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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft

zerschmettert werden können, befestigt man auch deren zwei übereinander; der
untere wird nicht völlig mit Gas gefüllt und entgeht dadurch dem Schicksal
seines Gefährten, doch hat er allein nur so viel Tragfähigkeit, daß er samt den
Instrumenten langsam zur Erde sinkt. In den meisten Fällen gelangen die
Apparate wohlbehalten in die Hände ihrer Absender zurück, denn beigefügte
Instruktionen dienen zur Orientierung der Finder.

Will man in einer bestimmten Luftschicht eine Reihe von Registrierungen
erhalten, so bedient man sich des unbenannten Fesselballons. Da dieser aber
mit zunehmender Höhe immer mehr Draht zu tragen hat, so ist seine Ver¬
wendung recht begrenzt. Darum gebraucht man für größere Höhen die Kasten¬
drachen, die, nach Art der Kinderdrachen vom Winde getragen, den sie haltenden
Draht weit weniger in Anspruch nehmen als die Ballons, seine Abmessungen
können demnach geringer sein (0,6 bis 0,8 Millimeter). So hat man Ende vorigen
Jahres mit einem Gespann von sechs Drachen zusammen von 27 Quadrat¬
metern Fläche eine Höhe von 6430 Metern erreicht, wozu 14 500 Meter Draht
abgelassen wurden. In der Höhe hatte der Wind eine Geschwindigkeit von
25 Metern in der Sekunde, was etwas heißen will, denn ein halb so starker
Wind macht einen gewöhnlichen Fesselballon schon zum Freiballon.

Aber zwei große Nachteile haften dem Drachen an: es ist schwer, ihn zum
Aufsteigen zu bringen, und seine Bewegungen in der Höhe sind unberechenbar,
er schießt bisweilen plötzlich mit einem Kopfsprung hinunter. Deshalb fordert
seine Bedienung große Aufmerksamkeit und Gewandtheit. Es ist auch versucht
worden, mit Drachengespannen Menschen emporzuheben, sogar bis zu einer
Höhe von 800 Metern, doch ist das für den Passagier ebenso unangenehm wie
gefährlich.

Verhältnismäßig leicht ist das Hochbringen der Drachen von Schiffen aus,
die in der Fahrt begriffen sind, und deshalb spielen sie eine große Rolle bei
der erst kürzlich begonnenen Erforschung der über dem Meere lagernden
Atmosphäre, die für uns so überaus wichtig ist, weil das Wasser ja bekanntlich
zwei Drittel des ganzen Erdballs bedeckt. Die regelmäßig verkehrenden großen
Ozeandampfer sollen diesem Zweck dienen. Wahrscheinlich wird man auch sehr
bald die über den Wüsten lagernden Luftschichten zu erkunden suchen. Wenigstens
war schon vor einiger Zeit von französischer Seite eine Überquerung der Sahara
mit unbenannten Schleppballons geplant. Und auch neue Ballonexpeditionen
nach den Polen sind in Aussicht genommen worden. Doch will man, durch
das Mißgeschick des unglücklichen Andree gewitzigt, gewissermaßen sprungweise
vorgehend, an jeder Landungsstelle eine Station anlegen, die mit der vorher¬
gehenden möglichst durch Schlittenverkehr verbunden werden soll. Hoffentlich
läßt sich dieser Plan anch ausführen. Das lenkbare Luftschiff bringt ihn ja
der Verwirklichung bedeutend näher. So ergibt sich für den Luftschiffer ein
reiches Feld der Tätigkeit. Gilt es doch, sich bei allen Wetterlagen, zu allen
Jahres-, Tages- und Nachtzeiten über Temperatur, Feuchtigkeitsgehalt, elektrischen


Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft

zerschmettert werden können, befestigt man auch deren zwei übereinander; der
untere wird nicht völlig mit Gas gefüllt und entgeht dadurch dem Schicksal
seines Gefährten, doch hat er allein nur so viel Tragfähigkeit, daß er samt den
Instrumenten langsam zur Erde sinkt. In den meisten Fällen gelangen die
Apparate wohlbehalten in die Hände ihrer Absender zurück, denn beigefügte
Instruktionen dienen zur Orientierung der Finder.

Will man in einer bestimmten Luftschicht eine Reihe von Registrierungen
erhalten, so bedient man sich des unbenannten Fesselballons. Da dieser aber
mit zunehmender Höhe immer mehr Draht zu tragen hat, so ist seine Ver¬
wendung recht begrenzt. Darum gebraucht man für größere Höhen die Kasten¬
drachen, die, nach Art der Kinderdrachen vom Winde getragen, den sie haltenden
Draht weit weniger in Anspruch nehmen als die Ballons, seine Abmessungen
können demnach geringer sein (0,6 bis 0,8 Millimeter). So hat man Ende vorigen
Jahres mit einem Gespann von sechs Drachen zusammen von 27 Quadrat¬
metern Fläche eine Höhe von 6430 Metern erreicht, wozu 14 500 Meter Draht
abgelassen wurden. In der Höhe hatte der Wind eine Geschwindigkeit von
25 Metern in der Sekunde, was etwas heißen will, denn ein halb so starker
Wind macht einen gewöhnlichen Fesselballon schon zum Freiballon.

