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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Luftreisen

Hettstedt. 9"/t ^h^' tönen schwere Hammerschläge wie Glockenzeichen zu uns
empor, bedeuten sie etwa einen Schichtwechsel? Das Gelände unter uns hebt
sich immer mehr, wir müssen seinem Beispiel folgen und werfen ein wenig
Ballast aus, um uns in der nötigen Entfernung von der Erde zu halten.
Wälder, immer dichter werdend, dehnen sich unter uns aus, tiefe Schluchten
mit schroffen Felsabhängen durchschneiden sie, Wasserfülle und Gebirgsflüsse
lassen ihr Rauschen hören, dazwischen hier und da kleinere Hochflächen mit
Ackersluren bedeckt. Es ist der südliche Teil des Harzes, über den wir fliegen,
aber die genauere Bestimmung wird uns unmöglich. Wohl bedauern wir das,
aber nicht allzusehr. Was tuts, ob wir im einzelnen wissen, wie die Wälder
unter uns heißen, die Talgründe und Walddörfchen? Weit wonniger ist es,
ohne mühsames Suchen auf der Karte die ernste, dunkle Landschaft unter uns
zu betrachten, den köstlichen Tannenduft einzuatmen, dem Brausen der Gebirgs-
wässer zu lauschen, in kühler, aber für uns regungsloser Nachtluft, behaglich
ohne jede Anstrengung für uns, während die Bilder zu unsern Füßen rasch
dahinzugleiten scheinen. Haben wir die anfängliche Richtung beibehalten, so
muß es der Stolberger Forst sein, dessen Wipfel wir jetzt 10^ Uhr beinahe
berühren, und die große Stadt im Südwesten wäre dann Nordhausen. Aber
der Wind hat sich wiederholt gedreht, und auch die Geschwindigkeit ist nicht
mehr die alte, sie hat zugenommen, etwa 50 Kilometer in der Stunde.

Obwohl der Apparat 500 Meter anzeigt, schweben wir doch in einer
Höhe nur von etwa 50 Metern über ein Dorf hinweg. Vielleicht hört man
uns dort. "Holla!" Richtig, unser Gruß wird erwidert. "Holla!" doues
zurück. "Wie heißt das Dorf?" "Orb." Wer weiß, wo Orb liegt? "Wie
heißt die nächste Stadt?" "Alt." Jetzt erst merken wir es, es ist das Echo,
das uns neckt; und nun beginnt ein lustiges Frage- und Antwortspiel. Auch lang¬
gezogne Töne und Jodler klingen melodisch zu uns zurück, bisweilen leise
verhallend noch ein zweitesmal. Wir sind wieder über dem Walde. Da
raschelts unter uns und flieht erschreckt dahin und dorthin, es sind ganze
Rudel von Hirschen und Rehen, sogar für unser Auge wahrnehmbar, die mit
feinem Spürsinn den Ballon bemerkt haben. Sonst hören wir von Tierlauten
nur noch den Ruf des Käuzchens.

Doch kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Die Gegend wird flacher, eine kleinere Ortschaft, anscheinend im Tale
liegend, wird sichtbar, und lärmendes Froschkonzert dringt an unser Ohr.
Isis vielleicht Walkenried mit den zahlreichen Teichen seiner Umgebung?
Dann wäre die Bahnlinie, der wir eine Weile folgen, die Strecke Nord-
Hausen-Nordheim. Wieder liegen Wälder unter uns und Bergland, aber


Luftreisen

Hettstedt. 9"/t ^h^' tönen schwere Hammerschläge wie Glockenzeichen zu uns
empor, bedeuten sie etwa einen Schichtwechsel? Das Gelände unter uns hebt
sich immer mehr, wir müssen seinem Beispiel folgen und werfen ein wenig
Ballast aus, um uns in der nötigen Entfernung von der Erde zu halten.
Wälder, immer dichter werdend, dehnen sich unter uns aus, tiefe Schluchten
mit schroffen Felsabhängen durchschneiden sie, Wasserfülle und Gebirgsflüsse
lassen ihr Rauschen hören, dazwischen hier und da kleinere Hochflächen mit
Ackersluren bedeckt. Es ist der südliche Teil des Harzes, über den wir fliegen,
aber die genauere Bestimmung wird uns unmöglich. Wohl bedauern wir das,
aber nicht allzusehr. Was tuts, ob wir im einzelnen wissen, wie die Wälder
unter uns heißen, die Talgründe und Walddörfchen? Weit wonniger ist es,
ohne mühsames Suchen auf der Karte die ernste, dunkle Landschaft unter uns
zu betrachten, den köstlichen Tannenduft einzuatmen, dem Brausen der Gebirgs-
wässer zu lauschen, in kühler, aber für uns regungsloser Nachtluft, behaglich
ohne jede Anstrengung für uns, während die Bilder zu unsern Füßen rasch
dahinzugleiten scheinen. Haben wir die anfängliche Richtung beibehalten, so
muß es der Stolberger Forst sein, dessen Wipfel wir jetzt 10^ Uhr beinahe
berühren, und die große Stadt im Südwesten wäre dann Nordhausen. Aber
der Wind hat sich wiederholt gedreht, und auch die Geschwindigkeit ist nicht
mehr die alte, sie hat zugenommen, etwa 50 Kilometer in der Stunde.

Obwohl der Apparat 500 Meter anzeigt, schweben wir doch in einer
Höhe nur von etwa 50 Metern über ein Dorf hinweg. Vielleicht hört man
uns dort. „Holla!" Richtig, unser Gruß wird erwidert. „Holla!" doues
zurück. „Wie heißt das Dorf?" „Orb." Wer weiß, wo Orb liegt? „Wie
heißt die nächste Stadt?" „Alt." Jetzt erst merken wir es, es ist das Echo,
das uns neckt; und nun beginnt ein lustiges Frage- und Antwortspiel. Auch lang¬
gezogne Töne und Jodler klingen melodisch zu uns zurück, bisweilen leise
verhallend noch ein zweitesmal. Wir sind wieder über dem Walde. Da
raschelts unter uns und flieht erschreckt dahin und dorthin, es sind ganze
Rudel von Hirschen und Rehen, sogar für unser Auge wahrnehmbar, die mit
feinem Spürsinn den Ballon bemerkt haben. Sonst hören wir von Tierlauten
nur noch den Ruf des Käuzchens.

Doch kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Die Gegend wird flacher, eine kleinere Ortschaft, anscheinend im Tale
liegend, wird sichtbar, und lärmendes Froschkonzert dringt an unser Ohr.
Isis vielleicht Walkenried mit den zahlreichen Teichen seiner Umgebung?
Dann wäre die Bahnlinie, der wir eine Weile folgen, die Strecke Nord-
Hausen-Nordheim. Wieder liegen Wälder unter uns und Bergland, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/44>, abgerufen am 23.07.2024.