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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Polen und die Polen im heutigen Europa

In der Provinz Posen ist die entschiedn? Mehrheit der Bevölkerung polnisch,
namentlich im Regierungsbezirk Posen. Von 1000 Bewohnern waren

im Regierungsbezirk Posen im Regierungsbezirk Bromberg
deutsch....... 321,72 483,18
deutsch und anderssprachig 4,94 6,93
polnisch...... 672,65 609,38

Um auf die Frage einer politischen Wiederherstellung Polens in den
Grenzen des heutigen Sprachgebiets eine Antwort finden zu können, müßten
die Polen doch zunächst bestimmt erklären, ob sie aus Grund dieser Zahlen
die Provinz Posen beanspruchen.

Von Schlesien sind die beiden Regierungsbezirke Breslau und Liegnitz
so deutsch, daß wohl kein Pole davon träumt, wegen der ehemaligen Piasten-
herrlichteit hier noch ein polnisches Regiment einrichten zu wollen. Breslau
hat 959,85 vom Tausend Deutsche, Liegnitz 964.33. Aber in Oberschlesien
liegen die Sachen anders. Im Regierungsbezirk Oppeln waren im Jahre 1900
von je 1000 Bewohnern

deutsch.............. 366,36
deutsch und anderssprachig........ 38,32
polnisch.............. 661,11
wendisch.............. 33,58

Also Oberschlesien ist überwiegend polnisch. Zwar spricht man dort nicht
hochpolnisch, sondern ein ganz andres Idiom, das wasserpolackische, das ein
stark mit deutschen Wörtern durchsetztes Polnisch ist. Zwar sind dort die
Erinnerungen an den schon im Mittelalter gelösten politischen Zusammenhang
mit dem Königreich Polen vollständig erloschen. Dennoch flammt dort heut¬
zutage der polnische Nationalismus kräftig auf. Verlangen also die Veranstalter
der im Eingang erwähnten Rundfrage die Regierungsbezirke Posen, Bromberg
und Oppeln -- rund 42000 Quadratkilometer mit fast 4 Millionen Ein¬
wohnern -- auf Grund des Begriffs vom heutigen Sprachgebiete für das
zukünftige Polenreich?

Es ist schwer, ruhigen Blutes eine Antwort auf ein etwaiges Begehren
dieser Art zu geben. Man muß sich einmal ausmalen, was Frankreich und
England wohl sagten, wenn kraft ähnlicher Motivierung Korsika und Irland
abgetrennt werden wollten. Doch werden wir uns bemühn, die Sache so
objektiv zu erörtern, als handelte es sich um Gebiete auf dem Monde.

Westpreußen hat nicht nur eine noch stärkere deutsche Mehrheit als sogar
Posen eine polnische, es ist auch zugleich die Verbindung zwischen dem deutschen
Ostpreußen (rund 800 vom Tausend der Bevölkerung sind deutsch, nur rund
80 polnisch) und dem Hauptkörper des Deutschen Reichs. Daß Deutschland
nicht auf Ostpreußen verzichten kann, ohne sich selbst aufzugeben, wird man
am Ende auch einem polnischen Chauvinisten nicht erst auseinanderzusetzen


Polen und die Polen im heutigen Europa

In der Provinz Posen ist die entschiedn? Mehrheit der Bevölkerung polnisch,
namentlich im Regierungsbezirk Posen. Von 1000 Bewohnern waren

im Regierungsbezirk Posen im Regierungsbezirk Bromberg
deutsch....... 321,72 483,18
deutsch und anderssprachig 4,94 6,93
polnisch...... 672,65 609,38

Um auf die Frage einer politischen Wiederherstellung Polens in den
Grenzen des heutigen Sprachgebiets eine Antwort finden zu können, müßten
die Polen doch zunächst bestimmt erklären, ob sie aus Grund dieser Zahlen
die Provinz Posen beanspruchen.

Von Schlesien sind die beiden Regierungsbezirke Breslau und Liegnitz
so deutsch, daß wohl kein Pole davon träumt, wegen der ehemaligen Piasten-
herrlichteit hier noch ein polnisches Regiment einrichten zu wollen. Breslau
hat 959,85 vom Tausend Deutsche, Liegnitz 964.33. Aber in Oberschlesien
liegen die Sachen anders. Im Regierungsbezirk Oppeln waren im Jahre 1900
von je 1000 Bewohnern

deutsch.............. 366,36
deutsch und anderssprachig........ 38,32
polnisch.............. 661,11
wendisch.............. 33,58

Also Oberschlesien ist überwiegend polnisch. Zwar spricht man dort nicht
hochpolnisch, sondern ein ganz andres Idiom, das wasserpolackische, das ein
stark mit deutschen Wörtern durchsetztes Polnisch ist. Zwar sind dort die
Erinnerungen an den schon im Mittelalter gelösten politischen Zusammenhang
mit dem Königreich Polen vollständig erloschen. Dennoch flammt dort heut¬
zutage der polnische Nationalismus kräftig auf. Verlangen also die Veranstalter
der im Eingang erwähnten Rundfrage die Regierungsbezirke Posen, Bromberg
und Oppeln — rund 42000 Quadratkilometer mit fast 4 Millionen Ein¬
wohnern — auf Grund des Begriffs vom heutigen Sprachgebiete für das
zukünftige Polenreich?

