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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

Augenblick waren alle unsre freundlichen Helfer und Zuschauer wie weggeblasen
und hockten dicht beisammen im nahen Kiefernwäldchen. Als wir selbst in
unsern Korb flüchten wollten, fanden wir diesen schon gestopft voll Polacken-
kinder. Eine Geldbelohnung schien man nicht erwartet zu haben, um so größer
war die Freude, als wir in Ermangelung von Rubeln Markstücke an unsre
Mitarbeiter verteilten, und einer zeigte uns zum Beweise, daß er deren Wert
sehr wohl zu schätzen wisse, voller Stolz einen deutschen Fünfpfenniger. Andre
küßten dankbar die Hand des Sperbers: Karos WinZuju, xani.

Ballonhülle und Korb waren verladen, wir drei hatten auf Strohsitzen
Platz genommen, und nun begann eine dreistündige, recht anstrengende Leiter¬
wagenfahrt auf Straßen, die ganz dem von oben gewonnenen Eindruck ent¬
sprachen: bald schmal wie ein Fußweg, bald breit wie ein Dorfplatz, sandig
und holprig, voll tiefer Risse der Lange und der Quere. Unsre kräftigen zwei
Pferdchen waren es nicht besser gewöhnt und schleppten, meist in flottem Trabe,
ihre Last über Höcker und durch Einsenkungen, sodaß wir tüchtig durchgerüttelt
und oft genug von unsern Sitzen in die Höhe gewippt wurden. Der Kutscher
unterhielt uns mit nie versiegender Beredsamkeit und offenbar auch mit viel
Witz, denn er selbst wollte sich öfters ausschütten vor Lachen, war aber voll
befriedigt, wenn von Zeit zu Zeit ihm einer von uns durch Laute des Staunens
seinen Beifall kundgab, während die andern beiden -- schliefen. Die übrigen
Landleute liefen eine Strecke vergnügt neben dem Wagen her, wünschten uus
alles Gute für die Heimreise und gaben uns zu versteh", daß sie durch ihre
jüdischen Dolmetscher über uns und unsre Fahrt Bescheid erhalten hatten. Im
Dorfe reichten sie uns zum Abschied wieder die Hand. Dort sprach uns auch
eine Dame an, die Besitzerin eines großen Gutes, an dem wir vorbei kamen:
sie habe voller Teilnahme gehört, daß wir Unglück gehabt hätten, unser Ballon
sei geplatzt und aus großer Höhe mit uns herabgestürzt, und lud uns zum Ver¬
weilen in ihrem Hause ein. Wir dankten für ihr gütiges Anerbieten, eilten
aber weiter, um den letzten Zug in Rooo Radomsk noch sicher zu erreichen.

Während wir. dort angekommen, bei einem jüdischen Wechsler uns russisches
Geld verschafften, wurde unser Wagen auf dem Markte von einer Masse Neu¬
gieriger, darunter vielen Soldaten in weißen Litewken, umlagert. Der Bahnhof
zeigte hier wie in den andern Städten, durch die wir kamen, ein bedrohlich
kriegerisches Aussehen, an alleu Ein- und Ausgängen, an jedem Fahrkarten- und
Gepäckschalter standen militärische Posten mit aufgepflanzten Bajonett. Uns
begegnete man überall, Behörden wie Private, mit großer Liebenswürdigkeit,
Angehörige der bessern Stände überboten einander in Erteilung guter, wirklich
guter Ratschläge und verhandelten für uns mit den Beamten. Um Schwierig¬
keiten zu verhüten, wäre es das Natürlichste und dem Brauch Entsprechende
gewesen, daß der Ballonführer sofort nach Petrikau reiste und sich denn Gou¬
verneurmeldete, doch rieten wohlmeinende Einheimische uns dringend davon ab:
jeden Tag könne ein Eisenbahnstreik ausbrechen und unsre Heimkehr auf lange


