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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Lckermann an Goethe

Theater werden auch in den Briefen Eckermamis berührt. Tieck hielt es für
möglich und strebte danach, eine Bühne zu errichten, die sich architektonisch
den einfachen Verhältnissen der Shakespearischen Bühne nähere, wogegen sich
Goethe in der Praxis als Theaterleiter und auch in seinem Aufsatze "Shake¬
speare und kein Ende" wandte. Gelegentlich fällte andrerseits Tieck absprechende
Urteile über Goethes Auffassung der Schauspielkunst. So tadelt er in dem
1826 erschienenen zweiten Bündchen seiner "Dramaturgischen Blätter" in einem
Aufsatze "Bemerkungen. Einfülle und Grillen über das deutsche Theater" die
allzu langsame Deklamation Pius Alexander Wolffs, der einer der fähigsten
Schüler Goethes und geradezu ein Vertreter seiner Schule war, bestreitet
ebenda, daß sich der dramatische Vortrag unter allgemeine Regeln bringen lasse,
und verwirft überhaupt dramatische Schulen; denn diese könnten wohl Unarten
bannen, aber das Rechte, Größte müßte immer dem Künstler selbst anheim¬
gestellt werden. Auch warnt er davor, die Versmaße allzusehr hören zu lassen.
Wie sehr sich solche und ähnliche Äußerungen Tiecks gegen Goethes An¬
schauungen und Schule richten, kann hier nicht im einzelnen ausgeführt werden;
ein Hinweis auf I. Wahles Werk "Das Weimarische Hoftheater unter Goethes
Leitung" (Schriften der Goethe-Gesellschaft Bd. VI) und auf von Bergers Vor¬
trag "Über Goethes Verhältnis zur Schauspielkunst" (Goethe-Jahrbuch Bd. XXV)
möge genügen.

In seinem Widerspruche gegen die weimarische Deklamationsweise hat Tieck
übrigens fast alle bedeutendem Schauspieler jener Zeit und auch die meisten
deutschen Bühnen auf seiner Seite gehabt. Von den Schauspielern des Kasseler
Hoftheaters bezeugt dies Eckermann in seinem zweiten Briefe ausdrücklich.

Goethe war Tiecks Standpunkt zur Schauspielkunst damals zweifellos
bekannt. Denn das zweite Bändchen der "Dramaturgischen Blätter" war kurz
vorher, am 13. April 1826, in seine Hände gelangt. Auch Eckermann war
mit dem Gegenstande wohl vertraut. Hatte er doch schon 1824 von Goethe
die Aufgabe erhalten, die Aufzeichnungen zweier Schauspieler seiner Schule zu
bearbeiten, aus denen er die "Regeln für Schauspieler" zusammenstellte. Das
unverminderte Interesse Goethes am Theater bezeugen uns Eckermanns aus¬
führliche Berichte über die Kasseler Theaterverhältnisse.

Können die Explosion der Pulverwagen in Eisenach, die am 1. Sep¬
tember 1810 stattgefunden hat (S. 133), und das durch sie verursachte Schicksal
des einen Reisegefährten Eckermanns, den dieser Empronius nennt, an und für
sich weniger interessieren, so ist doch Eckermanns Bericht über diesen Vorfall
insofern von Bedeutung, als wir in der Lage sind, seine Nichtigkeit zu prüfen.

