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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Landschaftsbilder von der Uüste Norwegens

stengligen, feurigen roten Blüten und eine Eisenbrechart, die unsrer Laxitr^a
^ixocm aufs Tüpfelchen ähnlich sieht.

Wir besteigen unser Schiff, und nach vierundzwanzigstündiger, ununter-
brochner Fahrt längs der Schnee- und eisbedeckten steilen Gebirgswand landen
wir in Tromsö, einer Stadt von 7000 Einwohnern, der nördlichsten größer"
Stadt der Erde. Da unser Dampfer erst der zweite Vergnügungsdmnpfer
dieser Fremdensaison war, so erwartete ich, daß ganz Tromsö auf den Beinen
sein werde, und daß es sich namentlich das schönere Geschlecht nicht werde
entgehn lassen, an der zu erwartenden internationalen Damengesellschaft die
neueste Mode zu studieren.

Und wer kam? Ein halbes Dutzend Buben, hinter ihnen gemessenen
Schrittes, offenbar in Geschäften, einige Schiffskapitäne und dann ein Rudel
Lappländer, die uns ihre geschnitzten Löffel und Messer usw. verkaufen wollten,
sonst niemand. Die Stadt Tromsö mit ihren sich rechtwinklig kreuzenden
breiten Straßen und durchweg neuen Holzhäusern ohne jede Spur von
charakteristischer Verzierung macht einen entsprechend langweiligen Eindruck,
der noch gesteigert wurde durch das trübe Wetter, das von der landschaft¬
lichen Umgebung fast nichts sehen ließ. Um so interessanter ist das arktische
Museum und der davor liegende botanische Garten, worin eine Reihe Ranunkel¬
gewächse, auch ein gelber Mohn üppig blühten. In seiner nächsten Umgebung
traf ich an einem Büchlein das hier wilde fast mannshohe Ssmolsum 8ibiriaouin
mit seinen kühn gezeichneten Blättern und stattlichen Blütenschirmen, einen
wahren Riesen unter der sonst ziemlich ärmlichen Pflanzenwelt. In den
Hauptsülen des arktischen Museums war in prachtvollen Exemplaren die ganze
See- und Landtierwelt der Polarzone ausgestellt.

Da waren für uns aus dem Binnenlande hauptsächlich interessant die
Wale und andre Seesäugetiere, dann die Tiere der Tundra, die bei uns
Mischen den Eiszeiten gehaust haben: der Schneehase, der Schneefuchs, der
Lemming, das Hermelin, der Vielfraß und solche, die sich auch bei uns bis
vor kurzem erhalten haben, wie der Luchs.

Noch deutlicher als das Auftreten der mit Ungeduld erwarteten neuen,
aber dem Gefühl fremden Arten verkündete mir aber den Eintritt in die Zone
einer andern Welt das allmähliche Verschwinden der alten lieben heimatlichen
Formen. Der Vorstand des Museums hatte die Liebenswürdigkeit gehabt,
wir die Tagschmetterlinge zu zeigen; da waren als Belegstücke für ver-
schiedne Lokalitüten etwa fünfzig Exemplare vom kleinen Fuchs und zwei
Exemplare vom Distelfalter, diesem Globetrotter unter den großen Tagfaltern,
aber alle unsre andern schönen Tagschmetterlinge, die Admiräle und Schiller¬
falter, und wie sie alle heißen, fehlten. Am eindringlichsten aber zeigten mir
einige andre Schaustücke des Museums, daß die gemäßigte Zone hinter uns
lag- Das erste war eine schöne Getreideähre auf hohem Stengel, die bei


Grenzboten III 1906 62
Landschaftsbilder von der Uüste Norwegens

stengligen, feurigen roten Blüten und eine Eisenbrechart, die unsrer Laxitr^a
^ixocm aufs Tüpfelchen ähnlich sieht.

Wir besteigen unser Schiff, und nach vierundzwanzigstündiger, ununter-
brochner Fahrt längs der Schnee- und eisbedeckten steilen Gebirgswand landen
wir in Tromsö, einer Stadt von 7000 Einwohnern, der nördlichsten größer»
Stadt der Erde. Da unser Dampfer erst der zweite Vergnügungsdmnpfer
dieser Fremdensaison war, so erwartete ich, daß ganz Tromsö auf den Beinen
sein werde, und daß es sich namentlich das schönere Geschlecht nicht werde
entgehn lassen, an der zu erwartenden internationalen Damengesellschaft die
neueste Mode zu studieren.

Und wer kam? Ein halbes Dutzend Buben, hinter ihnen gemessenen
Schrittes, offenbar in Geschäften, einige Schiffskapitäne und dann ein Rudel
Lappländer, die uns ihre geschnitzten Löffel und Messer usw. verkaufen wollten,
sonst niemand. Die Stadt Tromsö mit ihren sich rechtwinklig kreuzenden
breiten Straßen und durchweg neuen Holzhäusern ohne jede Spur von
charakteristischer Verzierung macht einen entsprechend langweiligen Eindruck,
der noch gesteigert wurde durch das trübe Wetter, das von der landschaft¬
lichen Umgebung fast nichts sehen ließ. Um so interessanter ist das arktische
Museum und der davor liegende botanische Garten, worin eine Reihe Ranunkel¬
gewächse, auch ein gelber Mohn üppig blühten. In seiner nächsten Umgebung
traf ich an einem Büchlein das hier wilde fast mannshohe Ssmolsum 8ibiriaouin
mit seinen kühn gezeichneten Blättern und stattlichen Blütenschirmen, einen
wahren Riesen unter der sonst ziemlich ärmlichen Pflanzenwelt. In den
Hauptsülen des arktischen Museums war in prachtvollen Exemplaren die ganze
See- und Landtierwelt der Polarzone ausgestellt.

