Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorgeschichte der französischen Revolution von ^789

zwar aufrecht erhalten, aber die alte Rivalität wirkte fort, und Österreich durfte
sich jedenfalls Frankreich gegenüber nichts herausnehmen. Andrerseits kam
man in die Lage, England einmal gründlich zu schaden; man schloß 1778 mit
den amerikanischen Insurgenten ein öffentliches Bündnis, unterstützte sie durch
ein Hilfskorps, verschaffte ihnen 1733 zu Versailles die Unabhängigkeit von
England und gewann sogar in Indien, Afrika und Amerika einige Vorteile.
Die Schmach von 1763 schien völlig gelöscht, aber dem monarchischen Gedanken
kam es in der französischen Nation doch nicht zugute; die allgemeine Stimmung
erklärte sich gegen die Tyrannen überhaupt und schwärmte für die Republik,
und überdies: Frankreichs finanzielle Kräfte waren durch den Krieg erschöpft,
während England den Verlust der amerikanischen Kolonien gar nicht zu be¬
merken schien. Das erhöhte noch die Mißstimmung und ließ eine wahre Freude
an dem tatsächlichen Erfolge gegen England nicht aufkommen.

Diese Erfolge verdankte man natürlich vor allem den vorhandnen Macht¬
mitteln an Heer und Flotte. Für diese interessierte sich das Königspaar von
Anfang an; sie wurde sehr vergrößert, leistete ganz vortreffliches im Unab¬
hängigkeitskriege und betrug an dessen Ende 325 Kriegsschiffe aller Gattungen.
Hätte Napoleon der Erste fortgefahren, in der Weise Ludwigs des Sechzehnten
für die Flotte zu sorgen, so wäre England 1815 sicherlich nicht als Sieger
aus dem Wettkampfe mit Frankreich hervorgegangen. Die Reformen der Land¬
macht gingen von dem Minister Grafen Se. Germain (1765 bis 1777) aus;
sie sind vielfach angegriffen worden, haben aber doch manches gute durchgesetzt:
eine neue Armeeeinteilung, die Verbesserung der Waffen, namentlich der Artillerie,
die Besserstellung der Soldaten in Sold, Kleidung, Verpflegung und Kranken¬
pflege, die Gründung von zehn neuen Militärschulen, in denen eine bessere all¬
gemeine Bildung gegeben wurde, endlich die allmähliche Abschaffung der Käuflich¬
keit der Offiziersstellen. Freilich eine Hauptsache, die Verbesserung der Disziplin,
setzte er bei der allgemeinen Humanitätsduselei nicht durch. Auch nach 1777
ist in der Armee noch tüchtig gearbeitet worden.

Die innere Verwaltung stand zunächst (1774 bis 1776) unter Turgot, dem
großen Denker, der für die Enzyklopädie mehrere Artikel in radikalen Charakter
verfaßte, seine praktische Ausbildung im Parlament und als Intendant von Limoges
genoß und sich in beiden Stellungen einen überaus geachteten, wenn auch ge¬
furchtsten Namen machte. Er hatte ein Herz für das Volk, trat aber doch
entschieden für den Absolutismus der Monarchie ein. Den Haß des Pariser
Parlaments zog er sich als Minister 1774 dadurch zu, daß er zu einer im
reaktionären Sinne vorgenommnen Reform seine Zustimmung gab. Die Reform
war übrigens schwächlich genug und verhinderte keineswegs die bisherige Mit¬
regierung der hohen Behörde. Neben den weitern Reformen unternahm Turgot
den Kampf gegen das jährliche Defizit, das aber, wie es scheint, 1776 immer
noch 24 Millionen betrug, also durchaus nicht ganz beseitigt wurde. Aber es ist
geradezu erstaunlich, was Turgot in der kurzen Zeit seines Amtes von zwanzig
Monaten auf dem Gebiete des Handels, des Gewerbes, der Wissenschaften


