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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Rarl Schurz

ging es doch auch nicht ohne ihn. Die Besiedlung der Ackerbauländer ist
sein Werk. Von ihm hat die Landschaft Pennsylvaniens, nicht weniger aber
auch die Nebraskas ihre Eigentümlichkeit. Und die nüchterne Sparsamkeit
des spargewöhnten Deutschen hat dem Bau des Ganzen die feste Grundlage
gegeben und erhalten. Bei der Schöpfung eines neuen Volkes leistete der
Deutsche deu größten Beitrag, er lieferte den Grundbestandteil, nämlich
das Volk.

Über den Deutschamerikanner zu schreiben ist schwer. Er ist ein höchst
empfindliches Gebilde. Gewöhnt an den Festrednerton des Jankees, der für
seinen Optimismus an sich selber das vorzüglichste Objekt hat, mag er es
nicht, daß man auf die Schwäche seiner Stellung, auf die Unterlassungssünden
seiner Vergangenheit hinweist, und meint schließlich: wir sind nicht schlechter
als die andern. Von seinem geschichtlichen Beruf, dem er Verantwortung
schuldet, weiß er nichts. Dazu kommt die berechtigte Empfindung, daß sich
seine Kritiker ihm nicht gleichstellen, ihn also nicht versteh" in der Tragik, die
in der Zugehörigkeit zu zwei Völkern begründet ist.


Etmal Fern in Se. Louis

Karl Schurz wollte kein Deutscher sein; er war ein Amerikaner. So
hat er mit festem Hinübertreten in das andre Volkstum dem Zwiespalt ein
Ende gemacht. Und er mutete diesen Schritt jedem Ankömmling in derselben
Weise zu. Er konnte dann in etwas dürren, abgeblaßten Worten von
deutscher Sprache und von deutschem Wesen reden. Vielleicht sah das für
den Reichsdeutschen, der es hörte, nach etwas aus: für uns hier waren solche
Reden Urkunden eines mühsamen Ausgleichs zwischen Dingen, die gerade
einen Ausgleich nicht vertragen, zwischen angestammten und erwählten Volks-
tume. Unser Satz ist: an das Deutschtum muß geglaubt werden, ohne Aus¬
gleich. Die Lösung, die Karl Schurz für das in "Deutsch-amerikanisch" ent-
haltne Problem darbot, war, obgleich sie zumeist durch ihn allgemein giltig
geworden ist, keine Lösung. Sie war allerdings durch das Deutschland der
fünfziger und das Amerika der sechziger Jahre gegeben: hier war die Er¬
füllung der Hoffnung auf ein freies Volk. Teilzunehmen an dem Leben der
neuen Nation, aus einem Untertan ein Bürger zu werden, schien den Da¬
maligen ein Schritt zu sein, dem des großen Washington vergleichbar, der
mit seinem König gebrochen hatte. Es ist die "Revolution", deren unblutige
Wiederholung jeder Einwandrer vollziehen soll. Aber der große Virginier
warf nicht seine Kultur, seine Überzeugungen, seine Seele weg. Er blieb in
der Geschichte seines Volkes stehn. Er war kein Abgefallner. Und das ist
der amerikanisierte Deutsche immer.


Rarl Schurz

ging es doch auch nicht ohne ihn. Die Besiedlung der Ackerbauländer ist
sein Werk. Von ihm hat die Landschaft Pennsylvaniens, nicht weniger aber
auch die Nebraskas ihre Eigentümlichkeit. Und die nüchterne Sparsamkeit
des spargewöhnten Deutschen hat dem Bau des Ganzen die feste Grundlage
gegeben und erhalten. Bei der Schöpfung eines neuen Volkes leistete der
Deutsche deu größten Beitrag, er lieferte den Grundbestandteil, nämlich
das Volk.

Über den Deutschamerikanner zu schreiben ist schwer. Er ist ein höchst
empfindliches Gebilde. Gewöhnt an den Festrednerton des Jankees, der für
seinen Optimismus an sich selber das vorzüglichste Objekt hat, mag er es
nicht, daß man auf die Schwäche seiner Stellung, auf die Unterlassungssünden
seiner Vergangenheit hinweist, und meint schließlich: wir sind nicht schlechter
als die andern. Von seinem geschichtlichen Beruf, dem er Verantwortung
schuldet, weiß er nichts. Dazu kommt die berechtigte Empfindung, daß sich
seine Kritiker ihm nicht gleichstellen, ihn also nicht versteh» in der Tragik, die
in der Zugehörigkeit zu zwei Völkern begründet ist.


Etmal Fern in Se. Louis

Karl Schurz wollte kein Deutscher sein; er war ein Amerikaner. So
hat er mit festem Hinübertreten in das andre Volkstum dem Zwiespalt ein
Ende gemacht. Und er mutete diesen Schritt jedem Ankömmling in derselben
Weise zu. Er konnte dann in etwas dürren, abgeblaßten Worten von
deutscher Sprache und von deutschem Wesen reden. Vielleicht sah das für
den Reichsdeutschen, der es hörte, nach etwas aus: für uns hier waren solche
Reden Urkunden eines mühsamen Ausgleichs zwischen Dingen, die gerade
einen Ausgleich nicht vertragen, zwischen angestammten und erwählten Volks-
tume. Unser Satz ist: an das Deutschtum muß geglaubt werden, ohne Aus¬
gleich. Die Lösung, die Karl Schurz für das in „Deutsch-amerikanisch" ent-
haltne Problem darbot, war, obgleich sie zumeist durch ihn allgemein giltig
geworden ist, keine Lösung. Sie war allerdings durch das Deutschland der
fünfziger und das Amerika der sechziger Jahre gegeben: hier war die Er¬
füllung der Hoffnung auf ein freies Volk. Teilzunehmen an dem Leben der
neuen Nation, aus einem Untertan ein Bürger zu werden, schien den Da¬
maligen ein Schritt zu sein, dem des großen Washington vergleichbar, der
mit seinem König gebrochen hatte. Es ist die „Revolution", deren unblutige
Wiederholung jeder Einwandrer vollziehen soll. Aber der große Virginier
warf nicht seine Kultur, seine Überzeugungen, seine Seele weg. Er blieb in
der Geschichte seines Volkes stehn. Er war kein Abgefallner. Und das ist
der amerikanisierte Deutsche immer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/674>, abgerufen am 27.12.2024.