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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Das preußische Vsfizierkorvs von ^306 im Lichte neuer Forschungen

Pflegte: "Es hat ja beinahe alles schon mal in den Grenzboten gestanden,
man braucht sich nur daran zu erinnern." Otto Kaemmel hat im 20. Hefte
des Jahrgangs 1905 der Grenzboten in einem Aufsatze über das alte Preußen
vor 1806 hervorgehoben, daß die vielgeschmähten Junker bei Auerstedt 47 tote
und 221 verwundete Offiziere auf dem Platze ließen. "Nicht an Tapferkeit
fehlte es, auch nicht an Intelligenz, sondern an Entschlußkraft, an dem festen
Willen zu siegen. . . . Aber dieser Mangel an Entschlußkraft war ein Mangel
der Deutschen dieser ganzen Zeit, eine Folge der einseitig literarisch-ästhetischen,
humanen, weltbürgerlichen, ganz unpolitischen Bildung."

734 Offizieren von 1806 verrann im Harren auf Krieg und Sieg und
Sühne das Leben, mehr als 1000 wurden invalid und alt, 56 fielen in den
Jahren 1809 und 1812. Schill und seine Elf von Wesel hat ihr Heldentod
von dem Makel der Niederlage gereinigt. Niemand denkt, wenn er ihre
Namen hört, daran, daß auch sie Offiziere von 1806 waren. Schon der
andern vier, die mit diesen zwölf gefallen sind, denkt man nicht so dankbar,
wie ihrer durch ein Aufsehen erregendes Geschick apotheosierten Kameraden.
Und die zwölf Offiziere des preußischen Hilfskorps, die im Jahre 1812, bevor
Uork in der Mühle zu Poscherun die Konvention mit den Nüssen geschlossen
hatte, auf dem äußersten linken Flügel der "Großen Armee" fielen, -- auch
sie harrten des Kriegs und sehnten sich nach Sühne, aber es wurde ihnen
nur ein bittrer Tod für den Landesfeind. Wer nahm sie in den hundert
Jahren, die nun bald seit ihrem Tode verflossen sind, von dem Vorwurf aus,
den Gehässigkeit, Gedankenlosigkeit und schließlich, von beiden genährt, eine
zähe Gewohnheit in die Bezeichnung "Offizier von 1806" gelegt haben? Wer
denkt daran, daß auch sie den Makel von 1806 getilgt haben? Wer dankt
ihnen -- "auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung"?

Die 361 Offiziere von 1806, die in den Befreiungskriegen gefallen sind,
und ihre 1500 Kameraden, die neben ihnen verwundet worden sind, haben
ein Opfer an Leben und Blut gebracht, das als Sühne für die Fehler und die
Schwächen des Offizierkorps von 1806 genügen sollte. Aber diese Offiziere
werden gewöhnlich nicht als Veteranen von 1806, sondern als Freiheitskämpfer
betrachtet und beurteilt, ihr Heldentum vermag darum das Urteil über das Offi¬
zierkorps von 1806 nicht zu mildern. Das Dunkel von 1806 und das Licht
von 1813, 1814 und 1815 sind in unsrer Vorstellung allzu scharf geschieden.
Man muß sich immer wieder erinnern, daß sich das Offizierkorps eines Heeres
trotz großen Verlusten und Abgängen in sechs Jahren nicht vollständig erneut.
Und man tut gut, sich die Identität eines großen Teils der Geschlagnen von 1806
und der Sieger der Freiheitskriege dadurch deutlich zu machen, daß man sich
vergegenwärtigt, welche Stellung die Führer der Freikorps und der Heere
der Freiheitskriege im Jahre 1806 einnahmen. Schill war im Jahre 1806
Leutnant im Regiment Königindragoner, Lützow Leutnant im Kürassierregiment
von Reitzenstein Ur. 7, das bei Auerstedt fast vernichtet wurde. Nach Kunhardt


