Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches eine der Grundregeln der Bismarckischen Politik sei die gewesen, eine Verständigung Es ist fortdauernd in deutschen Blättern von der "Einkesselung" oder der Seitdem sind mehr als zehn Jahre verflossen, und das Verhältnis zwischen beiden Maßgebliches und Unmaßgebliches eine der Grundregeln der Bismarckischen Politik sei die gewesen, eine Verständigung Es ist fortdauernd in deutschen Blättern von der „Einkesselung" oder der Seitdem sind mehr als zehn Jahre verflossen, und das Verhältnis zwischen beiden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300678"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_724" prev="#ID_723"> eine der Grundregeln der Bismarckischen Politik sei die gewesen, eine Verständigung<lb/> zwischen Rußland und England zu verhindern. Gerade das Gegenteil ist richtig<lb/> und schon dadurch zur Genüge bewiesen, daß sich Bismarck auf den Berliner<lb/> Kongreß einließ, der doch tatsächlich in der Hauptsache nur den Ausgleich eines<lb/> russisch-englischen Interessengegensatzes zum Gegenstande hatte. Ganz im Gegensatz<lb/> zu jenen Anschauungen hat Bismarck vielmehr wiederholt ausgesprochen, Deutsch¬<lb/> land dürfe sich nicht in die Lage bringen, zwischen Rußland und England optieren<lb/> zu müssen. Wenn im Jahre 1886 auf die Anfrage des russischen Kaisers bei dem<lb/> drohenden Konflikt wegen Afghanistan Deutschland eine wohlwollende Neutralität<lb/> im Umfange der russischen von 1870 zusagte, so ist das hauptsächlich in der Absicht<lb/> geschehn, einen Zusammenstoß beider Mächte dadurch zu verhindern. Eine deutsche<lb/> Politik, die in Petersburg zum Konflikt mit England oder in London zum Konflikt<lb/> mit Rußland treiben würde, würde sich wahrscheinlich an beiden Stellen verdächtig<lb/> machen und gerade das Gegenteil, das heißt eine Annäherung auf Deutschlands<lb/> Kosten herbeiführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_725"> Es ist fortdauernd in deutschen Blättern von der „Einkesselung" oder der<lb/> „Isolierung" Deutschlands die Rede, immer unter Hinzufügen, daß das unter<lb/> Bismarck uicht der Fall sein würde. Dem steht doch die Tatsache gegenüber, daß<lb/> Bismarck noch in seiner letzten großen Reichstagsrede vom 5. Februar 1888 dar¬<lb/> getan hat, wie die preußische und deutsche Politik auch unter seiner Leitung fort¬<lb/> gesetzt mit europäischen Koalitionen gegen Deutschland zu rechnen hatte. Mehr<lb/> oder minder ausgeprägte deutschfeindliche Koalitionen sind deshalb keineswegs erst<lb/> eine Errungenschaft der nachbismarckischen Zeit oder der angeblichen Fehler der<lb/> Nachfolger des ersten Reichskanzlers. Wir haben ein unbequemes Auftreten Ru߬<lb/> lands im Herbst 1866 uur durch eine sehr nachdrückliche Entschlossenheit verhindern<lb/> tonnen; die Hinneigung des Fürsten Gortschakow zu Frankreich während der sieb¬<lb/> ziger Jahre ist in frischer Erinnerung, und unter den Blättern, die der deutschen<lb/> Politik heute Einkesselung und Isolierung vorwerfen, sind nicht wenige, die sich<lb/> im Jahre 1897 beim Bekanntwerden des deutsch-russischen Geheimvertrags nicht<lb/> laut genug über die „Doppelzüngigkeit" der Politik ereifern konnten, die jenem<lb/> Vertrage zugrunde lag. Er ist dann durch die französisch-russischen Abmachungen<lb/> ersetzt worden, die als Allianz zu bezeichnen Kaiser Nikolaus den Franzosen bei<lb/> seiner letzten Anwesenheit in Frankreich nicht mehr abschlagen konnte. Aber Fürst<lb/> Lobauow hat das Verhältnis sehr richtig dahin charakterisiert, daß Rußland Frank¬<lb/> reich an das Leitseil genommen habe, um zu verhindern, daß die Franzosen Dumm¬<lb/> heiten machten, wie Fürst Chlodwig Hohenlohe in seinen Aufzeichnungen mitteilt.<lb/> Als der verstorbne Reichskanzler dem jetzigen Zaren im Jahre 1896 in Breslau<lb/> die Aufwartung machte und beim Abschied versicherte, er werde nach seinen Kräften<lb/> alles tun, um gute Beziehungen zwischen beiden Ländern zu erhalten, erwiderte<lb/> ihm der Zar: „Das wird Ihnen nicht schwer werden, die Beziehungen werden<lb/> gute bleiben." Wenn freilich jede Unterstützung, die deutsche Polizei- oder Justiz¬<lb/> behörden der russischen Regierung gegen Verbrecher an Leben und Eigentum leisten,<lb/> in der liberalen Presse als verdammenswerte Barbarei angegriffen wird, so wird<lb/> man sich kaum wundern dürfen, wenn die Neigung zu freundnachbarlichen Be¬<lb/> ziehungen dadurch auf russischer Seite nicht vergrößert wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_726" next="#ID_727"> Seitdem sind mehr als zehn Jahre verflossen, und das Verhältnis zwischen beiden<lb/> Staaten hat sich jedenfalls nicht verschlechtert. Die Haltung Deutschlands ließ es<lb/> SU, daß Rußland während des japanischen Krieges ohne Bedenken seine West¬<lb/> grenzen entblößen konnte, und wenn wir anscheinend in Algeciras dafür wenig<lb/> Dank geerntet haben, so wollen wir doch eingedenk bleiben, daß Rußland durch</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
