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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Drei Tage in Trapezunt

ein richtiger Gebirgsfluß, der zahlreiche Trümmer zu einem im Querschnitt
völlig horizontalen, zunächst ziemlich breiten Tal angeschwemmt hat und in
seinem flachen Flußbett augenblicklich wenig Wasser über die abgeschliffnen
Steine führte, vielfach abgedämmt ist und zu kleinen Mühlenbetrieben die nötige
Kraft liefern muß. Sehr bald beginnen hohe steile Berge und steigen hier und
da schroff mit Felsstürzen auf. Zuerst bedeckt noch dürftiges Gras die Hänge,
auch Haselnußpflanzungen und wildwachsende Gebüsche, immergrüne Sträucher,
später tritt der Wacholder in mehreren Arten an ihre Stelle. Allmählich wird
das Tal enger, und die Chaussee drängt sich näher an die Mutschka hinan;
manchmal ist sie in engen Passagen durch Kalksteinquadern gegen die Gewalt
des Hochwassers geschützt, wohl nicht immer ausreichend, denn an einer Stelle
war ihr Damm zerrissen. Im allgemeinen folgt sie den Windungen des Tales
ohne allzuviel Verlorne Steigungen. Bäche aus den Seitentälern laufen über
flache, ausgemauerte Rinnen im Fahrdamm. Der chaussierte Straßenoberbau
ist zwar nicht glatt, doch läßt sein Zustand immerhin auf eine gewisse Aufsicht
und die Ausführung der nötigsten Ausbesserungsarbeiten schließen. Aber wo
weiter oben einige Kilometer vor Dshevislik die ganz schmale Klamm der
Mutschka verlassen und eine Kulisse des Tales in Serpentinen überschritten
werden muß, fehlt der nötige Schutz nach der Talseite. Das hält jedoch
den Rosselenker nicht ab, in schneller Fahrt hart am Rande entlang zu jagen,
wenn begegnende Karawanen oder Geführte zum Aufbiegen nötigen.

Wo die Hänge nicht zu steil und die Halden nicht zu steinig sind, wird
Getreide gebaut. Freilich, der Pflug kann hier nicht arbeiten. Nebeneinander
stehend gräbt eine Reihe Männer und Weiber nach talwärts zu und hohe all-
mühlich schmale Fettstreifen in Terrassen auf, deren unterer Rand mit Stein-
Packungen bekleidet wird. Auch zur Abgrenzung der Felder finden Steinwälle,
für die es an Material nicht fehlt, Verwendung: Trockenmauern schließen die
Felder gegen die Chaussee ab und schützen den Straßendamm gegen Wasser¬
unterspülung; Quer- und Längsdämme aus Steinen weisen dem Wasser den
Weg. Trockenmauerwerk bildet die Umfasfungswünde der vielen Wohnhäuser,
der Schuppen und der Ställe für allerlei Tragtiere. Freilich, Holz ist ein
teurer Artikel und wird in Esel- und Packpferdlasten von weither hergeschafft,
denn das Knüppelholz der Wacholderbuschwälder eignet sich nur zum Brennen.
Was aber den dünnen, aus dem Gebirge stammenden Stangen als Decken¬
balken, Stünder-, Strebe- und Sparrenhölzern zugemutet wird, geht über alle
Vorstellung.

An Leben fehlt es nicht. Einzeln liegende Gehöfte größerer Herdenbesitzer
Wechseln mit ärmlichen Hütten; mehrere Weiler kleben an und über der Straße,
und weiter oben zieht ein mohammedanisches Dorf endlos lang eine steile Halde
empor. Ziegen- und Schafherden, auch einzelne Kühe klettern an den Abhängen
entlang und wundern sich vielleicht ebenso wie ihre Hüter über die ungewohnte
fränkische Erscheinung unsers Wagens und seiner Insassen. Viele Kamelställe


Drei Tage in Trapezunt

ein richtiger Gebirgsfluß, der zahlreiche Trümmer zu einem im Querschnitt
völlig horizontalen, zunächst ziemlich breiten Tal angeschwemmt hat und in
seinem flachen Flußbett augenblicklich wenig Wasser über die abgeschliffnen
Steine führte, vielfach abgedämmt ist und zu kleinen Mühlenbetrieben die nötige
Kraft liefern muß. Sehr bald beginnen hohe steile Berge und steigen hier und
da schroff mit Felsstürzen auf. Zuerst bedeckt noch dürftiges Gras die Hänge,
auch Haselnußpflanzungen und wildwachsende Gebüsche, immergrüne Sträucher,
später tritt der Wacholder in mehreren Arten an ihre Stelle. Allmählich wird
das Tal enger, und die Chaussee drängt sich näher an die Mutschka hinan;
manchmal ist sie in engen Passagen durch Kalksteinquadern gegen die Gewalt
des Hochwassers geschützt, wohl nicht immer ausreichend, denn an einer Stelle
war ihr Damm zerrissen. Im allgemeinen folgt sie den Windungen des Tales
ohne allzuviel Verlorne Steigungen. Bäche aus den Seitentälern laufen über
flache, ausgemauerte Rinnen im Fahrdamm. Der chaussierte Straßenoberbau
ist zwar nicht glatt, doch läßt sein Zustand immerhin auf eine gewisse Aufsicht
und die Ausführung der nötigsten Ausbesserungsarbeiten schließen. Aber wo
weiter oben einige Kilometer vor Dshevislik die ganz schmale Klamm der
Mutschka verlassen und eine Kulisse des Tales in Serpentinen überschritten
werden muß, fehlt der nötige Schutz nach der Talseite. Das hält jedoch
den Rosselenker nicht ab, in schneller Fahrt hart am Rande entlang zu jagen,
wenn begegnende Karawanen oder Geführte zum Aufbiegen nötigen.

