grenze gestattete, nur forschte man eifrig, aber vergebens nach dem vierten Mann. Das Telegraphenamt hatte den Namen eines der Mitreisenden, Cassirer, als Amtsbezeichnung aufgefaßt und daher in der Drahtnachricht drei Berliner Luft¬ schiffer nebst Kassierer aufgeführt. Eine kleine Weiterung, die entstand, hatten wir nur uns selbst zuzuschreiben. Auf die erste Befragung in Rooo Radomsk hatten wir angegeben, daß wir mehr nördlich über Herby Rußland zu verlassen ge¬ dächten. Da dies aber erst am nächsten Tage möglich gewesen wäre, suchten wir darum nach, über Sosnowice nach Kattowitz fahren zu dürfen. Weil nun das Telegramm ausdrücklich die Rückkehr über Herby vorgesehen hatte, trug der Gen¬ darmeriewachtmeister in Tschenstochau Bedenken, unsrer Bitte zu willfahren. Nach kurzer, mit großer Artigkeit geführter Verhandlung und nach telephonischer Ein¬ holung eines weitern Bescheids der Oberbehörde wurde auch die zuletzt erbetene Erlaubnis erteilt. Das war weit mehr, als wir zu hoffen gewagt hatten, und die deutschen Zollbeamten in Sosnowice wünschten uns Glück zu so ganz außer¬ gewöhnlich rascher und glatter Abwicklung unsrer Angelegenheit, die sie nicht für möglich gehalten hätten. Mit starker Verspätung trafen wir nachts gegen ein Uhr mit sämtlichen Ballongerät, das der Führer nach seiner Instruktion bis zur Grenze als Passagier¬ gut mitzunehmen hat, in Kattowitz ein. Wir warfen einen Blick in den Leit¬ artikel einer größern deutschen Zeitung voll politischer Schwarzseherei und lasen da die Worte: „Die Polen geben uus täglich Beweise ihrer Feindschaft, die Russen tragen einen glühenden Haß gegen das Deutschtum zur Schau." Nun wir hatten jedenfalls bei den Polen eine herzlich liebenswürdige, fast möchte man sagen liebevolle Aufnahme und freundliche Unterstützung gefunden, russische Behörden aber waren frei von bureaukratischer Kleinlichkeit über alles Er¬ warten nachsichtig unsern Wünschen entgegen gekommen. Wohl bedauerten wir es, daß wir von russischen Verhältnissen so blut¬ wenig kennen gelernt hatten. Durch das einst viel umstrittne Tschenstochau hatten wir hindurchhasten müssen, nahe vorbei an der Wallfahrtskirche auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/224>, abgerufen am 25.08.2024.