eine der Grundregeln der Bismarckischen Politik sei die gewesen, eine Verständigung
zwischen Rußland und England zu verhindern. Gerade das Gegenteil ist richtig
und schon dadurch zur Genüge bewiesen, daß sich Bismarck auf den Berliner
Kongreß einließ, der doch tatsächlich in der Hauptsache nur den Ausgleich eines
russisch-englischen Interessengegensatzes zum Gegenstande hatte. Ganz im Gegensatz
zu jenen Anschauungen hat Bismarck vielmehr wiederholt ausgesprochen, Deutsch¬
land dürfe sich nicht in die Lage bringen, zwischen Rußland und England optieren
zu müssen. Wenn im Jahre 1886 auf die Anfrage des russischen Kaisers bei dem
drohenden Konflikt wegen Afghanistan Deutschland eine wohlwollende Neutralität
im Umfange der russischen von 1870 zusagte, so ist das hauptsächlich in der Absicht
geschehn, einen Zusammenstoß beider Mächte dadurch zu verhindern. Eine deutsche
Politik, die in Petersburg zum Konflikt mit England oder in London zum Konflikt
mit Rußland treiben würde, würde sich wahrscheinlich an beiden Stellen verdächtig
machen und gerade das Gegenteil, das heißt eine Annäherung auf Deutschlands
Kosten herbeiführen.
Es ist fortdauernd in deutschen Blättern von der „Einkesselung" oder der
„Isolierung" Deutschlands die Rede, immer unter Hinzufügen, daß das unter
Bismarck uicht der Fall sein würde. Dem steht doch die Tatsache gegenüber, daß
Bismarck noch in seiner letzten großen Reichstagsrede vom 5. Februar 1888 dar¬
getan hat, wie die preußische und deutsche Politik auch unter seiner Leitung fort¬
gesetzt mit europäischen Koalitionen gegen Deutschland zu rechnen hatte. Mehr
oder minder ausgeprägte deutschfeindliche Koalitionen sind deshalb keineswegs erst
eine Errungenschaft der nachbismarckischen Zeit oder der angeblichen Fehler der
Nachfolger des ersten Reichskanzlers. Wir haben ein unbequemes Auftreten Ru߬
lands im Herbst 1866 uur durch eine sehr nachdrückliche Entschlossenheit verhindern
tonnen; die Hinneigung des Fürsten Gortschakow zu Frankreich während der sieb¬
ziger Jahre ist in frischer Erinnerung, und unter den Blättern, die der deutschen
Politik heute Einkesselung und Isolierung vorwerfen, sind nicht wenige, die sich
im Jahre 1897 beim Bekanntwerden des deutsch-russischen Geheimvertrags nicht
laut genug über die „Doppelzüngigkeit" der Politik ereifern konnten, die jenem
Vertrage zugrunde lag. Er ist dann durch die französisch-russischen Abmachungen
ersetzt worden, die als Allianz zu bezeichnen Kaiser Nikolaus den Franzosen bei
seiner letzten Anwesenheit in Frankreich nicht mehr abschlagen konnte. Aber Fürst
Lobauow hat das Verhältnis sehr richtig dahin charakterisiert, daß Rußland Frank¬
reich an das Leitseil genommen habe, um zu verhindern, daß die Franzosen Dumm¬
heiten machten, wie Fürst Chlodwig Hohenlohe in seinen Aufzeichnungen mitteilt.
Als der verstorbne Reichskanzler dem jetzigen Zaren im Jahre 1896 in Breslau
die Aufwartung machte und beim Abschied versicherte, er werde nach seinen Kräften
alles tun, um gute Beziehungen zwischen beiden Ländern zu erhalten, erwiderte
ihm der Zar: „Das wird Ihnen nicht schwer werden, die Beziehungen werden
gute bleiben." Wenn freilich jede Unterstützung, die deutsche Polizei- oder Justiz¬
behörden der russischen Regierung gegen Verbrecher an Leben und Eigentum leisten,
in der liberalen Presse als verdammenswerte Barbarei angegriffen wird, so wird
man sich kaum wundern dürfen, wenn die Neigung zu freundnachbarlichen Be¬
ziehungen dadurch auf russischer Seite nicht vergrößert wird.
Seitdem sind mehr als zehn Jahre verflossen, und das Verhältnis zwischen beiden
Staaten hat sich jedenfalls nicht verschlechtert. Die Haltung Deutschlands ließ es
SU, daß Rußland während des japanischen Krieges ohne Bedenken seine West¬
grenzen entblößen konnte, und wenn wir anscheinend in Algeciras dafür wenig
Dank geerntet haben, so wollen wir doch eingedenk bleiben, daß Rußland durch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |