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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Anastasius Grün

Schönheit seiner Bilder beruht der große Erfolg seiner Dichtungen nicht zum
wenigsten. Anastasius Grün ist geradezu unerschöpflich in der Auffindung von
Gleichnissen und Zügen der Verwandtschaft auf allen Gebieten des Lebens in
der Natur und der Geschichte. Mit wunderbarer Bilderfülle vermittelt er
glänzend und energisch den Gedankengang seiner Dichtung der Einbildungs¬
kraft; er schmeichelt ihn dem Leser oder Hörer förmlich ein. Aber er wußte,
abgesehen von den Dichtungen geringern Umfangs, der Gefahr nicht aus dem
Wege zu gehn, die dadurch der dichterischen Einheit drohte. Der Dichter, der
eben ein Bild ergriffen hat, vergißt über dessen Ausmalung den ersten Ge¬
danken und läßt sich zu einer neuen bildlichen Wendung anregen. Ein Bei¬
spiel für die fehlerhafte Häufung von Gleichnissen möge hier stehn. Die hervor¬
ragende Stellung der Fürstensöhne im Leben schildert der Dichter im "Letzten
Ritter" wie folgt:

An den einzelnen Bildern ist nichts auszusetzen; sie sind sogar schön, aber
ihre Hüufuug ermüdet die Phantasie. Julian Schmidt (Geschichte der deutschen
Literatur seit Lessings Tode, Bd. 3, S. 89) vergleicht Anastasius Grün in
Rücksicht aus die Behandlung des Bildes mit Schiller meist in glücklicher Weise.
Während sich Schiller willenlos in sein Bild zu verlieren scheine, sei es doch
immer der leitende Gedanke, der sie durchgeistige und zu einem harmonischen
Ganzen gliedre; Grün dagegen werde durch die Jdeenassoziation bestimmt, und
an diesem organischen Gebrechen leide fast jedes einzelne Bild; der Dichter
sei abhängig von seiner Vorstellung, sei nicht so weit Herr über sie, sie in
das richtige Maß zu fügen, das nicht nur zur Schönheit, sondern auch zur
Deutlichkeit notwendig sei. Damit stehe auch die Abwesenheit aller Melodie
in Zusammenhang. Seine Gedichte hätten keinen Fluß, weil sie ohne Elastizität
der Gestaltung seien.

Grillparzer ist übrigens in einem spätern Gedichte an Anastasius Grün,
das nicht in seinen Gedichten veröffentlicht wurde (Neue Freie Presse vom
15. September 1876) der Kampfnatur des Dichters doch gerecht geworden,
denn er sagt dort:


Anastasius Grün

Schönheit seiner Bilder beruht der große Erfolg seiner Dichtungen nicht zum
wenigsten. Anastasius Grün ist geradezu unerschöpflich in der Auffindung von
Gleichnissen und Zügen der Verwandtschaft auf allen Gebieten des Lebens in
der Natur und der Geschichte. Mit wunderbarer Bilderfülle vermittelt er
glänzend und energisch den Gedankengang seiner Dichtung der Einbildungs¬
kraft; er schmeichelt ihn dem Leser oder Hörer förmlich ein. Aber er wußte,
abgesehen von den Dichtungen geringern Umfangs, der Gefahr nicht aus dem
Wege zu gehn, die dadurch der dichterischen Einheit drohte. Der Dichter, der
eben ein Bild ergriffen hat, vergißt über dessen Ausmalung den ersten Ge¬
danken und läßt sich zu einer neuen bildlichen Wendung anregen. Ein Bei¬
spiel für die fehlerhafte Häufung von Gleichnissen möge hier stehn. Die hervor¬
ragende Stellung der Fürstensöhne im Leben schildert der Dichter im „Letzten
Ritter" wie folgt:

