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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gezeichneten Kopf- und Fußbildern der einzelnen Kapitel liegt echte Hochlandstimmung,
sie entsprechen zugleich dem Kapitelinhalt.


Wippermanns Geschichtskalender.

Vor kurzemist der zweite Band des
Jahrgangs 1905 des Deutschen Geschichtskalenders erschienen, den der Pro¬
fessor Dr. Karl Wippermann verfaßt und der Verlag von Fr. Wilh. Grunow
herausgibt. Jede Zeitungsredaktion und jeder Politiker von Beruf findet in
den Jahrgängen dieses Geschichtskalenders das bequemste, reichhaltigste und voll¬
ständigste Nachschlagewerk, das es gibt. Aber der Wippermann ist kein bloßes
Nachschlagewerk. Er ist Zeitgeschichte, ja die politische Zeitgeschichte, kann man
sagen. Natürlich nicht in künstlerischer Bearbeitung, aber eben darum materiell
nichr als eine solche. Denn erstens kann eine solche Bearbeitung unmöglich all den
Stoff aufnehmen, den Wippermann darbietet; eine Geschichte des neunzehnten Jahr¬
hunderts, die das zu tun versuchte, würde ein Werk von monströsem Umfange
werden. Und zweitens stellt eine ausgearbeitete Weltgeschichte den Stoff in der
Auswahl, die Personen in der Beleuchtung, die Ereignisse in der Gruppierung
dar, die der Individualität und dem Standpunkte des Verfassers entsprechen, das
heißt mehr oder weniger parteiisch. Wippermann dagegen ist vollkommen unparteiisch.
Er berichtet alles, was geschehen ist, sofern es politische Bedeutung hat, und läßt
die Personen selbst reden. Alle bedeutungsvollen mündlichen und schriftlichen
Äußerungen werden wörtlich, die wichtigsten vollständig mitgeteilt. So hat jeder,
der diese Bände besitzt, die wirkliche, ungeschminkte und ungefälschte Geschichte seiner
Zeit und ist in der Lage, sich sein Urteil über Ereignisse und Personen ganz
selbständig zu bilden. Er findet sämtliche Kaiserreden und Kaisertelegramme und
die Urteile der Presse darüber; die Verhandlungen des Reichstags und der Land¬
tage und den Wortlaut der wichtigsten Parlamentsreden; den Zeitungsstreit zwischen
England und Deutschland, die Vorgänge in der Parteibewegung, die Verhandlungen
der Parteitage und wiederum die Zeitungsstimmen darüber; er findet alle für uns
wichtigen oder wenigstens interessanten politischen Begebenheiten des Auslands, zum
Beispiel im vorliegenden Jahrgange die Geschichte des letzten Aktes des ostasiatischen
Kriegsdramas und die der russischen Revolution samt dem Wortlaut aller Zaren¬
erlasse und aller Kundgebungen der Revolutionäre und der Parteien sowie die
nnstroungarische Doppelparlamentskomödie und die Herzensergüsse des wackern Roose-
velt. Kleinigkeiten wie die Verpflegungsstationen, der verunglückte Besuch des
Herrn Jaures bei uns und die Genickstarre werden nicht Übergängen, und den
wichtigern, auch den die Politik nur mittelbar berührenden geistigen Bewegungen
wird der gebührende Raum gegönnt; so der Angelegenheit des Pfarrers Fischer,
der auf dem Protestantentage die Gemüter der Positiven verletzt hatte, ein Bericht
von zehn, dem Streit über die konfessionellen Studentenverbindungen ein solcher
von dreißig Seiten. Die Ereignisse des Augenblicks kann man nur versteh" und
richtig beurteilen, wenn man ihre Genesis kennt, ihren Zusammenhang mit frühern
Ereignissen, und da auch das stärkste Gedächtnis nicht alles festhält, überdies oft
tischt, so ist jeder, der tätig in die Geschicke seines Vaterlands eingreifen oder
wenigstens den Lauf der Welt mit innerer Teilnahme verfolgen will, auf die Be¬
nutzung von Urkundensammlungen angewiesen; eine praktischere aber, deren Voll¬
ständigkeit zugleich für die Zwecke des gewöhnlichen Politikers und des Tages¬
schriftstellers genügt (nur der Diplomat und der Geschichtschreiber brauchen mehr
und müssen darum in die Archive gehn), wird er nicht finden als den Wippermann.
Schon nach einigen Jahrzehnten werden diese Bände eine unbezahlbare Quelle für
z. jeden Geschichtsforscher und Geschichtslehrer sein.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gezeichneten Kopf- und Fußbildern der einzelnen Kapitel liegt echte Hochlandstimmung,
sie entsprechen zugleich dem Kapitelinhalt.


