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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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An der Nordküste von Kleinasien

den Milesiern, begehrenswert erschien, daß sie es sich mit immer weiter
vorgeschobnen Pflanzstädten unterwarfen und von Sinob aus, wahrscheinlich
schon im siebenten Jahrhundert v, Chr., in dem alten Trcipezus eine Handels¬
empore schufen, in der allmählich der reiche Erz-, Woll-, Obst- und Getreide¬
handel der Schwarzenmeerländer monopolisiert wurde. Wie die Griechen, so
fanden die Byzantiner Gefallen an der Gegend. Sie gehörte vom neunten bis
zum zwölften Jahrhundert zum Thema Chaldia des Byzantinischen Reichs und
wurde, als 1204 die Kreuzfahrer die Komnenen aus Konstantinopel vertrieben
hatten, ein eignes Kaiserreich Trapezunt, zu dessen Gebäude ein Prinz des
Hauses der Komnenen, Alexios, vormals Statthalter, den Grundstein gelegt
hatte. Im Jahre 1462 erlag David Komnenos den Seldschukken, und nun
kamen über Trapezunt die Unglückszeiten türkischer Satrapenwirtschaft. Als
Vorort des Wilajets (Generalgouvernements) desselben Namens wurde es gleich¬
wohl nicht zur Bedeutungslosigkeit andrer Städte hinabgezogen. Im Jahre 1896,
vor den Armeniermetzeleien, hatte es 35000 Einwohner (darunter 19500 Mo¬
hammedaner, 8000 Griechen und 6000 Armenier), und noch heute ist es der
bedeutendste Handelsplatz an der kleinasiatischen Schwarzenmeerküste, der Sitz
einer Anzahl Konsulate. Obgleich neben Großbritannien, Österreich-Ungarn und
der Türkei selber vornehmlich Deutschland an dem Handel beteiligt ist, und
obwohl die deutsche Levantelinie regelmäßigen Frachtdampferverkehr eingerichtet
hat, werden die deutschen Interessen leider immer noch vom österreichisch-
ungarischen Konsul vertreten, der zugleich Agent für den Österreichischen Lloyd
ist, die österreichische Levantepost bedient und bei dieser Ämterhüufung zwar
eine große Menge Entgegenkommen zeigt, aber auch wieder kein Wort Deutsch
versteht.

Wir näherten uns Trapezunt mit ähnlich frohen Gefühlen, wie sie ihrer-
zeit in Xenophon und seinen Kampfgenossen der Anblick des Meeres erweckte,
und spähten sogleich nach einer passenden Höhe, von der sie die Thalatta be¬
grüßt haben mochten. Unsre Interessen waren jedoch vornehmlich durch die
Gestaltung unsrer nächsten Zukunft in Anspruch genommen. Zwei von uns
gingen, sobald dazu Erlaubnis erteilt wurde, an Land, um Nachrichten ein¬
zuholen, während wir beiden andern Muße genug hatten, in der warmen Nach¬
mittagssonne an Deck sitzend Landschaft und Hafenleben zu bewundern. Hier
herrschte doch regeres Treiben als in den andern Plätzen, die wir angelaufen
hatten. Zu unsrer Freude war der Hamburger Slyros schon anwesend und
hatte den blauen Abfahrtswimpel, das Zeichen, daß die Abfahrt noch vor Mitter¬
nacht erfolgen soll, geheißt. Neben uns lag ein Dampfer der französischen
Gesellschaft Uffs^friss maritimss und die Hungaria des Lloyds, die aus
Batna zurückgekehrt war. Zweifellos sah der Skyros am stattlichsten aus;
jedenfalls war zu bemerken, daß sämtliche auf der südlichen Linie verkehrenden
Dampfer keine Schiffe erster Klasse sind. Umschwärmt waren die großen Schiffe
von einer Anzahl Boote, deren Inhaber sich immer wieder mit lockenden An-


