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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

und der Vollziehung des Präliminarfriedens nicht vier Wochen lagen, so schien
es doch geboten, keine Zeit zu verlieren, sondern das Eisen zu schmieden, so
lange es heiß blieb. Da der Großherzog kein militärisches Kommando führte,
die Eigenschaft Badens als unmittelbar den Kriegsschauplatz berührendes Grenz¬
land es ihm doppelt wünschenswert machen mußte, die nächsten Entscheidungen
in der Mitte seines Volkes abzuwarten, so wandte er neben allen vermehrten
Regierungssorgen des Augenblicks seine Aufmerksamkeit um so mehr der künftigen
Gestaltung Deutschlands zu. Zumal seit der Aussprache, die er im März in
Berlin mit Bismarck gehabt hatte, war der Großherzog über die schließlichen
Ziele der Politik des Bundeskanzlers wohl hinreichend beruhigt, aber er sowohl
wie die badische Regierung empfanden es doch als eine Unterlassung, daß die
innere Neugestaltung Deutschlands nicht gleich beim Kriegsausbruch in erkenn¬
barer Weise von dem Bundeskanzler begonnen worden war. Es mag sogar
Augenblicke der Befürchtung gegeben haben, daß eine nie wiederkehrende Gelegen-
heit vielleicht unbenutzt bleiben könnte. In den Tagen, die zwischen der Kriegs¬
erklärung und dem Ausbruch des Hauptquartiers aus Berlin lagen, bot jedoch
die internationale Politik Bismarck hinlänglich Sorge und Arbeit, sodaß er sich
nicht auch noch den Fragen der künftigen deutschen Verfassung zuwenden konnte,
auch blieb er nach wie vor von dem Grundsatze beseelt, daß die Initiative in
der deutschen Frage nicht von Preußen ausgehn dürfe, so lange als die Mög¬
lichkeit vorhanden sei, daß dies im Süden als eine Art Zwang empfunden
werden könnte. Wäre Preußen gleich beim Kriegsausbruch in München und in
Stuttgart der deutschen Verfassungsangelegenheit mit Vorschlägen nähergetreten,
so hätte es sehr wohl geschehen können, daß die Erfüllung des Bundes¬
vertrages auf der Wage von Leistung und Gegenleistung abgewogen, oder daß
die Schnelligkeit und Entschlossenheit des Handelns durch diplomatische Ver¬
handlungen ungünstig beeinflußt worden wäre. Selbstverständlich hegte Bis¬
marck nicht den allergeringsten Zweifel, daß wenn erst einmal die süddeutschen
Truppen mit dem preußischen Heere vereint siegreich auf französischen Schlacht¬
feldern standen, die Frage der deutschen Einheit praktisch gelöst sei, und die
Auffindung der Form keine übermäßigen Schwierigkeiten bereiten könne. Zu¬
dem kam die Persönlichkeit des Königs in Betracht, der ebensowenig wie Bismarck
selbst dazu neigte, das Fell des Bären zu verteilen, bevor er erlegt war,
und den nach seiner ganzen Art in jenen ersten Wochen nicht die Einrichtungen
nach dem Siege, sondern die militärische Erreichung des Sieges selbst be¬
schäftigte. Wenngleich bei der Abreise aus Berlin und bei der auf den
3. August festgesetzten Operationsbereitschaft der drei deutschen Armeen der
Entschluß zu einer starken und nachhaltigen Initiative ebenso fest stand wie
die Gewißheit, daß der Gegner dazu nicht befähigt wäre, so war doch begreif¬
licherweise die Sorge um die ersten herbeizuführenden Entscheidungen die Haupt¬
sache. Nach den Siegestagen des 4. und 6. August erst trat die nationalpolitische
Seite des Krieges auch für die führenden Köpfe mehr in den Vordergrund.
