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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Zur Ästhetik des Tragischen

die Herrschaft des Gemeinen, Wüsten und Sinnlosen geschildert wird, dennoch
die von der Besonderheit des Inhalts ausgehende Unlust durch die vom
Menschlich-Bedeütungsvollen erregte Lust überwogen wird." Da, wie gesagt
worden ist, der Dichter des Tragischen sein Werk nicht schaffen kann, ohne
dabei von seiner Weltanschauung beeinflußt zu werden und sie einigermaßen
zu verraten, so fragt es sich, welche Weltanschauung der Darstellung des
Tragischen am günstigsten sei. Ausgeschlossen bleibt selbstverständlich als
gänzlich unverträglich mit dem Tragischen jede frivole und gemeine, auch die
Philisterhaft moralische. "Eine frivol gewonnene Lebensanschauung ist nicht
menschlich gewichtvoll genug. Außerdem wird durch eine Lebensanschauung,
die ihre Freude daran hat, den Leser mit sich in den Kot zu ziehn, die Grund¬
lage jeder künstlerischen Stimmung gröblich verletzt. Sobald sinnliche Begierden
aufgestachelt werden oder der Leser auch nur spürt, daß der Dichter auf solche
Aufstachelung loszielt, hört die Möglichkeit künstlerischen Genießens auf. Der
Leser Leider nicht jederZ fühlt sich erniedrigt, angeekelt, geärgert, empört.
Gefühle dieser Art drängen sich beim Lesen zahlreicher moderner Schriftsteller
auf, z. B. Conrads und Bahrs." Die antike und die des orthodoxen Christen¬
tums hält Volkelt für wenig günstig, weil in beiden das Schicksal transzendent,
die im Hintergrunde bestimmende und entscheidend eingreifende höhere Macht
als eine dem Menschen fremd gegenüberstehende gedacht wird. Den christlichen
Glauben nennt Volkelt noch außerdem seiner optimistischen Grundstimmung
wegen untragisch. Der christliche Dichter werde, wenn er schon so kühn ist,
seinen Helden in den Tod zu führen, ihm die Aussicht auf die ewige Seligkeit
eröffnen und dadurch die Tragik abschwächen. Auch seien die Tugenden, die
das unverfälschte Christentum vorzugsweise empfiehlt und pflegt: Demut,
Sanftmut, Bereitwilligkeit zum geduldigen Leiden, der Entfaltung straffer
Männlichkeit, wie sie den tragischen Helden und seinen Gegnern ziemt, wenig
günstig. Es gibt zwar, muß man hinzufügen, ein Christentum, das gerade
diese Eigenschaft pflegt, und das sich ebenfalls für das unverfälschte hält, das
kalvinische, aber dieses verbietet, wo es sich seine puritanische Reinheit bewahrt
hat. das Theater und auch jede den Theatergenuß ersetzende Lektüre und ist.
nebenbei bemerkt, mit seiner Prädestination nicht bloß nicht optimistisch, sondern
mehr als tragisch, gräßlich. Die moderne Weltanschauung erklärt Volkelt für
das Element, in dem allein das Tragische seine ungehemmt kraftvolle und
folgerichtige Entwicklung finden könne, denn hier sei das Schicksal das Ergebnis
des Zusammenwirkens des Einzelnen mit der gesetzmäßig geordneten Umwelt,
^ sei immanenter Natur. Demnach hätten wir von unsern Modernen, die
sich zum Monismus bekennen, die allervollkommensten Dramen, einen Uber-
shakespeare zu erwarten. Ganz so meint es nun wohl Volkelt nicht; er sagt
ausdrücklich, daß die Immanenz nicht in einem dem Christentum feindlichen
Sinne gedacht zu werden brauche, daß der Geist des Christentums in die
moderne Weltanschauung aufgenommen werden könne. Und da er an einer


