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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Allerlei aus einem Strafrechtskommentar der guten alten Zeit

unzüchtige Dirn, geschweigens ein ehrliches Mädel erheyrathen, als den Todt
erwehlen wurden. Da nun ein solcher vasus vorföllet und der DslinoMut
sonsten ein guter ehrlicher Kerl oder etwas einfältige Persohn wäre, tönte die
Obrigkeit die üxsvution auffhalten" und an die Landesherrschaft berichten, "daran
ein Richter ein untadlbares Werck der Barmhertzigkeit erweiset".

Unter Umständen ist erlaubt, daß der Inquisit seine richterliche Aburteilung
durch Abschließung eines Vergleichs mit der Obrigkeit abwendet. Das soll
aber nur geschehen, wenn es sich nicht um ein besonders abscheuliches Verbrechen
handelt, wenn der Verfolgte weder geständig noch überwiesen noch für die Ver¬
hängung der Tortur ausreichend belastet ist, wenn der Verletzte seine Zustimmung
gibt, auch die vorgesetzte Instanz sich mit dem Vergleich (oompositio) einver¬
standen erklärt. Obwohl also ein schlechthin abgeschlossener Vergleich über Ein¬
stellung der Strafverfolgung mit dem Gericht gesetzwidrig ist, "so pflegt man
jedoch täglich mit der Herrschafft, üseg-ihn, und den Gerichts-Herrschafften wegen
verübter Übelthat gegen Erlegung eines Stück Geldes abzukommen. Und wird
keiner für einen tauglichen beliebten Beambten geschätzt, der nicht weiß, mit
dergleichen Kompositionen meisterlich umbzuspringen, und das Interesse seines
Oberen zu beförderen; aber Hiereinfalls ist Maß zu haben: Damit nit wegen
schnödem Gelt die Welt geärgert, die ^ustitig. nicht administrirt und einesmahls
schwäre Verantwortung bey Gott dem Herrn als wahren Eysferer der Gerechtig¬
keit zu besorgen sehe."

Zwischen der Ankündigung der Urteilsbestätigung und der Vollstreckung
soll, wenn es sich um Todesstrafe handelt, eine dreitägige Frist liegen, damit
der arme Sünder Zeit habe, seine Sünde zu beichten und das heilige Sakra¬
ment zu empfangen. Man soll ihn "in eine feinere Stuben setzen, ihn zu
mehrerer Auffmuntemng mit besserer Kost und Trank tractiren lassen, jedoch
ist ihnen nur so vit Wein zu geben, damit selber die Angst in etwas abdrucken,
nicht völlig aber ertrencken möge. Das Sakrament der letzten Ölung aber ist
nicht zu administriren." Am Hinrichtungstage ist dem zu Richtenden von zwei
Geistlichen das Geleit zum Rathaus zu geben. Der Delinquent wird an den
Pranger gestellt und dort der Tatbestand seines Verbrechens samt dem Urteil,
"sovil ohne öffentliche Aergernuß seyn mag", verlesen. Dann übergibt der
Richter den Delinquenten dem Nachrichter mit den Worten: Du hast gehört,
was für ein Urteil über diesen armen Sünder ausgefüllt worden. Ich gebiete
dir bei deinem Eide, daß du dieses gegebne Urteil getreulich vollziehest. Hierauf
ist der Stab zu brechen. Der Nachrichter übernimmt aus der Hand des
Gerichtsdieners den Delinquenten mit der Bitte, ihm zu verzeihen, was er nun
auf den ihm erteilten Befehl an ihm vollziehn werde. Darauf geht der Zug,
an dessen Spitze der Richter reitet, weiter zur eigentlichen Richtstätte, wo der
Richter ausruft oder durch den Gerichtsdiener ausrufen läßt, "daß bei Leibes¬
und Guts-Strafe niemand dem Nachrichter Verhinderung zu thun" oder "ob
ihme mißlunge, nicht Hand anzulegen". Nach der Vollstreckung fragt der Nach-


Allerlei aus einem Strafrechtskommentar der guten alten Zeit

unzüchtige Dirn, geschweigens ein ehrliches Mädel erheyrathen, als den Todt
erwehlen wurden. Da nun ein solcher vasus vorföllet und der DslinoMut
sonsten ein guter ehrlicher Kerl oder etwas einfältige Persohn wäre, tönte die
Obrigkeit die üxsvution auffhalten" und an die Landesherrschaft berichten, „daran
ein Richter ein untadlbares Werck der Barmhertzigkeit erweiset".