Sogar der so konservativ gerichtete Moritz von Blankenburg bezeichnet in einem


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

und der Vollziehung des Präliminarfriedens nicht vier Wochen lagen, so schien
es doch geboten, keine Zeit zu verlieren, sondern das Eisen zu schmieden, so
lange es heiß blieb. Da der Großherzog kein militärisches Kommando führte,
die Eigenschaft Badens als unmittelbar den Kriegsschauplatz berührendes Grenz¬
land es ihm doppelt wünschenswert machen mußte, die nächsten Entscheidungen
in der Mitte seines Volkes abzuwarten, so wandte er neben allen vermehrten
Regierungssorgen des Augenblicks seine Aufmerksamkeit um so mehr der künftigen
Gestaltung Deutschlands zu. Zumal seit der Aussprache, die er im März in
Berlin mit Bismarck gehabt hatte, war der Großherzog über die schließlichen
Ziele der Politik des Bundeskanzlers wohl hinreichend beruhigt, aber er sowohl
wie die badische Regierung empfanden es doch als eine Unterlassung, daß die
innere Neugestaltung Deutschlands nicht gleich beim Kriegsausbruch in erkenn¬
barer Weise von dem Bundeskanzler begonnen worden war. Es mag sogar
Augenblicke der Befürchtung gegeben haben, daß eine nie wiederkehrende Gelegen-
heit vielleicht unbenutzt bleiben könnte. In den Tagen, die zwischen der Kriegs¬
erklärung und dem Ausbruch des Hauptquartiers aus Berlin lagen, bot jedoch
die internationale Politik Bismarck hinlänglich Sorge und Arbeit, sodaß er sich
nicht auch noch den Fragen der künftigen deutschen Verfassung zuwenden konnte,
auch blieb er nach wie vor von dem Grundsatze beseelt, daß die Initiative in
der deutschen Frage nicht von Preußen ausgehn dürfe, so lange als die Mög¬
lichkeit vorhanden sei, daß dies im Süden als eine Art Zwang empfunden
werden könnte. Wäre Preußen gleich beim Kriegsausbruch in München und in
Stuttgart der deutschen Verfassungsangelegenheit mit Vorschlägen nähergetreten,
so hätte es sehr wohl geschehen können, daß die Erfüllung des Bundes¬
vertrages auf der Wage von Leistung und Gegenleistung abgewogen, oder daß
die Schnelligkeit und Entschlossenheit des Handelns durch diplomatische Ver¬
handlungen ungünstig beeinflußt worden wäre. Selbstverständlich hegte Bis¬
marck nicht den allergeringsten Zweifel, daß wenn erst einmal die süddeutschen
Truppen mit dem preußischen Heere vereint siegreich auf französischen Schlacht¬
feldern standen, die Frage der deutschen Einheit praktisch gelöst sei, und die
Auffindung der Form keine übermäßigen Schwierigkeiten bereiten könne. Zu¬
dem kam die Persönlichkeit des Königs in Betracht, der ebensowenig wie Bismarck
selbst dazu neigte, das Fell des Bären zu verteilen, bevor er erlegt war,
und den nach seiner ganzen Art in jenen ersten Wochen nicht die Einrichtungen
nach dem Siege, sondern die militärische Erreichung des Sieges selbst be¬
schäftigte. Wenngleich bei der Abreise aus Berlin und bei der auf den
3. August festgesetzten Operationsbereitschaft der drei deutschen Armeen der
Entschluß zu einer starken und nachhaltigen Initiative ebenso fest stand wie
die Gewißheit, daß der Gegner dazu nicht befähigt wäre, so war doch begreif¬
licherweise die Sorge um die ersten herbeizuführenden Entscheidungen die Haupt¬
sache. Nach den Siegestagen des 4. und 6. August erst trat die nationalpolitische
Seite des Krieges auch für die führenden Köpfe mehr in den Vordergrund.
