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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Sehr ermutigend war das nicht. Zum Teil mag diese Auffassung in den glänzenden
Erfolgen der Marine in Kiautschou begründet gewesen sein. Die Marineverwaltung
gab der neuen Kolonie hervorragende Gouverneure. Es genügt, an den einen:
Jäschke, zu erinnern, der leidend in dem Bewußtsein hinausging, der Sache seine
letzte Lebenskraft zu widmen, und dessen hervorragende Leistungen für immer mit
dem Namen der Kolonie verbunden bleiben werden. Wenngleich die Aufgaben dort
zum Teil andere sind als in den afrikanischen Schutzgebieten, so liegt doch die Frage
nahe, weshalb die Gouverneurstellen in Afrika nie mit Seeoffizieren besetzt worden
sind, unter denen sich doch manche als dazu vorzüglich qualifiziert erweisen. Für
alle afrikanischen Kolonien ist der Zugang vom Meere und die Verbindung vom
Meere zum Innern die Lebensfrage, gerade wie in Kiautschou, mögen immerhin
Klima, Kulturverhältnisse und die Verbindungen mit der Heimat anders sein. Es
ist schon in frühern Jahren an dieser Stelle die Frage berührt worden, ob es
nicht zweckmäßig gewesen wäre, alle Schutzgebiete der Marine zu unterstellen. Der
Kaiser hatte diese Frage bejaht und war dazu durchaus bereit; derselbe Vorschlag
wurde auch durch Eugen Richter gemacht. Aber der Staatssekretär von Tirpitz
verhielt sich gegen das ihm zugedachte reiche Maß von Vertrauen ablehnend, weil
er befürchtete, daß im Reichstage dann entweder die Marine oder die Kolonien
zu kurz kommen würden, oder daß sich die Animosität gegen die Kolonien auch
auf die Marine übertragen könnte. Ob nun diese Auffassung gerechtfertigt war
oder nicht, jedenfalls war es die andre, daß die gleichzeitige Verwaltung und
Entwicklung beider Ressorts die Arbeitskraft auch des tüchtigsten Resiortchefs über¬
steigen müsse, namentlich auch die parlamentarische Inanspruchnahme. Ferner kam
in Betracht, daß Kiautschou von Anfang an nur als Marinestützpunkt erworben
worden war, während die afrikanischen Schutzgebiete, mit Ausnahme von Ostafrika
mit seinen guten Häfen, der Marine nichts zu bieten vermögen. Immerhin hat
der Gedanke, die Kolonialabteilung zu einem selbständigen Amte umzugestalten, ein
Gedanke, dem schon der Reichskanzler Fürst Hohenlohe bejahend gegenüberstand, in
seiner Ausführung durch die Idee einer Verbindung mit der Marine eine Ver¬
zögerung erfahren. Einer Verbindung mit der Marine schien auch die militärische
Seite der Frage das Wort zu reden. Die Truppen in den Kolonien konnten
dann ohne weiteres der Marineinfanterie angegliedert werden, wie das für Kiaut¬
schou der Fall ist, und wie Fabri das schon gegen Ende der achtziger Jahre vor¬
geschlagen hatte. Der Gedanke ist auf den ersten Blick hin bestechend genug, zumal
da ja die Marineinfanterie wiederholt in die Lage gekommen ist, aufständischen Be¬
wegungen gegenüber in allen Teilen Afrikas die erste Hilfe zu bringen.

Die Bestimmung der Marineinfanterie ist jedoch eine andre. Diese Truppe
hat ihre volle Bedeutung seit der Unterstellung des Kieler Hafens und der Nord¬
seeküste unter die Marineverwaltung erhalten. Wäre die gesamte Verteidigung der
deutschen Küsten und Häfen der Landarmee unterstellt geblieben, so konnte die
Marineinfanterie für überseeische Zwecke dauernd verfügbar gemacht werden. Aber
nachdem seinerzeit Stosch in schweren und hartnäckigen Kämpfen gegen Roon und das
Kriegsministerium Kiel und die Nordseeküste für die Verteidigung durch die Marine
gewonnen hatte, mußte für den Jnfanteriebedarf der Forts- und Hafenbesatzuugen
durch entsprechende Ausgestaltung der Marineinfanterie Sorge getragen werden.
Die Marineinfanterie wird darum für überseeische Zwecke nur in Zeiten abkömmlich
sein, in denen, wie zu der Zeit der Chinaexpedition, jede Störung des Friedens in
Europa ausgeschlossen ist. Aus diesem Grunde wird es der Marineinfanterie auch
nicht immer möglich sein, das allezeit bereite Reservoir für die Kolonialtruppen
herzugeben.


