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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Das türkische Schattentheater

Der Schauplatz der Begebenheit ist eine öffentliche Platzanlage in Kon¬
stantinopel in transparenter Darstellung; im Vordergrunde ein Brunnen, rechts
und links Häuser. Zunächst erscheint ein Wächter, dann ein Hund, hierauf ein
Wasserträger; es folgt eine Menge Personen, die zu dem Inhalt des Stückes
in keiner wesentlichen Beziehung stehn, sondern nur dazu dienen, das Tableau
recht lebendig zu machen und ein möglichst realistisches Bild konstantinopoli-
tanischen Straßenlebens zu geben. Nun öffnet sich die Tür des Hauses, und
die bekannte Gestalt Hagievads tritt heraus, gefolgt von einem Mohren mit
einer Reisetasche. Er ruft laut:

Karagöz, Karagöz, mein bester Freund, schläfst du?

Der Berufne, von allen Zuschauern mit frenetischem Jubel begrüßt, steckt
augenblicklich seine Nase zum Fenster hinaus. Dann eilt er hinunter, um
seinen wackern Freund zu umarmen.

Hagievad: Höre, ich muß in dringenden Geschäften nach Brussa verreisen,
und du könntest mir einen großen Dienst erweisen. Du weißt, ich habe eine reizende
Frau, und sie allein zu lassen, kostet mich außerordentliche Überwindung. Da ist
mir über Nacht eine vorzügliche Idee gekommen, nämlich dich, mein Junge, zum
Wächter ihrer Tugend zu machen. Deine aufrichtige Hingebung an mich ist mir
bekannt, und ich freue mich, dir diesen Beweis meines Vertrauens geben zu können.

Karagöz: Donnerwetter, das ist eine verdammt kitzlige Geschichte. Betrachte
mich gefälligst einmal.


Hagievad:

Nun, und?

Fü Karagöz: rchtest du nicht, daß deine Frau sich auf der Stelle in mich
verlieben wird, sobald sie mich erblickt?

Hagievad: Nicht im geringsten. Meine Frau liebt mich, und von deiner
Seite habe ich am allerwenigsten Gefahr zu erwarten, mein armer Junge. Denn
beim Barte des Propheten, deine Bauart ist doch etwas bedenklich. Also ich rechne
auf dich (ab).

In einem längern Monolog stellt der Held des Stückes nun Betrachtungen
darüber an, ob er sich der Frau des Hauses zeigen oder ihr seinen nach seiner
Meinung ihr so gefährlichen Anblick entziehn soll. Endlich kommt er zu dein
Entschluß, ihrer Tugend keine Fallstricke zu legen und der übernommnen Auf¬
gabe treu zu bleiben.

Nun folgt eine Szene, die auf der Leinwand höchst komisch wirkt, die zu
beschreiben aber nicht leicht ist. Um sich der Frau seines Freundes unkennt¬
lich zu machen, formt Karagöz aus seinem Körper eine Brücke, die eine Menge
Personen überschreiten; als ihm dies zu gefährlich wird, macht er aus sich
einen Eichenpfahl. Wäscherinnen kommen vom Brunnen, breiten ihre Linnen
vor ihm aus, und der heldenhafte Mann freut sich der gelungner Täuschung.
Knechte erscheinen, um die Pferde zur Tränke zu führen, ein Genosse ladet sie
zu einem Trunke im naheliegenden Wirtshaus ein, und sie binden die Tiere
ein den vermeintlichen Pfahl. Plötzlich nehmen diese Reißaus und schleppen
den unglücklichen Karagöz hinter sich, bis er auf seine Hilferufe von der Menge
befreit wird.


Das türkische Schattentheater

Der Schauplatz der Begebenheit ist eine öffentliche Platzanlage in Kon¬
stantinopel in transparenter Darstellung; im Vordergrunde ein Brunnen, rechts
und links Häuser. Zunächst erscheint ein Wächter, dann ein Hund, hierauf ein
Wasserträger; es folgt eine Menge Personen, die zu dem Inhalt des Stückes
in keiner wesentlichen Beziehung stehn, sondern nur dazu dienen, das Tableau
recht lebendig zu machen und ein möglichst realistisches Bild konstantinopoli-
tanischen Straßenlebens zu geben. Nun öffnet sich die Tür des Hauses, und
die bekannte Gestalt Hagievads tritt heraus, gefolgt von einem Mohren mit
einer Reisetasche. Er ruft laut:

Karagöz, Karagöz, mein bester Freund, schläfst du?

Der Berufne, von allen Zuschauern mit frenetischem Jubel begrüßt, steckt
augenblicklich seine Nase zum Fenster hinaus. Dann eilt er hinunter, um
seinen wackern Freund zu umarmen.

Hagievad: Höre, ich muß in dringenden Geschäften nach Brussa verreisen,
und du könntest mir einen großen Dienst erweisen. Du weißt, ich habe eine reizende
Frau, und sie allein zu lassen, kostet mich außerordentliche Überwindung. Da ist
mir über Nacht eine vorzügliche Idee gekommen, nämlich dich, mein Junge, zum
Wächter ihrer Tugend zu machen. Deine aufrichtige Hingebung an mich ist mir
bekannt, und ich freue mich, dir diesen Beweis meines Vertrauens geben zu können.

Karagöz: Donnerwetter, das ist eine verdammt kitzlige Geschichte. Betrachte
mich gefälligst einmal.