Zur Ästhetik des Tragischen

die Herrschaft des Gemeinen, Wüsten und Sinnlosen geschildert wird, dennoch
die von der Besonderheit des Inhalts ausgehende Unlust durch die vom
Menschlich-Bedeütungsvollen erregte Lust überwogen wird." Da, wie gesagt
worden ist, der Dichter des Tragischen sein Werk nicht schaffen kann, ohne
dabei von seiner Weltanschauung beeinflußt zu werden und sie einigermaßen
zu verraten, so fragt es sich, welche Weltanschauung der Darstellung des
Tragischen am günstigsten sei. Ausgeschlossen bleibt selbstverständlich als
gänzlich unverträglich mit dem Tragischen jede frivole und gemeine, auch die
Philisterhaft moralische. „Eine frivol gewonnene Lebensanschauung ist nicht
menschlich gewichtvoll genug. Außerdem wird durch eine Lebensanschauung,
die ihre Freude daran hat, den Leser mit sich in den Kot zu ziehn, die Grund¬
lage jeder künstlerischen Stimmung gröblich verletzt. Sobald sinnliche Begierden
aufgestachelt werden oder der Leser auch nur spürt, daß der Dichter auf solche
Aufstachelung loszielt, hört die Möglichkeit künstlerischen Genießens auf. Der
Leser Leider nicht jederZ fühlt sich erniedrigt, angeekelt, geärgert, empört.
Gefühle dieser Art drängen sich beim Lesen zahlreicher moderner Schriftsteller
auf, z. B. Conrads und Bahrs." Die antike und die des orthodoxen Christen¬
tums hält Volkelt für wenig günstig, weil in beiden das Schicksal transzendent,
die im Hintergrunde bestimmende und entscheidend eingreifende höhere Macht
als eine dem Menschen fremd gegenüberstehende gedacht wird. Den christlichen
Glauben nennt Volkelt noch außerdem seiner optimistischen Grundstimmung
wegen untragisch. Der christliche Dichter werde, wenn er schon so kühn ist,
seinen Helden in den Tod zu führen, ihm die Aussicht auf die ewige Seligkeit
eröffnen und dadurch die Tragik abschwächen. Auch seien die Tugenden, die
das unverfälschte Christentum vorzugsweise empfiehlt und pflegt: Demut,
Sanftmut, Bereitwilligkeit zum geduldigen Leiden, der Entfaltung straffer
Männlichkeit, wie sie den tragischen Helden und seinen Gegnern ziemt, wenig
günstig. Es gibt zwar, muß man hinzufügen, ein Christentum, das gerade
diese Eigenschaft pflegt, und das sich ebenfalls für das unverfälschte hält, das
kalvinische, aber dieses verbietet, wo es sich seine puritanische Reinheit bewahrt
hat. das Theater und auch jede den Theatergenuß ersetzende Lektüre und ist.
nebenbei bemerkt, mit seiner Prädestination nicht bloß nicht optimistisch, sondern
mehr als tragisch, gräßlich. Die moderne Weltanschauung erklärt Volkelt für
das Element, in dem allein das Tragische seine ungehemmt kraftvolle und
folgerichtige Entwicklung finden könne, denn hier sei das Schicksal das Ergebnis
des Zusammenwirkens des Einzelnen mit der gesetzmäßig geordneten Umwelt,
^ sei immanenter Natur. Demnach hätten wir von unsern Modernen, die
sich zum Monismus bekennen, die allervollkommensten Dramen, einen Uber-
shakespeare zu erwarten. Ganz so meint es nun wohl Volkelt nicht; er sagt
ausdrücklich, daß die Immanenz nicht in einem dem Christentum feindlichen
Sinne gedacht zu werden brauche, daß der Geist des Christentums in die
moderne Weltanschauung aufgenommen werden könne. Und da er an einer


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[0355] Zur Ästhetik des Tragischen die Herrschaft des Gemeinen, Wüsten und Sinnlosen geschildert wird, dennoch die von der Besonderheit des Inhalts ausgehende Unlust durch die vom Menschlich-Bedeütungsvollen erregte Lust überwogen wird." Da, wie gesagt worden ist, der Dichter des Tragischen sein Werk nicht schaffen kann, ohne dabei von seiner Weltanschauung beeinflußt zu werden und sie einigermaßen zu verraten, so fragt es sich, welche Weltanschauung der Darstellung des Tragischen am günstigsten sei. Ausgeschlossen bleibt selbstverständlich als gänzlich unverträglich mit dem Tragischen jede frivole und gemeine, auch die Philisterhaft moralische. „Eine frivol gewonnene Lebensanschauung ist nicht menschlich gewichtvoll genug. Außerdem wird durch eine Lebensanschauung, die ihre Freude daran hat, den Leser mit sich in den Kot zu ziehn, die Grund¬ lage jeder künstlerischen Stimmung gröblich verletzt. Sobald sinnliche Begierden aufgestachelt werden oder der Leser auch nur spürt, daß der Dichter auf solche Aufstachelung loszielt, hört die Möglichkeit künstlerischen Genießens auf. Der Leser Leider nicht jederZ fühlt sich erniedrigt, angeekelt, geärgert, empört. Gefühle dieser Art drängen sich beim Lesen zahlreicher moderner Schriftsteller auf, z. B. Conrads und Bahrs." Die antike und die des orthodoxen Christen¬ tums hält Volkelt für wenig günstig, weil in beiden das Schicksal transzendent, die im Hintergrunde bestimmende und entscheidend eingreifende höhere Macht als eine dem Menschen fremd gegenüberstehende gedacht wird. Den christlichen Glauben nennt Volkelt noch außerdem seiner optimistischen Grundstimmung wegen untragisch. Der christliche Dichter werde, wenn er schon so kühn ist, seinen Helden in den Tod zu führen, ihm die Aussicht auf die ewige Seligkeit eröffnen und dadurch die Tragik abschwächen. Auch seien die Tugenden, die das unverfälschte Christentum vorzugsweise empfiehlt und pflegt: Demut, Sanftmut, Bereitwilligkeit zum geduldigen Leiden, der Entfaltung straffer Männlichkeit, wie sie den tragischen Helden und seinen Gegnern ziemt, wenig günstig. Es gibt zwar, muß man hinzufügen, ein Christentum, das gerade diese Eigenschaft pflegt, und das sich ebenfalls für das unverfälschte hält, das kalvinische, aber dieses verbietet, wo es sich seine puritanische Reinheit bewahrt hat. das Theater und auch jede den Theatergenuß ersetzende Lektüre und ist. nebenbei bemerkt, mit seiner Prädestination nicht bloß nicht optimistisch, sondern mehr als tragisch, gräßlich. Die moderne Weltanschauung erklärt Volkelt für das Element, in dem allein das Tragische seine ungehemmt kraftvolle und folgerichtige Entwicklung finden könne, denn hier sei das Schicksal das Ergebnis des Zusammenwirkens des Einzelnen mit der gesetzmäßig geordneten Umwelt, ^ sei immanenter Natur. Demnach hätten wir von unsern Modernen, die sich zum Monismus bekennen, die allervollkommensten Dramen, einen Uber- shakespeare zu erwarten. Ganz so meint es nun wohl Volkelt nicht; er sagt ausdrücklich, daß die Immanenz nicht in einem dem Christentum feindlichen Sinne gedacht zu werden brauche, daß der Geist des Christentums in die moderne Weltanschauung aufgenommen werden könne. Und da er an einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/355>, abgerufen am 23.07.2024.