Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft

allen seinen Stadien verfolgt werden, die Luftschiffer jedoch -- auch Professor
Berson befand sich darunter -- schwebten in einer Höhe von 4000 Metern
über Vurgos und über den Wolken, sie konnten das großartige Schauspiel
während seiner ganzen Dauer genießen. Es galt für sie außer allem übrigen
zwei rein meteorologische Fragen zu entscheiden:

1. Tritt die bei Beginn der Totalität an der Erdoberfläche beobachtete
Temperatureruiedriguug von 1^ bis 2^ Grad Celsius auch in höhern Luft¬
schichten ein?

2. Ist es richtig und auch für die höhern Luftschichten zutreffend, daß sich
bei Eintritt der Totalität der zurzeit wehende Wind dreht, und zwar fast um
den Kompaß herum?

Beides konnte verneinend beantwortet werden.

Begeistert schildert Berson die Großartigkeit der so seltnen Naturerscheinung:
"Zunächst die wunderbare Beleuchtung, die Färbungen am Himmel und an den
Wolken, eine ganze Skala von Tönen von Orangerot bis Violettgrau am
Himmel und an den Wolken, am Horizont ein grünlicher Streifen, dann beim
letzten Lichtblitz das plötzliche Aufflammen der herrlichen Korona, glänzend wie
flüssiges Silber, und ein schreckhaftes, schauerlich schönes, fast Entsetzen er¬
regendes Schauspiel, das unsäglich schnelle Heranhuschen des Mondschattens,
markiert durch die recht scharfe Grenzlinie zwischen Halb- und Vollschatten über
Wolken und Erde, ein Anblick, vergleichbar dem gespenstisch schnellen Fluge
eines ungeheuer großen Raubvogels. Es ist dies wohl die einzige Gelegen¬
heit auf der Erde, wo eine kosmische Geschwindigkeit, im gegebnen Falle von
750 Metern in der Sekunde aus so großer Nähe, wie die verhältnismäßig geringe
Erhebung des Ballons über Wolken und Erde (die im Laus der Fahrt häufig
durch Wolkenlücken sichtbar war) für unsre Sinne wahrnehmbar wird, daher der
übermächtige Eindruck!"

Die Meteorologie ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft, die sich
außerdem nur auf mühevolle Beobachtungen angewiesen sieht, ohne Experimente
anstellen zu können. Es ist deshalb erklärlich, daß sie bei dem großen Um¬
fang ihrer Forschungen vorläufig noch geringe Erfolge zu verzeichnen hat.
Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte werden noch dahingehn, bis sie von einer
festen Basis aus zum Wohle der Menschheit nicht nur Wahrscheinliches,
sondern Bestimmtes auch für längere Zeit wird vorhersagen können. Daß die
Losung dieser Aufgabe dem rastlos strebenden Menschengeiste gelingen werde,
ist nach den Errungenschaften der jüngsten Zeit und bei dem Aufschwung, den
die wissenschaftliche Luftschiffahrt genommen hat, unzweifelhaft.




Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft

allen seinen Stadien verfolgt werden, die Luftschiffer jedoch — auch Professor
Berson befand sich darunter — schwebten in einer Höhe von 4000 Metern
über Vurgos und über den Wolken, sie konnten das großartige Schauspiel
während seiner ganzen Dauer genießen. Es galt für sie außer allem übrigen
zwei rein meteorologische Fragen zu entscheiden:

1. Tritt die bei Beginn der Totalität an der Erdoberfläche beobachtete
Temperatureruiedriguug von 1^ bis 2^ Grad Celsius auch in höhern Luft¬
schichten ein?

2. Ist es richtig und auch für die höhern Luftschichten zutreffend, daß sich
bei Eintritt der Totalität der zurzeit wehende Wind dreht, und zwar fast um
den Kompaß herum?

Beides konnte verneinend beantwortet werden.

