Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches in seinem Bericht die Befürchtungen seiner Leute. Professor Julius Wolf findet Grenzboten III 1906 50
Maßgebliches und Unmaßgebliches in seinem Bericht die Befürchtungen seiner Leute. Professor Julius Wolf findet Grenzboten III 1906 50
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300176"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1455" prev="#ID_1454" next="#ID_1456"> in seinem Bericht die Befürchtungen seiner Leute. Professor Julius Wolf findet<lb/> Paasches Thesen sehr sympathisch, aber eben das sympathische beweise, einen wie<lb/> starken Anteil an ihrer Aufstellung das Gefühl gehabt habe. Der genannte National¬<lb/> ökonom veröffentlicht nämlich bei Gustav Fischer in Jena (1906) die Schrift:<lb/> „Der deutsch-amerikanische Handelsvertrag, die kubanische Zuckerpro¬<lb/> duktion und die Zukunft der Zuckerindustrie. Mit zahlreichen statistischen<lb/> Tabellen und Exkursen." Darin beweist er, gestützt auf zweifellos zuverlässige Berichte<lb/> von Kennern Kubas, daß diese Insel in Beziehung auf Zucker tatsächlich das Land<lb/> der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Sie enthält 120000 Quadratkilometer, was vier<lb/> Fünftel der eigentlichen Halbinsel Italien (Italien ohne die Inseln und den kontinen¬<lb/> talen Querbalken) ausmacht. Sie hat nicht ganz 1800000, das entsprechende Stück<lb/> Italiens 16000000 Einwohner. Und sie ist von der Natur weit mehr begünstigt<lb/> als Italien; ihr ganzes Areal ist anbaufähig, und ihr Boden sehr fruchtbar. In ge-,<lb/> regelten Anbau gezogen sind erst 3600 Quadratkilometer, wovon 1700 mit Zucker¬<lb/> rohr bestanden sind, also 1,3 Prozent der Bodenfläche. Obgleich nun die Zuckerge¬<lb/> winnung noch nachlässig und primitiv betrieben wird — die bessern Methoden fangen<lb/> eben erst an, sich zu verbreiten —, ist die Produktion, die in der besten Zeit vor dem<lb/> Kriege 10 Millionen Doppelzentner betragen hatte, im Kriege auf 2 bis 3 zurück¬<lb/> gegangen war, jetzt auf 13 Millionen gestiegen. Die Produktionskosten betragen<lb/> 1,35 Cents für das Pfund looo Bord. Außerdem erzeugen Rohrzucker: Java 10,<lb/> Hawai 3,7, Louisiana 3 Millionen Doppelzentner, Brasilien, Mauritius, Portorico,<lb/> Queensland kleinere Mengen; alle zusammen erzeugten im Jahre 1900 36 Millionen.<lb/> Ostindien, das ebenfalls Zuckerrohr baut, zählt nicht mit, weil es den Bedarf der<lb/> eignen Bevölkerung nicht ganz deckt, darum für Zucker nicht Aus- sondern Ein¬<lb/> fuhrland ist. Die Rohrzuckerproduktion ist langsam von 11 Millionen Doppel¬<lb/> zentnern im Jahre 1840 auf 36 Millionen im Jahre 1900 gestiegen. Der<lb/> Rübenzucker hat in derselben Zeit gewaltige Sprünge gemacht: im ersten Jahrzehnt<lb/> von 0,4 auf 2 Millionen, in jedem folgenden auf ungefähr das Doppelte des<lb/> vorhergehenden bis 60 Millionen im Jahre 1900. Aber den Rekord im Ringen<lb/> mit dem Rohrzucker hat der Rübenzucker schon im Jahre 1899 erreicht, wo sein<lb/> Anteil an der Weltproduktion 64^ Prozent betrug; in der Kampagne 1904/05<lb/> deckte er nur 51,7 Prozent des Weltkonsums; der Rohrzucker machte also mit ihm<lb/> beinahe Halbpart. (Die genauen Zahlen werden gerade hier nicht angegeben; da<lb/> der Weltbedarf reichlich 100 Millionen Doppelzentner beträgt, müßte die Rohr¬<lb/> zuckermenge in der genannten Zeit fast 50 Millionen erreicht haben.) Wolf schließt<lb/> daraus, daß das Jahr 1900 der Wendepunkt sei. von dem an der Rübenzucker in<lb/> immer stärkeren Maße vom Rohrzucker überflügelt werden werde. Denn der Er¬<lb/> folg des Rübenzuckers beruhe auf der Wissenschaft, und die sei mit ihren Leistungen<lb/> an den Grenzen der Möglichkeit angelangt, die Rohrzuckerfabrikation bedürfe vor<lb/> der Hand noch gar keiner Chemie, sondern nur des Kapitals (das ihr jetzt durch<lb/> die Verbindung mit den Vereinigten Staaten zur Verfügung stehe) und der Arbeiter,<lb/> die nötig seien, die Anbaufläche des Zuckerrohrs zu vergrößern; sie stehe also erst<lb/> im Anfange ihrer Entwicklung. Ein Kubaner hat erklärt: „Wir brauchen keine<lb/> Chemie; könnten wir nur all unser Rohr durch die Fabrik durchpeitschen! Wir<lb/> müssen jedes Jahr ganze Rohrfelder ungeschnitten stehn lassen." Deutschland ge¬<lb/> winnt mit allen wissenschaftlichen Schikanen 43 Doppelzentner Zucker vom Hektar,<lb/> Hawai ohne solche 104, auf den besten Plantagen 334. Nun hat es ja die<lb/> Versuchsstation Lauchstadt bei Halle auf 87,1 Doppelzentner gebracht, und so hoch,<lb/> meint Wolf, könnte man es überall bei uns bringen, wenn man — die Kosten<lb/> nicht scheute; leider verraten die Lauchstädter Berichte nicht, wie hoch sie sich be-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1906 50</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
