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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Llizabeth percy

sagte die alte Dame, die keinen Augenblick vergaß, daß sie selber eine Howard war ---
gibt es einen Namen in England, der sich mit Bessies eignem messen kann?
Während der nun folgenden Jahre meldete sich ein Heiratskandidat nach dem
andern -- die alte Gräfin war so davon in Anspruch genommen, ihre äußern
Qualifikationen zu untersuchen, daß es ihr auch mit keinem Gedanken einfiel,
darüber nachzudenken, ob sie auch in bezug auf persönliche Eigenschaften zu ihrem
Mündel Päßler. Endlich traf die alte Dame ihre Wahl, und im Alter von vier¬
zehn Jahren wurde Lady Elizabeth unter großer Teilnahme und viel Neid von
feiten zahlreicher vornehmer Familien mit jungen Söhnen verlobt und vermählt.
Der glückliche Bräutigam, der so den großen Preis gewonnen hatte, war Henry
Cavendish, Lord Ogle, einziger Sohn des Herzogs von Newcastle -- ein Jüngling
von sechzehn Jahren und eine fast ebenso gute Partie wie die junge Baronesse selber.
Er erregte anfänglich ihre Neugier -- sie interessierte sich in der Regel kindlich
lebhaft für Fremde --, und sie empfand immer, solange er lebte, ein aufrichtiges
Mitleid mit ihm. Er war ein kränklicher Jüngling, physisch kraftlos, ungewöhnlich
schwach begabt und Religionsgrübeleien ergeben, ein unentwickelter Knabe, der vor
Ablauf des Jahres starb, ohne jemals versucht oder auch nur gewünscht zu haben,
den schwächsten Beweis von der Zuneigung seiner jungen Frau zu erlangen.

Er erkrankte auf Alnwick, wohin sich das junge Paar, begleitet von der alten
Gräfin, begeben hatte. Lady Elizabeth sprach schon eifrig davon, das Schloß zu
restaurieren, und Lord Ogle hatte gewünscht, es zu sehen. Nach seinem Tode blieb
die junge Witwe vorläufig in Northumberland.

Das Wiedersehen zwischen Elizabeth und Henry Percy war anfangs sehr kühl
gewesen. Lady Elizabeth -- niemand von dem nähern Kreise konnte sich recht ent¬
schließen, sie Lady Ogle zu nennen -- hatte sich in den drei Jahren, die sie in
Sussex verlebt hatte, sehr entwickelt. Sie war ein völliges Kind gewesen, als sie
fortging, jetzt war sie -- oder sah wenigstens so aus, als wäre sie es -- ein
junges Mädchen, kleidete sich reich, trug sich, wenn sie es wollte, mit Haltung und
Würde. Harry hingegen war sich gleich geblieben, und es währte nicht lange
-- obwohl er seinerseits sich zuerst sehr zurückhaltend zeigte --, bis ihr Benehmen
ihm gegenüber genau dasselbe war, wie es immer gewesen war. Lord Ogle war
schon bei ihrer Ankunft in Alnwick keineswegs gesund gewesen, und die be¬
kümmerte Gräfin beschäftigte sich in der ersten Zeit fast nur mit ihm. Elizabeth mußte
für sich selbst sorgen, und nun wurde es Percys Pflicht, sie zu unterhalten. Sobald
sie des Morgens erwachte, fragte sie nach ihm -- der ganze Tag war beständig
ausgefüllt durch Ritte mit "Harry", Beratungen mit "Harry", Jagd mit "Harry",
Lektüre mit "Harry", Spiel und Scherz mit "Harry" und -- wenn sie ihm oder
andern zuwiderhandelte -- Schelte Von "Harry". Oft erinnerte sie ihn dann mit
schelmischem Übermut, wie bange sie als Kind vor ihm gewesen sei: wie sich alle
im Hause in letzter Instanz an ihn gewandt hatten, wenn sie ihnen zu beschwerlich
wurde. Wußte er wohl noch, wie er sie bei den Schultern gepackt und geschüttelt
hatte -- xarols ä'bonnsur, monsisur! --, sie geschüttelt hatte, sodaß ihr die Zähne
im Munde klapperten, als sie den Suppenteller über der alten Anna Sonntags¬
kleid geschüttet hatte? . . . Wußte er das wohl noch? . . . Harry Percy Pflegte
nicht zu antworten -- stand dumm und schweigend mit gesenkten Augen und einem
unsichern, unwilligen Lächeln vor ihr, die schelmisch und ihn unbarmherzig neckend
fühlte, wie sie ihm mit jeder Sekunde über den Kopf wuchs. Bis er plötzlich
-- bis zum äußersten gebracht -- endlich seinen Blick aufschlug und nun die Reihe,
sich außer Fassung zu fühlen, an dem Mädchen war. Aber niemals lange -- niemals
lange. -- Das war nicht Elizabeth Percys Art.


