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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Eine neue Arbeiterpartei

Es ist hier nicht der Ort. weiter auszuführen, aus welchen Gründen die
Regierungsparteien eine so gefährliche Bewegung großgezogen haben. Die
Furcht vor der Reaktion und der Fraktionsegoismus haben hier das große
Wort gesprochen. Erst heute beginnt man auch bei den Radikalen darüber
nachzudenken, ob es gut war, den Teufel mit Beelzebub austreiben zu
wollen, ob es gut war. die Arbeitsbörsen und die Syndikate zu Organi¬
sationen der Barrikadenmänner zu machen, anstatt sie den rein berufsgenossen¬
schaftlichen Aufgaben zu erhalten, die das Gesetz von 1884 im Auge hatte,
ob es gut war, allen Unzufriednen im Staat und vor allem auch den Beamten
die revolutionären Arbeitsbörsen mit ihrer Generalstreikpropaganda als Hilfe
in der Not erscheinen zu lassen. Die heute herrschenden Männer wissen gegen
die Umsturzgefahr anscheinend nur noch ein Mittel: das Heer, gegen das doch
die Demokratie ein so tiefes Mißtrauen zur Schau trügt. Gibt es denn gar
keine andre Möglichkeit mehr, den revolutionären Syndikaten entgegenzutreten?
Gewiß, antworten die Gelben. Wir Arbeiter wollen schon mit den Roten fertig
werden, wenn ihr nur aufhören wollt, die sozialistischen Gewerkschaften mit
Privilegien, mit finanziellen Beihilfen und mit politischer Verhätschelung gro߬
zufüttern. Das Syndikatsgesetz ist für alle da, nicht nur für die Scharen der
Lontsäörg.t>ion. Schlagen wir die Umsturzmünner mit ihren eignen Waffen,
diesen Waffen, die das Gesetz für alle geschmiedet hat, die ihr aber euern
schlimmsten Feinden in Parteiverblendung überliefert habt!

Dieser Gedanke ist gar nicht neu, aber die Gelben sind die ersten, die
damit eine umfassende Bewegung in der Arbeiterschaft einleiten konnten. Im
Jahre 1887 schon bildete sich ein katholisches Syndikat zunächst von Hand¬
lungsgehilfen, das heute noch besteht. In Tourcoing haben wir ebenfalls
eine christliche Gewerkschaft. In Valenciennes, Lille, Roubaix gibt es ähn¬
liche katholische Verbände. Sie haben aber sämtlich keinen nennenswerten
Einfluß in den Massen. Erst die Not der großen Streikjahre 1898 bis 1901
ließ unter den hungernden Arbeitern den Plan reifen, sich der Schreckens¬
herrschaft der Streikdiktatoren und der sozialistischen Gewerkschaften aus eigner
Kraft zu widersetzen, um sich die Verlorne Arbeitsfreiheit wieder zu erkämpfen
und ihren im Elend verkommenden Frauen und Kindern Brot zu schaffen.
Montceau-les-Mines waren die Dessolin, Moncimy, Burtin Führer dieser
Bewegung. Im Cafe de la Marie fanden sich da zaghaft die ersten Arbeiter
^n, die auch wirklich arbeiten wollten. Sie bildeten ein Syndikat, das zuerst
nur als "zweites" Syndikat bekannt wurde gegenüber dem ersten, revolutionären
Streiksyndikat. Die Roten stürmten das Cafe und schlugen alles kurz und
^N- Da alle Fenster zertrümmert waren, verklebten die Leute vom zweiten
Syndikat die Fensteröffnungen mit Papier. Es war zufällig ein Stoß
gelbes Papier, den man zur Hand hatte. Die Streitenden spotteten über
die gelben Fenster und nannten das neue Syndikat selbst das "gelbe". Die


Grenzboten III 1906 24
Eine neue Arbeiterpartei

Es ist hier nicht der Ort. weiter auszuführen, aus welchen Gründen die
Regierungsparteien eine so gefährliche Bewegung großgezogen haben. Die
Furcht vor der Reaktion und der Fraktionsegoismus haben hier das große
Wort gesprochen. Erst heute beginnt man auch bei den Radikalen darüber
nachzudenken, ob es gut war, den Teufel mit Beelzebub austreiben zu
wollen, ob es gut war. die Arbeitsbörsen und die Syndikate zu Organi¬
sationen der Barrikadenmänner zu machen, anstatt sie den rein berufsgenossen¬
schaftlichen Aufgaben zu erhalten, die das Gesetz von 1884 im Auge hatte,
ob es gut war, allen Unzufriednen im Staat und vor allem auch den Beamten
die revolutionären Arbeitsbörsen mit ihrer Generalstreikpropaganda als Hilfe
in der Not erscheinen zu lassen. Die heute herrschenden Männer wissen gegen
die Umsturzgefahr anscheinend nur noch ein Mittel: das Heer, gegen das doch
die Demokratie ein so tiefes Mißtrauen zur Schau trügt. Gibt es denn gar
keine andre Möglichkeit mehr, den revolutionären Syndikaten entgegenzutreten?
Gewiß, antworten die Gelben. Wir Arbeiter wollen schon mit den Roten fertig
werden, wenn ihr nur aufhören wollt, die sozialistischen Gewerkschaften mit
Privilegien, mit finanziellen Beihilfen und mit politischer Verhätschelung gro߬
zufüttern. Das Syndikatsgesetz ist für alle da, nicht nur für die Scharen der
Lontsäörg.t>ion. Schlagen wir die Umsturzmünner mit ihren eignen Waffen,
diesen Waffen, die das Gesetz für alle geschmiedet hat, die ihr aber euern
schlimmsten Feinden in Parteiverblendung überliefert habt!

