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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Durch Transkaukasien

Deshalb leicht zu sperren, verlangt sie in unruhigen Zeiten eine sehr sorgfältige
Streckenbewachung und vorsichtigen Betrieb. Auffällig ist die Vermeidung ab¬
kürzender Tunnelbauten, die vor allen Dingen dadurch ihre Erklärung findet,
daß die Bahnlinien werstweise bezahlt werden und der Baufirma durch Umwege
mehr einbringen als durch schwierig herzustellende gerade Strecken, wobei
vielleicht auch berücksichtigt worden ist, daß viele Tunnelbauten seinerzeit die
Fertigstellung erschwert und zunächst verlangsamt hätten. Die Wasserableitung
hat an manchen Orten ziemliche Mühe verursacht -- besondre Kanäle, zeit¬
weise in brückenartig die Seitentäler überschreitende Tröge eingeführt, leiten
bedeutende Wassermengen zu Tal; eine größere Anlage dieser Art wird sogar
zur Talflößung von Bau- und Grubenholz benutzt. Hinter Maina wird das
bedeutendste Bauwerk im Zuge der Bahn erreicht, ein Viadukt für zwei Geleise,
auf dem das Tal der Quirila hoch oben zum letztenmal überschritten wird.
Bald dahinter passiert der Zug die grusinische Niederlassung Staraja Zipa
und ihre eigentümliche uralte verteidigungsfähige, mit Schießscharten an Stelle
der Fenster versehene Kirche; fast unmittelbar aus der Dorfstraße läuft er in
den die Kammhöhe des Ssuramgebirges durchsetzenden vier Kilometer laugen
Tunnel von Warwarino ein. Angenehm ist die fast zehn Minuten währende
Durchfahrt keineswegs, denn der Rauch der Masutheizung der Maschine dringt,
in dem engen Querschnitt des Tunnels zusammengehalten, durch alle Ventilations-
öffnnngen und verpestet mit seinem ekeln Geruch die Luft im Zuge.

Das Ssuramgebirge verbindet wie eine Brücke das gewaltige Massiv des
Großen mit dem Kleinen Kaukasus. Es ist die Wasserscheide zwischen dem
Rion und der Kura und hindert die vom Schwarzen Meer kommenden feuchten
westlichen Winde, weiter vorzudringen. So teilt es im Verein mit den an¬
schließenden Bergketten Transkaukasien in zwei nach Klima, Boden und Wachs¬
tum ganz verschiedne, ungleich große Teile. Aber der Austritt aus dem den
Reisenden mit einem Denkmal des Erbauers bewillkommnenden Tunnel bietet
darum doch nichts besonders effektvolles. Im Gegenteil, die Landschaft in der
nächsten Nähe der Eisenbahn wird verhältnismäßig einförmig und prosaischer
als die ebeu verlassene. An Stelle des engen Gebirgstals tritt eine breite
Ebne, auf der der Zug bequem der Station Michailowo entgegen rollt. Aller¬
dings in der Ferne begrenzen Gebirge die hier oben noch unter Schnee be-
grabne Fläche, links hinter einer Reihe prächtig geformter sonnenbestrahlter
Berge der gewaltige Stock des Kasbek und seiner Ausläufer und nächsten
Vettern, rechts die Parallelketten des Kleinen Kaukasus, der mit der Achalzich-
kette bisher die Täter der Quirila und der Kura getrennt hatte und jenseits
der aus der Talschlucht von Borshom kommenden Kura wieder ansteigt. Dieser
Fluß begleitet uns nun bald links, bald rechts von der Bahn bis Tiflis. Bevor
wir noch Michailowo erreichen, bietet sich uns ein wunderschöner Ausblick in
das Borshomtal und seine waldbedeckten Abhänge. Dort liegt in nicht allzu
großer Entfernung das Bad und die Schlösser der Großfürsten Michail


Durch Transkaukasien

Deshalb leicht zu sperren, verlangt sie in unruhigen Zeiten eine sehr sorgfältige
Streckenbewachung und vorsichtigen Betrieb. Auffällig ist die Vermeidung ab¬
kürzender Tunnelbauten, die vor allen Dingen dadurch ihre Erklärung findet,
daß die Bahnlinien werstweise bezahlt werden und der Baufirma durch Umwege
mehr einbringen als durch schwierig herzustellende gerade Strecken, wobei
vielleicht auch berücksichtigt worden ist, daß viele Tunnelbauten seinerzeit die
Fertigstellung erschwert und zunächst verlangsamt hätten. Die Wasserableitung
hat an manchen Orten ziemliche Mühe verursacht — besondre Kanäle, zeit¬
weise in brückenartig die Seitentäler überschreitende Tröge eingeführt, leiten
bedeutende Wassermengen zu Tal; eine größere Anlage dieser Art wird sogar
zur Talflößung von Bau- und Grubenholz benutzt. Hinter Maina wird das
bedeutendste Bauwerk im Zuge der Bahn erreicht, ein Viadukt für zwei Geleise,
auf dem das Tal der Quirila hoch oben zum letztenmal überschritten wird.
Bald dahinter passiert der Zug die grusinische Niederlassung Staraja Zipa
und ihre eigentümliche uralte verteidigungsfähige, mit Schießscharten an Stelle
der Fenster versehene Kirche; fast unmittelbar aus der Dorfstraße läuft er in
den die Kammhöhe des Ssuramgebirges durchsetzenden vier Kilometer laugen
Tunnel von Warwarino ein. Angenehm ist die fast zehn Minuten währende
Durchfahrt keineswegs, denn der Rauch der Masutheizung der Maschine dringt,
in dem engen Querschnitt des Tunnels zusammengehalten, durch alle Ventilations-
öffnnngen und verpestet mit seinem ekeln Geruch die Luft im Zuge.

