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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Den schönen schwedischen Grafen sehe ich oft. Sage Harry das. Niemand
kann mir genau sagen, wieviele Meilen es von London nach Alnwick sind, obgleich
ich viele danach gefragt habe.

Amelici sind zwei Backenzähne ausgezogen worden. Sie sagt, es hätte grimmig
weh getan, und ich habe ihr selbst den Kopf gehalten.

Hier ist eine Locke von meinem Haar, liebe Mistreß Anna. Zeige Harry,
wie dunkel das Haar seit dem Sommer geworden ist.


Ich bin, liebe Mistreß Anna, deine getreue und dir gewogne Herrin
Elizabeth de Percy.

Die alte Anna wußte Wohl, für wen die kleine, braunrote Haarlocke bestimmt
war, aber als sie ihr zum erstenmal abgefordert wurde, hielt sie doch tapfer stand,
sprach von dem ersten Gebot und von tus Learlst vous-n und von einem Götzen¬
dienst, der schlimmer sein könne als der der Papisten. Aber noch am Nachmittag
desselben Tages ruhte, dessen ungeachtet, die umstrittne Reliquie auf Henry Percys
Herzen. Aber als sie schrieb, erzählte Mistreß Anna Lady Elizabeth nichts weiter
von Monsieur Harry, als daß er gesund aussähe und -- dem Herrn sei Lob und
Dank! -- einen gehörigen Appetit habe. Aber seit dieser Zeit hatte Lady Eliza¬
beth nicht wieder geschrieben.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

(Die Pforte und Bulgarien. Die Presse über den an¬
Reichsspiegel.

geblichen Amerikawunsch des Kaisers. Herr Clemencean in Berlin, it kaut s,voir
vu ys,. Oberst von Deimling und die kapitolinischen Gänse Berlins. Exzellenz
Dernburg.)

Die Situation auf der Balkanhalbtnsel hat in der letzten Zeit ein ernsteres
Aussehen sowohl durch den bulgarisch-türkischen Gegensatz als durch die griechen¬
feindlichen Ausschreitungen der bulgarischen Bevölkerung erhalten. In beiden Fällen
ist es Bulgarien, das die Befürchtung erweckt, der bekannten Bismarckischen Warnung
ungeachtet "das Streichholz" sein zu wollen, das die so leicht entzündbaren Balkan¬
fragen in Brand setzt. Man braucht dabei die Reibereien der Gebirgsbevölkerung
nicht zu überschätzen. Oft liegen ihnen Räubereien einer Menschenklasse zugrunde,
die überhaupt keinen Herrn anerkennen und sich keinem Gesetz unterordnen will.
Bismarck hat im Jahre 1882 diese Gebirgsbevölkerungen dahin charakterisiert, daß
sie von jeher die Neigung hätten, sich gegen die bei ihnen herrschende Regierung
zu insurgieren, "weil sie eine staatliche Ordnung wegen der Hindernisse, die sie dem
Räuberleben bereitet, überhaupt nicht lieben". Die bulgarisch-türkischen Grenzkonflikte
der neuern Zeit haben jedoch ein ernsteres Aussehen dadurch erhalten, daß reguläres
bulgarisches Militär gegen türkische Truppen kämpft, und daß die bulgarische Re¬
gierung diesen Ausschreitungen durch Anhäufung von Truppen an der Grenze "zu
Manöverzwecken" einen eigentümlichen Hintergrund gibt. Der Umstand, daß Bulgarien
nächst Rumänien dort die stärkste und am besten organisierte Armee unterhält, fällt
dabei ebenso in das Gewicht wie die besondre staatsrechtliche Stellung des Fürsten
dem Sultan gegenüber. Nach dem Berliner Vertrage ist der Sultan der Suzerän
des Fürsten von Bulgarien, der der Anerkennung und der Bestätigung des Sultans
bedarf. Für Ostrumelien dagegen gilt er der Hohen Pforte einfach als "Vali",


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Den schönen schwedischen Grafen sehe ich oft. Sage Harry das. Niemand
kann mir genau sagen, wieviele Meilen es von London nach Alnwick sind, obgleich
ich viele danach gefragt habe.