Vorgeschichte der französischen Revolution von ^789

zwar aufrecht erhalten, aber die alte Rivalität wirkte fort, und Österreich durfte
sich jedenfalls Frankreich gegenüber nichts herausnehmen. Andrerseits kam
man in die Lage, England einmal gründlich zu schaden; man schloß 1778 mit
den amerikanischen Insurgenten ein öffentliches Bündnis, unterstützte sie durch
ein Hilfskorps, verschaffte ihnen 1733 zu Versailles die Unabhängigkeit von
England und gewann sogar in Indien, Afrika und Amerika einige Vorteile.
Die Schmach von 1763 schien völlig gelöscht, aber dem monarchischen Gedanken
kam es in der französischen Nation doch nicht zugute; die allgemeine Stimmung
erklärte sich gegen die Tyrannen überhaupt und schwärmte für die Republik,
und überdies: Frankreichs finanzielle Kräfte waren durch den Krieg erschöpft,
während England den Verlust der amerikanischen Kolonien gar nicht zu be¬
merken schien. Das erhöhte noch die Mißstimmung und ließ eine wahre Freude
an dem tatsächlichen Erfolge gegen England nicht aufkommen.

Diese Erfolge verdankte man natürlich vor allem den vorhandnen Macht¬
mitteln an Heer und Flotte. Für diese interessierte sich das Königspaar von
Anfang an; sie wurde sehr vergrößert, leistete ganz vortreffliches im Unab¬
hängigkeitskriege und betrug an dessen Ende 325 Kriegsschiffe aller Gattungen.
Hätte Napoleon der Erste fortgefahren, in der Weise Ludwigs des Sechzehnten
für die Flotte zu sorgen, so wäre England 1815 sicherlich nicht als Sieger
aus dem Wettkampfe mit Frankreich hervorgegangen. Die Reformen der Land¬
macht gingen von dem Minister Grafen Se. Germain (1765 bis 1777) aus;
sie sind vielfach angegriffen worden, haben aber doch manches gute durchgesetzt:
eine neue Armeeeinteilung, die Verbesserung der Waffen, namentlich der Artillerie,
die Besserstellung der Soldaten in Sold, Kleidung, Verpflegung und Kranken¬
pflege, die Gründung von zehn neuen Militärschulen, in denen eine bessere all¬
gemeine Bildung gegeben wurde, endlich die allmähliche Abschaffung der Käuflich¬
keit der Offiziersstellen. Freilich eine Hauptsache, die Verbesserung der Disziplin,
setzte er bei der allgemeinen Humanitätsduselei nicht durch. Auch nach 1777
ist in der Armee noch tüchtig gearbeitet worden.

Die innere Verwaltung stand zunächst (1774 bis 1776) unter Turgot, dem
großen Denker, der für die Enzyklopädie mehrere Artikel in radikalen Charakter
verfaßte, seine praktische Ausbildung im Parlament und als Intendant von Limoges
genoß und sich in beiden Stellungen einen überaus geachteten, wenn auch ge¬
furchtsten Namen machte. Er hatte ein Herz für das Volk, trat aber doch
entschieden für den Absolutismus der Monarchie ein. Den Haß des Pariser
Parlaments zog er sich als Minister 1774 dadurch zu, daß er zu einer im
reaktionären Sinne vorgenommnen Reform seine Zustimmung gab. Die Reform
war übrigens schwächlich genug und verhinderte keineswegs die bisherige Mit¬
regierung der hohen Behörde. Neben den weitern Reformen unternahm Turgot
den Kampf gegen das jährliche Defizit, das aber, wie es scheint, 1776 immer
noch 24 Millionen betrug, also durchaus nicht ganz beseitigt wurde. Aber es ist
geradezu erstaunlich, was Turgot in der kurzen Zeit seines Amtes von zwanzig
Monaten auf dem Gebiete des Handels, des Gewerbes, der Wissenschaften