Unter Umständen ist erlaubt, daß der Inquisit seine richterliche Aburteilung
durch Abschließung eines Vergleichs mit der Obrigkeit abwendet. Das soll
aber nur geschehen, wenn es sich nicht um ein besonders abscheuliches Verbrechen
handelt, wenn der Verfolgte weder geständig noch überwiesen noch für die Ver¬
hängung der Tortur ausreichend belastet ist, wenn der Verletzte seine Zustimmung
gibt, auch die vorgesetzte Instanz sich mit dem Vergleich (oompositio) einver¬
standen erklärt. Obwohl also ein schlechthin abgeschlossener Vergleich über Ein¬
stellung der Strafverfolgung mit dem Gericht gesetzwidrig ist, „so pflegt man
jedoch täglich mit der Herrschafft, üseg-ihn, und den Gerichts-Herrschafften wegen
verübter Übelthat gegen Erlegung eines Stück Geldes abzukommen. Und wird
keiner für einen tauglichen beliebten Beambten geschätzt, der nicht weiß, mit
dergleichen Kompositionen meisterlich umbzuspringen, und das Interesse seines
Oberen zu beförderen; aber Hiereinfalls ist Maß zu haben: Damit nit wegen
schnödem Gelt die Welt geärgert, die ^ustitig. nicht administrirt und einesmahls
schwäre Verantwortung bey Gott dem Herrn als wahren Eysferer der Gerechtig¬
keit zu besorgen sehe."

Zwischen der Ankündigung der Urteilsbestätigung und der Vollstreckung
soll, wenn es sich um Todesstrafe handelt, eine dreitägige Frist liegen, damit
der arme Sünder Zeit habe, seine Sünde zu beichten und das heilige Sakra¬
ment zu empfangen. Man soll ihn „in eine feinere Stuben setzen, ihn zu
mehrerer Auffmuntemng mit besserer Kost und Trank tractiren lassen, jedoch
ist ihnen nur so vit Wein zu geben, damit selber die Angst in etwas abdrucken,
nicht völlig aber ertrencken möge. Das Sakrament der letzten Ölung aber ist
nicht zu administriren." Am Hinrichtungstage ist dem zu Richtenden von zwei
Geistlichen das Geleit zum Rathaus zu geben. Der Delinquent wird an den
Pranger gestellt und dort der Tatbestand seines Verbrechens samt dem Urteil,
„sovil ohne öffentliche Aergernuß seyn mag", verlesen. Dann übergibt der
Richter den Delinquenten dem Nachrichter mit den Worten: Du hast gehört,
was für ein Urteil über diesen armen Sünder ausgefüllt worden. Ich gebiete
dir bei deinem Eide, daß du dieses gegebne Urteil getreulich vollziehest. Hierauf
ist der Stab zu brechen. Der Nachrichter übernimmt aus der Hand des
Gerichtsdieners den Delinquenten mit der Bitte, ihm zu verzeihen, was er nun
auf den ihm erteilten Befehl an ihm vollziehn werde. Darauf geht der Zug,
an dessen Spitze der Richter reitet, weiter zur eigentlichen Richtstätte, wo der
Richter ausruft oder durch den Gerichtsdiener ausrufen läßt, „daß bei Leibes¬
und Guts-Strafe niemand dem Nachrichter Verhinderung zu thun" oder „ob
ihme mißlunge, nicht Hand anzulegen". Nach der Vollstreckung fragt der Nach-