Hagievad:

Nun, und?

Fü Karagöz: rchtest du nicht, daß deine Frau sich auf der Stelle in mich
verlieben wird, sobald sie mich erblickt?

Hagievad: Nicht im geringsten. Meine Frau liebt mich, und von deiner
Seite habe ich am allerwenigsten Gefahr zu erwarten, mein armer Junge. Denn
beim Barte des Propheten, deine Bauart ist doch etwas bedenklich. Also ich rechne
auf dich (ab).

In einem längern Monolog stellt der Held des Stückes nun Betrachtungen
darüber an, ob er sich der Frau des Hauses zeigen oder ihr seinen nach seiner
Meinung ihr so gefährlichen Anblick entziehn soll. Endlich kommt er zu dein
Entschluß, ihrer Tugend keine Fallstricke zu legen und der übernommnen Auf¬
gabe treu zu bleiben.

Nun folgt eine Szene, die auf der Leinwand höchst komisch wirkt, die zu
beschreiben aber nicht leicht ist. Um sich der Frau seines Freundes unkennt¬
lich zu machen, formt Karagöz aus seinem Körper eine Brücke, die eine Menge
Personen überschreiten; als ihm dies zu gefährlich wird, macht er aus sich
einen Eichenpfahl. Wäscherinnen kommen vom Brunnen, breiten ihre Linnen
vor ihm aus, und der heldenhafte Mann freut sich der gelungner Täuschung.
Knechte erscheinen, um die Pferde zur Tränke zu führen, ein Genosse ladet sie
zu einem Trunke im naheliegenden Wirtshaus ein, und sie binden die Tiere
ein den vermeintlichen Pfahl. Plötzlich nehmen diese Reißaus und schleppen
den unglücklichen Karagöz hinter sich, bis er auf seine Hilferufe von der Menge
befreit wird.


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[0363] Das türkische Schattentheater Der Schauplatz der Begebenheit ist eine öffentliche Platzanlage in Kon¬ stantinopel in transparenter Darstellung; im Vordergrunde ein Brunnen, rechts und links Häuser. Zunächst erscheint ein Wächter, dann ein Hund, hierauf ein Wasserträger; es folgt eine Menge Personen, die zu dem Inhalt des Stückes in keiner wesentlichen Beziehung stehn, sondern nur dazu dienen, das Tableau recht lebendig zu machen und ein möglichst realistisches Bild konstantinopoli- tanischen Straßenlebens zu geben. Nun öffnet sich die Tür des Hauses, und die bekannte Gestalt Hagievads tritt heraus, gefolgt von einem Mohren mit einer Reisetasche. Er ruft laut: Karagöz, Karagöz, mein bester Freund, schläfst du? Der Berufne, von allen Zuschauern mit frenetischem Jubel begrüßt, steckt augenblicklich seine Nase zum Fenster hinaus. Dann eilt er hinunter, um seinen wackern Freund zu umarmen. Hagievad: Höre, ich muß in dringenden Geschäften nach Brussa verreisen, und du könntest mir einen großen Dienst erweisen. Du weißt, ich habe eine reizende Frau, und sie allein zu lassen, kostet mich außerordentliche Überwindung. Da ist mir über Nacht eine vorzügliche Idee gekommen, nämlich dich, mein Junge, zum Wächter ihrer Tugend zu machen. Deine aufrichtige Hingebung an mich ist mir bekannt, und ich freue mich, dir diesen Beweis meines Vertrauens geben zu können. Karagöz: Donnerwetter, das ist eine verdammt kitzlige Geschichte. Betrachte mich gefälligst einmal. Hagievad: Nun, und? Fü Karagöz: rchtest du nicht, daß deine Frau sich auf der Stelle in mich verlieben wird, sobald sie mich erblickt? Hagievad: Nicht im geringsten. Meine Frau liebt mich, und von deiner Seite habe ich am allerwenigsten Gefahr zu erwarten, mein armer Junge. Denn beim Barte des Propheten, deine Bauart ist doch etwas bedenklich. Also ich rechne auf dich (ab). In einem längern Monolog stellt der Held des Stückes nun Betrachtungen darüber an, ob er sich der Frau des Hauses zeigen oder ihr seinen nach seiner Meinung ihr so gefährlichen Anblick entziehn soll. Endlich kommt er zu dein Entschluß, ihrer Tugend keine Fallstricke zu legen und der übernommnen Auf¬ gabe treu zu bleiben. Nun folgt eine Szene, die auf der Leinwand höchst komisch wirkt, die zu beschreiben aber nicht leicht ist. Um sich der Frau seines Freundes unkennt¬ lich zu machen, formt Karagöz aus seinem Körper eine Brücke, die eine Menge Personen überschreiten; als ihm dies zu gefährlich wird, macht er aus sich einen Eichenpfahl. Wäscherinnen kommen vom Brunnen, breiten ihre Linnen vor ihm aus, und der heldenhafte Mann freut sich der gelungner Täuschung. Knechte erscheinen, um die Pferde zur Tränke zu führen, ein Genosse ladet sie zu einem Trunke im naheliegenden Wirtshaus ein, und sie binden die Tiere ein den vermeintlichen Pfahl. Plötzlich nehmen diese Reißaus und schleppen den unglücklichen Karagöz hinter sich, bis er auf seine Hilferufe von der Menge befreit wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/363>, abgerufen am 27.12.2024.