Grenzboten HI 1906 !S
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Sehr ermutigend war das nicht. Zum Teil mag diese Auffassung in den glänzenden
Erfolgen der Marine in Kiautschou begründet gewesen sein. Die Marineverwaltung
gab der neuen Kolonie hervorragende Gouverneure. Es genügt, an den einen:
Jäschke, zu erinnern, der leidend in dem Bewußtsein hinausging, der Sache seine
letzte Lebenskraft zu widmen, und dessen hervorragende Leistungen für immer mit
dem Namen der Kolonie verbunden bleiben werden. Wenngleich die Aufgaben dort
zum Teil andere sind als in den afrikanischen Schutzgebieten, so liegt doch die Frage
nahe, weshalb die Gouverneurstellen in Afrika nie mit Seeoffizieren besetzt worden
sind, unter denen sich doch manche als dazu vorzüglich qualifiziert erweisen. Für
alle afrikanischen Kolonien ist der Zugang vom Meere und die Verbindung vom
Meere zum Innern die Lebensfrage, gerade wie in Kiautschou, mögen immerhin
Klima, Kulturverhältnisse und die Verbindungen mit der Heimat anders sein. Es
ist schon in frühern Jahren an dieser Stelle die Frage berührt worden, ob es
nicht zweckmäßig gewesen wäre, alle Schutzgebiete der Marine zu unterstellen. Der
Kaiser hatte diese Frage bejaht und war dazu durchaus bereit; derselbe Vorschlag
wurde auch durch Eugen Richter gemacht. Aber der Staatssekretär von Tirpitz
verhielt sich gegen das ihm zugedachte reiche Maß von Vertrauen ablehnend, weil
er befürchtete, daß im Reichstage dann entweder die Marine oder die Kolonien
zu kurz kommen würden, oder daß sich die Animosität gegen die Kolonien auch
auf die Marine übertragen könnte. Ob nun diese Auffassung gerechtfertigt war
oder nicht, jedenfalls war es die andre, daß die gleichzeitige Verwaltung und
Entwicklung beider Ressorts die Arbeitskraft auch des tüchtigsten Resiortchefs über¬
steigen müsse, namentlich auch die parlamentarische Inanspruchnahme. Ferner kam
in Betracht, daß Kiautschou von Anfang an nur als Marinestützpunkt erworben
worden war, während die afrikanischen Schutzgebiete, mit Ausnahme von Ostafrika
mit seinen guten Häfen, der Marine nichts zu bieten vermögen. Immerhin hat
der Gedanke, die Kolonialabteilung zu einem selbständigen Amte umzugestalten, ein
Gedanke, dem schon der Reichskanzler Fürst Hohenlohe bejahend gegenüberstand, in
seiner Ausführung durch die Idee einer Verbindung mit der Marine eine Ver¬
zögerung erfahren. Einer Verbindung mit der Marine schien auch die militärische
Seite der Frage das Wort zu reden. Die Truppen in den Kolonien konnten
dann ohne weiteres der Marineinfanterie angegliedert werden, wie das für Kiaut¬
schou der Fall ist, und wie Fabri das schon gegen Ende der achtziger Jahre vor¬
geschlagen hatte. Der Gedanke ist auf den ersten Blick hin bestechend genug, zumal
da ja die Marineinfanterie wiederholt in die Lage gekommen ist, aufständischen Be¬
wegungen gegenüber in allen Teilen Afrikas die erste Hilfe zu bringen.

Die Bestimmung der Marineinfanterie ist jedoch eine andre. Diese Truppe
hat ihre volle Bedeutung seit der Unterstellung des Kieler Hafens und der Nord¬
seeküste unter die Marineverwaltung erhalten. Wäre die gesamte Verteidigung der
deutschen Küsten und Häfen der Landarmee unterstellt geblieben, so konnte die
Marineinfanterie für überseeische Zwecke dauernd verfügbar gemacht werden. Aber
nachdem seinerzeit Stosch in schweren und hartnäckigen Kämpfen gegen Roon und das
Kriegsministerium Kiel und die Nordseeküste für die Verteidigung durch die Marine
gewonnen hatte, mußte für den Jnfanteriebedarf der Forts- und Hafenbesatzuugen
durch entsprechende Ausgestaltung der Marineinfanterie Sorge getragen werden.
Die Marineinfanterie wird darum für überseeische Zwecke nur in Zeiten abkömmlich
sein, in denen, wie zu der Zeit der Chinaexpedition, jede Störung des Friedens in
Europa ausgeschlossen ist. Aus diesem Grunde wird es der Marineinfanterie auch
nicht immer möglich sein, das allezeit bereite Reservoir für die Kolonialtruppen
herzugeben.


Grenzboten HI 1906 !S
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/121>, abgerufen am 27.12.2024.