Sogar der so konservativ gerichtete Moritz von Blankenburg bezeichnet in einem


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[0664] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles und der Vollziehung des Präliminarfriedens nicht vier Wochen lagen, so schien es doch geboten, keine Zeit zu verlieren, sondern das Eisen zu schmieden, so lange es heiß blieb. Da der Großherzog kein militärisches Kommando führte, die Eigenschaft Badens als unmittelbar den Kriegsschauplatz berührendes Grenz¬ land es ihm doppelt wünschenswert machen mußte, die nächsten Entscheidungen in der Mitte seines Volkes abzuwarten, so wandte er neben allen vermehrten Regierungssorgen des Augenblicks seine Aufmerksamkeit um so mehr der künftigen Gestaltung Deutschlands zu. Zumal seit der Aussprache, die er im März in Berlin mit Bismarck gehabt hatte, war der Großherzog über die schließlichen Ziele der Politik des Bundeskanzlers wohl hinreichend beruhigt, aber er sowohl wie die badische Regierung empfanden es doch als eine Unterlassung, daß die innere Neugestaltung Deutschlands nicht gleich beim Kriegsausbruch in erkenn¬ barer Weise von dem Bundeskanzler begonnen worden war. Es mag sogar Augenblicke der Befürchtung gegeben haben, daß eine nie wiederkehrende Gelegen- heit vielleicht unbenutzt bleiben könnte. In den Tagen, die zwischen der Kriegs¬ erklärung und dem Ausbruch des Hauptquartiers aus Berlin lagen, bot jedoch die internationale Politik Bismarck hinlänglich Sorge und Arbeit, sodaß er sich nicht auch noch den Fragen der künftigen deutschen Verfassung zuwenden konnte, auch blieb er nach wie vor von dem Grundsatze beseelt, daß die Initiative in der deutschen Frage nicht von Preußen ausgehn dürfe, so lange als die Mög¬ lichkeit vorhanden sei, daß dies im Süden als eine Art Zwang empfunden werden könnte. Wäre Preußen gleich beim Kriegsausbruch in München und in Stuttgart der deutschen Verfassungsangelegenheit mit Vorschlägen nähergetreten, so hätte es sehr wohl geschehen können, daß die Erfüllung des Bundes¬ vertrages auf der Wage von Leistung und Gegenleistung abgewogen, oder daß die Schnelligkeit und Entschlossenheit des Handelns durch diplomatische Ver¬ handlungen ungünstig beeinflußt worden wäre. Selbstverständlich hegte Bis¬ marck nicht den allergeringsten Zweifel, daß wenn erst einmal die süddeutschen Truppen mit dem preußischen Heere vereint siegreich auf französischen Schlacht¬ feldern standen, die Frage der deutschen Einheit praktisch gelöst sei, und die Auffindung der Form keine übermäßigen Schwierigkeiten bereiten könne. Zu¬ dem kam die Persönlichkeit des Königs in Betracht, der ebensowenig wie Bismarck selbst dazu neigte, das Fell des Bären zu verteilen, bevor er erlegt war, und den nach seiner ganzen Art in jenen ersten Wochen nicht die Einrichtungen nach dem Siege, sondern die militärische Erreichung des Sieges selbst be¬ schäftigte. Wenngleich bei der Abreise aus Berlin und bei der auf den 3. August festgesetzten Operationsbereitschaft der drei deutschen Armeen der Entschluß zu einer starken und nachhaltigen Initiative ebenso fest stand wie die Gewißheit, daß der Gegner dazu nicht befähigt wäre, so war doch begreif¬ licherweise die Sorge um die ersten herbeizuführenden Entscheidungen die Haupt¬ sache. Nach den Siegestagen des 4. und 6. August erst trat die nationalpolitische Seite des Krieges auch für die führenden Köpfe mehr in den Vordergrund. Sogar der so konservativ gerichtete Moritz von Blankenburg bezeichnet in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/664>, abgerufen am 23.07.2024.