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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Das neue Exerzierreglement für die Infanterie

Japaner haben ihrer Ausbildung eingestandnermaßen die Grundsätze des
deutschen Reglements zugrunde gelegt, und diese haben sich mit ihrer Freiheit
von jedem Schematismus in den Händen des allerdings militärisch hoch be¬
gabten japanischen Volkes glänzend bewährt. Der ostasiatische Krieg hat
wieder den Beweis geliefert, daß der Angriff auch heute noch die einzige zur
Entscheidung drängende und führende Form des Kampfes ist, und daß er für
eine gut ausgebildete, gut schießende und vor allem von dem Willen zum
Siege beseelte Armee noch ebenso gut möglich ist wie zur Zeit Friedrichs
des Großen oder Napoleons. Allerdings weicht der Verlauf eines solchen
Kampfes weit von dem ab, was noch der Feldzug von 1870/71 gezeigt hat.
Das Gefecht stellt heute viel größere Anforderungen an die untern Führer
und an den einzelnen Mann. Diese Entwicklung der Kampfesweise ist die folge¬
richtige Fortsetzung der Entwicklung der Kampfesweise in den letzten andert¬
halb Jahrhunderten. Friedrich der Große kommandierte seine Schlachten bis
ins einzelne selbst, er setzte jedes Bataillon selbst an, die Generale waren in
der Schlacht nicht mehr als Führer solcher Bataillone und streng an die Aus¬
führung der gegebnen Dispositionen gebunden, der einzelne Soldat war nur
Maschine; nur ganz ausnahmsweise, zum Beispiel bei Torgau, hat der große
König größere Teile des Heeres unter das einheitliche Kommando eines Generals
gestellt und zur selbständigen Lösung eines Auftrags verwandt. Die Schlachten
Friedrichs des Großen suchen darum die Ebne, das offne freie Gelände auf, wo
der Feldherr sein Heer übersehen und einheitlich leiten konnte. Was unter dem
Könige die Ausnahme gewesen war, wurde in den Revolutionskriegen und zur Zeit
Napoleons die Regel: die Heere wurden zum einheitlichen Kommando zu groß,
das Gelände begann seinen zwingenden Einfluß auszuüben: während der eine
Teil des Heeres in der Ebne kämpfte, mußte sich ein andrer mit Wäldern,
Ortschaften und hügligen Boden abfinden. Das nötigte dazu, die Front
des Heeres zu teilen, jedem Teile konnte nicht mehr ein bindender Befehl
gegeben werden, sondern an dessen Stelle trat ein Auftrag, der das zu er¬
reichende Ziel angab, die Wahl der Mittel aber dem Führer überließ. Dazu
gehörte aber weiter, daß dem Führer eines solchen Teils für den Verlauf
des Gefechts, der nun gar nicht voraus zu übersehen war, alle Waffen¬
gattungen, die er brauchen konnte, Infanterie, Kavallerie, Artillerie, technische
Truppen und schließlich auch Trains und Kolonnen, mitgegeben wurden. So
entstand die Division und aus der Zusammeufcissung mehrerer Divisionen zu
einem größern Heereskörper das Armeekorps.

Mit dem weitern Anwachsen der Heere infolge der allgemeinen Wehrpflicht
wuchs die Bedeutung der Selbständigkeit dieser Hceresteile und ihrer Führer.
Napoleon, der diese Organisation der Massenheere, der 6ro8 bataillons, zu einem
gefügigen Werkzeuge geschaffen hatte, mußte es selbst erleben, daß ihm die
Erziehung seiner Marschälle zu wirklichen Feldherren nicht gelungen war. Sie
waren "Schlachtenmarschälle" und als solche befähigt, in der Schlacht ihre


Das neue Exerzierreglement für die Infanterie

Japaner haben ihrer Ausbildung eingestandnermaßen die Grundsätze des
deutschen Reglements zugrunde gelegt, und diese haben sich mit ihrer Freiheit
von jedem Schematismus in den Händen des allerdings militärisch hoch be¬
gabten japanischen Volkes glänzend bewährt. Der ostasiatische Krieg hat
wieder den Beweis geliefert, daß der Angriff auch heute noch die einzige zur
Entscheidung drängende und führende Form des Kampfes ist, und daß er für
eine gut ausgebildete, gut schießende und vor allem von dem Willen zum
Siege beseelte Armee noch ebenso gut möglich ist wie zur Zeit Friedrichs
des Großen oder Napoleons. Allerdings weicht der Verlauf eines solchen
Kampfes weit von dem ab, was noch der Feldzug von 1870/71 gezeigt hat.
Das Gefecht stellt heute viel größere Anforderungen an die untern Führer
und an den einzelnen Mann. Diese Entwicklung der Kampfesweise ist die folge¬
richtige Fortsetzung der Entwicklung der Kampfesweise in den letzten andert¬
halb Jahrhunderten. Friedrich der Große kommandierte seine Schlachten bis
ins einzelne selbst, er setzte jedes Bataillon selbst an, die Generale waren in
der Schlacht nicht mehr als Führer solcher Bataillone und streng an die Aus¬
führung der gegebnen Dispositionen gebunden, der einzelne Soldat war nur
Maschine; nur ganz ausnahmsweise, zum Beispiel bei Torgau, hat der große
König größere Teile des Heeres unter das einheitliche Kommando eines Generals
gestellt und zur selbständigen Lösung eines Auftrags verwandt. Die Schlachten
Friedrichs des Großen suchen darum die Ebne, das offne freie Gelände auf, wo
der Feldherr sein Heer übersehen und einheitlich leiten konnte. Was unter dem
Könige die Ausnahme gewesen war, wurde in den Revolutionskriegen und zur Zeit
Napoleons die Regel: die Heere wurden zum einheitlichen Kommando zu groß,
das Gelände begann seinen zwingenden Einfluß auszuüben: während der eine
Teil des Heeres in der Ebne kämpfte, mußte sich ein andrer mit Wäldern,
Ortschaften und hügligen Boden abfinden. Das nötigte dazu, die Front
des Heeres zu teilen, jedem Teile konnte nicht mehr ein bindender Befehl
gegeben werden, sondern an dessen Stelle trat ein Auftrag, der das zu er¬
reichende Ziel angab, die Wahl der Mittel aber dem Führer überließ. Dazu
gehörte aber weiter, daß dem Führer eines solchen Teils für den Verlauf
des Gefechts, der nun gar nicht voraus zu übersehen war, alle Waffen¬
gattungen, die er brauchen konnte, Infanterie, Kavallerie, Artillerie, technische
Truppen und schließlich auch Trains und Kolonnen, mitgegeben wurden. So
entstand die Division und aus der Zusammeufcissung mehrerer Divisionen zu
einem größern Heereskörper das Armeekorps.