Llizabeth percy

sagte die alte Dame, die keinen Augenblick vergaß, daß sie selber eine Howard war -—
gibt es einen Namen in England, der sich mit Bessies eignem messen kann?
Während der nun folgenden Jahre meldete sich ein Heiratskandidat nach dem
andern — die alte Gräfin war so davon in Anspruch genommen, ihre äußern
Qualifikationen zu untersuchen, daß es ihr auch mit keinem Gedanken einfiel,
darüber nachzudenken, ob sie auch in bezug auf persönliche Eigenschaften zu ihrem
Mündel Päßler. Endlich traf die alte Dame ihre Wahl, und im Alter von vier¬
zehn Jahren wurde Lady Elizabeth unter großer Teilnahme und viel Neid von
feiten zahlreicher vornehmer Familien mit jungen Söhnen verlobt und vermählt.
Der glückliche Bräutigam, der so den großen Preis gewonnen hatte, war Henry
Cavendish, Lord Ogle, einziger Sohn des Herzogs von Newcastle — ein Jüngling
von sechzehn Jahren und eine fast ebenso gute Partie wie die junge Baronesse selber.
Er erregte anfänglich ihre Neugier — sie interessierte sich in der Regel kindlich
lebhaft für Fremde —, und sie empfand immer, solange er lebte, ein aufrichtiges
Mitleid mit ihm. Er war ein kränklicher Jüngling, physisch kraftlos, ungewöhnlich
schwach begabt und Religionsgrübeleien ergeben, ein unentwickelter Knabe, der vor
Ablauf des Jahres starb, ohne jemals versucht oder auch nur gewünscht zu haben,
den schwächsten Beweis von der Zuneigung seiner jungen Frau zu erlangen.

Er erkrankte auf Alnwick, wohin sich das junge Paar, begleitet von der alten
Gräfin, begeben hatte. Lady Elizabeth sprach schon eifrig davon, das Schloß zu
restaurieren, und Lord Ogle hatte gewünscht, es zu sehen. Nach seinem Tode blieb
die junge Witwe vorläufig in Northumberland.

Das Wiedersehen zwischen Elizabeth und Henry Percy war anfangs sehr kühl
gewesen. Lady Elizabeth — niemand von dem nähern Kreise konnte sich recht ent¬
schließen, sie Lady Ogle zu nennen — hatte sich in den drei Jahren, die sie in
Sussex verlebt hatte, sehr entwickelt. Sie war ein völliges Kind gewesen, als sie
fortging, jetzt war sie — oder sah wenigstens so aus, als wäre sie es — ein
junges Mädchen, kleidete sich reich, trug sich, wenn sie es wollte, mit Haltung und
Würde. Harry hingegen war sich gleich geblieben, und es währte nicht lange
— obwohl er seinerseits sich zuerst sehr zurückhaltend zeigte —, bis ihr Benehmen
ihm gegenüber genau dasselbe war, wie es immer gewesen war. Lord Ogle war
schon bei ihrer Ankunft in Alnwick keineswegs gesund gewesen, und die be¬
kümmerte Gräfin beschäftigte sich in der ersten Zeit fast nur mit ihm. Elizabeth mußte
für sich selbst sorgen, und nun wurde es Percys Pflicht, sie zu unterhalten. Sobald
sie des Morgens erwachte, fragte sie nach ihm — der ganze Tag war beständig
ausgefüllt durch Ritte mit „Harry", Beratungen mit „Harry", Jagd mit „Harry",
Lektüre mit „Harry", Spiel und Scherz mit „Harry" und — wenn sie ihm oder
andern zuwiderhandelte — Schelte Von „Harry". Oft erinnerte sie ihn dann mit
schelmischem Übermut, wie bange sie als Kind vor ihm gewesen sei: wie sich alle
im Hause in letzter Instanz an ihn gewandt hatten, wenn sie ihnen zu beschwerlich
wurde. Wußte er wohl noch, wie er sie bei den Schultern gepackt und geschüttelt
hatte — xarols ä'bonnsur, monsisur! —, sie geschüttelt hatte, sodaß ihr die Zähne
im Munde klapperten, als sie den Suppenteller über der alten Anna Sonntags¬
kleid geschüttet hatte? . . . Wußte er das wohl noch? . . . Harry Percy Pflegte
nicht zu antworten — stand dumm und schweigend mit gesenkten Augen und einem
unsichern, unwilligen Lächeln vor ihr, die schelmisch und ihn unbarmherzig neckend
fühlte, wie sie ihm mit jeder Sekunde über den Kopf wuchs. Bis er plötzlich
— bis zum äußersten gebracht — endlich seinen Blick aufschlug und nun die Reihe,
sich außer Fassung zu fühlen, an dem Mädchen war. Aber niemals lange — niemals
lange. — Das war nicht Elizabeth Percys Art.