An den einzelnen Bildern ist nichts auszusetzen; sie sind sogar schön, aber
ihre Hüufuug ermüdet die Phantasie. Julian Schmidt (Geschichte der deutschen
Literatur seit Lessings Tode, Bd. 3, S. 89) vergleicht Anastasius Grün in
Rücksicht aus die Behandlung des Bildes mit Schiller meist in glücklicher Weise.
Während sich Schiller willenlos in sein Bild zu verlieren scheine, sei es doch
immer der leitende Gedanke, der sie durchgeistige und zu einem harmonischen
Ganzen gliedre; Grün dagegen werde durch die Jdeenassoziation bestimmt, und
an diesem organischen Gebrechen leide fast jedes einzelne Bild; der Dichter
sei abhängig von seiner Vorstellung, sei nicht so weit Herr über sie, sie in
das richtige Maß zu fügen, das nicht nur zur Schönheit, sondern auch zur
Deutlichkeit notwendig sei. Damit stehe auch die Abwesenheit aller Melodie
in Zusammenhang. Seine Gedichte hätten keinen Fluß, weil sie ohne Elastizität
der Gestaltung seien.

Grillparzer ist übrigens in einem spätern Gedichte an Anastasius Grün,
das nicht in seinen Gedichten veröffentlicht wurde (Neue Freie Presse vom
15. September 1876) der Kampfnatur des Dichters doch gerecht geworden,
denn er sagt dort:


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[0095] Anastasius Grün Schönheit seiner Bilder beruht der große Erfolg seiner Dichtungen nicht zum wenigsten. Anastasius Grün ist geradezu unerschöpflich in der Auffindung von Gleichnissen und Zügen der Verwandtschaft auf allen Gebieten des Lebens in der Natur und der Geschichte. Mit wunderbarer Bilderfülle vermittelt er glänzend und energisch den Gedankengang seiner Dichtung der Einbildungs¬ kraft; er schmeichelt ihn dem Leser oder Hörer förmlich ein. Aber er wußte, abgesehen von den Dichtungen geringern Umfangs, der Gefahr nicht aus dem Wege zu gehn, die dadurch der dichterischen Einheit drohte. Der Dichter, der eben ein Bild ergriffen hat, vergißt über dessen Ausmalung den ersten Ge¬ danken und läßt sich zu einer neuen bildlichen Wendung anregen. Ein Bei¬ spiel für die fehlerhafte Häufung von Gleichnissen möge hier stehn. Die hervor¬ ragende Stellung der Fürstensöhne im Leben schildert der Dichter im „Letzten Ritter" wie folgt: An den einzelnen Bildern ist nichts auszusetzen; sie sind sogar schön, aber ihre Hüufuug ermüdet die Phantasie. Julian Schmidt (Geschichte der deutschen Literatur seit Lessings Tode, Bd. 3, S. 89) vergleicht Anastasius Grün in Rücksicht aus die Behandlung des Bildes mit Schiller meist in glücklicher Weise. Während sich Schiller willenlos in sein Bild zu verlieren scheine, sei es doch immer der leitende Gedanke, der sie durchgeistige und zu einem harmonischen Ganzen gliedre; Grün dagegen werde durch die Jdeenassoziation bestimmt, und an diesem organischen Gebrechen leide fast jedes einzelne Bild; der Dichter sei abhängig von seiner Vorstellung, sei nicht so weit Herr über sie, sie in das richtige Maß zu fügen, das nicht nur zur Schönheit, sondern auch zur Deutlichkeit notwendig sei. Damit stehe auch die Abwesenheit aller Melodie in Zusammenhang. Seine Gedichte hätten keinen Fluß, weil sie ohne Elastizität der Gestaltung seien. Grillparzer ist übrigens in einem spätern Gedichte an Anastasius Grün, das nicht in seinen Gedichten veröffentlicht wurde (Neue Freie Presse vom 15. September 1876) der Kampfnatur des Dichters doch gerecht geworden, denn er sagt dort:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/95>, abgerufen am 24.07.2024.