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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Koloniale Lisenbahnpolitik

Daressalam nach Udjidji am Tanganjikasee (also der Verlängerung der
heutigen Daressalam-Morogorobahn über Kilossa, Tabora nach Udjidji). Diese
"Zentralbahn" hätte Deutschostafrika ausgerechnet an der breitesten Stelle durch¬
quert, wäre 1400 Kilometer lang geworden und hätte mindestens 120 Millionen
Mark gekostet. Dabei hätte sie, wie schon erwähnt, auf einem namhaften Teil
ihrer Strecke entwicklungsunfähige Gebiete angetroffen, wäre also notorisch
unrentabel geworden. Heute kann man sagen, daß uns durch das Zentralbahn¬
projekt, das jahrelang von seinen Anhängern mit einer Zähigkeit, die einer
bessern Sache würdig war, festgehalten und der Regierung förmlich aufgezwungen
wurde, Jahre nutzlos verloren gegangen sind. Schließlich sorgte der Reichstag
für Ernüchterung.

Nun wandte sich das Interesse der von den bedeutendsten Gegnern der
Zentralbahn, Schweinfurth, Hans Meyer, Herfurth u. a. warm empfohlenen
"Südbahn" von Kilwa nach dem Nyassasee zu. Mit diesem Projekt ist in
der Tat eine Bahnlinie gefunden worden, die in idealer Weise die für Ost¬
afrika hochwichtige Verbindung zwischen der Küste und dem Seengebiet her¬
stellt und dabei relative Kürze mit der Erschließung und der notwendigen
politischen Sicherung aussichtsvoller Gebiete in ihrem ganzen Verlauf ver¬
bindet. Die Südbahn würde rund 670 Kilometer lang werden und schätzungs¬
weise 60 Millionen Mark kosten (gegen 1400 Kilometer und 120 Millionen
Mark bei der Zentralbahn!). Ursprünglich hatte man beabsichtigt, die Trasse
dicht an der portugiesischen Grenze entlang durch das Rowumatal zu führen,
um so die benachbarten Teile des portugiesischen Gebiets mit in den Verkehr
der Bahn zu ziehn und die etwas südlich davon auf portugiesischem Gebiete
geplante Konkurrenzbahn, die etwa 100 Kilometer länger wäre, von vornherein
auszuschalten. Es erschien aber dann doch zweckmäßiger, die Bahn vorwiegend
dem deutschen Gebiete zugute kommen zu lassen, und so entschied man sich für
die vom vorjährigen Aufstand unliebsam bekannte Linie Kilwa-Liwale-
Songea-Wiedhafen, die inzwischen auf Veranlassung des Kolonialwirtschaft-
lichcn Komitees von Paul Fuchs wirtschaftlich und von der Ostafrikanischen
Eisenbahngesellschaft (der Erbauerin der Daressalam-Morogorobahn) technisch
erkundet worden ist. Wenn man die Vorzüge dieser Bahn richtig verstehn
will, ist es nötig, einen Blick auf die Verkehrsverhältnisse des Seengebiets zu
werfen. Der Handel dieses Gebiets geht in der Hauptsache nach zwei Seiten,
in der nördlichen Hälfte über den Viktoriasee nach der Ugandabahn, in der
südlichen Hälfte vom Nyassasee aus über den Schire-Sambesi-Wasserweg. Bei
der notorischen Billigkeit des Wassertransports scheint es auf den ersten Blick,
als ob die Südbahn gegen den Schire-Sambesi-Wasserweg nicht aufkommen
könnte. Dem kann gegenübergestellt werden, daß dieser Wasserweg wegen
der durch Stromschnellen und dergleichen verursachten Umladungen ein sehr
mangelhaftes und teures Verkehrsmittel ist. Der Frachtsatz von Chirbe an
der Mündung des Sambesi über den Schire nach dem Nordende des Nyassa


Koloniale Lisenbahnpolitik

Daressalam nach Udjidji am Tanganjikasee (also der Verlängerung der
heutigen Daressalam-Morogorobahn über Kilossa, Tabora nach Udjidji). Diese
„Zentralbahn" hätte Deutschostafrika ausgerechnet an der breitesten Stelle durch¬
quert, wäre 1400 Kilometer lang geworden und hätte mindestens 120 Millionen
Mark gekostet. Dabei hätte sie, wie schon erwähnt, auf einem namhaften Teil
ihrer Strecke entwicklungsunfähige Gebiete angetroffen, wäre also notorisch
unrentabel geworden. Heute kann man sagen, daß uns durch das Zentralbahn¬
projekt, das jahrelang von seinen Anhängern mit einer Zähigkeit, die einer
bessern Sache würdig war, festgehalten und der Regierung förmlich aufgezwungen
wurde, Jahre nutzlos verloren gegangen sind. Schließlich sorgte der Reichstag
für Ernüchterung.

