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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Spanische Aultur im achtzehnten Jahrhundert

Schilderung des Studienwesens auf das treffendste formuliert. "Impulsiv und
leidenschaftlich, dabei ein Individualist, der sich auf keine Kompromisse einläßt,
erklärt der Spanier sein Belieben für Vernunft, seinen Wunsch für sein Recht
und erkennt außer Gott keinen Herrn an. Warum sollte er sich das Joch
eines mühsamen Studiums aufhalsen lassen, sich zu einer widerwärtigen und
dabei undankbaren Arbeit verurteilen, da doch alle diese eiteln Wissenschaften,
die man ihm anpreist, auf nichts andres zielen als seine Unabhängigkeit
einzuschränken, ihm die Initiative zu rauben und seiner Phantasie die Flügel
zu beschneiden? Für ihn gibt es nur eine Wissenschaft: die des Unerkenn¬
baren, die Theologie. Auf diese wirft er sich mit dem ihm eignen Ungestüm,
sei es, um mit den großen Denkern auf die schwindelerregenden Höhen der
Spekulation hinaufzufliegen, oder sich mit einer Pilgerschar an den Abenteuern
einer langen Wallfahrt zu ergötzen. Für einige Auserwählte ist dieses soge¬
nannte Studium der Weg zum Himmel, für die große Masse ein Spielzeug.
Man lernt Ideen zu Jvngleurkünsten benutzen, mit Beweisgründen Fangball
spielen, und wenn man es zu einer Fertigkeit in diesem Spiel gebracht hat,
so bekommt man den Doktorgrad, durch den Grad eine Anstellung, Besoldung,
den Anspruch auf einen Rang in der Gesellschaft und das Recht, müßig zu
gehn. Welche andre Philosophie könnte es mit dieser aufnehmen?" Damit
ist schon ungefähr gesagt, wie es um das geistige Leben Spaniens im acht¬
zehnten Jahrhundert gestanden hat. Von ernster Wissenschaft war im allge¬
meinen keine Rede, obwohl es den verschiednen Fächern nicht an einzelnen
Liebhabern fehlte, die jedoch Epochemachendes nicht geleistet haben; Achtungs¬
wertes vorzugsweise auf dem Gebiete der geographischen Entdeckungen und der
Kartographie. Daß die Inquisition als Hemmschuh wirkte, versteht sich von
selbst (es gehört zu den Verdiensten der bourbonischen Regierung, daß sie ge-
werbfleißige Protestanten ins Land zog und ihnen Sicherheit vor Verfolgung
verbürgte, unter der einzigen Bedingung, daß sie die öffentlichen Bräuche nicht
verletzten), aber ebenso selbstverständlich ist es, daß sich die Spanier, einzelne
"vorwitzige" Köpfe ausgenommen, durch die Inquisition in der Freiheit, wie sie
sie verstanden, gar nicht beschränkt fühlten. Für die wenigen freilich, die mit Ernst
und Eifer nach Aufklärung strebten, war es ein Unglück, daß die Negierung
und die Inquisition -- beide walteten auch in der bourbonischen Zeit meist
im Einverständnis miteinander -- der freien Forschung mehr Hindernisse be¬
reiteten, als in den übrigen europäischen Staaten bestanden, "selbst in Preußen",
schreibt Herr Desdevises; jedoch fragt es sich, ob Freiheit viel genützt haben
würde, da die Forscher im Volke keine Resonanz gefunden hätten. Die In¬
quisition entsprach eben der spanischen Volksart und ihrer "Philosophie", und
darum findet sie bis auf den heutigen Tag ihre Verteidiger in Spanien. Ein
solcher, Menendez y Pelayo, nach Desdevises ein hervorragender Gelehrter,
nennt die Inquisition eine der nationalsten und lautersten Einrichtungen. Es
würde, meint dieser Orthodoxe, durchaus nicht zu bedauern gewesen sein, wenn


