Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Landschaftsbilder von der Küste Norwegens In dem feinsten Teil des Städtchens war im Schutz eines durch seine Der Schluß dieses Tages soll uns nach dem Programm den Anblick der Landschaftsbilder von der Küste Norwegens In dem feinsten Teil des Städtchens war im Schutz eines durch seine Der Schluß dieses Tages soll uns nach dem Programm den Anblick der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300267"/> <fw type="header" place="top"> Landschaftsbilder von der Küste Norwegens</fw><lb/> <p xml:id="ID_1797"> In dem feinsten Teil des Städtchens war im Schutz eines durch seine<lb/> großen Fenster auffallenden Hauses ein kleiner, sehr sauber gepflegter Garten,<lb/> darin waren eben (am 2. Juli) die Hyazinthen, und wenn ich mich nicht sehr<lb/> täusche, die Tulpen im Abblühen. Dementsprechend gab uns der Gang nach<lb/> der Meridiansüule auch ganz den Eindruck des Osterspaziergangs im Faust;<lb/> ganz Hammerfest war unterwegs und sonnte sich bis hinunter zu den Kindern,<lb/> die ihrem zweiten Lenz entgegengingen, und die hier in der Heimat des Leber-<lb/> trcms so krummbeinig daherkamen wie nur irgendwo in einer Fabrikstadt.<lb/> Die Meridiansänle, die zum Andenken an den Abschluß der europäischen Grad¬<lb/> messung errichtet worden ist, steht auf einer kleinen Landzunge mit prächtiger<lb/> Aussicht; ihre Umgebung hat noch ganz den Reiz der Ursprünglichkeit, und<lb/> zu ihren Füßen blühte massenhaft unser Löwenzahn, aber mit stengellosen, sich<lb/> kaum vom Boden abhebenden Blüten. Ich freute mich schou über die Entdeckung<lb/> dieser nordischen Form, als ich in einem umzäunten Grasplatz in der nächsten<lb/> Nähe das schöne Unkraut wahre Orgien feiern sah mit Blütenköpfen und<lb/> Stengeln so üppig wie nur je bei uns; bald entdeckte ich auch in einigen<lb/> Ziegen, die sich ohne weitere Umstände an der in der Geschichte der Wissenschaft<lb/> so berühmten Stelle herumtrieben, die unbewußten Züchter meiner nordischen<lb/> Varietät von lÄraxavum I^sontoxoäiam!</p><lb/> <p xml:id="ID_1798" next="#ID_1799"> Der Schluß dieses Tages soll uns nach dem Programm den Anblick der<lb/> Mitternachtssonne bringen! Niemand hat mehr für etwas andres Sinn, man<lb/> liest nicht einmal mehr im Führer nach oder in dem angeschlagnen Tages¬<lb/> programm. Bis jetzt hatte „Det Bergenske und Nordenfjeldske Dampskibsselskab"<lb/> ihre Versprechungen glücklich eingelöst, wird sie uns auch die Mitternachts¬<lb/> sonne vorführen? Immer ungeduldiger werden die großen Kinder, plötzlich<lb/> sehen wir mit Erstaunen, daß das Schiff gerade auf einen großen Felsen zu¬<lb/> hält, der beim Nüherkommeu ganz weiß aussieht. Plötzlich ertönt ein Kanonen¬<lb/> schuß, und die Dampfpfeife macht einen ohrenzerreißenden Lärm, daß sich sogar<lb/> die Amerikaner aus ihren Schaukelstühlen erheben. Was vor uns liegt, ist<lb/> einer der berühmtesten Vogelberge des Nordens, der Hjelmsöstauren, von dem<lb/> sich jetzt Tausende und Abertausende von Vögeln kreischend und mit den<lb/> Flügeln schlagend erheben. Vielleicht noch mehr von den Vögeln bleiben sitzen,<lb/> aber wenn die weißen Vögel auch alle aufgeflattert wären, der Felsen wäre<lb/> doch weiß geblieben. Nachdem die nötigen Photographien gemacht worden<lb/> waren, dampften wir weiter; es dauert uicht lange, so kommen die Matrosen<lb/> mit sonderbarem Gerät daher und bändigen jedem Reisenden, Männlein und<lb/> Weiblein, ein Stück aus. Es sind Dinger wie große Kleiderbügel, aber von<lb/> Eisen, und an jedem hängt an einer meterlangen Schnur ein starker Angel¬<lb/> haken, und um jeden Zweifel zu beheben, gehört zu jedem Stück auch noch<lb/> ein großer Haspel mit Leine. Wir nähern uns einer der reichen Fischbänke,<lb/> die der Norweger „Fischberge" nennt, und von denen behauptet wird, daß sich<lb/> die Fischschwärme dort manchmal so drängen, daß sie für das Senkblei ein<lb/> Hindernis abgeben. So arg war es nun gerade nicht, als wir der Amphitrite</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0480]
Landschaftsbilder von der Küste Norwegens
In dem feinsten Teil des Städtchens war im Schutz eines durch seine
großen Fenster auffallenden Hauses ein kleiner, sehr sauber gepflegter Garten,
darin waren eben (am 2. Juli) die Hyazinthen, und wenn ich mich nicht sehr
täusche, die Tulpen im Abblühen. Dementsprechend gab uns der Gang nach
der Meridiansüule auch ganz den Eindruck des Osterspaziergangs im Faust;
ganz Hammerfest war unterwegs und sonnte sich bis hinunter zu den Kindern,
die ihrem zweiten Lenz entgegengingen, und die hier in der Heimat des Leber-
trcms so krummbeinig daherkamen wie nur irgendwo in einer Fabrikstadt.
