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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Entwicklung der Luftschiffahrt

hat jedoch dieser Flugversuch stattgefunden, so war der dabei Verunglückte sicherlich
einer der ersten in der Reihe der unzähligen Opfer, die die Lüfte seitdem ge¬
fordert haben.

Wie man die Kunst des Schwimmens der Natur abgesehen hatte, so nahm
man sich auch den Vogel zum Vorbild, als man sich in sein Reich begeben
wollte. Wie bald aber versagten die Armkräfte, die die künstlich konstruierten
Flügel in Bewegung setzen mußten! Zerschmetterte Gliedmaßen waren im
günstigsten Falle das Resultat.

Doch der Mensch ruhte nicht. Jahrhundertelang mehrten sich die Ver¬
suche und -- die Unglücksfälle. Das Mittelalter erst, das mit seinem finstern
Aberglauben so vieles als gotteslästerlich und als Teufelswerk hinstellte, legte
auch den Flugkünstlern das Handwerk. Die Zeit Lionardo da Vincis bringt
dann einen neuen Aufschwung. Es dürfte wenig bekannt sein, daß sich dieses
gewaltige Genie auch mit flugtechnischen Fragen beschäftigte. Ein von ihm ver¬
faßtes Werk über "Mechanik und Vogelflug" gab dem Erfindungs- und Unter¬
nehmungsgeist Mancher neue Anregung.

Aber alle Versuche zelligem dasselbe Resultat: des Menschen Kräfte waren
im Verhältnis zu seiner Körperschwere viel zu gering, als daß er sich durch
sie nach Vogelart auch nur einige Zeit in der Luft schwebend erhalten konnte,
geschweige denn, daß an eine Flugbewegung zu denken war.

Nun sollten Magnetismus und Elektrizität helfen. Doch diese Idee war
ebenso phantastisch, wie der Gedanke unausführbar war, zum Hochtrieb Kugeln
aus Kupferblech zu benutzen, nachdem man sie mit der Luftpumpe entleert hatte.
Wenn dies nun auch eine völlig falsche Vorstellung von der Wirkung des Luft¬
drucks verrät, so ist es doch deshalb interessant, weil dadurch zum erstenmal an¬
gedeutet wird, daß ein Körper emporsteigen müsse, wenn er leichter als die Luft
ist, und damit hatte man im Prinzip den Luftballon erfunden. Zu seiner Kon¬
struktion führten jedoch erst Entdeckungen, die mit dem so lange gesuchten
Problem, sich in die Lüfte erheben zu können, scheinbar in gar keinem Zusammen¬
hang standen.

Zwei Franzosen namens Montgolfier, die sich schon viel mit allerlei Er¬
findungen beschäftigt hatten, verfielen gegen das Ende des achtzehnten Jahr¬
hunderts auf den Gedanken, künstliche Wolken herzustellen. Sie hatten damit
Zwar wenig Glück, doch bemerkten sie, daß der in leichte Umhüllungen geleitete
Wasserdampf eine hochtreibende Kraft hatte, und bei Anwendung von Rauch
war es ebenso. Diese Entdeckung verfolgten sie weiter, und da man gerade in
dieser Zeit anfing, sich mit den Eigenschaften der bis dahin noch wenig bekannten
Gase zu beschäftigen, so lag der Gedanke nahe, anstatt des Wasserdampfes
Wasserstoffgas zu verwenden. Dieses mußte eine große hochtreibende Kraft
haben, da es vierzehnmal leichter war als die Luft. Doch waren die ange¬
wandten Papierhüllen nicht geeignet, das Gas festzuhalten, es entwich sehr rasch,
und da seine Herstellung damals noch wenig bekannt und recht kostspielig war,


Die Entwicklung der Luftschiffahrt

hat jedoch dieser Flugversuch stattgefunden, so war der dabei Verunglückte sicherlich
einer der ersten in der Reihe der unzähligen Opfer, die die Lüfte seitdem ge¬
fordert haben.

Wie man die Kunst des Schwimmens der Natur abgesehen hatte, so nahm
man sich auch den Vogel zum Vorbild, als man sich in sein Reich begeben
wollte. Wie bald aber versagten die Armkräfte, die die künstlich konstruierten
Flügel in Bewegung setzen mußten! Zerschmetterte Gliedmaßen waren im
günstigsten Falle das Resultat.

Doch der Mensch ruhte nicht. Jahrhundertelang mehrten sich die Ver¬
suche und — die Unglücksfälle. Das Mittelalter erst, das mit seinem finstern
Aberglauben so vieles als gotteslästerlich und als Teufelswerk hinstellte, legte
auch den Flugkünstlern das Handwerk. Die Zeit Lionardo da Vincis bringt
dann einen neuen Aufschwung. Es dürfte wenig bekannt sein, daß sich dieses
gewaltige Genie auch mit flugtechnischen Fragen beschäftigte. Ein von ihm ver¬
faßtes Werk über „Mechanik und Vogelflug" gab dem Erfindungs- und Unter¬
nehmungsgeist Mancher neue Anregung.

Aber alle Versuche zelligem dasselbe Resultat: des Menschen Kräfte waren
im Verhältnis zu seiner Körperschwere viel zu gering, als daß er sich durch
sie nach Vogelart auch nur einige Zeit in der Luft schwebend erhalten konnte,
geschweige denn, daß an eine Flugbewegung zu denken war.