Das Ssuramgebirge verbindet wie eine Brücke das gewaltige Massiv des
Großen mit dem Kleinen Kaukasus. Es ist die Wasserscheide zwischen dem
Rion und der Kura und hindert die vom Schwarzen Meer kommenden feuchten
westlichen Winde, weiter vorzudringen. So teilt es im Verein mit den an¬
schließenden Bergketten Transkaukasien in zwei nach Klima, Boden und Wachs¬
tum ganz verschiedne, ungleich große Teile. Aber der Austritt aus dem den
Reisenden mit einem Denkmal des Erbauers bewillkommnenden Tunnel bietet
darum doch nichts besonders effektvolles. Im Gegenteil, die Landschaft in der
nächsten Nähe der Eisenbahn wird verhältnismäßig einförmig und prosaischer
als die ebeu verlassene. An Stelle des engen Gebirgstals tritt eine breite
Ebne, auf der der Zug bequem der Station Michailowo entgegen rollt. Aller¬
dings in der Ferne begrenzen Gebirge die hier oben noch unter Schnee be-
grabne Fläche, links hinter einer Reihe prächtig geformter sonnenbestrahlter
Berge der gewaltige Stock des Kasbek und seiner Ausläufer und nächsten
Vettern, rechts die Parallelketten des Kleinen Kaukasus, der mit der Achalzich-
kette bisher die Täter der Quirila und der Kura getrennt hatte und jenseits
der aus der Talschlucht von Borshom kommenden Kura wieder ansteigt. Dieser
Fluß begleitet uns nun bald links, bald rechts von der Bahn bis Tiflis. Bevor
wir noch Michailowo erreichen, bietet sich uns ein wunderschöner Ausblick in
das Borshomtal und seine waldbedeckten Abhänge. Dort liegt in nicht allzu
großer Entfernung das Bad und die Schlösser der Großfürsten Michail


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[0624] Durch Transkaukasien Deshalb leicht zu sperren, verlangt sie in unruhigen Zeiten eine sehr sorgfältige Streckenbewachung und vorsichtigen Betrieb. Auffällig ist die Vermeidung ab¬ kürzender Tunnelbauten, die vor allen Dingen dadurch ihre Erklärung findet, daß die Bahnlinien werstweise bezahlt werden und der Baufirma durch Umwege mehr einbringen als durch schwierig herzustellende gerade Strecken, wobei vielleicht auch berücksichtigt worden ist, daß viele Tunnelbauten seinerzeit die Fertigstellung erschwert und zunächst verlangsamt hätten. Die Wasserableitung hat an manchen Orten ziemliche Mühe verursacht — besondre Kanäle, zeit¬ weise in brückenartig die Seitentäler überschreitende Tröge eingeführt, leiten bedeutende Wassermengen zu Tal; eine größere Anlage dieser Art wird sogar zur Talflößung von Bau- und Grubenholz benutzt. Hinter Maina wird das bedeutendste Bauwerk im Zuge der Bahn erreicht, ein Viadukt für zwei Geleise, auf dem das Tal der Quirila hoch oben zum letztenmal überschritten wird. Bald dahinter passiert der Zug die grusinische Niederlassung Staraja Zipa und ihre eigentümliche uralte verteidigungsfähige, mit Schießscharten an Stelle der Fenster versehene Kirche; fast unmittelbar aus der Dorfstraße läuft er in den die Kammhöhe des Ssuramgebirges durchsetzenden vier Kilometer laugen Tunnel von Warwarino ein. Angenehm ist die fast zehn Minuten währende Durchfahrt keineswegs, denn der Rauch der Masutheizung der Maschine dringt, in dem engen Querschnitt des Tunnels zusammengehalten, durch alle Ventilations- öffnnngen und verpestet mit seinem ekeln Geruch die Luft im Zuge. Das Ssuramgebirge verbindet wie eine Brücke das gewaltige Massiv des Großen mit dem Kleinen Kaukasus. Es ist die Wasserscheide zwischen dem Rion und der Kura und hindert die vom Schwarzen Meer kommenden feuchten westlichen Winde, weiter vorzudringen. So teilt es im Verein mit den an¬ schließenden Bergketten Transkaukasien in zwei nach Klima, Boden und Wachs¬ tum ganz verschiedne, ungleich große Teile. Aber der Austritt aus dem den Reisenden mit einem Denkmal des Erbauers bewillkommnenden Tunnel bietet darum doch nichts besonders effektvolles. Im Gegenteil, die Landschaft in der nächsten Nähe der Eisenbahn wird verhältnismäßig einförmig und prosaischer als die ebeu verlassene. An Stelle des engen Gebirgstals tritt eine breite Ebne, auf der der Zug bequem der Station Michailowo entgegen rollt. Aller¬ dings in der Ferne begrenzen Gebirge die hier oben noch unter Schnee be- grabne Fläche, links hinter einer Reihe prächtig geformter sonnenbestrahlter Berge der gewaltige Stock des Kasbek und seiner Ausläufer und nächsten Vettern, rechts die Parallelketten des Kleinen Kaukasus, der mit der Achalzich- kette bisher die Täter der Quirila und der Kura getrennt hatte und jenseits der aus der Talschlucht von Borshom kommenden Kura wieder ansteigt. Dieser Fluß begleitet uns nun bald links, bald rechts von der Bahn bis Tiflis. Bevor wir noch Michailowo erreichen, bietet sich uns ein wunderschöner Ausblick in das Borshomtal und seine waldbedeckten Abhänge. Dort liegt in nicht allzu großer Entfernung das Bad und die Schlösser der Großfürsten Michail

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/624>, abgerufen am 28.12.2024.