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[0274] Llizabeth percy sagte die alte Dame, die keinen Augenblick vergaß, daß sie selber eine Howard war -— gibt es einen Namen in England, der sich mit Bessies eignem messen kann? Während der nun folgenden Jahre meldete sich ein Heiratskandidat nach dem andern — die alte Gräfin war so davon in Anspruch genommen, ihre äußern Qualifikationen zu untersuchen, daß es ihr auch mit keinem Gedanken einfiel, darüber nachzudenken, ob sie auch in bezug auf persönliche Eigenschaften zu ihrem Mündel Päßler. Endlich traf die alte Dame ihre Wahl, und im Alter von vier¬ zehn Jahren wurde Lady Elizabeth unter großer Teilnahme und viel Neid von feiten zahlreicher vornehmer Familien mit jungen Söhnen verlobt und vermählt. Der glückliche Bräutigam, der so den großen Preis gewonnen hatte, war Henry Cavendish, Lord Ogle, einziger Sohn des Herzogs von Newcastle — ein Jüngling von sechzehn Jahren und eine fast ebenso gute Partie wie die junge Baronesse selber. Er erregte anfänglich ihre Neugier — sie interessierte sich in der Regel kindlich lebhaft für Fremde —, und sie empfand immer, solange er lebte, ein aufrichtiges Mitleid mit ihm. Er war ein kränklicher Jüngling, physisch kraftlos, ungewöhnlich schwach begabt und Religionsgrübeleien ergeben, ein unentwickelter Knabe, der vor Ablauf des Jahres starb, ohne jemals versucht oder auch nur gewünscht zu haben, den schwächsten Beweis von der Zuneigung seiner jungen Frau zu erlangen. Er erkrankte auf Alnwick, wohin sich das junge Paar, begleitet von der alten Gräfin, begeben hatte. Lady Elizabeth sprach schon eifrig davon, das Schloß zu restaurieren, und Lord Ogle hatte gewünscht, es zu sehen. Nach seinem Tode blieb die junge Witwe vorläufig in Northumberland. Das Wiedersehen zwischen Elizabeth und Henry Percy war anfangs sehr kühl gewesen. Lady Elizabeth — niemand von dem nähern Kreise konnte sich recht ent¬ schließen, sie Lady Ogle zu nennen — hatte sich in den drei Jahren, die sie in Sussex verlebt hatte, sehr entwickelt. Sie war ein völliges Kind gewesen, als sie fortging, jetzt war sie — oder sah wenigstens so aus, als wäre sie es — ein junges Mädchen, kleidete sich reich, trug sich, wenn sie es wollte, mit Haltung und Würde. Harry hingegen war sich gleich geblieben, und es währte nicht lange — obwohl er seinerseits sich zuerst sehr zurückhaltend zeigte —, bis ihr Benehmen ihm gegenüber genau dasselbe war, wie es immer gewesen war. Lord Ogle war schon bei ihrer Ankunft in Alnwick keineswegs gesund gewesen, und die be¬ kümmerte Gräfin beschäftigte sich in der ersten Zeit fast nur mit ihm. Elizabeth mußte für sich selbst sorgen, und nun wurde es Percys Pflicht, sie zu unterhalten. Sobald sie des Morgens erwachte, fragte sie nach ihm — der ganze Tag war beständig ausgefüllt durch Ritte mit „Harry", Beratungen mit „Harry", Jagd mit „Harry", Lektüre mit „Harry", Spiel und Scherz mit „Harry" und — wenn sie ihm oder andern zuwiderhandelte — Schelte Von „Harry". Oft erinnerte sie ihn dann mit schelmischem Übermut, wie bange sie als Kind vor ihm gewesen sei: wie sich alle im Hause in letzter Instanz an ihn gewandt hatten, wenn sie ihnen zu beschwerlich wurde. Wußte er wohl noch, wie er sie bei den Schultern gepackt und geschüttelt hatte — xarols ä'bonnsur, monsisur! —, sie geschüttelt hatte, sodaß ihr die Zähne im Munde klapperten, als sie den Suppenteller über der alten Anna Sonntags¬ kleid geschüttet hatte? . . . Wußte er das wohl noch? . . . Harry Percy Pflegte nicht zu antworten — stand dumm und schweigend mit gesenkten Augen und einem unsichern, unwilligen Lächeln vor ihr, die schelmisch und ihn unbarmherzig neckend fühlte, wie sie ihm mit jeder Sekunde über den Kopf wuchs. Bis er plötzlich — bis zum äußersten gebracht — endlich seinen Blick aufschlug und nun die Reihe, sich außer Fassung zu fühlen, an dem Mädchen war. Aber niemals lange — niemals lange. — Das war nicht Elizabeth Percys Art.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/274>, abgerufen am 28.12.2024.