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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Drei Tage in Trapezunt

UM einen dampfenden Kessel. Einer war gefällig genug, uns die Sattlung zu
zeigen. Um den Höcker werden vier Kissen, darüber eine dicke Decke mit einem
Ausschnitt für den Höcker und wieder Kissen gruppiert. Darauf wird der hohe
Packsattel mit den Resten ehemaliger Schönheit, den aus Teppichgewebe ange¬
fertigten Kameltaschen angebracht und mit Stricken befestigt, die vorn und hinten
um die Weichteile geschlungen und scharf angezogen werden. Das Kamel hat
deswegen eine entzückende Taille, ohne doch merklich in seiner Bewegung
gehindert zu werden. Rührend ist die Geduld, mit der es die ihm aufgepackten
schweren Lasten im Paßtritt schleppt, dauernd im Schritt, von Lager zu Lager
ohne längere Ruhe und nur mit dürftigem Häcksel gefüttert, in den der Sand
des Bodens achtlos hineingekehrt wird. Abends begegneten wir der Karawane,
die am Nachmittag ihre Lasten übernommen hatte und nun, fünf bis sieben
Tiere gekoppelt, das letzte -- um die Verbindung zu erhalten -- mit einer
großen Glocke am Hals, ein Tier jeder Gruppe nur mit Futter und Decken
für den Führer belastet und als Reserve bestimmt, über Erzerum nach Tebris
zog. Die Treiber gingen meist nebenher, jetzt mit Dolch und Pistolen be¬
waffnet, denn ans ihrer Straße muß mit Überfüllen gerechnet werden. Groß
ist das Vertrauen, das der Kaufmann dem Karawanenführer entgegenbringt,
gering die Sicherheit, die der bietet, trotzdem, dem Vertrauen entsprechend, die
Zuverlässigkeit der Beförderung. Die Karawane braucht bis Erzerum zwölf
Tage, bis Tebris noch weitere dreißig Tage; eine Reise in der Kamelkarawane
kostet 55 Franken. Fast bedauerten wir, durch die Kürze unsrer Zeit an einer
solchen Studienreise gehindert zu sein. Es wäre ein Plan, ein andermal über
Erzerum-Kars den Anschluß nach Kaukasien zu gewinnen.

Um wenigstens etwas vom Binnenlande Kleinasien zu sehen, folgten wir
am dritten Tage unsers Aufenthalts zu Wagen den Spuren der Karawane.
Zwar schien es uns wunderlich, daß unser Diamant nur eine gut bespannte
Droschke gemietet hatte, um uns bis Dshevislik, der ersten Station aus der
Straße nach Erzerum, zu führen, aber der Erfolg rechtfertigte ihn. Der Kurde,
unser Kutscher, fuhr mit seinen flinken Rotschimmeln so flott darauf los und
doch dabei so vorsichtig überlegend und seine Pferde schonend, daß wir nach
reichlich vierstündiger Fahrt oben ankamen und die Rückfahrt, etwa 28 bis
30 Kilometer, in zweiundeinhalber Stunde zurücklegten. Unsre Fahrt führte
nach Osten hinaus am Hafen vorbei, worin jetzt ausnahmsweise etwas neues,
praktisches gebaut wird, eine Mole von 400 Metern Länge, die im Verein mit
einem alten halbverfallenen Wellenbrecher von der Spitze des Hafenkaps aus
einen fast rechtwinkligen Winterhafen zum Schutz gegen die häufigen Nord¬
stürme abschnüren soll -- jetzt wird bei Sturm die Reede von Platana, zwei
Meilen westlich von Trapezunt, aufgesucht. Beim ersten Ort abbiegend führt
die uralte Handelsstraße in das Innere, als gar nicht üble Chaussee von einer
Telegraphenleitung szwei Drähte) begleitet, zunächst ins Tal der Mutschka (von
den Griechen in Trapezunt Pisidis genannt) und begleitet sie dauernd. Es ist