Wo die Hänge nicht zu steil und die Halden nicht zu steinig sind, wird
Getreide gebaut. Freilich, der Pflug kann hier nicht arbeiten. Nebeneinander
stehend gräbt eine Reihe Männer und Weiber nach talwärts zu und hohe all-
mühlich schmale Fettstreifen in Terrassen auf, deren unterer Rand mit Stein-
Packungen bekleidet wird. Auch zur Abgrenzung der Felder finden Steinwälle,
für die es an Material nicht fehlt, Verwendung: Trockenmauern schließen die
Felder gegen die Chaussee ab und schützen den Straßendamm gegen Wasser¬
unterspülung; Quer- und Längsdämme aus Steinen weisen dem Wasser den
Weg. Trockenmauerwerk bildet die Umfasfungswünde der vielen Wohnhäuser,
der Schuppen und der Ställe für allerlei Tragtiere. Freilich, Holz ist ein
teurer Artikel und wird in Esel- und Packpferdlasten von weither hergeschafft,
denn das Knüppelholz der Wacholderbuschwälder eignet sich nur zum Brennen.
Was aber den dünnen, aus dem Gebirge stammenden Stangen als Decken¬
balken, Stünder-, Strebe- und Sparrenhölzern zugemutet wird, geht über alle
Vorstellung.

An Leben fehlt es nicht. Einzeln liegende Gehöfte größerer Herdenbesitzer
Wechseln mit ärmlichen Hütten; mehrere Weiler kleben an und über der Straße,
und weiter oben zieht ein mohammedanisches Dorf endlos lang eine steile Halde
empor. Ziegen- und Schafherden, auch einzelne Kühe klettern an den Abhängen
entlang und wundern sich vielleicht ebenso wie ihre Hüter über die ungewohnte
fränkische Erscheinung unsers Wagens und seiner Insassen. Viele Kamelställe


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[0423] Drei Tage in Trapezunt ein richtiger Gebirgsfluß, der zahlreiche Trümmer zu einem im Querschnitt völlig horizontalen, zunächst ziemlich breiten Tal angeschwemmt hat und in seinem flachen Flußbett augenblicklich wenig Wasser über die abgeschliffnen Steine führte, vielfach abgedämmt ist und zu kleinen Mühlenbetrieben die nötige Kraft liefern muß. Sehr bald beginnen hohe steile Berge und steigen hier und da schroff mit Felsstürzen auf. Zuerst bedeckt noch dürftiges Gras die Hänge, auch Haselnußpflanzungen und wildwachsende Gebüsche, immergrüne Sträucher, später tritt der Wacholder in mehreren Arten an ihre Stelle. Allmählich wird das Tal enger, und die Chaussee drängt sich näher an die Mutschka hinan; manchmal ist sie in engen Passagen durch Kalksteinquadern gegen die Gewalt des Hochwassers geschützt, wohl nicht immer ausreichend, denn an einer Stelle war ihr Damm zerrissen. Im allgemeinen folgt sie den Windungen des Tales ohne allzuviel Verlorne Steigungen. Bäche aus den Seitentälern laufen über flache, ausgemauerte Rinnen im Fahrdamm. Der chaussierte Straßenoberbau ist zwar nicht glatt, doch läßt sein Zustand immerhin auf eine gewisse Aufsicht und die Ausführung der nötigsten Ausbesserungsarbeiten schließen. Aber wo weiter oben einige Kilometer vor Dshevislik die ganz schmale Klamm der Mutschka verlassen und eine Kulisse des Tales in Serpentinen überschritten werden muß, fehlt der nötige Schutz nach der Talseite. Das hält jedoch den Rosselenker nicht ab, in schneller Fahrt hart am Rande entlang zu jagen, wenn begegnende Karawanen oder Geführte zum Aufbiegen nötigen. Wo die Hänge nicht zu steil und die Halden nicht zu steinig sind, wird Getreide gebaut. Freilich, der Pflug kann hier nicht arbeiten. Nebeneinander stehend gräbt eine Reihe Männer und Weiber nach talwärts zu und hohe all- mühlich schmale Fettstreifen in Terrassen auf, deren unterer Rand mit Stein- Packungen bekleidet wird. Auch zur Abgrenzung der Felder finden Steinwälle, für die es an Material nicht fehlt, Verwendung: Trockenmauern schließen die Felder gegen die Chaussee ab und schützen den Straßendamm gegen Wasser¬ unterspülung; Quer- und Längsdämme aus Steinen weisen dem Wasser den Weg. Trockenmauerwerk bildet die Umfasfungswünde der vielen Wohnhäuser, der Schuppen und der Ställe für allerlei Tragtiere. Freilich, Holz ist ein teurer Artikel und wird in Esel- und Packpferdlasten von weither hergeschafft, denn das Knüppelholz der Wacholderbuschwälder eignet sich nur zum Brennen. Was aber den dünnen, aus dem Gebirge stammenden Stangen als Decken¬ balken, Stünder-, Strebe- und Sparrenhölzern zugemutet wird, geht über alle Vorstellung. An Leben fehlt es nicht. Einzeln liegende Gehöfte größerer Herdenbesitzer Wechseln mit ärmlichen Hütten; mehrere Weiler kleben an und über der Straße, und weiter oben zieht ein mohammedanisches Dorf endlos lang eine steile Halde empor. Ziegen- und Schafherden, auch einzelne Kühe klettern an den Abhängen entlang und wundern sich vielleicht ebenso wie ihre Hüter über die ungewohnte fränkische Erscheinung unsers Wagens und seiner Insassen. Viele Kamelställe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/423>, abgerufen am 28.12.2024.