Im Hamburgischen Korrespondenten findet sich am 14. September 1810 eine
Schilderung des Eisenacher Unglücks. Da lesen wir: einige junge Mädchen,
die eine Gesellschaft im Hause des Postkommissärs Emperies verließen, "waren
die letzten Personen, welche ihren Fuß aus diesem unglücklichen Hause setzten.
Kaum sind sie zu Hause, so geschieht die Explosion, und ach! alle Personen,
welche in diesem Hause waren, verbrannten, bis auf die hart beschädigte Mutter


Lckermann an Goethe

Theater werden auch in den Briefen Eckermamis berührt. Tieck hielt es für
möglich und strebte danach, eine Bühne zu errichten, die sich architektonisch
den einfachen Verhältnissen der Shakespearischen Bühne nähere, wogegen sich
Goethe in der Praxis als Theaterleiter und auch in seinem Aufsatze „Shake¬
speare und kein Ende" wandte. Gelegentlich fällte andrerseits Tieck absprechende
Urteile über Goethes Auffassung der Schauspielkunst. So tadelt er in dem
1826 erschienenen zweiten Bündchen seiner „Dramaturgischen Blätter" in einem
Aufsatze „Bemerkungen. Einfülle und Grillen über das deutsche Theater" die
allzu langsame Deklamation Pius Alexander Wolffs, der einer der fähigsten
Schüler Goethes und geradezu ein Vertreter seiner Schule war, bestreitet
ebenda, daß sich der dramatische Vortrag unter allgemeine Regeln bringen lasse,
und verwirft überhaupt dramatische Schulen; denn diese könnten wohl Unarten
bannen, aber das Rechte, Größte müßte immer dem Künstler selbst anheim¬
gestellt werden. Auch warnt er davor, die Versmaße allzusehr hören zu lassen.
Wie sehr sich solche und ähnliche Äußerungen Tiecks gegen Goethes An¬
schauungen und Schule richten, kann hier nicht im einzelnen ausgeführt werden;
ein Hinweis auf I. Wahles Werk „Das Weimarische Hoftheater unter Goethes
Leitung" (Schriften der Goethe-Gesellschaft Bd. VI) und auf von Bergers Vor¬
trag „Über Goethes Verhältnis zur Schauspielkunst" (Goethe-Jahrbuch Bd. XXV)
möge genügen.

In seinem Widerspruche gegen die weimarische Deklamationsweise hat Tieck
übrigens fast alle bedeutendem Schauspieler jener Zeit und auch die meisten
deutschen Bühnen auf seiner Seite gehabt. Von den Schauspielern des Kasseler
Hoftheaters bezeugt dies Eckermann in seinem zweiten Briefe ausdrücklich.

Goethe war Tiecks Standpunkt zur Schauspielkunst damals zweifellos
bekannt. Denn das zweite Bändchen der „Dramaturgischen Blätter" war kurz
vorher, am 13. April 1826, in seine Hände gelangt. Auch Eckermann war
mit dem Gegenstande wohl vertraut. Hatte er doch schon 1824 von Goethe
die Aufgabe erhalten, die Aufzeichnungen zweier Schauspieler seiner Schule zu
bearbeiten, aus denen er die „Regeln für Schauspieler" zusammenstellte. Das
unverminderte Interesse Goethes am Theater bezeugen uns Eckermanns aus¬
führliche Berichte über die Kasseler Theaterverhältnisse.

Können die Explosion der Pulverwagen in Eisenach, die am 1. Sep¬
tember 1810 stattgefunden hat (S. 133), und das durch sie verursachte Schicksal
des einen Reisegefährten Eckermanns, den dieser Empronius nennt, an und für
sich weniger interessieren, so ist doch Eckermanns Bericht über diesen Vorfall
insofern von Bedeutung, als wir in der Lage sind, seine Nichtigkeit zu prüfen.

Im Hamburgischen Korrespondenten findet sich am 14. September 1810 eine
Schilderung des Eisenacher Unglücks. Da lesen wir: einige junge Mädchen,
die eine Gesellschaft im Hause des Postkommissärs Emperies verließen, „waren
die letzten Personen, welche ihren Fuß aus diesem unglücklichen Hause setzten.
Kaum sind sie zu Hause, so geschieht die Explosion, und ach! alle Personen,
welche in diesem Hause waren, verbrannten, bis auf die hart beschädigte Mutter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/148>, abgerufen am 25.08.2024.