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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Physiognomie der russischen Sprache

nur, weil die Gebildeten aller slawischen Stämme unsre Sprache mehr oder
weniger beherrschen.

Aber die Verbindung zwischen Deutsch und Russisch beschränkt sich nicht
auf die reichlich vorhandnen Spuren uralter Blutsverwandtschaft. Spätere
Zeiten haben ein neues, wenn nicht stärkeres, doch sichtbareres Band geschaffen
in den Gaben, die als Gastgeschenke vom Nachbar zum Nachbar gewandert
sind. Die Zahl der Lehnwörter, die das Russische dem Deutschen verdankt,
ist ungemein groß; weit geringer natürlich die der entgegengesetzten Art, ob¬
wohl auch sie nicht völlig fehlen. So hat "Grenze", das slawische ZmnitM,
seit dem Mittelalter allmählich den urdeutschen Ausdruck "Mark", aus der ge¬
wöhnlichen Sprache mindestens, verdrängt; auch "Pflug", russ. xluA, ist wohl
ein slawisches Wort. Ja der Name Slawe selbst (nicht "Slave", vgl. russ.
L1a>vMiun) hat uns den Gattungsbegriff "Sklave", besser Sklawe zu schreiben
und deutlicher im englischen 8ig,of zu erkennen, geliefert. Dafür macht sich der
sprachliche Niederschlag der germanischen Kultur auf allen Gebieten des russischen
Lebens bemerkbar. Wörter wie Kartüllelj und laKslÄr^ zeugen für sich selbst
und wirken im kaum noch fremdartigen Gewände nur naiv und erheiternd.
Eine noch wunderlichere Entlehnung ist vasisäaZ, dem man sogar in der Poesie
begegnet, so in Puschkins satirisch-romantischem Epos "Jewgeni Anjägin" bei
der Schilderung eines Petersburger Wintermorgens (I, 35):

Und der Bäcker, der akkurate Deutsche
In der baumwollenen Nachtmütze, hat schon mehr als einmal
Seinen Wasisdas geöffnet.

Gemeine ist das Schalter- oder Schiebefenster, wie es sich auch bei uns in Kauf¬
läden und Amtsrüumen findet und im Französischen ebenfalls als Is vasistÄS
begegnet. Wie die fremden Sprachen zu der drolligen Bildung gekommen
sind, ist schwer zu sagen: der unmittelbare Übergang aus dem Deutschen
in das Russische aber wird schon durch die genaue Übereinstimmung des Lautes
-- "Was is das?" -- bewiesen. Auch Knonnja, obwohl mit allen germa¬
nischen Ableitungen zum lateinischen ooausrs gehörig, ist wohl direkt nach
"Küche" (ältere hochdeutsche Form: "die Kuchen") gebildet, wie das kaum
verkennbare Imebmistr, der Küchenmeister, beweist. NunäKöoK ist natürlich un¬
verfälschtes Deutsch.

Überaus zahlreich aber sind die Lehnwörter auf militärischem, seemännischen,
technischem und kaufmännischen Gebiet. So sind bowkrlc, t^sy', nrunätr
(Montierung); warsolirüt, 2nZ (das Gespann); solclAt selbst, lliKsIM-w und
üiAsIMMt-Lud; lZö^Mxsr (der Armeeprofoß, Gewaltiger); tsIMolisr, tsM-
nulrsolM und sogar tsIMsdsh (sie!) einfach hochdeutsche Wörter und Bil¬
dungen; ebenso aävaKÄ, inäklerj, buoKZ'Mor, Karrösxanäönt, ärukarin>
(Druckerei), KariMwr, MsoKtänit (Postamt), lcuxör (Küfer), xMsh (Hohlkehle);
tüMnj (Lotleine), eg^ (Lage des Schiffes, auch Salve der Schiffsgeschütze,


Die Physiognomie der russischen Sprache

nur, weil die Gebildeten aller slawischen Stämme unsre Sprache mehr oder
weniger beherrschen.

Aber die Verbindung zwischen Deutsch und Russisch beschränkt sich nicht
auf die reichlich vorhandnen Spuren uralter Blutsverwandtschaft. Spätere
Zeiten haben ein neues, wenn nicht stärkeres, doch sichtbareres Band geschaffen
in den Gaben, die als Gastgeschenke vom Nachbar zum Nachbar gewandert
sind. Die Zahl der Lehnwörter, die das Russische dem Deutschen verdankt,
ist ungemein groß; weit geringer natürlich die der entgegengesetzten Art, ob¬
wohl auch sie nicht völlig fehlen. So hat „Grenze", das slawische ZmnitM,
seit dem Mittelalter allmählich den urdeutschen Ausdruck „Mark", aus der ge¬
wöhnlichen Sprache mindestens, verdrängt; auch „Pflug", russ. xluA, ist wohl
ein slawisches Wort. Ja der Name Slawe selbst (nicht „Slave", vgl. russ.
L1a>vMiun) hat uns den Gattungsbegriff „Sklave", besser Sklawe zu schreiben
und deutlicher im englischen 8ig,of zu erkennen, geliefert. Dafür macht sich der
sprachliche Niederschlag der germanischen Kultur auf allen Gebieten des russischen
Lebens bemerkbar. Wörter wie Kartüllelj und laKslÄr^ zeugen für sich selbst
und wirken im kaum noch fremdartigen Gewände nur naiv und erheiternd.
Eine noch wunderlichere Entlehnung ist vasisäaZ, dem man sogar in der Poesie
begegnet, so in Puschkins satirisch-romantischem Epos „Jewgeni Anjägin" bei
der Schilderung eines Petersburger Wintermorgens (I, 35):

Und der Bäcker, der akkurate Deutsche
In der baumwollenen Nachtmütze, hat schon mehr als einmal
Seinen Wasisdas geöffnet.