Luftreisen

Augenblick waren alle unsre freundlichen Helfer und Zuschauer wie weggeblasen
und hockten dicht beisammen im nahen Kiefernwäldchen. Als wir selbst in
unsern Korb flüchten wollten, fanden wir diesen schon gestopft voll Polacken-
kinder. Eine Geldbelohnung schien man nicht erwartet zu haben, um so größer
war die Freude, als wir in Ermangelung von Rubeln Markstücke an unsre
Mitarbeiter verteilten, und einer zeigte uns zum Beweise, daß er deren Wert
sehr wohl zu schätzen wisse, voller Stolz einen deutschen Fünfpfenniger. Andre
küßten dankbar die Hand des Sperbers: Karos WinZuju, xani.

Ballonhülle und Korb waren verladen, wir drei hatten auf Strohsitzen
Platz genommen, und nun begann eine dreistündige, recht anstrengende Leiter¬
wagenfahrt auf Straßen, die ganz dem von oben gewonnenen Eindruck ent¬
sprachen: bald schmal wie ein Fußweg, bald breit wie ein Dorfplatz, sandig
und holprig, voll tiefer Risse der Lange und der Quere. Unsre kräftigen zwei
Pferdchen waren es nicht besser gewöhnt und schleppten, meist in flottem Trabe,
ihre Last über Höcker und durch Einsenkungen, sodaß wir tüchtig durchgerüttelt
und oft genug von unsern Sitzen in die Höhe gewippt wurden. Der Kutscher
unterhielt uns mit nie versiegender Beredsamkeit und offenbar auch mit viel
Witz, denn er selbst wollte sich öfters ausschütten vor Lachen, war aber voll
befriedigt, wenn von Zeit zu Zeit ihm einer von uns durch Laute des Staunens
seinen Beifall kundgab, während die andern beiden — schliefen. Die übrigen
Landleute liefen eine Strecke vergnügt neben dem Wagen her, wünschten uus
alles Gute für die Heimreise und gaben uns zu versteh«, daß sie durch ihre
jüdischen Dolmetscher über uns und unsre Fahrt Bescheid erhalten hatten. Im
Dorfe reichten sie uns zum Abschied wieder die Hand. Dort sprach uns auch
eine Dame an, die Besitzerin eines großen Gutes, an dem wir vorbei kamen:
sie habe voller Teilnahme gehört, daß wir Unglück gehabt hätten, unser Ballon
sei geplatzt und aus großer Höhe mit uns herabgestürzt, und lud uns zum Ver¬
weilen in ihrem Hause ein. Wir dankten für ihr gütiges Anerbieten, eilten
aber weiter, um den letzten Zug in Rooo Radomsk noch sicher zu erreichen.

Während wir. dort angekommen, bei einem jüdischen Wechsler uns russisches
Geld verschafften, wurde unser Wagen auf dem Markte von einer Masse Neu¬
gieriger, darunter vielen Soldaten in weißen Litewken, umlagert. Der Bahnhof
zeigte hier wie in den andern Städten, durch die wir kamen, ein bedrohlich
kriegerisches Aussehen, an alleu Ein- und Ausgängen, an jedem Fahrkarten- und
Gepäckschalter standen militärische Posten mit aufgepflanzten Bajonett. Uns
begegnete man überall, Behörden wie Private, mit großer Liebenswürdigkeit,
Angehörige der bessern Stände überboten einander in Erteilung guter, wirklich
guter Ratschläge und verhandelten für uns mit den Beamten. Um Schwierig¬
keiten zu verhüten, wäre es das Natürlichste und dem Brauch Entsprechende
gewesen, daß der Ballonführer sofort nach Petrikau reiste und sich denn Gou¬
verneurmeldete, doch rieten wohlmeinende Einheimische uns dringend davon ab:
jeden Tag könne ein Eisenbahnstreik ausbrechen und unsre Heimkehr auf lange