Begeistert schildert Berson die Großartigkeit der so seltnen Naturerscheinung:
„Zunächst die wunderbare Beleuchtung, die Färbungen am Himmel und an den
Wolken, eine ganze Skala von Tönen von Orangerot bis Violettgrau am
Himmel und an den Wolken, am Horizont ein grünlicher Streifen, dann beim
letzten Lichtblitz das plötzliche Aufflammen der herrlichen Korona, glänzend wie
flüssiges Silber, und ein schreckhaftes, schauerlich schönes, fast Entsetzen er¬
regendes Schauspiel, das unsäglich schnelle Heranhuschen des Mondschattens,
markiert durch die recht scharfe Grenzlinie zwischen Halb- und Vollschatten über
Wolken und Erde, ein Anblick, vergleichbar dem gespenstisch schnellen Fluge
eines ungeheuer großen Raubvogels. Es ist dies wohl die einzige Gelegen¬
heit auf der Erde, wo eine kosmische Geschwindigkeit, im gegebnen Falle von
750 Metern in der Sekunde aus so großer Nähe, wie die verhältnismäßig geringe
Erhebung des Ballons über Wolken und Erde (die im Laus der Fahrt häufig
durch Wolkenlücken sichtbar war) für unsre Sinne wahrnehmbar wird, daher der
übermächtige Eindruck!"