Amelici sind zwei Backenzähne ausgezogen worden. Sie sagt, es hätte grimmig
weh getan, und ich habe ihr selbst den Kopf gehalten.

Hier ist eine Locke von meinem Haar, liebe Mistreß Anna. Zeige Harry,
wie dunkel das Haar seit dem Sommer geworden ist.


Ich bin, liebe Mistreß Anna, deine getreue und dir gewogne Herrin
Elizabeth de Percy.

Die alte Anna wußte Wohl, für wen die kleine, braunrote Haarlocke bestimmt
war, aber als sie ihr zum erstenmal abgefordert wurde, hielt sie doch tapfer stand,
sprach von dem ersten Gebot und von tus Learlst vous-n und von einem Götzen¬
dienst, der schlimmer sein könne als der der Papisten. Aber noch am Nachmittag
desselben Tages ruhte, dessen ungeachtet, die umstrittne Reliquie auf Henry Percys
Herzen. Aber als sie schrieb, erzählte Mistreß Anna Lady Elizabeth nichts weiter
von Monsieur Harry, als daß er gesund aussähe und — dem Herrn sei Lob und
Dank! — einen gehörigen Appetit habe. Aber seit dieser Zeit hatte Lady Eliza¬
beth nicht wieder geschrieben.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

(Die Pforte und Bulgarien. Die Presse über den an¬
Reichsspiegel.

geblichen Amerikawunsch des Kaisers. Herr Clemencean in Berlin, it kaut s,voir
vu ys,. Oberst von Deimling und die kapitolinischen Gänse Berlins. Exzellenz
Dernburg.)

Die Situation auf der Balkanhalbtnsel hat in der letzten Zeit ein ernsteres
Aussehen sowohl durch den bulgarisch-türkischen Gegensatz als durch die griechen¬
feindlichen Ausschreitungen der bulgarischen Bevölkerung erhalten. In beiden Fällen
ist es Bulgarien, das die Befürchtung erweckt, der bekannten Bismarckischen Warnung
ungeachtet „das Streichholz" sein zu wollen, das die so leicht entzündbaren Balkan¬
fragen in Brand setzt. Man braucht dabei die Reibereien der Gebirgsbevölkerung
nicht zu überschätzen. Oft liegen ihnen Räubereien einer Menschenklasse zugrunde,
die überhaupt keinen Herrn anerkennen und sich keinem Gesetz unterordnen will.
Bismarck hat im Jahre 1882 diese Gebirgsbevölkerungen dahin charakterisiert, daß
sie von jeher die Neigung hätten, sich gegen die bei ihnen herrschende Regierung
zu insurgieren, „weil sie eine staatliche Ordnung wegen der Hindernisse, die sie dem
Räuberleben bereitet, überhaupt nicht lieben". Die bulgarisch-türkischen Grenzkonflikte
der neuern Zeit haben jedoch ein ernsteres Aussehen dadurch erhalten, daß reguläres
bulgarisches Militär gegen türkische Truppen kämpft, und daß die bulgarische Re¬
gierung diesen Ausschreitungen durch Anhäufung von Truppen an der Grenze „zu
Manöverzwecken" einen eigentümlichen Hintergrund gibt. Der Umstand, daß Bulgarien
nächst Rumänien dort die stärkste und am besten organisierte Armee unterhält, fällt
dabei ebenso in das Gewicht wie die besondre staatsrechtliche Stellung des Fürsten
dem Sultan gegenüber. Nach dem Berliner Vertrage ist der Sultan der Suzerän
des Fürsten von Bulgarien, der der Anerkennung und der Bestätigung des Sultans
bedarf. Für Ostrumelien dagegen gilt er der Hohen Pforte einfach als „Vali",


