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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

gemeinsam sein. Die Kokarde wünschte der Kanzler auf das ganze Heer an¬
gewandt, für die Marine die kaiserliche Bezeichnung.

Es ist hier der geeignete Ort, eine historische Reminiszenz über die Ent¬
wicklung einzuschalten, die der Bundeskanzler wegen der deutschen Frage an sich
selbst durchgemacht hat. Es ist im Anfang dieser Darstellung mitgeteilt worden,
daß sich in Unterredungen mit dem Großherzoge, die in Berlin im März 1870
zur Zeit des Geburtstags des Königs stattfanden, Bismarck dem Kaisergedanken
zugänglicher gezeigt habe. Sieben Monate zuvor fand zwischen ihm und Roon
ein Briefwechsel statt, der dadurch hervorgerufen worden war, daß Roon für
die Marinebeamten die preußische Amtsbezeichnung erhalten zu sehen verlangte,
um ihnen die Kommunalsteuerfreiheit zu sichern, die für die Beamten des Nord¬
deutschen Bundes nicht bestand. Es war daraus eine Haupt- und Staatsaktion
entstanden. Das Staatsministerium hatte gegen Roon, der damals auch Marine¬
minister war, entschieden, und Roon wollte infolgedessen seinen Abschied nehmen.
Bismarck hatte an diesen Vorgängen nicht teilgenommen und antwortete dem
Minister auf dessen Mitteilung von dem beabsichtigten Schritte in einem längern
Schreiben aus Varzin vom 27. August, dem wir folgende Sätze entnehmen:
"staatsrechtlich vermag ich die Bestimmungen der Bundesverfassung im
Artikel 53 nur dahin auszulegen, daß die norddeutsche Marine eine Bundes¬
marine ist. Wir haben dieses Resultat bei Herstellung der Verfassung sorg¬
fältig und bewußterweise erstrebt und darin nicht eine Verminderung der
Stellung des Königs gesehen, zu der ich gewiß nicht die Hand geboten hätte,
sondern eine Mediatisierung der übrigen Bundesstaaten zugunsten Sr. Majestät
bezüglich der Marine, wie sie analog in betreff des Post- und Telegraphen¬
wesens und mancher andern juristischen Gebiete stattgefunden haben. Die
Form, in welcher der König die Herrschaft in Deutschland übt, hat
mir niemals eine besondere Wichtigkeit gehabt; an die Tatsache, daß
er sie übt, habe ich alle Kräfte des Strebens gesetzt, die mir Gott gegeben, und
daß unser Herr der Gebieter über die deutschen Seekrüfte im vollsten Maße ist,
steht außer Zweifel. Sollen wir Denen, die nicht den Namen Preußen führen,
die Unterordnung, ohne welche die Einheit unmöglich ist, durch äußerliche Formen
erschweren? . .An einer andern Stelle in demselben Schreiben heißt es: "Hätten
wir 1866 sofort das "Deutsch" oder auch nur "Norddeutsch" dem "Preußisch"
substituieren können, wir wären jetzt schon zwanzig Jahre weiter. Wie schwer
solche Namen wiegen, das zeigt Ihr eignes Beispiel, und Sie werden doch zu¬
geben, daß wir beide und unser allergn. Herr geborene norddeutsche sind,
während vor etwa 170 Jahren unsre Vorfahren sich im höheren Interesse ruhig
gefallen ließen, den glorreichen Namen der Brandenburger gegen den damals
ziemlich verschollenen der Preußen zu vertauschen, ohne Preußen zu sein. Ich
hoffe zu Gott, daß die Zeit kommen wird, wo unsre Söhne es sich zur Ehre
rechnen werden, den Söhnen des Königs in einer Kön.(iglichen) deutschen Flotte
und im Kön.(iglichen) deutschen Heere zu dienen. Dazu aber müssen wir uns


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

gemeinsam sein. Die Kokarde wünschte der Kanzler auf das ganze Heer an¬
gewandt, für die Marine die kaiserliche Bezeichnung.

