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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Eine neue Arbeiterpartei

Seine, Caen usw. wurden Arbeitsbörsen eingerichtet, in sehr vielen Städten
unabhängige Syndikate gebildet. Auch die?arti sooialists national ging schlie߬
lich aber durch Mangel an Geldmitteln zugrunde.

Am 1. Januar 1904 nahm die Zeitung I,s ^uno den Kampf wieder aus.
Der alte Name deckte aber ein stark verändertes Programm. Die Trennung vom
Marxismus war entschieden, und neben dem negativen Schlagwort "gegen
den politischen Streik, gegen die vom Staat aufgehaltner Syndikate" werden
Positive neue Lehren verfochten. Die Teilnahme am Betriebsgewinn und
der Eigentumserwerb durch die Arbeiter wird zum Mittelpunkte der gelben
Theorien, die sich im bewußten Gegensatz zum Sozialismus weiter entwickeln.
Die Lanoirschen Syndikate verschwanden, und die ?eäsration nationale ass
Cannes übernahm den Kampf gegen die revolutionären Gewerkschaften und
vor allem gegen ihre Unterstützung durch den Staat ganz allein. In diesen
letzten zwei Jahren hat sich das gelbe Programm zu der festumrissenen Lehre
entwickelt, wie sie heute von den Bietry, Japy usw. vertreten wird.

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to88i<mel8. Diesen Satz stellt Bictry an die Spitze seines Buchs I^s 8o<ziali8räh
et 1ö8 ^anus8. Die völlige Trennung vom Marxismus, aber auch vom Staats¬
sozialismus und von der christlich-sozialen Bewegung ist da. Der wirtschaft¬
liche Sozialismus ist ein System der Herrschsucht, der Reaktion, der Knecht¬
schaft. Solange es eine Menschheit gibt, hat das Ringen um Eigentum nicht
aufgehört. Die Sklaven empörten sich gegen ihre Herren, die Leibeignen
gegen die Feudalen, um Anteil am Grund und Boden zu erwerben. Das
Ziel aller Kultur ist die Befreiung des Menschen aus der Besitzlosigkeit; nur
der Mensch mit Privateigentum kann sich selbständig entwickeln. Der Unfreie
besitzt weder ein Heim noch sein Arbeitszeug, er ist nicht Herr über seine
Person, seine Hand, seine Arbeit, sein Denken. Er hat kein Eigentum, sondern
gehört sogar einem andern. Während der Sozialismus den Arbeiter zur ewigen
Besitzlosigkeit und darum zur Knechtschaft verdammen will, erstrebt die gelbe
Lehre die größtmögliche Entfaltung der persönlichen Freiheit durch Ausdehnung
des Privateigentums. Dem Arbeiter soll der Weg geöffnet werden, selbst in
d'-e besitzenden Klassen einzutreten. Bei der Gestaltung der heutigen Industrie
ist es unmöglich, dem einzelnen Arbeiter Teile der Fabrik, Teile einer
Maschine usw. zu überweisen, wohl aber kann er in den Besitz von Aktien¬
anteilen und Obligationen kommen. Das Betriebskapital wird auf diese
Weise, in kleinen Bruchstücken, in die Hand des Arbeiters kommen. Die
Moderne Lohnsklaverei wird so langsam in ein System des travail a88ovi6 ver¬
wandelt. Das ist der Kernpunkt des praktischen Programms der Gelben.
Dieses Ziel kann und soll nicht erreicht werden im Kampf mit dem Kapital
auf Leben und Tod, sondern im Gegenteil im Einvernehmen von Unternehmer
und Arbeitnehmer Zu beseitigen ist nur der Kapitalismus, der mit dem Roh¬
material spekuliert und der die verderblichen Krisen im ganzen Wirtschafts-


Eine neue Arbeiterpartei

Seine, Caen usw. wurden Arbeitsbörsen eingerichtet, in sehr vielen Städten
unabhängige Syndikate gebildet. Auch die?arti sooialists national ging schlie߬
lich aber durch Mangel an Geldmitteln zugrunde.

Am 1. Januar 1904 nahm die Zeitung I,s ^uno den Kampf wieder aus.
Der alte Name deckte aber ein stark verändertes Programm. Die Trennung vom
Marxismus war entschieden, und neben dem negativen Schlagwort „gegen
den politischen Streik, gegen die vom Staat aufgehaltner Syndikate" werden
Positive neue Lehren verfochten. Die Teilnahme am Betriebsgewinn und
der Eigentumserwerb durch die Arbeiter wird zum Mittelpunkte der gelben
Theorien, die sich im bewußten Gegensatz zum Sozialismus weiter entwickeln.
Die Lanoirschen Syndikate verschwanden, und die ?eäsration nationale ass
Cannes übernahm den Kampf gegen die revolutionären Gewerkschaften und
vor allem gegen ihre Unterstützung durch den Staat ganz allein. In diesen
letzten zwei Jahren hat sich das gelbe Programm zu der festumrissenen Lehre
entwickelt, wie sie heute von den Bietry, Japy usw. vertreten wird.