An der Nordküste von Kleinasien

den Milesiern, begehrenswert erschien, daß sie es sich mit immer weiter
vorgeschobnen Pflanzstädten unterwarfen und von Sinob aus, wahrscheinlich
schon im siebenten Jahrhundert v, Chr., in dem alten Trcipezus eine Handels¬
empore schufen, in der allmählich der reiche Erz-, Woll-, Obst- und Getreide¬
handel der Schwarzenmeerländer monopolisiert wurde. Wie die Griechen, so
fanden die Byzantiner Gefallen an der Gegend. Sie gehörte vom neunten bis
zum zwölften Jahrhundert zum Thema Chaldia des Byzantinischen Reichs und
wurde, als 1204 die Kreuzfahrer die Komnenen aus Konstantinopel vertrieben
hatten, ein eignes Kaiserreich Trapezunt, zu dessen Gebäude ein Prinz des
Hauses der Komnenen, Alexios, vormals Statthalter, den Grundstein gelegt
hatte. Im Jahre 1462 erlag David Komnenos den Seldschukken, und nun
kamen über Trapezunt die Unglückszeiten türkischer Satrapenwirtschaft. Als
Vorort des Wilajets (Generalgouvernements) desselben Namens wurde es gleich¬
wohl nicht zur Bedeutungslosigkeit andrer Städte hinabgezogen. Im Jahre 1896,
vor den Armeniermetzeleien, hatte es 35000 Einwohner (darunter 19500 Mo¬
hammedaner, 8000 Griechen und 6000 Armenier), und noch heute ist es der
bedeutendste Handelsplatz an der kleinasiatischen Schwarzenmeerküste, der Sitz
einer Anzahl Konsulate. Obgleich neben Großbritannien, Österreich-Ungarn und
der Türkei selber vornehmlich Deutschland an dem Handel beteiligt ist, und
obwohl die deutsche Levantelinie regelmäßigen Frachtdampferverkehr eingerichtet
hat, werden die deutschen Interessen leider immer noch vom österreichisch-
ungarischen Konsul vertreten, der zugleich Agent für den Österreichischen Lloyd
ist, die österreichische Levantepost bedient und bei dieser Ämterhüufung zwar
eine große Menge Entgegenkommen zeigt, aber auch wieder kein Wort Deutsch
versteht.

Wir näherten uns Trapezunt mit ähnlich frohen Gefühlen, wie sie ihrer-
zeit in Xenophon und seinen Kampfgenossen der Anblick des Meeres erweckte,
und spähten sogleich nach einer passenden Höhe, von der sie die Thalatta be¬
grüßt haben mochten. Unsre Interessen waren jedoch vornehmlich durch die
Gestaltung unsrer nächsten Zukunft in Anspruch genommen. Zwei von uns
gingen, sobald dazu Erlaubnis erteilt wurde, an Land, um Nachrichten ein¬
zuholen, während wir beiden andern Muße genug hatten, in der warmen Nach¬
mittagssonne an Deck sitzend Landschaft und Hafenleben zu bewundern. Hier
herrschte doch regeres Treiben als in den andern Plätzen, die wir angelaufen
hatten. Zu unsrer Freude war der Hamburger Slyros schon anwesend und
hatte den blauen Abfahrtswimpel, das Zeichen, daß die Abfahrt noch vor Mitter¬
nacht erfolgen soll, geheißt. Neben uns lag ein Dampfer der französischen
Gesellschaft Uffs^friss maritimss und die Hungaria des Lloyds, die aus
Batna zurückgekehrt war. Zweifellos sah der Skyros am stattlichsten aus;
jedenfalls war zu bemerken, daß sämtliche auf der südlichen Linie verkehrenden
Dampfer keine Schiffe erster Klasse sind. Umschwärmt waren die großen Schiffe
von einer Anzahl Boote, deren Inhaber sich immer wieder mit lockenden An-