Es ist hier der geeignete Ort, eine historische Reminiszenz über die Ent¬
wicklung einzuschalten, die der Bundeskanzler wegen der deutschen Frage an sich
selbst durchgemacht hat. Es ist im Anfang dieser Darstellung mitgeteilt worden,
daß sich in Unterredungen mit dem Großherzoge, die in Berlin im März 1870
zur Zeit des Geburtstags des Königs stattfanden, Bismarck dem Kaisergedanken
zugänglicher gezeigt habe. Sieben Monate zuvor fand zwischen ihm und Roon
ein Briefwechsel statt, der dadurch hervorgerufen worden war, daß Roon für
die Marinebeamten die preußische Amtsbezeichnung erhalten zu sehen verlangte,
um ihnen die Kommunalsteuerfreiheit zu sichern, die für die Beamten des Nord¬
deutschen Bundes nicht bestand. Es war daraus eine Haupt- und Staatsaktion
entstanden. Das Staatsministerium hatte gegen Roon, der damals auch Marine¬
minister war, entschieden, und Roon wollte infolgedessen seinen Abschied nehmen.
Bismarck hatte an diesen Vorgängen nicht teilgenommen und antwortete dem
Minister auf dessen Mitteilung von dem beabsichtigten Schritte in einem längern
Schreiben aus Varzin vom 27. August, dem wir folgende Sätze entnehmen:
„staatsrechtlich vermag ich die Bestimmungen der Bundesverfassung im
Artikel 53 nur dahin auszulegen, daß die norddeutsche Marine eine Bundes¬
marine ist. Wir haben dieses Resultat bei Herstellung der Verfassung sorg¬
fältig und bewußterweise erstrebt und darin nicht eine Verminderung der
Stellung des Königs gesehen, zu der ich gewiß nicht die Hand geboten hätte,
sondern eine Mediatisierung der übrigen Bundesstaaten zugunsten Sr. Majestät
bezüglich der Marine, wie sie analog in betreff des Post- und Telegraphen¬
wesens und mancher andern juristischen Gebiete stattgefunden haben. Die
Form, in welcher der König die Herrschaft in Deutschland übt, hat
mir niemals eine besondere Wichtigkeit gehabt; an die Tatsache, daß
er sie übt, habe ich alle Kräfte des Strebens gesetzt, die mir Gott gegeben, und
daß unser Herr der Gebieter über die deutschen Seekrüfte im vollsten Maße ist,
steht außer Zweifel. Sollen wir Denen, die nicht den Namen Preußen führen,
die Unterordnung, ohne welche die Einheit unmöglich ist, durch äußerliche Formen
erschweren? . .An einer andern Stelle in demselben Schreiben heißt es: „Hätten
wir 1866 sofort das »Deutsch« oder auch nur »Norddeutsch« dem »Preußisch«
substituieren können, wir wären jetzt schon zwanzig Jahre weiter. Wie schwer
solche Namen wiegen, das zeigt Ihr eignes Beispiel, und Sie werden doch zu¬
geben, daß wir beide und unser allergn. Herr geborene norddeutsche sind,
während vor etwa 170 Jahren unsre Vorfahren sich im höheren Interesse ruhig
gefallen ließen, den glorreichen Namen der Brandenburger gegen den damals
ziemlich verschollenen der Preußen zu vertauschen, ohne Preußen zu sein. Ich
hoffe zu Gott, daß die Zeit kommen wird, wo unsre Söhne es sich zur Ehre
rechnen werden, den Söhnen des Königs in einer Kön.(iglichen) deutschen Flotte
und im Kön.(iglichen) deutschen Heere zu dienen. Dazu aber müssen wir uns


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[0207] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles gemeinsam sein. Die Kokarde wünschte der Kanzler auf das ganze Heer an¬ gewandt, für die Marine die kaiserliche Bezeichnung. Es ist hier der geeignete Ort, eine historische Reminiszenz über die Ent¬ wicklung einzuschalten, die der Bundeskanzler wegen der deutschen Frage an sich selbst durchgemacht hat. Es ist im Anfang dieser Darstellung mitgeteilt worden, daß sich in Unterredungen mit dem Großherzoge, die in Berlin im März 1870 zur Zeit des Geburtstags des Königs stattfanden, Bismarck dem Kaisergedanken zugänglicher gezeigt habe. Sieben Monate zuvor fand zwischen ihm und Roon ein Briefwechsel statt, der dadurch hervorgerufen worden war, daß Roon für die Marinebeamten die preußische Amtsbezeichnung erhalten zu sehen verlangte, um ihnen die Kommunalsteuerfreiheit zu sichern, die für die Beamten des Nord¬ deutschen Bundes nicht bestand. Es war daraus eine Haupt- und Staatsaktion entstanden. Das Staatsministerium hatte gegen Roon, der damals auch Marine¬ minister war, entschieden, und Roon wollte infolgedessen seinen Abschied nehmen. Bismarck hatte an diesen Vorgängen nicht teilgenommen und antwortete dem Minister auf dessen Mitteilung von dem beabsichtigten Schritte in einem längern Schreiben aus Varzin vom 27. August, dem wir folgende Sätze entnehmen: „staatsrechtlich vermag ich die Bestimmungen der Bundesverfassung im Artikel 53 nur dahin auszulegen, daß die norddeutsche Marine eine Bundes¬ marine ist. Wir haben dieses Resultat bei Herstellung der Verfassung sorg¬ fältig und bewußterweise erstrebt und darin nicht eine Verminderung der Stellung des Königs gesehen, zu der ich gewiß nicht die Hand geboten hätte, sondern eine Mediatisierung der übrigen Bundesstaaten zugunsten Sr. Majestät bezüglich der Marine, wie sie analog in betreff des Post- und Telegraphen¬ wesens und mancher andern juristischen Gebiete stattgefunden haben. Die Form, in welcher der König die Herrschaft in Deutschland übt, hat mir niemals eine besondere Wichtigkeit gehabt; an die Tatsache, daß er sie übt, habe ich alle Kräfte des Strebens gesetzt, die mir Gott gegeben, und daß unser Herr der Gebieter über die deutschen Seekrüfte im vollsten Maße ist, steht außer Zweifel. Sollen wir Denen, die nicht den Namen Preußen führen, die Unterordnung, ohne welche die Einheit unmöglich ist, durch äußerliche Formen erschweren? . .An einer andern Stelle in demselben Schreiben heißt es: „Hätten wir 1866 sofort das »Deutsch« oder auch nur »Norddeutsch« dem »Preußisch« substituieren können, wir wären jetzt schon zwanzig Jahre weiter. Wie schwer solche Namen wiegen, das zeigt Ihr eignes Beispiel, und Sie werden doch zu¬ geben, daß wir beide und unser allergn. Herr geborene norddeutsche sind, während vor etwa 170 Jahren unsre Vorfahren sich im höheren Interesse ruhig gefallen ließen, den glorreichen Namen der Brandenburger gegen den damals ziemlich verschollenen der Preußen zu vertauschen, ohne Preußen zu sein. Ich hoffe zu Gott, daß die Zeit kommen wird, wo unsre Söhne es sich zur Ehre rechnen werden, den Söhnen des Königs in einer Kön.(iglichen) deutschen Flotte und im Kön.(iglichen) deutschen Heere zu dienen. Dazu aber müssen wir uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/207>, abgerufen am 23.07.2024.