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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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häufig bis in die frühen Morgenstunden. Wir haben also unruhige Luft, die
Windrichtung wechselt oft. Die wagerechte Fahrtlinie gestaltet sich diesmal
somit beinahe unregelmäßiger als die der Auf- und Abwärtsbewegung, und
die Orientierung wird uns von nun an sehr erschwert. Einigen Anhalt bieten
dafür die Eisenbahnen, die an den sich in gewissen Zwischenräumen wieder¬
holenden Lichtern und an den wie phosphoreszierende Schlangen sich be¬
wegenden oder leuchtenden Perlenschnüren ähnlichen Zügen erkennbar sind.
Die Zeitangaben des Kursbuches, verglichen mit den während des Fluges für
die beobachteten Eisenbahnzüge verzeichneten, sind deshalb bisweilen ein gutes
Hilfsmittel zur Ortsbestimmung. Natürlich hat mau es auch versucht, sich
von allen Wahrnehmungen auf der Erde, die ja bei einer Fahrt über den
Wolken selbst bei Tage so wie so unmöglich oder doch trügerisch sind, unab¬
hängig zu machen und die im Seewesen gebräuchlichen Methoden anzuwenden.
Besonders war der seinem Berufe durch jähen Tod leider so früh entrissene
Hauptmann von Sigsfeld auch auf diesem Gebiete mit Erfolg tütig. Doch
stellen sich dem Luftschiffer für die Messung von Gestirnshöhen viel größere
Schwierigkeiten in den Weg als dem Seefahrer, schon weil sich der Ballon,
solange er nicht am Schlepptau führt, unaufhörlich um seine Längsachse be¬
wegt. Dazu nimmt die Berechnung eines Ballonortcs ans einer Sonnen-
und Mondhöhe mit Hilfe der im Seewesen üblichen, für Luftschifferzwecke zu
umständlichen Tabellen fast eine halbe Stunde in Anspruch. Befriedigende
Ergebnisse hat Dr. Wegener, Assistent an der Lnftwarte Lindenberg, mit dem.
von Marcnse empfohlnen sogenannten Libellenquadranten von Butenschön in
Hamburg erreicht.

Dunkel, aber deutlich sich absehend taucht rechts von uns ein Berg mit
Aussichtsturm auf, es ist der Petersberg, und südlich zeigt sich in der Ferne
der helle Lichtstreifen einer großen Stadt -- Halle. Das Auge hat sich an
die Dunkelheit gewöhnt und vermag viele Einzelheiten unter uns zu unter¬
scheiden. Nach und nach kommen auch immer mehr Sterne zum Vorschein.
Punkt neun Uhr überfliegen wir bei Wettin in 190 Meter Höhe die Saale,
ihre Windungen und die dunkeln Ränder ihres Tales treten bestimmt hervor.
Der nächste Ort, dessen Name uns zugerufen wird, ist Polleben. Ein ganzer
Kranz von Städten umgibt uns, ihre verschiedne Anlage, teils unregelmäßig
und krummlinig, teils sternförmig von einem Mittelpunkt ausgehend, ist an
den beleuchteten Straßenzügen und Plätzen erkennbar. Dabei ist das rötliche
Flammbogen- oder Effektbogenlicht von dem weißen, zum Teil grünlich-weiß
schimmernden Gasglühlicht genau zu unterscheiden. Südwestlich von uns Eis¬
leben, nördlich entgegengesetzt Gerbstedt, vor uns im Westen die dicht beieinander
liegenden, durch eine lange Doppelreihe von Laternen miteinander verbundnen
Orte Mansfeld und Leimbach, nordöstlich davon Hcttstcdt, mehr in unsrer Nähe
eine Anzahl kleiner Ortschaften, in denen die Lichter immer spärlicher werden.
Um so greller strahlt die Glut einiger Hochöfen oder ^chmelzhütten nahe bei


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häufig bis in die frühen Morgenstunden. Wir haben also unruhige Luft, die
Windrichtung wechselt oft. Die wagerechte Fahrtlinie gestaltet sich diesmal
somit beinahe unregelmäßiger als die der Auf- und Abwärtsbewegung, und
die Orientierung wird uns von nun an sehr erschwert. Einigen Anhalt bieten
dafür die Eisenbahnen, die an den sich in gewissen Zwischenräumen wieder¬
holenden Lichtern und an den wie phosphoreszierende Schlangen sich be¬
wegenden oder leuchtenden Perlenschnüren ähnlichen Zügen erkennbar sind.
Die Zeitangaben des Kursbuches, verglichen mit den während des Fluges für
die beobachteten Eisenbahnzüge verzeichneten, sind deshalb bisweilen ein gutes
Hilfsmittel zur Ortsbestimmung. Natürlich hat mau es auch versucht, sich
von allen Wahrnehmungen auf der Erde, die ja bei einer Fahrt über den
Wolken selbst bei Tage so wie so unmöglich oder doch trügerisch sind, unab¬
hängig zu machen und die im Seewesen gebräuchlichen Methoden anzuwenden.
Besonders war der seinem Berufe durch jähen Tod leider so früh entrissene
Hauptmann von Sigsfeld auch auf diesem Gebiete mit Erfolg tütig. Doch
stellen sich dem Luftschiffer für die Messung von Gestirnshöhen viel größere
Schwierigkeiten in den Weg als dem Seefahrer, schon weil sich der Ballon,
solange er nicht am Schlepptau führt, unaufhörlich um seine Längsachse be¬
wegt. Dazu nimmt die Berechnung eines Ballonortcs ans einer Sonnen-
und Mondhöhe mit Hilfe der im Seewesen üblichen, für Luftschifferzwecke zu
umständlichen Tabellen fast eine halbe Stunde in Anspruch. Befriedigende
Ergebnisse hat Dr. Wegener, Assistent an der Lnftwarte Lindenberg, mit dem.
von Marcnse empfohlnen sogenannten Libellenquadranten von Butenschön in
Hamburg erreicht.