Die Meteorologie ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft, die sich
außerdem nur auf mühevolle Beobachtungen angewiesen sieht, ohne Experimente
anstellen zu können. Es ist deshalb erklärlich, daß sie bei dem großen Um¬
fang ihrer Forschungen vorläufig noch geringe Erfolge zu verzeichnen hat.
Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte werden noch dahingehn, bis sie von einer
festen Basis aus zum Wohle der Menschheit nicht nur Wahrscheinliches,
sondern Bestimmtes auch für längere Zeit wird vorhersagen können. Daß die
Losung dieser Aufgabe dem rastlos strebenden Menschengeiste gelingen werde,
ist nach den Errungenschaften der jüngsten Zeit und bei dem Aufschwung, den
die wissenschaftliche Luftschiffahrt genommen hat, unzweifelhaft.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300260"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1766" prev="#ID_1765"> allen seinen Stadien verfolgt werden, die Luftschiffer jedoch &#x2014; auch Professor<lb/>
Berson befand sich darunter &#x2014; schwebten in einer Höhe von 4000 Metern<lb/>
über Vurgos und über den Wolken, sie konnten das großartige Schauspiel<lb/>
während seiner ganzen Dauer genießen. Es galt für sie außer allem übrigen<lb/>
zwei rein meteorologische Fragen zu entscheiden:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1767"> 1. Tritt die bei Beginn der Totalität an der Erdoberfläche beobachtete<lb/>
Temperatureruiedriguug von 1^ bis 2^ Grad Celsius auch in höhern Luft¬<lb/>
schichten ein?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1768"> 2. Ist es richtig und auch für die höhern Luftschichten zutreffend, daß sich<lb/>
bei Eintritt der Totalität der zurzeit wehende Wind dreht, und zwar fast um<lb/>
den Kompaß herum?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1769"> Beides konnte verneinend beantwortet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1770"> Begeistert schildert Berson die Großartigkeit der so seltnen Naturerscheinung:<lb/>
&#x201E;Zunächst die wunderbare Beleuchtung, die Färbungen am Himmel und an den<lb/>
Wolken, eine ganze Skala von Tönen von Orangerot bis Violettgrau am<lb/>
Himmel und an den Wolken, am Horizont ein grünlicher Streifen, dann beim<lb/>
letzten Lichtblitz das plötzliche Aufflammen der herrlichen Korona, glänzend wie<lb/>
flüssiges Silber, und ein schreckhaftes, schauerlich schönes, fast Entsetzen er¬<lb/>
regendes Schauspiel, das unsäglich schnelle Heranhuschen des Mondschattens,<lb/>
markiert durch die recht scharfe Grenzlinie zwischen Halb- und Vollschatten über<lb/>
Wolken und Erde, ein Anblick, vergleichbar dem gespenstisch schnellen Fluge<lb/>
eines ungeheuer großen Raubvogels. Es ist dies wohl die einzige Gelegen¬<lb/>
heit auf der Erde, wo eine kosmische Geschwindigkeit, im gegebnen Falle von<lb/>
750 Metern in der Sekunde aus so großer Nähe, wie die verhältnismäßig geringe<lb/>
Erhebung des Ballons über Wolken und Erde (die im Laus der Fahrt häufig<lb/>
durch Wolkenlücken sichtbar war) für unsre Sinne wahrnehmbar wird, daher der<lb/>
übermächtige Eindruck!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1771"> Die Meteorologie ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft, die sich<lb/>
außerdem nur auf mühevolle Beobachtungen angewiesen sieht, ohne Experimente<lb/>
anstellen zu können. Es ist deshalb erklärlich, daß sie bei dem großen Um¬<lb/>
fang ihrer Forschungen vorläufig noch geringe Erfolge zu verzeichnen hat.<lb/>
Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte werden noch dahingehn, bis sie von einer<lb/>
festen Basis aus zum Wohle der Menschheit nicht nur Wahrscheinliches,<lb/>
sondern Bestimmtes auch für längere Zeit wird vorhersagen können. Daß die<lb/>
Losung dieser Aufgabe dem rastlos strebenden Menschengeiste gelingen werde,<lb/>
ist nach den Errungenschaften der jüngsten Zeit und bei dem Aufschwung, den<lb/>
die wissenschaftliche Luftschiffahrt genommen hat, unzweifelhaft.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0473] Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft allen seinen Stadien verfolgt werden, die Luftschiffer jedoch — auch Professor Berson befand sich darunter — schwebten in einer Höhe von 4000 Metern über Vurgos und über den Wolken, sie konnten das großartige Schauspiel während seiner ganzen Dauer genießen. Es galt für sie außer allem übrigen zwei rein meteorologische Fragen zu entscheiden: 1. Tritt die bei Beginn der Totalität an der Erdoberfläche beobachtete Temperatureruiedriguug von 1^ bis 2^ Grad Celsius auch in höhern Luft¬ schichten ein? 2. Ist es richtig und auch für die höhern Luftschichten zutreffend, daß sich bei Eintritt der Totalität der zurzeit wehende Wind dreht, und zwar fast um den Kompaß herum? Beides konnte verneinend beantwortet werden. Begeistert schildert Berson die Großartigkeit der so seltnen Naturerscheinung: „Zunächst die wunderbare Beleuchtung, die Färbungen am Himmel und an den Wolken, eine ganze Skala von Tönen von Orangerot bis Violettgrau am Himmel und an den Wolken, am Horizont ein grünlicher Streifen, dann beim letzten Lichtblitz das plötzliche Aufflammen der herrlichen Korona, glänzend wie flüssiges Silber, und ein schreckhaftes, schauerlich schönes, fast Entsetzen er¬ regendes Schauspiel, das unsäglich schnelle Heranhuschen des Mondschattens, markiert durch die recht scharfe Grenzlinie zwischen Halb- und Vollschatten über Wolken und Erde, ein Anblick, vergleichbar dem gespenstisch schnellen Fluge eines ungeheuer großen Raubvogels. Es ist dies wohl die einzige Gelegen¬ heit auf der Erde, wo eine kosmische Geschwindigkeit, im gegebnen Falle von 750 Metern in der Sekunde aus so großer Nähe, wie die verhältnismäßig geringe Erhebung des Ballons über Wolken und Erde (die im Laus der Fahrt häufig durch Wolkenlücken sichtbar war) für unsre Sinne wahrnehmbar wird, daher der übermächtige Eindruck!" Die Meteorologie ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft, die sich außerdem nur auf mühevolle Beobachtungen angewiesen sieht, ohne Experimente anstellen zu können. Es ist deshalb erklärlich, daß sie bei dem großen Um¬ fang ihrer Forschungen vorläufig noch geringe Erfolge zu verzeichnen hat. Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte werden noch dahingehn, bis sie von einer festen Basis aus zum Wohle der Menschheit nicht nur Wahrscheinliches, sondern Bestimmtes auch für längere Zeit wird vorhersagen können. Daß die Losung dieser Aufgabe dem rastlos strebenden Menschengeiste gelingen werde, ist nach den Errungenschaften der jüngsten Zeit und bei dem Aufschwung, den die wissenschaftliche Luftschiffahrt genommen hat, unzweifelhaft.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/473
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/473>, abgerufen am 27.12.2024.