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[0404] Allerlei aus einem Strafrechtskommentar der guten alten Zeit unzüchtige Dirn, geschweigens ein ehrliches Mädel erheyrathen, als den Todt erwehlen wurden. Da nun ein solcher vasus vorföllet und der DslinoMut sonsten ein guter ehrlicher Kerl oder etwas einfältige Persohn wäre, tönte die Obrigkeit die üxsvution auffhalten" und an die Landesherrschaft berichten, „daran ein Richter ein untadlbares Werck der Barmhertzigkeit erweiset". Unter Umständen ist erlaubt, daß der Inquisit seine richterliche Aburteilung durch Abschließung eines Vergleichs mit der Obrigkeit abwendet. Das soll aber nur geschehen, wenn es sich nicht um ein besonders abscheuliches Verbrechen handelt, wenn der Verfolgte weder geständig noch überwiesen noch für die Ver¬ hängung der Tortur ausreichend belastet ist, wenn der Verletzte seine Zustimmung gibt, auch die vorgesetzte Instanz sich mit dem Vergleich (oompositio) einver¬ standen erklärt. Obwohl also ein schlechthin abgeschlossener Vergleich über Ein¬ stellung der Strafverfolgung mit dem Gericht gesetzwidrig ist, „so pflegt man jedoch täglich mit der Herrschafft, üseg-ihn, und den Gerichts-Herrschafften wegen verübter Übelthat gegen Erlegung eines Stück Geldes abzukommen. Und wird keiner für einen tauglichen beliebten Beambten geschätzt, der nicht weiß, mit dergleichen Kompositionen meisterlich umbzuspringen, und das Interesse seines Oberen zu beförderen; aber Hiereinfalls ist Maß zu haben: Damit nit wegen schnödem Gelt die Welt geärgert, die ^ustitig. nicht administrirt und einesmahls schwäre Verantwortung bey Gott dem Herrn als wahren Eysferer der Gerechtig¬ keit zu besorgen sehe." Zwischen der Ankündigung der Urteilsbestätigung und der Vollstreckung soll, wenn es sich um Todesstrafe handelt, eine dreitägige Frist liegen, damit der arme Sünder Zeit habe, seine Sünde zu beichten und das heilige Sakra¬ ment zu empfangen. Man soll ihn „in eine feinere Stuben setzen, ihn zu mehrerer Auffmuntemng mit besserer Kost und Trank tractiren lassen, jedoch ist ihnen nur so vit Wein zu geben, damit selber die Angst in etwas abdrucken, nicht völlig aber ertrencken möge. Das Sakrament der letzten Ölung aber ist nicht zu administriren." Am Hinrichtungstage ist dem zu Richtenden von zwei Geistlichen das Geleit zum Rathaus zu geben. Der Delinquent wird an den Pranger gestellt und dort der Tatbestand seines Verbrechens samt dem Urteil, „sovil ohne öffentliche Aergernuß seyn mag", verlesen. Dann übergibt der Richter den Delinquenten dem Nachrichter mit den Worten: Du hast gehört, was für ein Urteil über diesen armen Sünder ausgefüllt worden. Ich gebiete dir bei deinem Eide, daß du dieses gegebne Urteil getreulich vollziehest. Hierauf ist der Stab zu brechen. Der Nachrichter übernimmt aus der Hand des Gerichtsdieners den Delinquenten mit der Bitte, ihm zu verzeihen, was er nun auf den ihm erteilten Befehl an ihm vollziehn werde. Darauf geht der Zug, an dessen Spitze der Richter reitet, weiter zur eigentlichen Richtstätte, wo der Richter ausruft oder durch den Gerichtsdiener ausrufen läßt, „daß bei Leibes¬ und Guts-Strafe niemand dem Nachrichter Verhinderung zu thun" oder „ob ihme mißlunge, nicht Hand anzulegen". Nach der Vollstreckung fragt der Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/404>, abgerufen am 27.12.2024.