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et 1ö8 ^anus8. Die völlige Trennung vom Marxismus, aber auch vom Staats¬
sozialismus und von der christlich-sozialen Bewegung ist da. Der wirtschaft¬
liche Sozialismus ist ein System der Herrschsucht, der Reaktion, der Knecht¬
schaft. Solange es eine Menschheit gibt, hat das Ringen um Eigentum nicht
aufgehört. Die Sklaven empörten sich gegen ihre Herren, die Leibeignen
gegen die Feudalen, um Anteil am Grund und Boden zu erwerben. Das
Ziel aller Kultur ist die Befreiung des Menschen aus der Besitzlosigkeit; nur
der Mensch mit Privateigentum kann sich selbständig entwickeln. Der Unfreie
besitzt weder ein Heim noch sein Arbeitszeug, er ist nicht Herr über seine
Person, seine Hand, seine Arbeit, sein Denken. Er hat kein Eigentum, sondern
gehört sogar einem andern. Während der Sozialismus den Arbeiter zur ewigen
Besitzlosigkeit und darum zur Knechtschaft verdammen will, erstrebt die gelbe
Lehre die größtmögliche Entfaltung der persönlichen Freiheit durch Ausdehnung
des Privateigentums. Dem Arbeiter soll der Weg geöffnet werden, selbst in
d'-e besitzenden Klassen einzutreten. Bei der Gestaltung der heutigen Industrie
ist es unmöglich, dem einzelnen Arbeiter Teile der Fabrik, Teile einer
Maschine usw. zu überweisen, wohl aber kann er in den Besitz von Aktien¬
anteilen und Obligationen kommen. Das Betriebskapital wird auf diese
Weise, in kleinen Bruchstücken, in die Hand des Arbeiters kommen. Die
Moderne Lohnsklaverei wird so langsam in ein System des travail a88ovi6 ver¬
wandelt. Das ist der Kernpunkt des praktischen Programms der Gelben.
Dieses Ziel kann und soll nicht erreicht werden im Kampf mit dem Kapital
auf Leben und Tod, sondern im Gegenteil im Einvernehmen von Unternehmer
und Arbeitnehmer Zu beseitigen ist nur der Kapitalismus, der mit dem Roh¬
material spekuliert und der die verderblichen Krisen im ganzen Wirtschafts-


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[0191] Eine neue Arbeiterpartei Seine, Caen usw. wurden Arbeitsbörsen eingerichtet, in sehr vielen Städten unabhängige Syndikate gebildet. Auch die?arti sooialists national ging schlie߬ lich aber durch Mangel an Geldmitteln zugrunde. Am 1. Januar 1904 nahm die Zeitung I,s ^uno den Kampf wieder aus. Der alte Name deckte aber ein stark verändertes Programm. Die Trennung vom Marxismus war entschieden, und neben dem negativen Schlagwort „gegen den politischen Streik, gegen die vom Staat aufgehaltner Syndikate" werden Positive neue Lehren verfochten. Die Teilnahme am Betriebsgewinn und der Eigentumserwerb durch die Arbeiter wird zum Mittelpunkte der gelben Theorien, die sich im bewußten Gegensatz zum Sozialismus weiter entwickeln. Die Lanoirschen Syndikate verschwanden, und die ?eäsration nationale ass Cannes übernahm den Kampf gegen die revolutionären Gewerkschaften und vor allem gegen ihre Unterstützung durch den Staat ganz allein. In diesen letzten zwei Jahren hat sich das gelbe Programm zu der festumrissenen Lehre entwickelt, wie sie heute von den Bietry, Japy usw. vertreten wird. O6trmr6 1s 8ooig.ki8mis, ton8 1s8 8ooialisiiiö8, qu'ils 3oiöiit g,er6ö8 on von- to88i<mel8. Diesen Satz stellt Bictry an die Spitze seines Buchs I^s 8o<ziali8räh et 1ö8 ^anus8. Die völlige Trennung vom Marxismus, aber auch vom Staats¬ sozialismus und von der christlich-sozialen Bewegung ist da. Der wirtschaft¬ liche Sozialismus ist ein System der Herrschsucht, der Reaktion, der Knecht¬ schaft. Solange es eine Menschheit gibt, hat das Ringen um Eigentum nicht aufgehört. Die Sklaven empörten sich gegen ihre Herren, die Leibeignen gegen die Feudalen, um Anteil am Grund und Boden zu erwerben. Das Ziel aller Kultur ist die Befreiung des Menschen aus der Besitzlosigkeit; nur der Mensch mit Privateigentum kann sich selbständig entwickeln. Der Unfreie besitzt weder ein Heim noch sein Arbeitszeug, er ist nicht Herr über seine Person, seine Hand, seine Arbeit, sein Denken. Er hat kein Eigentum, sondern gehört sogar einem andern. Während der Sozialismus den Arbeiter zur ewigen Besitzlosigkeit und darum zur Knechtschaft verdammen will, erstrebt die gelbe Lehre die größtmögliche Entfaltung der persönlichen Freiheit durch Ausdehnung des Privateigentums. Dem Arbeiter soll der Weg geöffnet werden, selbst in d'-e besitzenden Klassen einzutreten. Bei der Gestaltung der heutigen Industrie ist es unmöglich, dem einzelnen Arbeiter Teile der Fabrik, Teile einer Maschine usw. zu überweisen, wohl aber kann er in den Besitz von Aktien¬ anteilen und Obligationen kommen. Das Betriebskapital wird auf diese Weise, in kleinen Bruchstücken, in die Hand des Arbeiters kommen. Die Moderne Lohnsklaverei wird so langsam in ein System des travail a88ovi6 ver¬ wandelt. Das ist der Kernpunkt des praktischen Programms der Gelben. Dieses Ziel kann und soll nicht erreicht werden im Kampf mit dem Kapital auf Leben und Tod, sondern im Gegenteil im Einvernehmen von Unternehmer und Arbeitnehmer Zu beseitigen ist nur der Kapitalismus, der mit dem Roh¬ material spekuliert und der die verderblichen Krisen im ganzen Wirtschafts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/191>, abgerufen am 25.08.2024.