Das preußische Vsfizierkorvs von ^306 im Lichte neuer Forschungen

Pflegte: „Es hat ja beinahe alles schon mal in den Grenzboten gestanden,
man braucht sich nur daran zu erinnern." Otto Kaemmel hat im 20. Hefte
des Jahrgangs 1905 der Grenzboten in einem Aufsatze über das alte Preußen
vor 1806 hervorgehoben, daß die vielgeschmähten Junker bei Auerstedt 47 tote
und 221 verwundete Offiziere auf dem Platze ließen. „Nicht an Tapferkeit
fehlte es, auch nicht an Intelligenz, sondern an Entschlußkraft, an dem festen
Willen zu siegen. . . . Aber dieser Mangel an Entschlußkraft war ein Mangel
der Deutschen dieser ganzen Zeit, eine Folge der einseitig literarisch-ästhetischen,
humanen, weltbürgerlichen, ganz unpolitischen Bildung."

734 Offizieren von 1806 verrann im Harren auf Krieg und Sieg und
Sühne das Leben, mehr als 1000 wurden invalid und alt, 56 fielen in den
Jahren 1809 und 1812. Schill und seine Elf von Wesel hat ihr Heldentod
von dem Makel der Niederlage gereinigt. Niemand denkt, wenn er ihre
Namen hört, daran, daß auch sie Offiziere von 1806 waren. Schon der
andern vier, die mit diesen zwölf gefallen sind, denkt man nicht so dankbar,
wie ihrer durch ein Aufsehen erregendes Geschick apotheosierten Kameraden.
Und die zwölf Offiziere des preußischen Hilfskorps, die im Jahre 1812, bevor
Uork in der Mühle zu Poscherun die Konvention mit den Nüssen geschlossen
hatte, auf dem äußersten linken Flügel der „Großen Armee" fielen, — auch
sie harrten des Kriegs und sehnten sich nach Sühne, aber es wurde ihnen
nur ein bittrer Tod für den Landesfeind. Wer nahm sie in den hundert
Jahren, die nun bald seit ihrem Tode verflossen sind, von dem Vorwurf aus,
den Gehässigkeit, Gedankenlosigkeit und schließlich, von beiden genährt, eine
zähe Gewohnheit in die Bezeichnung „Offizier von 1806" gelegt haben? Wer
denkt daran, daß auch sie den Makel von 1806 getilgt haben? Wer dankt
ihnen — „auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung"?

Die 361 Offiziere von 1806, die in den Befreiungskriegen gefallen sind,
und ihre 1500 Kameraden, die neben ihnen verwundet worden sind, haben
ein Opfer an Leben und Blut gebracht, das als Sühne für die Fehler und die
Schwächen des Offizierkorps von 1806 genügen sollte. Aber diese Offiziere
werden gewöhnlich nicht als Veteranen von 1806, sondern als Freiheitskämpfer
betrachtet und beurteilt, ihr Heldentum vermag darum das Urteil über das Offi¬
zierkorps von 1806 nicht zu mildern. Das Dunkel von 1806 und das Licht
von 1813, 1814 und 1815 sind in unsrer Vorstellung allzu scharf geschieden.
Man muß sich immer wieder erinnern, daß sich das Offizierkorps eines Heeres
trotz großen Verlusten und Abgängen in sechs Jahren nicht vollständig erneut.
Und man tut gut, sich die Identität eines großen Teils der Geschlagnen von 1806
und der Sieger der Freiheitskriege dadurch deutlich zu machen, daß man sich
vergegenwärtigt, welche Stellung die Führer der Freikorps und der Heere
der Freiheitskriege im Jahre 1806 einnahmen. Schill war im Jahre 1806
Leutnant im Regiment Königindragoner, Lützow Leutnant im Kürassierregiment
von Reitzenstein Ur. 7, das bei Auerstedt fast vernichtet wurde. Nach Kunhardt