in seinem Bericht die Befürchtungen seiner Leute. Professor Julius Wolf findet
Paasches Thesen sehr sympathisch, aber eben das sympathische beweise, einen wie
starken Anteil an ihrer Aufstellung das Gefühl gehabt habe. Der genannte National¬
ökonom veröffentlicht nämlich bei Gustav Fischer in Jena (1906) die Schrift:
„Der deutsch-amerikanische Handelsvertrag, die kubanische Zuckerpro¬
duktion und die Zukunft der Zuckerindustrie. Mit zahlreichen statistischen
Tabellen und Exkursen." Darin beweist er, gestützt auf zweifellos zuverlässige Berichte
von Kennern Kubas, daß diese Insel in Beziehung auf Zucker tatsächlich das Land
der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Sie enthält 120000 Quadratkilometer, was vier
Fünftel der eigentlichen Halbinsel Italien (Italien ohne die Inseln und den kontinen¬
talen Querbalken) ausmacht. Sie hat nicht ganz 1800000, das entsprechende Stück
Italiens 16000000 Einwohner. Und sie ist von der Natur weit mehr begünstigt
als Italien; ihr ganzes Areal ist anbaufähig, und ihr Boden sehr fruchtbar. In ge-,
regelten Anbau gezogen sind erst 3600 Quadratkilometer, wovon 1700 mit Zucker¬
rohr bestanden sind, also 1,3 Prozent der Bodenfläche. Obgleich nun die Zuckerge¬
winnung noch nachlässig und primitiv betrieben wird — die bessern Methoden fangen
eben erst an, sich zu verbreiten —, ist die Produktion, die in der besten Zeit vor dem
Kriege 10 Millionen Doppelzentner betragen hatte, im Kriege auf 2 bis 3 zurück¬
gegangen war, jetzt auf 13 Millionen gestiegen. Die Produktionskosten betragen
1,35 Cents für das Pfund looo Bord. Außerdem erzeugen Rohrzucker: Java 10,
Hawai 3,7, Louisiana 3 Millionen Doppelzentner, Brasilien, Mauritius, Portorico,
Queensland kleinere Mengen; alle zusammen erzeugten im Jahre 1900 36 Millionen.
Ostindien, das ebenfalls Zuckerrohr baut, zählt nicht mit, weil es den Bedarf der
eignen Bevölkerung nicht ganz deckt, darum für Zucker nicht Aus- sondern Ein¬
fuhrland ist. Die Rohrzuckerproduktion ist langsam von 11 Millionen Doppel¬
zentnern im Jahre 1840 auf 36 Millionen im Jahre 1900 gestiegen. Der
Rübenzucker hat in derselben Zeit gewaltige Sprünge gemacht: im ersten Jahrzehnt
von 0,4 auf 2 Millionen, in jedem folgenden auf ungefähr das Doppelte des
vorhergehenden bis 60 Millionen im Jahre 1900. Aber den Rekord im Ringen
mit dem Rohrzucker hat der Rübenzucker schon im Jahre 1899 erreicht, wo sein
Anteil an der Weltproduktion 64^ Prozent betrug; in der Kampagne 1904/05
deckte er nur 51,7 Prozent des Weltkonsums; der Rohrzucker machte also mit ihm
beinahe Halbpart. (Die genauen Zahlen werden gerade hier nicht angegeben; da
der Weltbedarf reichlich 100 Millionen Doppelzentner beträgt, müßte die Rohr¬
zuckermenge in der genannten Zeit fast 50 Millionen erreicht haben.) Wolf schließt
daraus, daß das Jahr 1900 der Wendepunkt sei. von dem an der Rübenzucker in
immer stärkeren Maße vom Rohrzucker überflügelt werden werde. Denn der Er¬
folg des Rübenzuckers beruhe auf der Wissenschaft, und die sei mit ihren Leistungen
an den Grenzen der Möglichkeit angelangt, die Rohrzuckerfabrikation bedürfe vor
der Hand noch gar keiner Chemie, sondern nur des Kapitals (das ihr jetzt durch
die Verbindung mit den Vereinigten Staaten zur Verfügung stehe) und der Arbeiter,
die nötig seien, die Anbaufläche des Zuckerrohrs zu vergrößern; sie stehe also erst
im Anfange ihrer Entwicklung. Ein Kubaner hat erklärt: „Wir brauchen keine
Chemie; könnten wir nur all unser Rohr durch die Fabrik durchpeitschen! Wir
müssen jedes Jahr ganze Rohrfelder ungeschnitten stehn lassen." Deutschland ge¬
winnt mit allen wissenschaftlichen Schikanen 43 Doppelzentner Zucker vom Hektar,
Hawai ohne solche 104, auf den besten Plantagen 334. Nun hat es ja die
Versuchsstation Lauchstadt bei Halle auf 87,1 Doppelzentner gebracht, und so hoch,
meint Wolf, könnte man es überall bei uns bringen, wenn man — die Kosten
nicht scheute; leider verraten die Lauchstädter Berichte nicht, wie hoch sie sich be-
Grenzboten III 1906 50
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