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[0223] Luftreisen Augenblick waren alle unsre freundlichen Helfer und Zuschauer wie weggeblasen und hockten dicht beisammen im nahen Kiefernwäldchen. Als wir selbst in unsern Korb flüchten wollten, fanden wir diesen schon gestopft voll Polacken- kinder. Eine Geldbelohnung schien man nicht erwartet zu haben, um so größer war die Freude, als wir in Ermangelung von Rubeln Markstücke an unsre Mitarbeiter verteilten, und einer zeigte uns zum Beweise, daß er deren Wert sehr wohl zu schätzen wisse, voller Stolz einen deutschen Fünfpfenniger. Andre küßten dankbar die Hand des Sperbers: Karos WinZuju, xani. Ballonhülle und Korb waren verladen, wir drei hatten auf Strohsitzen Platz genommen, und nun begann eine dreistündige, recht anstrengende Leiter¬ wagenfahrt auf Straßen, die ganz dem von oben gewonnenen Eindruck ent¬ sprachen: bald schmal wie ein Fußweg, bald breit wie ein Dorfplatz, sandig und holprig, voll tiefer Risse der Lange und der Quere. Unsre kräftigen zwei Pferdchen waren es nicht besser gewöhnt und schleppten, meist in flottem Trabe, ihre Last über Höcker und durch Einsenkungen, sodaß wir tüchtig durchgerüttelt und oft genug von unsern Sitzen in die Höhe gewippt wurden. Der Kutscher unterhielt uns mit nie versiegender Beredsamkeit und offenbar auch mit viel Witz, denn er selbst wollte sich öfters ausschütten vor Lachen, war aber voll befriedigt, wenn von Zeit zu Zeit ihm einer von uns durch Laute des Staunens seinen Beifall kundgab, während die andern beiden — schliefen. Die übrigen Landleute liefen eine Strecke vergnügt neben dem Wagen her, wünschten uus alles Gute für die Heimreise und gaben uns zu versteh«, daß sie durch ihre jüdischen Dolmetscher über uns und unsre Fahrt Bescheid erhalten hatten. Im Dorfe reichten sie uns zum Abschied wieder die Hand. Dort sprach uns auch eine Dame an, die Besitzerin eines großen Gutes, an dem wir vorbei kamen: sie habe voller Teilnahme gehört, daß wir Unglück gehabt hätten, unser Ballon sei geplatzt und aus großer Höhe mit uns herabgestürzt, und lud uns zum Ver¬ weilen in ihrem Hause ein. Wir dankten für ihr gütiges Anerbieten, eilten aber weiter, um den letzten Zug in Rooo Radomsk noch sicher zu erreichen. Während wir. dort angekommen, bei einem jüdischen Wechsler uns russisches Geld verschafften, wurde unser Wagen auf dem Markte von einer Masse Neu¬ gieriger, darunter vielen Soldaten in weißen Litewken, umlagert. Der Bahnhof zeigte hier wie in den andern Städten, durch die wir kamen, ein bedrohlich kriegerisches Aussehen, an alleu Ein- und Ausgängen, an jedem Fahrkarten- und Gepäckschalter standen militärische Posten mit aufgepflanzten Bajonett. Uns begegnete man überall, Behörden wie Private, mit großer Liebenswürdigkeit, Angehörige der bessern Stände überboten einander in Erteilung guter, wirklich guter Ratschläge und verhandelten für uns mit den Beamten. Um Schwierig¬ keiten zu verhüten, wäre es das Natürlichste und dem Brauch Entsprechende gewesen, daß der Ballonführer sofort nach Petrikau reiste und sich denn Gou¬ verneurmeldete, doch rieten wohlmeinende Einheimische uns dringend davon ab: jeden Tag könne ein Eisenbahnstreik ausbrechen und unsre Heimkehr auf lange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/223>, abgerufen am 23.07.2024.