Nun sollten Magnetismus und Elektrizität helfen. Doch diese Idee war
ebenso phantastisch, wie der Gedanke unausführbar war, zum Hochtrieb Kugeln
aus Kupferblech zu benutzen, nachdem man sie mit der Luftpumpe entleert hatte.
Wenn dies nun auch eine völlig falsche Vorstellung von der Wirkung des Luft¬
drucks verrät, so ist es doch deshalb interessant, weil dadurch zum erstenmal an¬
gedeutet wird, daß ein Körper emporsteigen müsse, wenn er leichter als die Luft
ist, und damit hatte man im Prinzip den Luftballon erfunden. Zu seiner Kon¬
struktion führten jedoch erst Entdeckungen, die mit dem so lange gesuchten
Problem, sich in die Lüfte erheben zu können, scheinbar in gar keinem Zusammen¬
hang standen.

Zwei Franzosen namens Montgolfier, die sich schon viel mit allerlei Er¬
findungen beschäftigt hatten, verfielen gegen das Ende des achtzehnten Jahr¬
hunderts auf den Gedanken, künstliche Wolken herzustellen. Sie hatten damit
Zwar wenig Glück, doch bemerkten sie, daß der in leichte Umhüllungen geleitete
Wasserdampf eine hochtreibende Kraft hatte, und bei Anwendung von Rauch
war es ebenso. Diese Entdeckung verfolgten sie weiter, und da man gerade in
dieser Zeit anfing, sich mit den Eigenschaften der bis dahin noch wenig bekannten
Gase zu beschäftigen, so lag der Gedanke nahe, anstatt des Wasserdampfes
Wasserstoffgas zu verwenden. Dieses mußte eine große hochtreibende Kraft
haben, da es vierzehnmal leichter war als die Luft. Doch waren die ange¬
wandten Papierhüllen nicht geeignet, das Gas festzuhalten, es entwich sehr rasch,
und da seine Herstellung damals noch wenig bekannt und recht kostspielig war,


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[0319] Die Entwicklung der Luftschiffahrt hat jedoch dieser Flugversuch stattgefunden, so war der dabei Verunglückte sicherlich einer der ersten in der Reihe der unzähligen Opfer, die die Lüfte seitdem ge¬ fordert haben. Wie man die Kunst des Schwimmens der Natur abgesehen hatte, so nahm man sich auch den Vogel zum Vorbild, als man sich in sein Reich begeben wollte. Wie bald aber versagten die Armkräfte, die die künstlich konstruierten Flügel in Bewegung setzen mußten! Zerschmetterte Gliedmaßen waren im günstigsten Falle das Resultat. Doch der Mensch ruhte nicht. Jahrhundertelang mehrten sich die Ver¬ suche und — die Unglücksfälle. Das Mittelalter erst, das mit seinem finstern Aberglauben so vieles als gotteslästerlich und als Teufelswerk hinstellte, legte auch den Flugkünstlern das Handwerk. Die Zeit Lionardo da Vincis bringt dann einen neuen Aufschwung. Es dürfte wenig bekannt sein, daß sich dieses gewaltige Genie auch mit flugtechnischen Fragen beschäftigte. Ein von ihm ver¬ faßtes Werk über „Mechanik und Vogelflug" gab dem Erfindungs- und Unter¬ nehmungsgeist Mancher neue Anregung. Aber alle Versuche zelligem dasselbe Resultat: des Menschen Kräfte waren im Verhältnis zu seiner Körperschwere viel zu gering, als daß er sich durch sie nach Vogelart auch nur einige Zeit in der Luft schwebend erhalten konnte, geschweige denn, daß an eine Flugbewegung zu denken war. Nun sollten Magnetismus und Elektrizität helfen. Doch diese Idee war ebenso phantastisch, wie der Gedanke unausführbar war, zum Hochtrieb Kugeln aus Kupferblech zu benutzen, nachdem man sie mit der Luftpumpe entleert hatte. Wenn dies nun auch eine völlig falsche Vorstellung von der Wirkung des Luft¬ drucks verrät, so ist es doch deshalb interessant, weil dadurch zum erstenmal an¬ gedeutet wird, daß ein Körper emporsteigen müsse, wenn er leichter als die Luft ist, und damit hatte man im Prinzip den Luftballon erfunden. Zu seiner Kon¬ struktion führten jedoch erst Entdeckungen, die mit dem so lange gesuchten Problem, sich in die Lüfte erheben zu können, scheinbar in gar keinem Zusammen¬ hang standen. Zwei Franzosen namens Montgolfier, die sich schon viel mit allerlei Er¬ findungen beschäftigt hatten, verfielen gegen das Ende des achtzehnten Jahr¬ hunderts auf den Gedanken, künstliche Wolken herzustellen. Sie hatten damit Zwar wenig Glück, doch bemerkten sie, daß der in leichte Umhüllungen geleitete Wasserdampf eine hochtreibende Kraft hatte, und bei Anwendung von Rauch war es ebenso. Diese Entdeckung verfolgten sie weiter, und da man gerade in dieser Zeit anfing, sich mit den Eigenschaften der bis dahin noch wenig bekannten Gase zu beschäftigen, so lag der Gedanke nahe, anstatt des Wasserdampfes Wasserstoffgas zu verwenden. Dieses mußte eine große hochtreibende Kraft haben, da es vierzehnmal leichter war als die Luft. Doch waren die ange¬ wandten Papierhüllen nicht geeignet, das Gas festzuhalten, es entwich sehr rasch, und da seine Herstellung damals noch wenig bekannt und recht kostspielig war,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/319>, abgerufen am 23.07.2024.