Es ist schwer, ruhigen Blutes eine Antwort auf ein etwaiges Begehren
dieser Art zu geben. Man muß sich einmal ausmalen, was Frankreich und
England wohl sagten, wenn kraft ähnlicher Motivierung Korsika und Irland
abgetrennt werden wollten. Doch werden wir uns bemühn, die Sache so
objektiv zu erörtern, als handelte es sich um Gebiete auf dem Monde.

Westpreußen hat nicht nur eine noch stärkere deutsche Mehrheit als sogar
Posen eine polnische, es ist auch zugleich die Verbindung zwischen dem deutschen
Ostpreußen (rund 800 vom Tausend der Bevölkerung sind deutsch, nur rund
80 polnisch) und dem Hauptkörper des Deutschen Reichs. Daß Deutschland
nicht auf Ostpreußen verzichten kann, ohne sich selbst aufzugeben, wird man
am Ende auch einem polnischen Chauvinisten nicht erst auseinanderzusetzen


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[0067] Polen und die Polen im heutigen Europa In der Provinz Posen ist die entschiedn? Mehrheit der Bevölkerung polnisch, namentlich im Regierungsbezirk Posen. Von 1000 Bewohnern waren im Regierungsbezirk Posen im Regierungsbezirk Bromberg deutsch....... 321,72 483,18 deutsch und anderssprachig 4,94 6,93 polnisch...... 672,65 609,38 Um auf die Frage einer politischen Wiederherstellung Polens in den Grenzen des heutigen Sprachgebiets eine Antwort finden zu können, müßten die Polen doch zunächst bestimmt erklären, ob sie aus Grund dieser Zahlen die Provinz Posen beanspruchen. Von Schlesien sind die beiden Regierungsbezirke Breslau und Liegnitz so deutsch, daß wohl kein Pole davon träumt, wegen der ehemaligen Piasten- herrlichteit hier noch ein polnisches Regiment einrichten zu wollen. Breslau hat 959,85 vom Tausend Deutsche, Liegnitz 964.33. Aber in Oberschlesien liegen die Sachen anders. Im Regierungsbezirk Oppeln waren im Jahre 1900 von je 1000 Bewohnern deutsch.............. 366,36 deutsch und anderssprachig........ 38,32 polnisch.............. 661,11 wendisch.............. 33,58 Also Oberschlesien ist überwiegend polnisch. Zwar spricht man dort nicht hochpolnisch, sondern ein ganz andres Idiom, das wasserpolackische, das ein stark mit deutschen Wörtern durchsetztes Polnisch ist. Zwar sind dort die Erinnerungen an den schon im Mittelalter gelösten politischen Zusammenhang mit dem Königreich Polen vollständig erloschen. Dennoch flammt dort heut¬ zutage der polnische Nationalismus kräftig auf. Verlangen also die Veranstalter der im Eingang erwähnten Rundfrage die Regierungsbezirke Posen, Bromberg und Oppeln — rund 42000 Quadratkilometer mit fast 4 Millionen Ein¬ wohnern — auf Grund des Begriffs vom heutigen Sprachgebiete für das zukünftige Polenreich? Es ist schwer, ruhigen Blutes eine Antwort auf ein etwaiges Begehren dieser Art zu geben. Man muß sich einmal ausmalen, was Frankreich und England wohl sagten, wenn kraft ähnlicher Motivierung Korsika und Irland abgetrennt werden wollten. Doch werden wir uns bemühn, die Sache so objektiv zu erörtern, als handelte es sich um Gebiete auf dem Monde. Westpreußen hat nicht nur eine noch stärkere deutsche Mehrheit als sogar Posen eine polnische, es ist auch zugleich die Verbindung zwischen dem deutschen Ostpreußen (rund 800 vom Tausend der Bevölkerung sind deutsch, nur rund 80 polnisch) und dem Hauptkörper des Deutschen Reichs. Daß Deutschland nicht auf Ostpreußen verzichten kann, ohne sich selbst aufzugeben, wird man am Ende auch einem polnischen Chauvinisten nicht erst auseinanderzusetzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/67>, abgerufen am 23.07.2024.