Wippermanns Geschichtskalender.

Vor kurzemist der zweite Band des
Jahrgangs 1905 des Deutschen Geschichtskalenders erschienen, den der Pro¬
fessor Dr. Karl Wippermann verfaßt und der Verlag von Fr. Wilh. Grunow
herausgibt. Jede Zeitungsredaktion und jeder Politiker von Beruf findet in
den Jahrgängen dieses Geschichtskalenders das bequemste, reichhaltigste und voll¬
ständigste Nachschlagewerk, das es gibt. Aber der Wippermann ist kein bloßes
Nachschlagewerk. Er ist Zeitgeschichte, ja die politische Zeitgeschichte, kann man
sagen. Natürlich nicht in künstlerischer Bearbeitung, aber eben darum materiell
nichr als eine solche. Denn erstens kann eine solche Bearbeitung unmöglich all den
Stoff aufnehmen, den Wippermann darbietet; eine Geschichte des neunzehnten Jahr¬
hunderts, die das zu tun versuchte, würde ein Werk von monströsem Umfange
werden. Und zweitens stellt eine ausgearbeitete Weltgeschichte den Stoff in der
Auswahl, die Personen in der Beleuchtung, die Ereignisse in der Gruppierung
dar, die der Individualität und dem Standpunkte des Verfassers entsprechen, das
heißt mehr oder weniger parteiisch. Wippermann dagegen ist vollkommen unparteiisch.
Er berichtet alles, was geschehen ist, sofern es politische Bedeutung hat, und läßt
die Personen selbst reden. Alle bedeutungsvollen mündlichen und schriftlichen
Äußerungen werden wörtlich, die wichtigsten vollständig mitgeteilt. So hat jeder,
der diese Bände besitzt, die wirkliche, ungeschminkte und ungefälschte Geschichte seiner
Zeit und ist in der Lage, sich sein Urteil über Ereignisse und Personen ganz
selbständig zu bilden. Er findet sämtliche Kaiserreden und Kaisertelegramme und
die Urteile der Presse darüber; die Verhandlungen des Reichstags und der Land¬
tage und den Wortlaut der wichtigsten Parlamentsreden; den Zeitungsstreit zwischen
England und Deutschland, die Vorgänge in der Parteibewegung, die Verhandlungen
der Parteitage und wiederum die Zeitungsstimmen darüber; er findet alle für uns
wichtigen oder wenigstens interessanten politischen Begebenheiten des Auslands, zum
Beispiel im vorliegenden Jahrgange die Geschichte des letzten Aktes des ostasiatischen
Kriegsdramas und die der russischen Revolution samt dem Wortlaut aller Zaren¬
erlasse und aller Kundgebungen der Revolutionäre und der Parteien sowie die
nnstroungarische Doppelparlamentskomödie und die Herzensergüsse des wackern Roose-
velt. Kleinigkeiten wie die Verpflegungsstationen, der verunglückte Besuch des
Herrn Jaures bei uns und die Genickstarre werden nicht Übergängen, und den
wichtigern, auch den die Politik nur mittelbar berührenden geistigen Bewegungen
wird der gebührende Raum gegönnt; so der Angelegenheit des Pfarrers Fischer,
der auf dem Protestantentage die Gemüter der Positiven verletzt hatte, ein Bericht
von zehn, dem Streit über die konfessionellen Studentenverbindungen ein solcher
von dreißig Seiten. Die Ereignisse des Augenblicks kann man nur versteh» und
richtig beurteilen, wenn man ihre Genesis kennt, ihren Zusammenhang mit frühern
Ereignissen, und da auch das stärkste Gedächtnis nicht alles festhält, überdies oft
tischt, so ist jeder, der tätig in die Geschicke seines Vaterlands eingreifen oder
wenigstens den Lauf der Welt mit innerer Teilnahme verfolgen will, auf die Be¬
nutzung von Urkundensammlungen angewiesen; eine praktischere aber, deren Voll¬
ständigkeit zugleich für die Zwecke des gewöhnlichen Politikers und des Tages¬
schriftstellers genügt (nur der Diplomat und der Geschichtschreiber brauchen mehr
und müssen darum in die Archive gehn), wird er nicht finden als den Wippermann.
Schon nach einigen Jahrzehnten werden diese Bände eine unbezahlbare Quelle für
z. jeden Geschichtsforscher und Geschichtslehrer sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/179>, abgerufen am 27.12.2024.