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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung

Heer. Diese Mittel sind das eigentlich Bleibende einer erfolgreichen Krieg¬
führung. Clausewitz sagt (Vom Kriege. Skizzen zum L.Buch, 3. Kapitel L):
"Jede Zeit hat ihre eignen Kriege, ihre eignen beschränkenden Bedingungen,
ihre eigne Befangenheit", und an andrer Stelle (Vom Kriege, 2. Buch,
3. Kapitel): "Der Krieg ist ein Akt des menschlichen Verkehrs, er gehört nicht
in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des
gesellschaftlichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig
löst." Solche Konflikte großer Interessen sind im Laufe der Zeiten aus sehr
verschiednen Anlässen entstanden und haben sich dementsprechend sehr ver¬
schiedenartig geäußert. Auf die Kabinettskriege des achtzehnten Jahrhunderts
folgten solche, die vorzugsweise in nationalen Ausdehnungsbestrebungen und
in ihrer Abwehr sowie in dem Streben nach nationaler Einigung ihren'Grund
hatten. An ihre Stelle traten in der neusten Zeit Kriege, in denen die nationalen
Leidenschaften durch das Vorhandensein wirtschaftlicher Gegensätze entflammt
waren. Schon der große amerikanische Sezessionskrieg hatte seine eigentliche
Wurzel in dem wirtschaftlichen Gegensatz zwischen dem Norden und dem
Süden der Union. Die Frage der Sklavenemanzipation diente nur als Aus¬
hängeschild. Will man darum das Bleibende und Vergängliche in der Führung
eines einzelnen Krieges richtig würdigen, so muß man, um mit Clausewitz an
der zuerst angeführten Stelle zu sprechen, "die Begebenheiten jeder Zeit mit
Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeiten beurteilen, und nur der, welcher nicht
sowohl durch ein ängstliches Studium aller kleinen Verhältnisse als durch
einen treffenden Blick auf die großen sich in jede Zeit versetzt, ist imstande,
die Feldherren derselben zu verstehn und zu würdigen".

Darum müssen wir uns hüten, nicht durch "ein ängstliches Studium aller
kleinen Verhältnisse" des Krieges in der Mandschurei falsche Schlüsse aus dem
eigentümlichen Verlauf dieses Krieges, der sich als ein fortgesetzter großer
Stellungskampf kennzeichnet, auf den voraussichtlichen Verlauf künftiger euro¬
päischer Kriege zu ziehen. Es gilt das auch für die Bedeutung, die der Seemacht
in einem solchen zukommen wird. Daß sie in dem Kampfe um die Vorherrschaft
in Ostasien von ausschlaggebender Bedeutung war, ergab sich einfach daraus, daß
die Operationen zu Lande von Japan nur durchführbar waren, solange es die
nnbestrittne Herrschaft zur See besaß, und daß andrerseits die Vernichtung seiner
letzten Flotte den Kampf für Rußland im Grunde gegenstandlos machte, denn
die Vorherrschaft in Ostasien war ohne Seegeltung nicht aufrecht zu erhalten.
Gewiß ist jeder Staat, der Welthandel treibt, und der eine Weltmachtstellung
erstrebt, zu einer Achtung gebietenden Rüstung zur See genötigt; er darf auf
diesem Gebiet nicht völlig ausscheiden; aber nur England ist vermöge seiner
besondern Verhältnisse in der Lage, fast allein seiner Flottenrüstung zu ver¬
trauen. Ganz abgesehen von der Möglichkeit, daß für die übrigen europäischen
Großmächte immer Verwicklungen rein kontinentaler Natur eintreten können,
ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß überseeische Jnteressengegen-


Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung

Heer. Diese Mittel sind das eigentlich Bleibende einer erfolgreichen Krieg¬
führung. Clausewitz sagt (Vom Kriege. Skizzen zum L.Buch, 3. Kapitel L):
„Jede Zeit hat ihre eignen Kriege, ihre eignen beschränkenden Bedingungen,
ihre eigne Befangenheit", und an andrer Stelle (Vom Kriege, 2. Buch,
3. Kapitel): „Der Krieg ist ein Akt des menschlichen Verkehrs, er gehört nicht
in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des
gesellschaftlichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig
löst." Solche Konflikte großer Interessen sind im Laufe der Zeiten aus sehr
verschiednen Anlässen entstanden und haben sich dementsprechend sehr ver¬
schiedenartig geäußert. Auf die Kabinettskriege des achtzehnten Jahrhunderts
folgten solche, die vorzugsweise in nationalen Ausdehnungsbestrebungen und
in ihrer Abwehr sowie in dem Streben nach nationaler Einigung ihren'Grund
hatten. An ihre Stelle traten in der neusten Zeit Kriege, in denen die nationalen
Leidenschaften durch das Vorhandensein wirtschaftlicher Gegensätze entflammt
waren. Schon der große amerikanische Sezessionskrieg hatte seine eigentliche
Wurzel in dem wirtschaftlichen Gegensatz zwischen dem Norden und dem
Süden der Union. Die Frage der Sklavenemanzipation diente nur als Aus¬
hängeschild. Will man darum das Bleibende und Vergängliche in der Führung
eines einzelnen Krieges richtig würdigen, so muß man, um mit Clausewitz an
der zuerst angeführten Stelle zu sprechen, „die Begebenheiten jeder Zeit mit
Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeiten beurteilen, und nur der, welcher nicht
sowohl durch ein ängstliches Studium aller kleinen Verhältnisse als durch
einen treffenden Blick auf die großen sich in jede Zeit versetzt, ist imstande,
die Feldherren derselben zu verstehn und zu würdigen".

Darum müssen wir uns hüten, nicht durch „ein ängstliches Studium aller
kleinen Verhältnisse" des Krieges in der Mandschurei falsche Schlüsse aus dem
eigentümlichen Verlauf dieses Krieges, der sich als ein fortgesetzter großer
Stellungskampf kennzeichnet, auf den voraussichtlichen Verlauf künftiger euro¬
päischer Kriege zu ziehen. Es gilt das auch für die Bedeutung, die der Seemacht
in einem solchen zukommen wird. Daß sie in dem Kampfe um die Vorherrschaft
in Ostasien von ausschlaggebender Bedeutung war, ergab sich einfach daraus, daß
die Operationen zu Lande von Japan nur durchführbar waren, solange es die
nnbestrittne Herrschaft zur See besaß, und daß andrerseits die Vernichtung seiner
letzten Flotte den Kampf für Rußland im Grunde gegenstandlos machte, denn
die Vorherrschaft in Ostasien war ohne Seegeltung nicht aufrecht zu erhalten.
Gewiß ist jeder Staat, der Welthandel treibt, und der eine Weltmachtstellung
erstrebt, zu einer Achtung gebietenden Rüstung zur See genötigt; er darf auf
diesem Gebiet nicht völlig ausscheiden; aber nur England ist vermöge seiner
besondern Verhältnisse in der Lage, fast allein seiner Flottenrüstung zu ver¬
trauen. Ganz abgesehen von der Möglichkeit, daß für die übrigen europäischen
Großmächte immer Verwicklungen rein kontinentaler Natur eintreten können,
ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß überseeische Jnteressengegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/560>, abgerufen am 25.08.2024.