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300090"/>
          <fw type="header" place="top"> Vorgeschichte der französischen Revolution von ^789</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1048" prev="#ID_1047"> zwar aufrecht erhalten, aber die alte Rivalität wirkte fort, und Österreich durfte<lb/>
sich jedenfalls Frankreich gegenüber nichts herausnehmen. Andrerseits kam<lb/>
man in die Lage, England einmal gründlich zu schaden; man schloß 1778 mit<lb/>
den amerikanischen Insurgenten ein öffentliches Bündnis, unterstützte sie durch<lb/>
ein Hilfskorps, verschaffte ihnen 1733 zu Versailles die Unabhängigkeit von<lb/>
England und gewann sogar in Indien, Afrika und Amerika einige Vorteile.<lb/>
Die Schmach von 1763 schien völlig gelöscht, aber dem monarchischen Gedanken<lb/>
kam es in der französischen Nation doch nicht zugute; die allgemeine Stimmung<lb/>
erklärte sich gegen die Tyrannen überhaupt und schwärmte für die Republik,<lb/>
und überdies: Frankreichs finanzielle Kräfte waren durch den Krieg erschöpft,<lb/>
während England den Verlust der amerikanischen Kolonien gar nicht zu be¬<lb/>
merken schien. Das erhöhte noch die Mißstimmung und ließ eine wahre Freude<lb/>
an dem tatsächlichen Erfolge gegen England nicht aufkommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1049"> Diese Erfolge verdankte man natürlich vor allem den vorhandnen Macht¬<lb/>
mitteln an Heer und Flotte. Für diese interessierte sich das Königspaar von<lb/>
Anfang an; sie wurde sehr vergrößert, leistete ganz vortreffliches im Unab¬<lb/>
hängigkeitskriege und betrug an dessen Ende 325 Kriegsschiffe aller Gattungen.<lb/>
Hätte Napoleon der Erste fortgefahren, in der Weise Ludwigs des Sechzehnten<lb/>
für die Flotte zu sorgen, so wäre England 1815 sicherlich nicht als Sieger<lb/>
aus dem Wettkampfe mit Frankreich hervorgegangen. Die Reformen der Land¬<lb/>
macht gingen von dem Minister Grafen Se. Germain (1765 bis 1777) aus;<lb/>
sie sind vielfach angegriffen worden, haben aber doch manches gute durchgesetzt:<lb/>
eine neue Armeeeinteilung, die Verbesserung der Waffen, namentlich der Artillerie,<lb/>
die Besserstellung der Soldaten in Sold, Kleidung, Verpflegung und Kranken¬<lb/>
pflege, die Gründung von zehn neuen Militärschulen, in denen eine bessere all¬<lb/>
gemeine Bildung gegeben wurde, endlich die allmähliche Abschaffung der Käuflich¬<lb/>
keit der Offiziersstellen. Freilich eine Hauptsache, die Verbesserung der Disziplin,<lb/>
setzte er bei der allgemeinen Humanitätsduselei nicht durch. Auch nach 1777<lb/>
ist in der Armee noch tüchtig gearbeitet worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1050" next="#ID_1051"> Die innere Verwaltung stand zunächst (1774 bis 1776) unter Turgot, dem<lb/>
großen Denker, der für die Enzyklopädie mehrere Artikel in radikalen Charakter<lb/>
verfaßte, seine praktische Ausbildung im Parlament und als Intendant von Limoges<lb/>
genoß und sich in beiden Stellungen einen überaus geachteten, wenn auch ge¬<lb/>
furchtsten Namen machte. Er hatte ein Herz für das Volk, trat aber doch<lb/>
entschieden für den Absolutismus der Monarchie ein. Den Haß des Pariser<lb/>
Parlaments zog er sich als Minister 1774 dadurch zu, daß er zu einer im<lb/>
reaktionären Sinne vorgenommnen Reform seine Zustimmung gab. Die Reform<lb/>
war übrigens schwächlich genug und verhinderte keineswegs die bisherige Mit¬<lb/>
regierung der hohen Behörde. Neben den weitern Reformen unternahm Turgot<lb/>
den Kampf gegen das jährliche Defizit, das aber, wie es scheint, 1776 immer<lb/>
noch 24 Millionen betrug, also durchaus nicht ganz beseitigt wurde. Aber es ist<lb/>
