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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung

Sätze auf europäischem Boden ausgetragen werden. Wenn schon der sieben¬
jährige Krieg, so sehr er seinen Ursprung von dem Gegensatze zwischen Preußen
und Österreich nahm, doch eigentlich dadurch angefacht wurde, daß die Funken
des englisch-französischen Seekrieges um Amerika nach Europa übersprangen,
wie viel eher lassen sich ähnliche Lagen zu unsrer Zeit denken, wo uns auch
die fernsten Länder so viel näher gerückt sind, sodaß ein Torpedoschuß, der
in einer Winternacht vor Port Arthur abgefeuert wurde, sich in allen Zentren
des europäischen Verkehrs fühlbar machte.

Weder in der Bedeutung der Seemacht noch in den Formen des Land¬
krieges scheint uns sonach der russisch-japanische Krieg eine neue Ära in der
Kriegführung zu eröffnen. Die Grundsätze Napoleons, die Moltke fortent¬
wickelt hat, behalten nach wie vor ihre Geltung, nur bedürfen sie der Anpassung
an die Stärkeverhältnisse heutiger Heere und an die Wirkung heutiger Feuer¬
waffen. Dieselben Grundbedingungen des Erfolges wie im Kriege 1806 sind
auch noch heute maßgebend. Zwar ein Genie wie Napoleon können, wir nicht
suchten, aber auch hier gilt ein Wort von Clausewitz: ..Was das Genie tut,
muß gerade die schönste Regel sein, und die Theorie kann nichts besseres tun.
"is zu zeigen, wie und warum es so ist." (Vom Kriege, 2. Buch. 2. Kapitel.)
Moltke aber äußerte 1862 (Der italienische Feldzug des Jahres 1859): "Es
gibt Feldherren, die keines Rates bedürfen, die in sich selbst erwägen und
beschließen; ihre Umgebung hat nur auszuführen. Aber das sind Sterne
erster Größe deren kaum jedes Jahrhundert aufzuweisen hat. ^n den aller¬
meisten Fällen wird der Führer eines Heeres des Beirath nicht entbehren
wollen. Dieser kann sehr wohl das Resultat gemeinsamer Erwägung einer
kleinern oder größern Zahl von Männern sein, deren Bildung und Erfahrung
sie vorzugsweise zu einer richtigen Beurteilung befähigt."

Nach diesem Grundsatz ist der Feldmarschall auch später im Kriege ver¬
fahren. Er war sich bewußt, daß sich in den großen Heeren unsrer Zeit die
Einheit des leitenden Gedankens nur bei voller Wahrung der Selbständigkeit
der Unterführer durchsetzen ließ. Diesen Schritt hat Napoleon nicht getan
und daran ist er mit gescheitert. Armeen von der Größe, wie er sie 1812
und 1813 im Felde stehn hatte, ließen sich von einer Stelle Nicht mehr leiten.
Auch dem Genie ist hier eine Grenze seines unmittelbaren Einflusses gesetzt
Nur mittelbar vermag die oberste Heeresleitung einzuwirken, und dafür, daß
sie das mit Erfolg kann, bürgt allein eine einheitliche tüchtige Schulung der
Stäbe, ein Durchdringen aller Führerstellen mit derselben gesunden und großen
Anschauung vom Kriege, wie sie die Japaner nach ihrem eignen Geständnis
von uns entlehnt und nach unsrer Art zur Geltung gebracht haben.

Ein Geschlecht, das sich solchen gesunden Anschauungen abgewandt hatte,
das. wie es 1806 der Fall war. um mit Fichte zu spreche.,. ..den wahrhaftigen
Krieg" verlernt hatte, mußte unterliegen. ..Vielfach haben die Zeitgenossen
- sagt General von der Goltz (a. a. O. S. 7. 8) - die Schuld an der


Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung

Sätze auf europäischem Boden ausgetragen werden. Wenn schon der sieben¬
jährige Krieg, so sehr er seinen Ursprung von dem Gegensatze zwischen Preußen
und Österreich nahm, doch eigentlich dadurch angefacht wurde, daß die Funken
des englisch-französischen Seekrieges um Amerika nach Europa übersprangen,
wie viel eher lassen sich ähnliche Lagen zu unsrer Zeit denken, wo uns auch
die fernsten Länder so viel näher gerückt sind, sodaß ein Torpedoschuß, der
in einer Winternacht vor Port Arthur abgefeuert wurde, sich in allen Zentren
des europäischen Verkehrs fühlbar machte.

Weder in der Bedeutung der Seemacht noch in den Formen des Land¬
krieges scheint uns sonach der russisch-japanische Krieg eine neue Ära in der
Kriegführung zu eröffnen. Die Grundsätze Napoleons, die Moltke fortent¬
wickelt hat, behalten nach wie vor ihre Geltung, nur bedürfen sie der Anpassung
an die Stärkeverhältnisse heutiger Heere und an die Wirkung heutiger Feuer¬
waffen. Dieselben Grundbedingungen des Erfolges wie im Kriege 1806 sind
auch noch heute maßgebend. Zwar ein Genie wie Napoleon können, wir nicht
suchten, aber auch hier gilt ein Wort von Clausewitz: ..Was das Genie tut,
muß gerade die schönste Regel sein, und die Theorie kann nichts besseres tun.
"is zu zeigen, wie und warum es so ist." (Vom Kriege, 2. Buch. 2. Kapitel.)
Moltke aber äußerte 1862 (Der italienische Feldzug des Jahres 1859): „Es
gibt Feldherren, die keines Rates bedürfen, die in sich selbst erwägen und
beschließen; ihre Umgebung hat nur auszuführen. Aber das sind Sterne
erster Größe deren kaum jedes Jahrhundert aufzuweisen hat. ^n den aller¬
meisten Fällen wird der Führer eines Heeres des Beirath nicht entbehren
wollen. Dieser kann sehr wohl das Resultat gemeinsamer Erwägung einer
kleinern oder größern Zahl von Männern sein, deren Bildung und Erfahrung
sie vorzugsweise zu einer richtigen Beurteilung befähigt."