Spanische Aultur im achtzehnten Jahrhundert

Schilderung des Studienwesens auf das treffendste formuliert. „Impulsiv und
leidenschaftlich, dabei ein Individualist, der sich auf keine Kompromisse einläßt,
erklärt der Spanier sein Belieben für Vernunft, seinen Wunsch für sein Recht
und erkennt außer Gott keinen Herrn an. Warum sollte er sich das Joch
eines mühsamen Studiums aufhalsen lassen, sich zu einer widerwärtigen und
dabei undankbaren Arbeit verurteilen, da doch alle diese eiteln Wissenschaften,
die man ihm anpreist, auf nichts andres zielen als seine Unabhängigkeit
einzuschränken, ihm die Initiative zu rauben und seiner Phantasie die Flügel
zu beschneiden? Für ihn gibt es nur eine Wissenschaft: die des Unerkenn¬
baren, die Theologie. Auf diese wirft er sich mit dem ihm eignen Ungestüm,
sei es, um mit den großen Denkern auf die schwindelerregenden Höhen der
Spekulation hinaufzufliegen, oder sich mit einer Pilgerschar an den Abenteuern
einer langen Wallfahrt zu ergötzen. Für einige Auserwählte ist dieses soge¬
nannte Studium der Weg zum Himmel, für die große Masse ein Spielzeug.
Man lernt Ideen zu Jvngleurkünsten benutzen, mit Beweisgründen Fangball
spielen, und wenn man es zu einer Fertigkeit in diesem Spiel gebracht hat,
so bekommt man den Doktorgrad, durch den Grad eine Anstellung, Besoldung,
den Anspruch auf einen Rang in der Gesellschaft und das Recht, müßig zu
gehn. Welche andre Philosophie könnte es mit dieser aufnehmen?" Damit
ist schon ungefähr gesagt, wie es um das geistige Leben Spaniens im acht¬
zehnten Jahrhundert gestanden hat. Von ernster Wissenschaft war im allge¬
meinen keine Rede, obwohl es den verschiednen Fächern nicht an einzelnen
Liebhabern fehlte, die jedoch Epochemachendes nicht geleistet haben; Achtungs¬
wertes vorzugsweise auf dem Gebiete der geographischen Entdeckungen und der
Kartographie. Daß die Inquisition als Hemmschuh wirkte, versteht sich von
selbst (es gehört zu den Verdiensten der bourbonischen Regierung, daß sie ge-
werbfleißige Protestanten ins Land zog und ihnen Sicherheit vor Verfolgung
verbürgte, unter der einzigen Bedingung, daß sie die öffentlichen Bräuche nicht
verletzten), aber ebenso selbstverständlich ist es, daß sich die Spanier, einzelne
„vorwitzige" Köpfe ausgenommen, durch die Inquisition in der Freiheit, wie sie
sie verstanden, gar nicht beschränkt fühlten. Für die wenigen freilich, die mit Ernst
und Eifer nach Aufklärung strebten, war es ein Unglück, daß die Negierung
und die Inquisition — beide walteten auch in der bourbonischen Zeit meist
im Einverständnis miteinander — der freien Forschung mehr Hindernisse be¬
reiteten, als in den übrigen europäischen Staaten bestanden, „selbst in Preußen",
schreibt Herr Desdevises; jedoch fragt es sich, ob Freiheit viel genützt haben
würde, da die Forscher im Volke keine Resonanz gefunden hätten. Die In¬
quisition entsprach eben der spanischen Volksart und ihrer „Philosophie", und
darum findet sie bis auf den heutigen Tag ihre Verteidiger in Spanien. Ein
solcher, Menendez y Pelayo, nach Desdevises ein hervorragender Gelehrter,
nennt die Inquisition eine der nationalsten und lautersten Einrichtungen. Es
würde, meint dieser Orthodoxe, durchaus nicht zu bedauern gewesen sein, wenn


