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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Karl Schurz

Darin liegt nun auch der Grund seines Mangels an Bedeutung. Er
hat eine gebrochne Seele. Die Wirklichkeiten des Lebens sind ihm auf das
Stoffliche zusammengeschrumpft. In den idealen Gütern, in Kunst, Religion
und Staatsleben denkt er, wie der Bürger des Deutschlands vor 1866 dachte.
Bei diesen Dingen wundert er sich, wie "das Volk noch so etwas dulden"
könne, während doch um ihn die anglikanische und die römische Kirche zu¬
sehends erstarken, und sich die Republik zur Alleinherrschaft wandelt. Er
begreift weder das geschichtlich Gewordne noch das Werdende.

In diesem Sinne blieb auch Karl Schurz zeitlebens ein Liberaler. Er
hatte Angst vor dem Staate. Hatte er im Bürgerkriege für die Zentralgewalt
gegen die Lostrennung der Südstaaten gekämpft, und hatte er in den folgenden
Jahrzehnten der republikanischen Partei als der Partei der Zusammenfassung
der Regierungsgewalt in Washington gegenüber der Verselbständigung der
Einzelstaaten gedient, so trat er ohne Rücksicht aus ihren Reihen heraus, als
sie ihm die heiligen Rechte der Republik zu gefährden schien. Es war die
Zeit, wo die Union einen Arm nach Westindien und den andern nach Ost¬
asien streckte. Die Republik wurde zum Imperium, und er fürchtete den
Imperator, darin ein Republikaner von echtem Schrot und Korn. Aber auch
ein Deutscher, und zwar der doktrinären Art, die, sittlich höchst achtbar -- wer
kann sich der Größe solcher Denkweise entziehen? --, praktisch versagt. Er
schrieb, redete und agitierte gegen die aufsteigende Macht, deren von der
Vorsehung bestimmte Sendung sogar darin erscheinen mußte, daß an die
Stelle des durch die Hand des Mörders gefallnen Mac Kinley der schärfste
und schneidigste Vertreter des Imperialismus gestellt wurde. Er stand abseits
und allein. Immer geachtet, aber ohnmächtig und vergrämt. Er erlebte, was
der deutsche Liberalismus an Bismarck erlebt hatte: die Macht der Tatsachen.

Er hatte die Partei verlassen. Damit gab er das einzige Werkzeug, mit
dem der Politiker arbeitet, aus der Hand. Denn Anschauungen leben bloß
in Parteien, und nur Mehrheiten, von Parteien getragen, setzen sie durch. Er
hatte der Partei nicht geringe Dienste geleistet, sie hatte ihn nicht kleinlich
belohnt. Nun verließ er sie. Es ist interessant, hier einen "Amerikaner" zu
sehen, der sich der Parteidisziplin entwindet. Weswegen man dem Deutschen so
gern Vorwürfe macht, daß er sich seinem Kopfe zuliebe dem Ganzen entziehe;
was man als Tugend am Amerikaner oder gemeinhin am Angelsachsen preist,
daß er sich dem Ganzen unterordne, darin versagt dieser "Amerikaner". Mit
feinem Verständnis und kaum wissend, wie Recht er hatte, legte denn auch ein
Freund Karl Schurzens den Finger auf diese Stelle und sagte, er sei ein
Schulmeister gewesen. Er hätte auch sagen können: er war ein Deutscher.
Es sind eben nicht alle Amerikaner, die sich so nennen.

Aber durch seinen Austritt aus der Partei hat Karl Schurz einen neuen,
jetzt häufiger werdenden Typus des amerikanischen Bürgers wenn nicht ge¬
schaffen, so doch mitschaffen helfen: den unabhängigen Wähler, den Mugwump


Karl Schurz

Darin liegt nun auch der Grund seines Mangels an Bedeutung. Er
hat eine gebrochne Seele. Die Wirklichkeiten des Lebens sind ihm auf das
Stoffliche zusammengeschrumpft. In den idealen Gütern, in Kunst, Religion
und Staatsleben denkt er, wie der Bürger des Deutschlands vor 1866 dachte.
Bei diesen Dingen wundert er sich, wie „das Volk noch so etwas dulden"
könne, während doch um ihn die anglikanische und die römische Kirche zu¬
sehends erstarken, und sich die Republik zur Alleinherrschaft wandelt. Er
begreift weder das geschichtlich Gewordne noch das Werdende.

In diesem Sinne blieb auch Karl Schurz zeitlebens ein Liberaler. Er
hatte Angst vor dem Staate. Hatte er im Bürgerkriege für die Zentralgewalt
gegen die Lostrennung der Südstaaten gekämpft, und hatte er in den folgenden
Jahrzehnten der republikanischen Partei als der Partei der Zusammenfassung
der Regierungsgewalt in Washington gegenüber der Verselbständigung der
Einzelstaaten gedient, so trat er ohne Rücksicht aus ihren Reihen heraus, als
sie ihm die heiligen Rechte der Republik zu gefährden schien. Es war die
Zeit, wo die Union einen Arm nach Westindien und den andern nach Ost¬
asien streckte. Die Republik wurde zum Imperium, und er fürchtete den
Imperator, darin ein Republikaner von echtem Schrot und Korn. Aber auch
ein Deutscher, und zwar der doktrinären Art, die, sittlich höchst achtbar — wer
kann sich der Größe solcher Denkweise entziehen? —, praktisch versagt. Er
schrieb, redete und agitierte gegen die aufsteigende Macht, deren von der
Vorsehung bestimmte Sendung sogar darin erscheinen mußte, daß an die
Stelle des durch die Hand des Mörders gefallnen Mac Kinley der schärfste
und schneidigste Vertreter des Imperialismus gestellt wurde. Er stand abseits
und allein. Immer geachtet, aber ohnmächtig und vergrämt. Er erlebte, was
der deutsche Liberalismus an Bismarck erlebt hatte: die Macht der Tatsachen.