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[0538] Maßgebliches und Unmaßgebliches Den schönen schwedischen Grafen sehe ich oft. Sage Harry das. Niemand kann mir genau sagen, wieviele Meilen es von London nach Alnwick sind, obgleich ich viele danach gefragt habe. Amelici sind zwei Backenzähne ausgezogen worden. Sie sagt, es hätte grimmig weh getan, und ich habe ihr selbst den Kopf gehalten. Hier ist eine Locke von meinem Haar, liebe Mistreß Anna. Zeige Harry, wie dunkel das Haar seit dem Sommer geworden ist. Ich bin, liebe Mistreß Anna, deine getreue und dir gewogne Herrin Elizabeth de Percy. Die alte Anna wußte Wohl, für wen die kleine, braunrote Haarlocke bestimmt war, aber als sie ihr zum erstenmal abgefordert wurde, hielt sie doch tapfer stand, sprach von dem ersten Gebot und von tus Learlst vous-n und von einem Götzen¬ dienst, der schlimmer sein könne als der der Papisten. Aber noch am Nachmittag desselben Tages ruhte, dessen ungeachtet, die umstrittne Reliquie auf Henry Percys Herzen. Aber als sie schrieb, erzählte Mistreß Anna Lady Elizabeth nichts weiter von Monsieur Harry, als daß er gesund aussähe und — dem Herrn sei Lob und Dank! — einen gehörigen Appetit habe. Aber seit dieser Zeit hatte Lady Eliza¬ beth nicht wieder geschrieben. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches (Die Pforte und Bulgarien. Die Presse über den an¬ Reichsspiegel. geblichen Amerikawunsch des Kaisers. Herr Clemencean in Berlin, it kaut s,voir vu ys,. Oberst von Deimling und die kapitolinischen Gänse Berlins. Exzellenz Dernburg.) Die Situation auf der Balkanhalbtnsel hat in der letzten Zeit ein ernsteres Aussehen sowohl durch den bulgarisch-türkischen Gegensatz als durch die griechen¬ feindlichen Ausschreitungen der bulgarischen Bevölkerung erhalten. In beiden Fällen ist es Bulgarien, das die Befürchtung erweckt, der bekannten Bismarckischen Warnung ungeachtet „das Streichholz" sein zu wollen, das die so leicht entzündbaren Balkan¬ fragen in Brand setzt. Man braucht dabei die Reibereien der Gebirgsbevölkerung nicht zu überschätzen. Oft liegen ihnen Räubereien einer Menschenklasse zugrunde, die überhaupt keinen Herrn anerkennen und sich keinem Gesetz unterordnen will. Bismarck hat im Jahre 1882 diese Gebirgsbevölkerungen dahin charakterisiert, daß sie von jeher die Neigung hätten, sich gegen die bei ihnen herrschende Regierung zu insurgieren, „weil sie eine staatliche Ordnung wegen der Hindernisse, die sie dem Räuberleben bereitet, überhaupt nicht lieben". Die bulgarisch-türkischen Grenzkonflikte der neuern Zeit haben jedoch ein ernsteres Aussehen dadurch erhalten, daß reguläres bulgarisches Militär gegen türkische Truppen kämpft, und daß die bulgarische Re¬ gierung diesen Ausschreitungen durch Anhäufung von Truppen an der Grenze „zu Manöverzwecken" einen eigentümlichen Hintergrund gibt. Der Umstand, daß Bulgarien nächst Rumänien dort die stärkste und am besten organisierte Armee unterhält, fällt dabei ebenso in das Gewicht wie die besondre staatsrechtliche Stellung des Fürsten dem Sultan gegenüber. Nach dem Berliner Vertrage ist der Sultan der Suzerän des Fürsten von Bulgarien, der der Anerkennung und der Bestätigung des Sultans bedarf. Für Ostrumelien dagegen gilt er der Hohen Pforte einfach als „Vali",

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/538>, abgerufen am 27.12.2024.