geradezu erstaunlich, was Turgot in der kurzen Zeit seines Amtes von zwanzig<lb/>
Monaten auf dem Gebiete des Handels, des Gewerbes, der Wissenschaften</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] Vorgeschichte der französischen Revolution von ^789 zwar aufrecht erhalten, aber die alte Rivalität wirkte fort, und Österreich durfte sich jedenfalls Frankreich gegenüber nichts herausnehmen. Andrerseits kam man in die Lage, England einmal gründlich zu schaden; man schloß 1778 mit den amerikanischen Insurgenten ein öffentliches Bündnis, unterstützte sie durch ein Hilfskorps, verschaffte ihnen 1733 zu Versailles die Unabhängigkeit von England und gewann sogar in Indien, Afrika und Amerika einige Vorteile. Die Schmach von 1763 schien völlig gelöscht, aber dem monarchischen Gedanken kam es in der französischen Nation doch nicht zugute; die allgemeine Stimmung erklärte sich gegen die Tyrannen überhaupt und schwärmte für die Republik, und überdies: Frankreichs finanzielle Kräfte waren durch den Krieg erschöpft, während England den Verlust der amerikanischen Kolonien gar nicht zu be¬ merken schien. Das erhöhte noch die Mißstimmung und ließ eine wahre Freude an dem tatsächlichen Erfolge gegen England nicht aufkommen. Diese Erfolge verdankte man natürlich vor allem den vorhandnen Macht¬ mitteln an Heer und Flotte. Für diese interessierte sich das Königspaar von Anfang an; sie wurde sehr vergrößert, leistete ganz vortreffliches im Unab¬ hängigkeitskriege und betrug an dessen Ende 325 Kriegsschiffe aller Gattungen. Hätte Napoleon der Erste fortgefahren, in der Weise Ludwigs des Sechzehnten für die Flotte zu sorgen, so wäre England 1815 sicherlich nicht als Sieger aus dem Wettkampfe mit Frankreich hervorgegangen. Die Reformen der Land¬ macht gingen von dem Minister Grafen Se. Germain (1765 bis 1777) aus; sie sind vielfach angegriffen worden, haben aber doch manches gute durchgesetzt: eine neue Armeeeinteilung, die Verbesserung der Waffen, namentlich der Artillerie, die Besserstellung der Soldaten in Sold, Kleidung, Verpflegung und Kranken¬ pflege, die Gründung von zehn neuen Militärschulen, in denen eine bessere all¬ gemeine Bildung gegeben wurde, endlich die allmähliche Abschaffung der Käuflich¬ keit der Offiziersstellen. Freilich eine Hauptsache, die Verbesserung der Disziplin, setzte er bei der allgemeinen Humanitätsduselei nicht durch. Auch nach 1777 ist in der Armee noch tüchtig gearbeitet worden. Die innere Verwaltung stand zunächst (1774 bis 1776) unter Turgot, dem großen Denker, der für die Enzyklopädie mehrere Artikel in radikalen Charakter verfaßte, seine praktische Ausbildung im Parlament und als Intendant von Limoges genoß und sich in beiden Stellungen einen überaus geachteten, wenn auch ge¬ furchtsten Namen machte. Er hatte ein Herz für das Volk, trat aber doch entschieden für den Absolutismus der Monarchie ein. Den Haß des Pariser Parlaments zog er sich als Minister 1774 dadurch zu, daß er zu einer im reaktionären Sinne vorgenommnen Reform seine Zustimmung gab. Die Reform war übrigens schwächlich genug und verhinderte keineswegs die bisherige Mit¬ regierung der hohen Behörde. Neben den weitern Reformen unternahm Turgot den Kampf gegen das jährliche Defizit, das aber, wie es scheint, 1776 immer noch 24 Millionen betrug, also durchaus nicht ganz beseitigt wurde. Aber es ist geradezu erstaunlich, was Turgot in der kurzen Zeit seines Amtes von zwanzig Monaten auf dem Gebiete des Handels, des Gewerbes, der Wissenschaften

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/303>, abgerufen am 23.07.2024.