Drei Tage in Trapezunt

UM einen dampfenden Kessel. Einer war gefällig genug, uns die Sattlung zu
zeigen. Um den Höcker werden vier Kissen, darüber eine dicke Decke mit einem
Ausschnitt für den Höcker und wieder Kissen gruppiert. Darauf wird der hohe
Packsattel mit den Resten ehemaliger Schönheit, den aus Teppichgewebe ange¬
fertigten Kameltaschen angebracht und mit Stricken befestigt, die vorn und hinten
um die Weichteile geschlungen und scharf angezogen werden. Das Kamel hat
deswegen eine entzückende Taille, ohne doch merklich in seiner Bewegung
gehindert zu werden. Rührend ist die Geduld, mit der es die ihm aufgepackten
schweren Lasten im Paßtritt schleppt, dauernd im Schritt, von Lager zu Lager
ohne längere Ruhe und nur mit dürftigem Häcksel gefüttert, in den der Sand
des Bodens achtlos hineingekehrt wird. Abends begegneten wir der Karawane,
die am Nachmittag ihre Lasten übernommen hatte und nun, fünf bis sieben
Tiere gekoppelt, das letzte — um die Verbindung zu erhalten — mit einer
großen Glocke am Hals, ein Tier jeder Gruppe nur mit Futter und Decken
für den Führer belastet und als Reserve bestimmt, über Erzerum nach Tebris
zog. Die Treiber gingen meist nebenher, jetzt mit Dolch und Pistolen be¬
waffnet, denn ans ihrer Straße muß mit Überfüllen gerechnet werden. Groß
ist das Vertrauen, das der Kaufmann dem Karawanenführer entgegenbringt,
gering die Sicherheit, die der bietet, trotzdem, dem Vertrauen entsprechend, die
Zuverlässigkeit der Beförderung. Die Karawane braucht bis Erzerum zwölf
Tage, bis Tebris noch weitere dreißig Tage; eine Reise in der Kamelkarawane
kostet 55 Franken. Fast bedauerten wir, durch die Kürze unsrer Zeit an einer
solchen Studienreise gehindert zu sein. Es wäre ein Plan, ein andermal über
Erzerum-Kars den Anschluß nach Kaukasien zu gewinnen.

Um wenigstens etwas vom Binnenlande Kleinasien zu sehen, folgten wir
am dritten Tage unsers Aufenthalts zu Wagen den Spuren der Karawane.
Zwar schien es uns wunderlich, daß unser Diamant nur eine gut bespannte
Droschke gemietet hatte, um uns bis Dshevislik, der ersten Station aus der
Straße nach Erzerum, zu führen, aber der Erfolg rechtfertigte ihn. Der Kurde,
unser Kutscher, fuhr mit seinen flinken Rotschimmeln so flott darauf los und
doch dabei so vorsichtig überlegend und seine Pferde schonend, daß wir nach
reichlich vierstündiger Fahrt oben ankamen und die Rückfahrt, etwa 28 bis
30 Kilometer, in zweiundeinhalber Stunde zurücklegten. Unsre Fahrt führte
nach Osten hinaus am Hafen vorbei, worin jetzt ausnahmsweise etwas neues,
praktisches gebaut wird, eine Mole von 400 Metern Länge, die im Verein mit
einem alten halbverfallenen Wellenbrecher von der Spitze des Hafenkaps aus
einen fast rechtwinkligen Winterhafen zum Schutz gegen die häufigen Nord¬
stürme abschnüren soll — jetzt wird bei Sturm die Reede von Platana, zwei
Meilen westlich von Trapezunt, aufgesucht. Beim ersten Ort abbiegend führt
die uralte Handelsstraße in das Innere, als gar nicht üble Chaussee von einer
Telegraphenleitung szwei Drähte) begleitet, zunächst ins Tal der Mutschka (von
den Griechen in Trapezunt Pisidis genannt) und begleitet sie dauernd. Es ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/422>, abgerufen am 23.07.2024.