Die Meridiansänle, die zum Andenken an den Abschluß der europäischen Grad¬
messung errichtet worden ist, steht auf einer kleinen Landzunge mit prächtiger
Aussicht; ihre Umgebung hat noch ganz den Reiz der Ursprünglichkeit, und
zu ihren Füßen blühte massenhaft unser Löwenzahn, aber mit stengellosen, sich
kaum vom Boden abhebenden Blüten. Ich freute mich schou über die Entdeckung
dieser nordischen Form, als ich in einem umzäunten Grasplatz in der nächsten
Nähe das schöne Unkraut wahre Orgien feiern sah mit Blütenköpfen und
Stengeln so üppig wie nur je bei uns; bald entdeckte ich auch in einigen
Ziegen, die sich ohne weitere Umstände an der in der Geschichte der Wissenschaft
so berühmten Stelle herumtrieben, die unbewußten Züchter meiner nordischen
Varietät von lÄraxavum I^sontoxoäiam!
Der Schluß dieses Tages soll uns nach dem Programm den Anblick der
Mitternachtssonne bringen! Niemand hat mehr für etwas andres Sinn, man
liest nicht einmal mehr im Führer nach oder in dem angeschlagnen Tages¬
programm. Bis jetzt hatte „Det Bergenske und Nordenfjeldske Dampskibsselskab"
ihre Versprechungen glücklich eingelöst, wird sie uns auch die Mitternachts¬
sonne vorführen? Immer ungeduldiger werden die großen Kinder, plötzlich
sehen wir mit Erstaunen, daß das Schiff gerade auf einen großen Felsen zu¬
hält, der beim Nüherkommeu ganz weiß aussieht. Plötzlich ertönt ein Kanonen¬
schuß, und die Dampfpfeife macht einen ohrenzerreißenden Lärm, daß sich sogar
die Amerikaner aus ihren Schaukelstühlen erheben. Was vor uns liegt, ist
einer der berühmtesten Vogelberge des Nordens, der Hjelmsöstauren, von dem
sich jetzt Tausende und Abertausende von Vögeln kreischend und mit den
Flügeln schlagend erheben. Vielleicht noch mehr von den Vögeln bleiben sitzen,
aber wenn die weißen Vögel auch alle aufgeflattert wären, der Felsen wäre
doch weiß geblieben. Nachdem die nötigen Photographien gemacht worden
waren, dampften wir weiter; es dauert uicht lange, so kommen die Matrosen
mit sonderbarem Gerät daher und bändigen jedem Reisenden, Männlein und
Weiblein, ein Stück aus. Es sind Dinger wie große Kleiderbügel, aber von
Eisen, und an jedem hängt an einer meterlangen Schnur ein starker Angel¬
haken, und um jeden Zweifel zu beheben, gehört zu jedem Stück auch noch
ein großer Haspel mit Leine. Wir nähern uns einer der reichen Fischbänke,
die der Norweger „Fischberge" nennt, und von denen behauptet wird, daß sich
die Fischschwärme dort manchmal so drängen, daß sie für das Senkblei ein
Hindernis abgeben. So arg war es nun gerade nicht, als wir der Amphitrite
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