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[0187] Das preußische Vsfizierkorvs von ^306 im Lichte neuer Forschungen Pflegte: „Es hat ja beinahe alles schon mal in den Grenzboten gestanden, man braucht sich nur daran zu erinnern." Otto Kaemmel hat im 20. Hefte des Jahrgangs 1905 der Grenzboten in einem Aufsatze über das alte Preußen vor 1806 hervorgehoben, daß die vielgeschmähten Junker bei Auerstedt 47 tote und 221 verwundete Offiziere auf dem Platze ließen. „Nicht an Tapferkeit fehlte es, auch nicht an Intelligenz, sondern an Entschlußkraft, an dem festen Willen zu siegen. . . . Aber dieser Mangel an Entschlußkraft war ein Mangel der Deutschen dieser ganzen Zeit, eine Folge der einseitig literarisch-ästhetischen, humanen, weltbürgerlichen, ganz unpolitischen Bildung." 734 Offizieren von 1806 verrann im Harren auf Krieg und Sieg und Sühne das Leben, mehr als 1000 wurden invalid und alt, 56 fielen in den Jahren 1809 und 1812. Schill und seine Elf von Wesel hat ihr Heldentod von dem Makel der Niederlage gereinigt. Niemand denkt, wenn er ihre Namen hört, daran, daß auch sie Offiziere von 1806 waren. Schon der andern vier, die mit diesen zwölf gefallen sind, denkt man nicht so dankbar, wie ihrer durch ein Aufsehen erregendes Geschick apotheosierten Kameraden. Und die zwölf Offiziere des preußischen Hilfskorps, die im Jahre 1812, bevor Uork in der Mühle zu Poscherun die Konvention mit den Nüssen geschlossen hatte, auf dem äußersten linken Flügel der „Großen Armee" fielen, — auch sie harrten des Kriegs und sehnten sich nach Sühne, aber es wurde ihnen nur ein bittrer Tod für den Landesfeind. Wer nahm sie in den hundert Jahren, die nun bald seit ihrem Tode verflossen sind, von dem Vorwurf aus, den Gehässigkeit, Gedankenlosigkeit und schließlich, von beiden genährt, eine zähe Gewohnheit in die Bezeichnung „Offizier von 1806" gelegt haben? Wer denkt daran, daß auch sie den Makel von 1806 getilgt haben? Wer dankt ihnen — „auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung"? Die 361 Offiziere von 1806, die in den Befreiungskriegen gefallen sind, und ihre 1500 Kameraden, die neben ihnen verwundet worden sind, haben ein Opfer an Leben und Blut gebracht, das als Sühne für die Fehler und die Schwächen des Offizierkorps von 1806 genügen sollte. Aber diese Offiziere werden gewöhnlich nicht als Veteranen von 1806, sondern als Freiheitskämpfer betrachtet und beurteilt, ihr Heldentum vermag darum das Urteil über das Offi¬ zierkorps von 1806 nicht zu mildern. Das Dunkel von 1806 und das Licht von 1813, 1814 und 1815 sind in unsrer Vorstellung allzu scharf geschieden. Man muß sich immer wieder erinnern, daß sich das Offizierkorps eines Heeres trotz großen Verlusten und Abgängen in sechs Jahren nicht vollständig erneut. Und man tut gut, sich die Identität eines großen Teils der Geschlagnen von 1806 und der Sieger der Freiheitskriege dadurch deutlich zu machen, daß man sich vergegenwärtigt, welche Stellung die Führer der Freikorps und der Heere der Freiheitskriege im Jahre 1806 einnahmen. Schill war im Jahre 1806 Leutnant im Regiment Königindragoner, Lützow Leutnant im Kürassierregiment von Reitzenstein Ur. 7, das bei Auerstedt fast vernichtet wurde. Nach Kunhardt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/187>, abgerufen am 23.07.2024.