Dunkel, aber deutlich sich absehend taucht rechts von uns ein Berg mit
Aussichtsturm auf, es ist der Petersberg, und südlich zeigt sich in der Ferne
der helle Lichtstreifen einer großen Stadt — Halle. Das Auge hat sich an
die Dunkelheit gewöhnt und vermag viele Einzelheiten unter uns zu unter¬
scheiden. Nach und nach kommen auch immer mehr Sterne zum Vorschein.
Punkt neun Uhr überfliegen wir bei Wettin in 190 Meter Höhe die Saale,
ihre Windungen und die dunkeln Ränder ihres Tales treten bestimmt hervor.
Der nächste Ort, dessen Name uns zugerufen wird, ist Polleben. Ein ganzer
Kranz von Städten umgibt uns, ihre verschiedne Anlage, teils unregelmäßig
und krummlinig, teils sternförmig von einem Mittelpunkt ausgehend, ist an
den beleuchteten Straßenzügen und Plätzen erkennbar. Dabei ist das rötliche
Flammbogen- oder Effektbogenlicht von dem weißen, zum Teil grünlich-weiß
schimmernden Gasglühlicht genau zu unterscheiden. Südwestlich von uns Eis¬
leben, nördlich entgegengesetzt Gerbstedt, vor uns im Westen die dicht beieinander
liegenden, durch eine lange Doppelreihe von Laternen miteinander verbundnen
Orte Mansfeld und Leimbach, nordöstlich davon Hcttstcdt, mehr in unsrer Nähe
eine Anzahl kleiner Ortschaften, in denen die Lichter immer spärlicher werden.
Um so greller strahlt die Glut einiger Hochöfen oder ^chmelzhütten nahe bei


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[0043] Luftreisn» häufig bis in die frühen Morgenstunden. Wir haben also unruhige Luft, die Windrichtung wechselt oft. Die wagerechte Fahrtlinie gestaltet sich diesmal somit beinahe unregelmäßiger als die der Auf- und Abwärtsbewegung, und die Orientierung wird uns von nun an sehr erschwert. Einigen Anhalt bieten dafür die Eisenbahnen, die an den sich in gewissen Zwischenräumen wieder¬ holenden Lichtern und an den wie phosphoreszierende Schlangen sich be¬ wegenden oder leuchtenden Perlenschnüren ähnlichen Zügen erkennbar sind. Die Zeitangaben des Kursbuches, verglichen mit den während des Fluges für die beobachteten Eisenbahnzüge verzeichneten, sind deshalb bisweilen ein gutes Hilfsmittel zur Ortsbestimmung. Natürlich hat mau es auch versucht, sich von allen Wahrnehmungen auf der Erde, die ja bei einer Fahrt über den Wolken selbst bei Tage so wie so unmöglich oder doch trügerisch sind, unab¬ hängig zu machen und die im Seewesen gebräuchlichen Methoden anzuwenden. Besonders war der seinem Berufe durch jähen Tod leider so früh entrissene Hauptmann von Sigsfeld auch auf diesem Gebiete mit Erfolg tütig. Doch stellen sich dem Luftschiffer für die Messung von Gestirnshöhen viel größere Schwierigkeiten in den Weg als dem Seefahrer, schon weil sich der Ballon, solange er nicht am Schlepptau führt, unaufhörlich um seine Längsachse be¬ wegt. Dazu nimmt die Berechnung eines Ballonortcs ans einer Sonnen- und Mondhöhe mit Hilfe der im Seewesen üblichen, für Luftschifferzwecke zu umständlichen Tabellen fast eine halbe Stunde in Anspruch. Befriedigende Ergebnisse hat Dr. Wegener, Assistent an der Lnftwarte Lindenberg, mit dem. von Marcnse empfohlnen sogenannten Libellenquadranten von Butenschön in Hamburg erreicht. Dunkel, aber deutlich sich absehend taucht rechts von uns ein Berg mit Aussichtsturm auf, es ist der Petersberg, und südlich zeigt sich in der Ferne der helle Lichtstreifen einer großen Stadt — Halle. Das Auge hat sich an die Dunkelheit gewöhnt und vermag viele Einzelheiten unter uns zu unter¬ scheiden. Nach und nach kommen auch immer mehr Sterne zum Vorschein. Punkt neun Uhr überfliegen wir bei Wettin in 190 Meter Höhe die Saale, ihre Windungen und die dunkeln Ränder ihres Tales treten bestimmt hervor. Der nächste Ort, dessen Name uns zugerufen wird, ist Polleben. Ein ganzer Kranz von Städten umgibt uns, ihre verschiedne Anlage, teils unregelmäßig und krummlinig, teils sternförmig von einem Mittelpunkt ausgehend, ist an den beleuchteten Straßenzügen und Plätzen erkennbar. Dabei ist das rötliche Flammbogen- oder Effektbogenlicht von dem weißen, zum Teil grünlich-weiß schimmernden Gasglühlicht genau zu unterscheiden. Südwestlich von uns Eis¬ leben, nördlich entgegengesetzt Gerbstedt, vor uns im Westen die dicht beieinander liegenden, durch eine lange Doppelreihe von Laternen miteinander verbundnen Orte Mansfeld und Leimbach, nordöstlich davon Hcttstcdt, mehr in unsrer Nähe eine Anzahl kleiner Ortschaften, in denen die Lichter immer spärlicher werden. Um so greller strahlt die Glut einiger Hochöfen oder ^chmelzhütten nahe bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/43>, abgerufen am 23.07.2024.