Dieser Gedanke ist gar nicht neu, aber die Gelben sind die ersten, die
damit eine umfassende Bewegung in der Arbeiterschaft einleiten konnten. Im
Jahre 1887 schon bildete sich ein katholisches Syndikat zunächst von Hand¬
lungsgehilfen, das heute noch besteht. In Tourcoing haben wir ebenfalls
eine christliche Gewerkschaft. In Valenciennes, Lille, Roubaix gibt es ähn¬
liche katholische Verbände. Sie haben aber sämtlich keinen nennenswerten
Einfluß in den Massen. Erst die Not der großen Streikjahre 1898 bis 1901
ließ unter den hungernden Arbeitern den Plan reifen, sich der Schreckens¬
herrschaft der Streikdiktatoren und der sozialistischen Gewerkschaften aus eigner
Kraft zu widersetzen, um sich die Verlorne Arbeitsfreiheit wieder zu erkämpfen
und ihren im Elend verkommenden Frauen und Kindern Brot zu schaffen.
Montceau-les-Mines waren die Dessolin, Moncimy, Burtin Führer dieser
Bewegung. Im Cafe de la Marie fanden sich da zaghaft die ersten Arbeiter
^n, die auch wirklich arbeiten wollten. Sie bildeten ein Syndikat, das zuerst
nur als „zweites" Syndikat bekannt wurde gegenüber dem ersten, revolutionären
Streiksyndikat. Die Roten stürmten das Cafe und schlugen alles kurz und
^N- Da alle Fenster zertrümmert waren, verklebten die Leute vom zweiten
Syndikat die Fensteröffnungen mit Papier. Es war zufällig ein Stoß
gelbes Papier, den man zur Hand hatte. Die Streitenden spotteten über
die gelben Fenster und nannten das neue Syndikat selbst das „gelbe". Die


Grenzboten III 1906 24
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[0189] Eine neue Arbeiterpartei Es ist hier nicht der Ort. weiter auszuführen, aus welchen Gründen die Regierungsparteien eine so gefährliche Bewegung großgezogen haben. Die Furcht vor der Reaktion und der Fraktionsegoismus haben hier das große Wort gesprochen. Erst heute beginnt man auch bei den Radikalen darüber nachzudenken, ob es gut war, den Teufel mit Beelzebub austreiben zu wollen, ob es gut war. die Arbeitsbörsen und die Syndikate zu Organi¬ sationen der Barrikadenmänner zu machen, anstatt sie den rein berufsgenossen¬ schaftlichen Aufgaben zu erhalten, die das Gesetz von 1884 im Auge hatte, ob es gut war, allen Unzufriednen im Staat und vor allem auch den Beamten die revolutionären Arbeitsbörsen mit ihrer Generalstreikpropaganda als Hilfe in der Not erscheinen zu lassen. Die heute herrschenden Männer wissen gegen die Umsturzgefahr anscheinend nur noch ein Mittel: das Heer, gegen das doch die Demokratie ein so tiefes Mißtrauen zur Schau trügt. Gibt es denn gar keine andre Möglichkeit mehr, den revolutionären Syndikaten entgegenzutreten? Gewiß, antworten die Gelben. Wir Arbeiter wollen schon mit den Roten fertig werden, wenn ihr nur aufhören wollt, die sozialistischen Gewerkschaften mit Privilegien, mit finanziellen Beihilfen und mit politischer Verhätschelung gro߬ zufüttern. Das Syndikatsgesetz ist für alle da, nicht nur für die Scharen der Lontsäörg.t>ion. Schlagen wir die Umsturzmünner mit ihren eignen Waffen, diesen Waffen, die das Gesetz für alle geschmiedet hat, die ihr aber euern schlimmsten Feinden in Parteiverblendung überliefert habt! Dieser Gedanke ist gar nicht neu, aber die Gelben sind die ersten, die damit eine umfassende Bewegung in der Arbeiterschaft einleiten konnten. Im Jahre 1887 schon bildete sich ein katholisches Syndikat zunächst von Hand¬ lungsgehilfen, das heute noch besteht. In Tourcoing haben wir ebenfalls eine christliche Gewerkschaft. In Valenciennes, Lille, Roubaix gibt es ähn¬ liche katholische Verbände. Sie haben aber sämtlich keinen nennenswerten Einfluß in den Massen. Erst die Not der großen Streikjahre 1898 bis 1901 ließ unter den hungernden Arbeitern den Plan reifen, sich der Schreckens¬ herrschaft der Streikdiktatoren und der sozialistischen Gewerkschaften aus eigner Kraft zu widersetzen, um sich die Verlorne Arbeitsfreiheit wieder zu erkämpfen und ihren im Elend verkommenden Frauen und Kindern Brot zu schaffen. Montceau-les-Mines waren die Dessolin, Moncimy, Burtin Führer dieser Bewegung. Im Cafe de la Marie fanden sich da zaghaft die ersten Arbeiter ^n, die auch wirklich arbeiten wollten. Sie bildeten ein Syndikat, das zuerst nur als „zweites" Syndikat bekannt wurde gegenüber dem ersten, revolutionären Streiksyndikat. Die Roten stürmten das Cafe und schlugen alles kurz und ^N- Da alle Fenster zertrümmert waren, verklebten die Leute vom zweiten Syndikat die Fensteröffnungen mit Papier. Es war zufällig ein Stoß gelbes Papier, den man zur Hand hatte. Die Streitenden spotteten über die gelben Fenster und nannten das neue Syndikat selbst das „gelbe". Die Grenzboten III 1906 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/189>, abgerufen am 27.12.2024.