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[0202] Spanische Aultur im achtzehnten Jahrhundert Schilderung des Studienwesens auf das treffendste formuliert. „Impulsiv und leidenschaftlich, dabei ein Individualist, der sich auf keine Kompromisse einläßt, erklärt der Spanier sein Belieben für Vernunft, seinen Wunsch für sein Recht und erkennt außer Gott keinen Herrn an. Warum sollte er sich das Joch eines mühsamen Studiums aufhalsen lassen, sich zu einer widerwärtigen und dabei undankbaren Arbeit verurteilen, da doch alle diese eiteln Wissenschaften, die man ihm anpreist, auf nichts andres zielen als seine Unabhängigkeit einzuschränken, ihm die Initiative zu rauben und seiner Phantasie die Flügel zu beschneiden? Für ihn gibt es nur eine Wissenschaft: die des Unerkenn¬ baren, die Theologie. Auf diese wirft er sich mit dem ihm eignen Ungestüm, sei es, um mit den großen Denkern auf die schwindelerregenden Höhen der Spekulation hinaufzufliegen, oder sich mit einer Pilgerschar an den Abenteuern einer langen Wallfahrt zu ergötzen. Für einige Auserwählte ist dieses soge¬ nannte Studium der Weg zum Himmel, für die große Masse ein Spielzeug. Man lernt Ideen zu Jvngleurkünsten benutzen, mit Beweisgründen Fangball spielen, und wenn man es zu einer Fertigkeit in diesem Spiel gebracht hat, so bekommt man den Doktorgrad, durch den Grad eine Anstellung, Besoldung, den Anspruch auf einen Rang in der Gesellschaft und das Recht, müßig zu gehn. Welche andre Philosophie könnte es mit dieser aufnehmen?" Damit ist schon ungefähr gesagt, wie es um das geistige Leben Spaniens im acht¬ zehnten Jahrhundert gestanden hat. Von ernster Wissenschaft war im allge¬ meinen keine Rede, obwohl es den verschiednen Fächern nicht an einzelnen Liebhabern fehlte, die jedoch Epochemachendes nicht geleistet haben; Achtungs¬ wertes vorzugsweise auf dem Gebiete der geographischen Entdeckungen und der Kartographie. Daß die Inquisition als Hemmschuh wirkte, versteht sich von selbst (es gehört zu den Verdiensten der bourbonischen Regierung, daß sie ge- werbfleißige Protestanten ins Land zog und ihnen Sicherheit vor Verfolgung verbürgte, unter der einzigen Bedingung, daß sie die öffentlichen Bräuche nicht verletzten), aber ebenso selbstverständlich ist es, daß sich die Spanier, einzelne „vorwitzige" Köpfe ausgenommen, durch die Inquisition in der Freiheit, wie sie sie verstanden, gar nicht beschränkt fühlten. Für die wenigen freilich, die mit Ernst und Eifer nach Aufklärung strebten, war es ein Unglück, daß die Negierung und die Inquisition — beide walteten auch in der bourbonischen Zeit meist im Einverständnis miteinander — der freien Forschung mehr Hindernisse be¬ reiteten, als in den übrigen europäischen Staaten bestanden, „selbst in Preußen", schreibt Herr Desdevises; jedoch fragt es sich, ob Freiheit viel genützt haben würde, da die Forscher im Volke keine Resonanz gefunden hätten. Die In¬ quisition entsprach eben der spanischen Volksart und ihrer „Philosophie", und darum findet sie bis auf den heutigen Tag ihre Verteidiger in Spanien. Ein solcher, Menendez y Pelayo, nach Desdevises ein hervorragender Gelehrter, nennt die Inquisition eine der nationalsten und lautersten Einrichtungen. Es würde, meint dieser Orthodoxe, durchaus nicht zu bedauern gewesen sein, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/202>, abgerufen am 23.07.2024.