Gemeine ist das Schalter- oder Schiebefenster, wie es sich auch bei uns in Kauf¬
läden und Amtsrüumen findet und im Französischen ebenfalls als Is vasistÄS
begegnet. Wie die fremden Sprachen zu der drolligen Bildung gekommen
sind, ist schwer zu sagen: der unmittelbare Übergang aus dem Deutschen
in das Russische aber wird schon durch die genaue Übereinstimmung des Lautes
— „Was is das?" — bewiesen. Auch Knonnja, obwohl mit allen germa¬
nischen Ableitungen zum lateinischen ooausrs gehörig, ist wohl direkt nach
„Küche" (ältere hochdeutsche Form: „die Kuchen") gebildet, wie das kaum
verkennbare Imebmistr, der Küchenmeister, beweist. NunäKöoK ist natürlich un¬
verfälschtes Deutsch.

Überaus zahlreich aber sind die Lehnwörter auf militärischem, seemännischen,
technischem und kaufmännischen Gebiet. So sind bowkrlc, t^sy', nrunätr
(Montierung); warsolirüt, 2nZ (das Gespann); solclAt selbst, lliKsIM-w und
üiAsIMMt-Lud; lZö^Mxsr (der Armeeprofoß, Gewaltiger); tsIMolisr, tsM-
nulrsolM und sogar tsIMsdsh (sie!) einfach hochdeutsche Wörter und Bil¬
dungen; ebenso aävaKÄ, inäklerj, buoKZ'Mor, Karrösxanäönt, ärukarin>
(Druckerei), KariMwr, MsoKtänit (Postamt), lcuxör (Küfer), xMsh (Hohlkehle);
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[0093] Die Physiognomie der russischen Sprache nur, weil die Gebildeten aller slawischen Stämme unsre Sprache mehr oder weniger beherrschen. Aber die Verbindung zwischen Deutsch und Russisch beschränkt sich nicht auf die reichlich vorhandnen Spuren uralter Blutsverwandtschaft. Spätere Zeiten haben ein neues, wenn nicht stärkeres, doch sichtbareres Band geschaffen in den Gaben, die als Gastgeschenke vom Nachbar zum Nachbar gewandert sind. Die Zahl der Lehnwörter, die das Russische dem Deutschen verdankt, ist ungemein groß; weit geringer natürlich die der entgegengesetzten Art, ob¬ wohl auch sie nicht völlig fehlen. So hat „Grenze", das slawische ZmnitM, seit dem Mittelalter allmählich den urdeutschen Ausdruck „Mark", aus der ge¬ wöhnlichen Sprache mindestens, verdrängt; auch „Pflug", russ. xluA, ist wohl ein slawisches Wort. Ja der Name Slawe selbst (nicht „Slave", vgl. russ. L1a>vMiun) hat uns den Gattungsbegriff „Sklave", besser Sklawe zu schreiben und deutlicher im englischen 8ig,of zu erkennen, geliefert. Dafür macht sich der sprachliche Niederschlag der germanischen Kultur auf allen Gebieten des russischen Lebens bemerkbar. Wörter wie Kartüllelj und laKslÄr^ zeugen für sich selbst und wirken im kaum noch fremdartigen Gewände nur naiv und erheiternd. Eine noch wunderlichere Entlehnung ist vasisäaZ, dem man sogar in der Poesie begegnet, so in Puschkins satirisch-romantischem Epos „Jewgeni Anjägin" bei der Schilderung eines Petersburger Wintermorgens (I, 35): Und der Bäcker, der akkurate Deutsche In der baumwollenen Nachtmütze, hat schon mehr als einmal Seinen Wasisdas geöffnet. Gemeine ist das Schalter- oder Schiebefenster, wie es sich auch bei uns in Kauf¬ läden und Amtsrüumen findet und im Französischen ebenfalls als Is vasistÄS begegnet. Wie die fremden Sprachen zu der drolligen Bildung gekommen sind, ist schwer zu sagen: der unmittelbare Übergang aus dem Deutschen in das Russische aber wird schon durch die genaue Übereinstimmung des Lautes — „Was is das?" — bewiesen. Auch Knonnja, obwohl mit allen germa¬ nischen Ableitungen zum lateinischen ooausrs gehörig, ist wohl direkt nach „Küche" (ältere hochdeutsche Form: „die Kuchen") gebildet, wie das kaum verkennbare Imebmistr, der Küchenmeister, beweist. NunäKöoK ist natürlich un¬ verfälschtes Deutsch. Überaus zahlreich aber sind die Lehnwörter auf militärischem, seemännischen, technischem und kaufmännischen Gebiet. So sind bowkrlc, t^sy', nrunätr (Montierung); warsolirüt, 2nZ (das Gespann); solclAt selbst, lliKsIM-w und üiAsIMMt-Lud; lZö^Mxsr (der Armeeprofoß, Gewaltiger); tsIMolisr, tsM- nulrsolM und sogar tsIMsdsh (sie!) einfach hochdeutsche Wörter und Bil¬ dungen; ebenso aävaKÄ, inäklerj, buoKZ'Mor, Karrösxanäönt, ärukarin> (Druckerei), KariMwr, MsoKtänit (Postamt), lcuxör (Küfer), xMsh (Hohlkehle); tüMnj (Lotleine), eg^ (Lage des Schiffes, auch Salve der Schiffsgeschütze,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/93>, abgerufen am 23.07.2024.