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[0268] An der Nordküste von Kleinasien den Milesiern, begehrenswert erschien, daß sie es sich mit immer weiter vorgeschobnen Pflanzstädten unterwarfen und von Sinob aus, wahrscheinlich schon im siebenten Jahrhundert v, Chr., in dem alten Trcipezus eine Handels¬ empore schufen, in der allmählich der reiche Erz-, Woll-, Obst- und Getreide¬ handel der Schwarzenmeerländer monopolisiert wurde. Wie die Griechen, so fanden die Byzantiner Gefallen an der Gegend. Sie gehörte vom neunten bis zum zwölften Jahrhundert zum Thema Chaldia des Byzantinischen Reichs und wurde, als 1204 die Kreuzfahrer die Komnenen aus Konstantinopel vertrieben hatten, ein eignes Kaiserreich Trapezunt, zu dessen Gebäude ein Prinz des Hauses der Komnenen, Alexios, vormals Statthalter, den Grundstein gelegt hatte. Im Jahre 1462 erlag David Komnenos den Seldschukken, und nun kamen über Trapezunt die Unglückszeiten türkischer Satrapenwirtschaft. Als Vorort des Wilajets (Generalgouvernements) desselben Namens wurde es gleich¬ wohl nicht zur Bedeutungslosigkeit andrer Städte hinabgezogen. Im Jahre 1896, vor den Armeniermetzeleien, hatte es 35000 Einwohner (darunter 19500 Mo¬ hammedaner, 8000 Griechen und 6000 Armenier), und noch heute ist es der bedeutendste Handelsplatz an der kleinasiatischen Schwarzenmeerküste, der Sitz einer Anzahl Konsulate. Obgleich neben Großbritannien, Österreich-Ungarn und der Türkei selber vornehmlich Deutschland an dem Handel beteiligt ist, und obwohl die deutsche Levantelinie regelmäßigen Frachtdampferverkehr eingerichtet hat, werden die deutschen Interessen leider immer noch vom österreichisch- ungarischen Konsul vertreten, der zugleich Agent für den Österreichischen Lloyd ist, die österreichische Levantepost bedient und bei dieser Ämterhüufung zwar eine große Menge Entgegenkommen zeigt, aber auch wieder kein Wort Deutsch versteht. Wir näherten uns Trapezunt mit ähnlich frohen Gefühlen, wie sie ihrer- zeit in Xenophon und seinen Kampfgenossen der Anblick des Meeres erweckte, und spähten sogleich nach einer passenden Höhe, von der sie die Thalatta be¬ grüßt haben mochten. Unsre Interessen waren jedoch vornehmlich durch die Gestaltung unsrer nächsten Zukunft in Anspruch genommen. Zwei von uns gingen, sobald dazu Erlaubnis erteilt wurde, an Land, um Nachrichten ein¬ zuholen, während wir beiden andern Muße genug hatten, in der warmen Nach¬ mittagssonne an Deck sitzend Landschaft und Hafenleben zu bewundern. Hier herrschte doch regeres Treiben als in den andern Plätzen, die wir angelaufen hatten. Zu unsrer Freude war der Hamburger Slyros schon anwesend und hatte den blauen Abfahrtswimpel, das Zeichen, daß die Abfahrt noch vor Mitter¬ nacht erfolgen soll, geheißt. Neben uns lag ein Dampfer der französischen Gesellschaft Uffs^friss maritimss und die Hungaria des Lloyds, die aus Batna zurückgekehrt war. Zweifellos sah der Skyros am stattlichsten aus; jedenfalls war zu bemerken, daß sämtliche auf der südlichen Linie verkehrenden Dampfer keine Schiffe erster Klasse sind. Umschwärmt waren die großen Schiffe von einer Anzahl Boote, deren Inhaber sich immer wieder mit lockenden An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/268>, abgerufen am 23.07.2024.