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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Lin deutsches Raiserschloß in Apulien

der Pferde, sondern vor allem der in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrte
berühmte Kodex arte vers-mal c-um, g,vibu8 Suber die Kunst, mit Vögeln zu
jagen), worin sich Friedrich selbst mit einer der heutigen Wissenschaft verwandten
Sachkenntnis über die äußern und die innern Organe der Vögel, die Stellung
der Federn, die Art des Fluges usw. verbreitet. Man weiß, daß er dieses
Buch, dessen Handschrift, mit Anmerkungen von König Manfred versehen, erst
un Jahre 1596 zu Augsburg dem Druck übergeben wurde, in den Muße¬
stunden auf einem seiner Jagdschlösser verfaßte. Die Überlieferung ist geschäftig
gewesen, als Ort der Entstehung dieses Werkes gerade jenes Schloß zu be¬
zeichnen, das als der einzige Bau Friedrichs wohlerhalten bis in unsre Tage
herüberragt.

Etwa drei Stunden von Andria entfernt liegt auf der höchsten Spitze der
^'den, langgestreckten Hügelgruppe 1.6 NurZiö weithin sichtbar ein gelblich
schimmerndes Gebäude, das jedoch viel eher einer Trutzburg als einem heitern,
Wftigen Lustsitze gleicht. Jahrhundertelang hat es da oben verschollen und
^rgessen auf der Höhe gestanden, eine Herberge für Hirten und ihre Herden,
^ friedlich unter den duftenden Kräutern üppig wuchernder Asphodeloswiesen
^u Abhang weideten, aber auch im Verruf als Schlupfwinkel zweifelhaften
^esindels, zu dessen lichtscheuen Handwerk der einsame Ort, seine die Gegend
nngsum beherrschende Lage gar wohl taugen mochte.

Diesem Umstände, viel mehr aber noch der weiten Entfernung andrer mersch-
>cher Ansiedlungen mag das Schloß seine relativ gute Erhaltung verdanken;
cum wer ist dem von Menschenhand Geschaffnen ein schlimmerer Feind als der
Mensch selbst, wenn er gedankenlos und träge aus den großen Ruinen der
Urzeit seine dürftige Hütte errichtet? Im Jahre 1875 hat dann die italienische
Legierung, dem weitern Verfall des einzigartigen Bauwerks zu steuern, es den
ganzlich verarmten Besitzern, der einst in Andria herrschenden Familie Carasfa
für 25000 Lire abgekauft und es zum "Nationaldenkmal" erklärt. Im Jahre
"79 begann man die baufälligen Teile des Schlosses in den ehemaligen
formen so getreu wie möglich wiederherzustellen. Diese Arbeiten haben erst vor
^nig Jahren durch den Architekten Bernich ihre Vollendung gefunden. Als
^>rz darauf Kaiser Wilhelm der Zweite auf einer Mittelmeerreise den einstigen
Prunksitz seines großen Vorgängers besuchte, da wandte sich das Interesse von
äanz Europa dem halb verschollnen Schlosse zu. Man erkannte mit Staunen,
daß Apulien in ihm ein Denkmal des Mittelalters habe, dem weder das übrige
Italien noch Deutschland oder Frankreich aus derselben Zeit etwas ähnliches
an die Seite zu setzen vermöchte.

Aus einem an den Justitiar der Provinz Capitcmata gerichteten Dekret
Friedrichs des Zweiten geht hervor, daß mit der Errichtung des Schlosses
Haftet del Monte, später nach einer kleinen Benediktinerkirche am Fuße des
Berges (^strum Lanotas Uariao cksl Route genannt, im Januar 1240 be¬
gonnen wurde. Trotzdem hält man in dem benachbarten Andria an der alten


Lin deutsches Raiserschloß in Apulien

der Pferde, sondern vor allem der in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrte
berühmte Kodex arte vers-mal c-um, g,vibu8 Suber die Kunst, mit Vögeln zu
jagen), worin sich Friedrich selbst mit einer der heutigen Wissenschaft verwandten
Sachkenntnis über die äußern und die innern Organe der Vögel, die Stellung
der Federn, die Art des Fluges usw. verbreitet. Man weiß, daß er dieses
Buch, dessen Handschrift, mit Anmerkungen von König Manfred versehen, erst
un Jahre 1596 zu Augsburg dem Druck übergeben wurde, in den Muße¬
stunden auf einem seiner Jagdschlösser verfaßte. Die Überlieferung ist geschäftig
gewesen, als Ort der Entstehung dieses Werkes gerade jenes Schloß zu be¬
zeichnen, das als der einzige Bau Friedrichs wohlerhalten bis in unsre Tage
herüberragt.

Etwa drei Stunden von Andria entfernt liegt auf der höchsten Spitze der
^'den, langgestreckten Hügelgruppe 1.6 NurZiö weithin sichtbar ein gelblich
schimmerndes Gebäude, das jedoch viel eher einer Trutzburg als einem heitern,
Wftigen Lustsitze gleicht. Jahrhundertelang hat es da oben verschollen und
^rgessen auf der Höhe gestanden, eine Herberge für Hirten und ihre Herden,
^ friedlich unter den duftenden Kräutern üppig wuchernder Asphodeloswiesen
^u Abhang weideten, aber auch im Verruf als Schlupfwinkel zweifelhaften
^esindels, zu dessen lichtscheuen Handwerk der einsame Ort, seine die Gegend
nngsum beherrschende Lage gar wohl taugen mochte.

Diesem Umstände, viel mehr aber noch der weiten Entfernung andrer mersch-
>cher Ansiedlungen mag das Schloß seine relativ gute Erhaltung verdanken;
cum wer ist dem von Menschenhand Geschaffnen ein schlimmerer Feind als der
Mensch selbst, wenn er gedankenlos und träge aus den großen Ruinen der
Urzeit seine dürftige Hütte errichtet? Im Jahre 1875 hat dann die italienische
Legierung, dem weitern Verfall des einzigartigen Bauwerks zu steuern, es den
ganzlich verarmten Besitzern, der einst in Andria herrschenden Familie Carasfa
für 25000 Lire abgekauft und es zum „Nationaldenkmal" erklärt. Im Jahre
«79 begann man die baufälligen Teile des Schlosses in den ehemaligen
formen so getreu wie möglich wiederherzustellen. Diese Arbeiten haben erst vor
^nig Jahren durch den Architekten Bernich ihre Vollendung gefunden. Als
^>rz darauf Kaiser Wilhelm der Zweite auf einer Mittelmeerreise den einstigen
Prunksitz seines großen Vorgängers besuchte, da wandte sich das Interesse von
äanz Europa dem halb verschollnen Schlosse zu. Man erkannte mit Staunen,
daß Apulien in ihm ein Denkmal des Mittelalters habe, dem weder das übrige
Italien noch Deutschland oder Frankreich aus derselben Zeit etwas ähnliches
an die Seite zu setzen vermöchte.

Aus einem an den Justitiar der Provinz Capitcmata gerichteten Dekret
Friedrichs des Zweiten geht hervor, daß mit der Errichtung des Schlosses
Haftet del Monte, später nach einer kleinen Benediktinerkirche am Fuße des
Berges (^strum Lanotas Uariao cksl Route genannt, im Januar 1240 be¬
gonnen wurde. Trotzdem hält man in dem benachbarten Andria an der alten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/575>, abgerufen am 23.07.2024.