Er hatte die Partei verlassen. Damit gab er das einzige Werkzeug, mit
dem der Politiker arbeitet, aus der Hand. Denn Anschauungen leben bloß
in Parteien, und nur Mehrheiten, von Parteien getragen, setzen sie durch. Er
hatte der Partei nicht geringe Dienste geleistet, sie hatte ihn nicht kleinlich
belohnt. Nun verließ er sie. Es ist interessant, hier einen „Amerikaner" zu
sehen, der sich der Parteidisziplin entwindet. Weswegen man dem Deutschen so
gern Vorwürfe macht, daß er sich seinem Kopfe zuliebe dem Ganzen entziehe;
was man als Tugend am Amerikaner oder gemeinhin am Angelsachsen preist,
daß er sich dem Ganzen unterordne, darin versagt dieser „Amerikaner". Mit
feinem Verständnis und kaum wissend, wie Recht er hatte, legte denn auch ein
Freund Karl Schurzens den Finger auf diese Stelle und sagte, er sei ein
Schulmeister gewesen. Er hätte auch sagen können: er war ein Deutscher.
Es sind eben nicht alle Amerikaner, die sich so nennen.

Aber durch seinen Austritt aus der Partei hat Karl Schurz einen neuen,
jetzt häufiger werdenden Typus des amerikanischen Bürgers wenn nicht ge¬
schaffen, so doch mitschaffen helfen: den unabhängigen Wähler, den Mugwump


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[0675] Karl Schurz Darin liegt nun auch der Grund seines Mangels an Bedeutung. Er hat eine gebrochne Seele. Die Wirklichkeiten des Lebens sind ihm auf das Stoffliche zusammengeschrumpft. In den idealen Gütern, in Kunst, Religion und Staatsleben denkt er, wie der Bürger des Deutschlands vor 1866 dachte. Bei diesen Dingen wundert er sich, wie „das Volk noch so etwas dulden" könne, während doch um ihn die anglikanische und die römische Kirche zu¬ sehends erstarken, und sich die Republik zur Alleinherrschaft wandelt. Er begreift weder das geschichtlich Gewordne noch das Werdende. In diesem Sinne blieb auch Karl Schurz zeitlebens ein Liberaler. Er hatte Angst vor dem Staate. Hatte er im Bürgerkriege für die Zentralgewalt gegen die Lostrennung der Südstaaten gekämpft, und hatte er in den folgenden Jahrzehnten der republikanischen Partei als der Partei der Zusammenfassung der Regierungsgewalt in Washington gegenüber der Verselbständigung der Einzelstaaten gedient, so trat er ohne Rücksicht aus ihren Reihen heraus, als sie ihm die heiligen Rechte der Republik zu gefährden schien. Es war die Zeit, wo die Union einen Arm nach Westindien und den andern nach Ost¬ asien streckte. Die Republik wurde zum Imperium, und er fürchtete den Imperator, darin ein Republikaner von echtem Schrot und Korn. Aber auch ein Deutscher, und zwar der doktrinären Art, die, sittlich höchst achtbar — wer kann sich der Größe solcher Denkweise entziehen? —, praktisch versagt. Er schrieb, redete und agitierte gegen die aufsteigende Macht, deren von der Vorsehung bestimmte Sendung sogar darin erscheinen mußte, daß an die Stelle des durch die Hand des Mörders gefallnen Mac Kinley der schärfste und schneidigste Vertreter des Imperialismus gestellt wurde. Er stand abseits und allein. Immer geachtet, aber ohnmächtig und vergrämt. Er erlebte, was der deutsche Liberalismus an Bismarck erlebt hatte: die Macht der Tatsachen. Er hatte die Partei verlassen. Damit gab er das einzige Werkzeug, mit dem der Politiker arbeitet, aus der Hand. Denn Anschauungen leben bloß in Parteien, und nur Mehrheiten, von Parteien getragen, setzen sie durch. Er hatte der Partei nicht geringe Dienste geleistet, sie hatte ihn nicht kleinlich belohnt. Nun verließ er sie. Es ist interessant, hier einen „Amerikaner" zu sehen, der sich der Parteidisziplin entwindet. Weswegen man dem Deutschen so gern Vorwürfe macht, daß er sich seinem Kopfe zuliebe dem Ganzen entziehe; was man als Tugend am Amerikaner oder gemeinhin am Angelsachsen preist, daß er sich dem Ganzen unterordne, darin versagt dieser „Amerikaner". Mit feinem Verständnis und kaum wissend, wie Recht er hatte, legte denn auch ein Freund Karl Schurzens den Finger auf diese Stelle und sagte, er sei ein Schulmeister gewesen. Er hätte auch sagen können: er war ein Deutscher. Es sind eben nicht alle Amerikaner, die sich so nennen. Aber durch seinen Austritt aus der Partei hat Karl Schurz einen neuen, jetzt häufiger werdenden Typus des amerikanischen Bürgers wenn nicht ge¬ schaffen, so doch mitschaffen helfen: den unabhängigen Wähler, den Mugwump

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/675>, abgerufen am 23.07.2024.