Nach diesem Grundsatz ist der Feldmarschall auch später im Kriege ver¬
fahren. Er war sich bewußt, daß sich in den großen Heeren unsrer Zeit die
Einheit des leitenden Gedankens nur bei voller Wahrung der Selbständigkeit
der Unterführer durchsetzen ließ. Diesen Schritt hat Napoleon nicht getan
und daran ist er mit gescheitert. Armeen von der Größe, wie er sie 1812
und 1813 im Felde stehn hatte, ließen sich von einer Stelle Nicht mehr leiten.
Auch dem Genie ist hier eine Grenze seines unmittelbaren Einflusses gesetzt
Nur mittelbar vermag die oberste Heeresleitung einzuwirken, und dafür, daß
sie das mit Erfolg kann, bürgt allein eine einheitliche tüchtige Schulung der
Stäbe, ein Durchdringen aller Führerstellen mit derselben gesunden und großen
Anschauung vom Kriege, wie sie die Japaner nach ihrem eignen Geständnis
von uns entlehnt und nach unsrer Art zur Geltung gebracht haben.

Ein Geschlecht, das sich solchen gesunden Anschauungen abgewandt hatte,
das. wie es 1806 der Fall war. um mit Fichte zu spreche.,. ..den wahrhaftigen
Krieg" verlernt hatte, mußte unterliegen. ..Vielfach haben die Zeitgenossen
- sagt General von der Goltz (a. a. O. S. 7. 8) - die Schuld an der


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[0561] Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung Sätze auf europäischem Boden ausgetragen werden. Wenn schon der sieben¬ jährige Krieg, so sehr er seinen Ursprung von dem Gegensatze zwischen Preußen und Österreich nahm, doch eigentlich dadurch angefacht wurde, daß die Funken des englisch-französischen Seekrieges um Amerika nach Europa übersprangen, wie viel eher lassen sich ähnliche Lagen zu unsrer Zeit denken, wo uns auch die fernsten Länder so viel näher gerückt sind, sodaß ein Torpedoschuß, der in einer Winternacht vor Port Arthur abgefeuert wurde, sich in allen Zentren des europäischen Verkehrs fühlbar machte. Weder in der Bedeutung der Seemacht noch in den Formen des Land¬ krieges scheint uns sonach der russisch-japanische Krieg eine neue Ära in der Kriegführung zu eröffnen. Die Grundsätze Napoleons, die Moltke fortent¬ wickelt hat, behalten nach wie vor ihre Geltung, nur bedürfen sie der Anpassung an die Stärkeverhältnisse heutiger Heere und an die Wirkung heutiger Feuer¬ waffen. Dieselben Grundbedingungen des Erfolges wie im Kriege 1806 sind auch noch heute maßgebend. Zwar ein Genie wie Napoleon können, wir nicht suchten, aber auch hier gilt ein Wort von Clausewitz: ..Was das Genie tut, muß gerade die schönste Regel sein, und die Theorie kann nichts besseres tun. "is zu zeigen, wie und warum es so ist." (Vom Kriege, 2. Buch. 2. Kapitel.) Moltke aber äußerte 1862 (Der italienische Feldzug des Jahres 1859): „Es gibt Feldherren, die keines Rates bedürfen, die in sich selbst erwägen und beschließen; ihre Umgebung hat nur auszuführen. Aber das sind Sterne erster Größe deren kaum jedes Jahrhundert aufzuweisen hat. ^n den aller¬ meisten Fällen wird der Führer eines Heeres des Beirath nicht entbehren wollen. Dieser kann sehr wohl das Resultat gemeinsamer Erwägung einer kleinern oder größern Zahl von Männern sein, deren Bildung und Erfahrung sie vorzugsweise zu einer richtigen Beurteilung befähigt." Nach diesem Grundsatz ist der Feldmarschall auch später im Kriege ver¬ fahren. Er war sich bewußt, daß sich in den großen Heeren unsrer Zeit die Einheit des leitenden Gedankens nur bei voller Wahrung der Selbständigkeit der Unterführer durchsetzen ließ. Diesen Schritt hat Napoleon nicht getan und daran ist er mit gescheitert. Armeen von der Größe, wie er sie 1812 und 1813 im Felde stehn hatte, ließen sich von einer Stelle Nicht mehr leiten. Auch dem Genie ist hier eine Grenze seines unmittelbaren Einflusses gesetzt Nur mittelbar vermag die oberste Heeresleitung einzuwirken, und dafür, daß sie das mit Erfolg kann, bürgt allein eine einheitliche tüchtige Schulung der Stäbe, ein Durchdringen aller Führerstellen mit derselben gesunden und großen Anschauung vom Kriege, wie sie die Japaner nach ihrem eignen Geständnis von uns entlehnt und nach unsrer Art zur Geltung gebracht haben. Ein Geschlecht, das sich solchen gesunden Anschauungen abgewandt hatte, das. wie es 1806 der Fall war. um mit Fichte zu spreche.,. ..den wahrhaftigen Krieg" verlernt hatte, mußte unterliegen. ..Vielfach haben die Zeitgenossen - sagt General von der Goltz (a. a. O. S. 7. 8) - die Schuld an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/561>, abgerufen am 27.12.2024.