Mit dem weitern Anwachsen der Heere infolge der allgemeinen Wehrpflicht
wuchs die Bedeutung der Selbständigkeit dieser Hceresteile und ihrer Führer.
Napoleon, der diese Organisation der Massenheere, der 6ro8 bataillons, zu einem
gefügigen Werkzeuge geschaffen hatte, mußte es selbst erleben, daß ihm die
Erziehung seiner Marschälle zu wirklichen Feldherren nicht gelungen war. Sie
waren „Schlachtenmarschälle" und als solche befähigt, in der Schlacht ihre


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[0501] Das neue Exerzierreglement für die Infanterie Japaner haben ihrer Ausbildung eingestandnermaßen die Grundsätze des deutschen Reglements zugrunde gelegt, und diese haben sich mit ihrer Freiheit von jedem Schematismus in den Händen des allerdings militärisch hoch be¬ gabten japanischen Volkes glänzend bewährt. Der ostasiatische Krieg hat wieder den Beweis geliefert, daß der Angriff auch heute noch die einzige zur Entscheidung drängende und führende Form des Kampfes ist, und daß er für eine gut ausgebildete, gut schießende und vor allem von dem Willen zum Siege beseelte Armee noch ebenso gut möglich ist wie zur Zeit Friedrichs des Großen oder Napoleons. Allerdings weicht der Verlauf eines solchen Kampfes weit von dem ab, was noch der Feldzug von 1870/71 gezeigt hat. Das Gefecht stellt heute viel größere Anforderungen an die untern Führer und an den einzelnen Mann. Diese Entwicklung der Kampfesweise ist die folge¬ richtige Fortsetzung der Entwicklung der Kampfesweise in den letzten andert¬ halb Jahrhunderten. Friedrich der Große kommandierte seine Schlachten bis ins einzelne selbst, er setzte jedes Bataillon selbst an, die Generale waren in der Schlacht nicht mehr als Führer solcher Bataillone und streng an die Aus¬ führung der gegebnen Dispositionen gebunden, der einzelne Soldat war nur Maschine; nur ganz ausnahmsweise, zum Beispiel bei Torgau, hat der große König größere Teile des Heeres unter das einheitliche Kommando eines Generals gestellt und zur selbständigen Lösung eines Auftrags verwandt. Die Schlachten Friedrichs des Großen suchen darum die Ebne, das offne freie Gelände auf, wo der Feldherr sein Heer übersehen und einheitlich leiten konnte. Was unter dem Könige die Ausnahme gewesen war, wurde in den Revolutionskriegen und zur Zeit Napoleons die Regel: die Heere wurden zum einheitlichen Kommando zu groß, das Gelände begann seinen zwingenden Einfluß auszuüben: während der eine Teil des Heeres in der Ebne kämpfte, mußte sich ein andrer mit Wäldern, Ortschaften und hügligen Boden abfinden. Das nötigte dazu, die Front des Heeres zu teilen, jedem Teile konnte nicht mehr ein bindender Befehl gegeben werden, sondern an dessen Stelle trat ein Auftrag, der das zu er¬ reichende Ziel angab, die Wahl der Mittel aber dem Führer überließ. Dazu gehörte aber weiter, daß dem Führer eines solchen Teils für den Verlauf des Gefechts, der nun gar nicht voraus zu übersehen war, alle Waffen¬ gattungen, die er brauchen konnte, Infanterie, Kavallerie, Artillerie, technische Truppen und schließlich auch Trains und Kolonnen, mitgegeben wurden. So entstand die Division und aus der Zusammeufcissung mehrerer Divisionen zu einem größern Heereskörper das Armeekorps. Mit dem weitern Anwachsen der Heere infolge der allgemeinen Wehrpflicht wuchs die Bedeutung der Selbständigkeit dieser Hceresteile und ihrer Führer. Napoleon, der diese Organisation der Massenheere, der 6ro8 bataillons, zu einem gefügigen Werkzeuge geschaffen hatte, mußte es selbst erleben, daß ihm die Erziehung seiner Marschälle zu wirklichen Feldherren nicht gelungen war. Sie waren „Schlachtenmarschälle" und als solche befähigt, in der Schlacht ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/501>, abgerufen am 23.07.2024.