Nun wandte sich das Interesse der von den bedeutendsten Gegnern der
Zentralbahn, Schweinfurth, Hans Meyer, Herfurth u. a. warm empfohlenen
„Südbahn" von Kilwa nach dem Nyassasee zu. Mit diesem Projekt ist in
der Tat eine Bahnlinie gefunden worden, die in idealer Weise die für Ost¬
afrika hochwichtige Verbindung zwischen der Küste und dem Seengebiet her¬
stellt und dabei relative Kürze mit der Erschließung und der notwendigen
politischen Sicherung aussichtsvoller Gebiete in ihrem ganzen Verlauf ver¬
bindet. Die Südbahn würde rund 670 Kilometer lang werden und schätzungs¬
weise 60 Millionen Mark kosten (gegen 1400 Kilometer und 120 Millionen
Mark bei der Zentralbahn!). Ursprünglich hatte man beabsichtigt, die Trasse
dicht an der portugiesischen Grenze entlang durch das Rowumatal zu führen,
um so die benachbarten Teile des portugiesischen Gebiets mit in den Verkehr
der Bahn zu ziehn und die etwas südlich davon auf portugiesischem Gebiete
geplante Konkurrenzbahn, die etwa 100 Kilometer länger wäre, von vornherein
auszuschalten. Es erschien aber dann doch zweckmäßiger, die Bahn vorwiegend
dem deutschen Gebiete zugute kommen zu lassen, und so entschied man sich für
die vom vorjährigen Aufstand unliebsam bekannte Linie Kilwa-Liwale-
Songea-Wiedhafen, die inzwischen auf Veranlassung des Kolonialwirtschaft-
lichcn Komitees von Paul Fuchs wirtschaftlich und von der Ostafrikanischen
Eisenbahngesellschaft (der Erbauerin der Daressalam-Morogorobahn) technisch
erkundet worden ist. Wenn man die Vorzüge dieser Bahn richtig verstehn
will, ist es nötig, einen Blick auf die Verkehrsverhältnisse des Seengebiets zu
werfen. Der Handel dieses Gebiets geht in der Hauptsache nach zwei Seiten,
in der nördlichen Hälfte über den Viktoriasee nach der Ugandabahn, in der
südlichen Hälfte vom Nyassasee aus über den Schire-Sambesi-Wasserweg. Bei
der notorischen Billigkeit des Wassertransports scheint es auf den ersten Blick,
als ob die Südbahn gegen den Schire-Sambesi-Wasserweg nicht aufkommen
könnte. Dem kann gegenübergestellt werden, daß dieser Wasserweg wegen
der durch Stromschnellen und dergleichen verursachten Umladungen ein sehr
mangelhaftes und teures Verkehrsmittel ist. Der Frachtsatz von Chirbe an
der Mündung des Sambesi über den Schire nach dem Nordende des Nyassa


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[0242] Koloniale Lisenbahnpolitik Daressalam nach Udjidji am Tanganjikasee (also der Verlängerung der heutigen Daressalam-Morogorobahn über Kilossa, Tabora nach Udjidji). Diese „Zentralbahn" hätte Deutschostafrika ausgerechnet an der breitesten Stelle durch¬ quert, wäre 1400 Kilometer lang geworden und hätte mindestens 120 Millionen Mark gekostet. Dabei hätte sie, wie schon erwähnt, auf einem namhaften Teil ihrer Strecke entwicklungsunfähige Gebiete angetroffen, wäre also notorisch unrentabel geworden. Heute kann man sagen, daß uns durch das Zentralbahn¬ projekt, das jahrelang von seinen Anhängern mit einer Zähigkeit, die einer bessern Sache würdig war, festgehalten und der Regierung förmlich aufgezwungen wurde, Jahre nutzlos verloren gegangen sind. Schließlich sorgte der Reichstag für Ernüchterung. Nun wandte sich das Interesse der von den bedeutendsten Gegnern der Zentralbahn, Schweinfurth, Hans Meyer, Herfurth u. a. warm empfohlenen „Südbahn" von Kilwa nach dem Nyassasee zu. Mit diesem Projekt ist in der Tat eine Bahnlinie gefunden worden, die in idealer Weise die für Ost¬ afrika hochwichtige Verbindung zwischen der Küste und dem Seengebiet her¬ stellt und dabei relative Kürze mit der Erschließung und der notwendigen politischen Sicherung aussichtsvoller Gebiete in ihrem ganzen Verlauf ver¬ bindet. Die Südbahn würde rund 670 Kilometer lang werden und schätzungs¬ weise 60 Millionen Mark kosten (gegen 1400 Kilometer und 120 Millionen Mark bei der Zentralbahn!). Ursprünglich hatte man beabsichtigt, die Trasse dicht an der portugiesischen Grenze entlang durch das Rowumatal zu führen, um so die benachbarten Teile des portugiesischen Gebiets mit in den Verkehr der Bahn zu ziehn und die etwas südlich davon auf portugiesischem Gebiete geplante Konkurrenzbahn, die etwa 100 Kilometer länger wäre, von vornherein auszuschalten. Es erschien aber dann doch zweckmäßiger, die Bahn vorwiegend dem deutschen Gebiete zugute kommen zu lassen, und so entschied man sich für die vom vorjährigen Aufstand unliebsam bekannte Linie Kilwa-Liwale- Songea-Wiedhafen, die inzwischen auf Veranlassung des Kolonialwirtschaft- lichcn Komitees von Paul Fuchs wirtschaftlich und von der Ostafrikanischen Eisenbahngesellschaft (der Erbauerin der Daressalam-Morogorobahn) technisch erkundet worden ist. Wenn man die Vorzüge dieser Bahn richtig verstehn will, ist es nötig, einen Blick auf die Verkehrsverhältnisse des Seengebiets zu werfen. Der Handel dieses Gebiets geht in der Hauptsache nach zwei Seiten, in der nördlichen Hälfte über den Viktoriasee nach der Ugandabahn, in der südlichen Hälfte vom Nyassasee aus über den Schire-Sambesi-Wasserweg. Bei der notorischen Billigkeit des Wassertransports scheint es auf den ersten Blick, als ob die Südbahn gegen den Schire-Sambesi-Wasserweg nicht aufkommen könnte. Dem kann gegenübergestellt werden, daß dieser Wasserweg wegen der durch Stromschnellen und dergleichen verursachten Umladungen ein sehr mangelhaftes und teures Verkehrsmittel ist. Der Frachtsatz von Chirbe an der Mündung des Sambesi über den Schire nach dem Nordende des Nyassa

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/242>, abgerufen am 27.12.2024.