Aber zwei große Nachteile haften dem Drachen an: es ist schwer, ihn zum
Aufsteigen zu bringen, und seine Bewegungen in der Höhe sind unberechenbar,
er schießt bisweilen plötzlich mit einem Kopfsprung hinunter. Deshalb fordert
seine Bedienung große Aufmerksamkeit und Gewandtheit. Es ist auch versucht
worden, mit Drachengespannen Menschen emporzuheben, sogar bis zu einer
Höhe von 800 Metern, doch ist das für den Passagier ebenso unangenehm wie
gefährlich.

Verhältnismäßig leicht ist das Hochbringen der Drachen von Schiffen aus,
die in der Fahrt begriffen sind, und deshalb spielen sie eine große Rolle bei
der erst kürzlich begonnenen Erforschung der über dem Meere lagernden
Atmosphäre, die für uns so überaus wichtig ist, weil das Wasser ja bekanntlich
zwei Drittel des ganzen Erdballs bedeckt. Die regelmäßig verkehrenden großen
Ozeandampfer sollen diesem Zweck dienen. Wahrscheinlich wird man auch sehr
bald die über den Wüsten lagernden Luftschichten zu erkunden suchen. Wenigstens
war schon vor einiger Zeit von französischer Seite eine Überquerung der Sahara
mit unbenannten Schleppballons geplant. Und auch neue Ballonexpeditionen
nach den Polen sind in Aussicht genommen worden. Doch will man, durch
das Mißgeschick des unglücklichen Andree gewitzigt, gewissermaßen sprungweise
vorgehend, an jeder Landungsstelle eine Station anlegen, die mit der vorher¬
gehenden möglichst durch Schlittenverkehr verbunden werden soll. Hoffentlich
läßt sich dieser Plan anch ausführen. Das lenkbare Luftschiff bringt ihn ja
der Verwirklichung bedeutend näher. So ergibt sich für den Luftschiffer ein
reiches Feld der Tätigkeit. Gilt es doch, sich bei allen Wetterlagen, zu allen
Jahres-, Tages- und Nachtzeiten über Temperatur, Feuchtigkeitsgehalt, elektrischen


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[0470] Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft zerschmettert werden können, befestigt man auch deren zwei übereinander; der untere wird nicht völlig mit Gas gefüllt und entgeht dadurch dem Schicksal seines Gefährten, doch hat er allein nur so viel Tragfähigkeit, daß er samt den Instrumenten langsam zur Erde sinkt. In den meisten Fällen gelangen die Apparate wohlbehalten in die Hände ihrer Absender zurück, denn beigefügte Instruktionen dienen zur Orientierung der Finder. Will man in einer bestimmten Luftschicht eine Reihe von Registrierungen erhalten, so bedient man sich des unbenannten Fesselballons. Da dieser aber mit zunehmender Höhe immer mehr Draht zu tragen hat, so ist seine Ver¬ wendung recht begrenzt. Darum gebraucht man für größere Höhen die Kasten¬ drachen, die, nach Art der Kinderdrachen vom Winde getragen, den sie haltenden Draht weit weniger in Anspruch nehmen als die Ballons, seine Abmessungen können demnach geringer sein (0,6 bis 0,8 Millimeter). So hat man Ende vorigen Jahres mit einem Gespann von sechs Drachen zusammen von 27 Quadrat¬ metern Fläche eine Höhe von 6430 Metern erreicht, wozu 14 500 Meter Draht abgelassen wurden. In der Höhe hatte der Wind eine Geschwindigkeit von 25 Metern in der Sekunde, was etwas heißen will, denn ein halb so starker Wind macht einen gewöhnlichen Fesselballon schon zum Freiballon. Aber zwei große Nachteile haften dem Drachen an: es ist schwer, ihn zum Aufsteigen zu bringen, und seine Bewegungen in der Höhe sind unberechenbar, er schießt bisweilen plötzlich mit einem Kopfsprung hinunter. Deshalb fordert seine Bedienung große Aufmerksamkeit und Gewandtheit. Es ist auch versucht worden, mit Drachengespannen Menschen emporzuheben, sogar bis zu einer Höhe von 800 Metern, doch ist das für den Passagier ebenso unangenehm wie gefährlich. Verhältnismäßig leicht ist das Hochbringen der Drachen von Schiffen aus, die in der Fahrt begriffen sind, und deshalb spielen sie eine große Rolle bei der erst kürzlich begonnenen Erforschung der über dem Meere lagernden Atmosphäre, die für uns so überaus wichtig ist, weil das Wasser ja bekanntlich zwei Drittel des ganzen Erdballs bedeckt. Die regelmäßig verkehrenden großen Ozeandampfer sollen diesem Zweck dienen. Wahrscheinlich wird man auch sehr bald die über den Wüsten lagernden Luftschichten zu erkunden suchen. Wenigstens war schon vor einiger Zeit von französischer Seite eine Überquerung der Sahara mit unbenannten Schleppballons geplant. Und auch neue Ballonexpeditionen nach den Polen sind in Aussicht genommen worden. Doch will man, durch das Mißgeschick des unglücklichen Andree gewitzigt, gewissermaßen sprungweise vorgehend, an jeder Landungsstelle eine Station anlegen, die mit der vorher¬ gehenden möglichst durch Schlittenverkehr verbunden werden soll. Hoffentlich läßt sich dieser Plan anch ausführen. Das lenkbare Luftschiff bringt ihn ja der Verwirklichung bedeutend näher. So ergibt sich für den Luftschiffer ein reiches Feld der Tätigkeit. Gilt es doch, sich bei allen Wetterlagen, zu allen Jahres-, Tages- und Nachtzeiten über Temperatur, Feuchtigkeitsgehalt, elektrischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/470>, abgerufen am 25.08.2024.