Da waren für uns aus dem Binnenlande hauptsächlich interessant die
Wale und andre Seesäugetiere, dann die Tiere der Tundra, die bei uns
Mischen den Eiszeiten gehaust haben: der Schneehase, der Schneefuchs, der
Lemming, das Hermelin, der Vielfraß und solche, die sich auch bei uns bis
vor kurzem erhalten haben, wie der Luchs.

Noch deutlicher als das Auftreten der mit Ungeduld erwarteten neuen,
aber dem Gefühl fremden Arten verkündete mir aber den Eintritt in die Zone
einer andern Welt das allmähliche Verschwinden der alten lieben heimatlichen
Formen. Der Vorstand des Museums hatte die Liebenswürdigkeit gehabt,
wir die Tagschmetterlinge zu zeigen; da waren als Belegstücke für ver-
schiedne Lokalitüten etwa fünfzig Exemplare vom kleinen Fuchs und zwei
Exemplare vom Distelfalter, diesem Globetrotter unter den großen Tagfaltern,
aber alle unsre andern schönen Tagschmetterlinge, die Admiräle und Schiller¬
falter, und wie sie alle heißen, fehlten. Am eindringlichsten aber zeigten mir
einige andre Schaustücke des Museums, daß die gemäßigte Zone hinter uns
lag- Das erste war eine schöne Getreideähre auf hohem Stengel, die bei


Grenzboten III 1906 62
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[0477] Landschaftsbilder von der Uüste Norwegens stengligen, feurigen roten Blüten und eine Eisenbrechart, die unsrer Laxitr^a ^ixocm aufs Tüpfelchen ähnlich sieht. Wir besteigen unser Schiff, und nach vierundzwanzigstündiger, ununter- brochner Fahrt längs der Schnee- und eisbedeckten steilen Gebirgswand landen wir in Tromsö, einer Stadt von 7000 Einwohnern, der nördlichsten größer» Stadt der Erde. Da unser Dampfer erst der zweite Vergnügungsdmnpfer dieser Fremdensaison war, so erwartete ich, daß ganz Tromsö auf den Beinen sein werde, und daß es sich namentlich das schönere Geschlecht nicht werde entgehn lassen, an der zu erwartenden internationalen Damengesellschaft die neueste Mode zu studieren. Und wer kam? Ein halbes Dutzend Buben, hinter ihnen gemessenen Schrittes, offenbar in Geschäften, einige Schiffskapitäne und dann ein Rudel Lappländer, die uns ihre geschnitzten Löffel und Messer usw. verkaufen wollten, sonst niemand. Die Stadt Tromsö mit ihren sich rechtwinklig kreuzenden breiten Straßen und durchweg neuen Holzhäusern ohne jede Spur von charakteristischer Verzierung macht einen entsprechend langweiligen Eindruck, der noch gesteigert wurde durch das trübe Wetter, das von der landschaft¬ lichen Umgebung fast nichts sehen ließ. Um so interessanter ist das arktische Museum und der davor liegende botanische Garten, worin eine Reihe Ranunkel¬ gewächse, auch ein gelber Mohn üppig blühten. In seiner nächsten Umgebung traf ich an einem Büchlein das hier wilde fast mannshohe Ssmolsum 8ibiriaouin mit seinen kühn gezeichneten Blättern und stattlichen Blütenschirmen, einen wahren Riesen unter der sonst ziemlich ärmlichen Pflanzenwelt. In den Hauptsülen des arktischen Museums war in prachtvollen Exemplaren die ganze See- und Landtierwelt der Polarzone ausgestellt. Da waren für uns aus dem Binnenlande hauptsächlich interessant die Wale und andre Seesäugetiere, dann die Tiere der Tundra, die bei uns Mischen den Eiszeiten gehaust haben: der Schneehase, der Schneefuchs, der Lemming, das Hermelin, der Vielfraß und solche, die sich auch bei uns bis vor kurzem erhalten haben, wie der Luchs. Noch deutlicher als das Auftreten der mit Ungeduld erwarteten neuen, aber dem Gefühl fremden Arten verkündete mir aber den Eintritt in die Zone einer andern Welt das allmähliche Verschwinden der alten lieben heimatlichen Formen. Der Vorstand des Museums hatte die Liebenswürdigkeit gehabt, wir die Tagschmetterlinge zu zeigen; da waren als Belegstücke für ver- schiedne Lokalitüten etwa fünfzig Exemplare vom kleinen Fuchs und zwei Exemplare vom Distelfalter, diesem Globetrotter unter den großen Tagfaltern, aber alle unsre andern schönen Tagschmetterlinge, die Admiräle und Schiller¬ falter, und wie sie alle heißen, fehlten. Am eindringlichsten aber zeigten mir einige andre Schaustücke des Museums, daß die gemäßigte Zone hinter uns lag- Das erste war eine schöne Getreideähre auf hohem Stengel, die bei Grenzboten III 1906 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/477>, abgerufen am 23.07.2024.